Stromgesetz

Salamitaktik zur Abschaffung der Gemeindeautonomie

«Die Mitspracherechte der Gemeinden werden nicht angetastet», wiederholt Bundesrat Rösti immer wieder. Der Bund spricht von der «Wahrung von Mitsprache- und Beschwerdemöglichkeiten», das Stromgesetz ändere «nichts an den demokratischen Mitsprachemöglichkeiten der Bevölkerung. Abstimmungen zu konkreten Projekten bleiben auch bei einer Annahme der Vorlage weiterhin möglich (Faktenblatt UVEK).

Diese Aussagen sind falsch. Das revidierte Energiegesetz enthält eine vom Bund und den grossen Medien bislang eisern verschwiegene Bestimmung (Art. 13 Abs. 3):

Erkennt der Bundesrat einer Anlage ein nationales Interesse (…) zu, so kann der Bundesrat zudem beschliessen, dass die notwendigen Bewilligungen in einem konzentrierten und abgekürzten Verfahren erteilt werden.

Konzentriert und abgekürzt heisst: Planungsverfahren auf kantonaler Ebene unter Ausschaltung der Gemeinden und möglicher Einschränkung der Rechtsmittel. Die Ermächtigung bezieht sich auf Anlagen, welche die erforderliche Grösse und Bedeutung für das nationale Interesse nicht erreichen – weniger als 20 Gigawattstunden pro Jahr, das sind Windparks mit in der Regel bis zu drei oder vier Windturbinen – und denen der Bundesrat trotzdem das nationale Interesse zusprechen kann. Bisher war das eine Ausnahmeregelung, neu wurde diese Einschränkung gestrichen. Allein in Zürich gibt es Stand heute 18 Eignungsgebiete für solche kleinere Windindustriegebiete, und es könnten noch mehr werden, wenn sich bei anderen Eignungsgebieten im Zuge der fortschreitenden Planung Einschränkungen ergeben.

Warum sollen gerade Windparks mit drei bis vier Turbinen besonders schnell und undemokratisch realisiert werden dürfen? Aus den Protokollen zur Beratung erschliesst sich der Grund. Die Bestimmung geht zurück auf einen Minderheitenantrag des ehemaligen Ständerats Knecht, der davon ausging, dass für grössere Anlagen bereits die Beschleunigungsvorlage vorgesehen ist und der mit seinem Antrag diese «Beschleunigung» auch für kleinere Solar- und Windparks haben wollte. Es war ihm wichtig, mit seinem Antrag «einen ersten Entscheid zugunsten von schnelleren Verfahren zu fällen».

Dieser Eingriff in die Demokratie auf kommunaler Ebene bei kleineren Windparks steht nicht alleine da. Der schrittweise Abbau der Gemeindeautonomie im Sinne der Salamitaktik ist schon länger im Gange.

«Nationales Interesse» als Hebel zur Durchsetzung von Windindustriegebieten

Neben der direkten Einschränkung der Gemeindemitbestimmung gibt es auch die indirekte. Begonnen hat diese mit dem Energiegesetz 2016. Um Windparks gegen den Willen der Bevölkerung und Gemeinden durchsetzen zu können, wurde ihnen ein «nationales Interesse» zuerkannt. Die Schwelle liegt bei einer Stromproduktion von 20 GWh jährlich. Das ist sehr niedrig, ist vergleichbar mit einem Kleinwasserkraftwerk und entspricht dem Jahresstromverbrauch von circa 2900 Personen. Durch das nationale Interesse erhalten die Anlagen höchstes Gewicht bei der Interessensabwägung und sind gleichwertig insbesondere zum nationalen Natur- und Landschaftsschutz.

Doch nicht genug damit, jetzt setzt das Stromgesetz noch einen drauf:

1. Die bisherige Richtplanung verlangt eine Interessenabwägung unter Einbezug aller Interessen – der kantonalen, kommunalen und lokalen Interessen. Neu bestimmt das Energiegesetz (Art. 12 Abs. 3):

Das nationale Interesse geht entgegenstehenden Interessen von kantonaler, regionaler oder lokaler Bedeutung vor.

Kantonale und kommunale Naturschutzgebiete, Biotope, Landschaftsschutzgebiete, Naherholung und Tourismus sollen bei der Richtplanung künftig nichts mehr zählen. Gemeinden dürfen über Mindestabstände oder Schutzzonen für Windkraftanlagen nicht mehr abstimmen, und wenn sie das trotzdem machen, dann werden die demokratischen Beschlüsse für ungültig erklärt.

2. Anlagen im nationalen Interesse erhalten neu grundsätzlich Vorrang vor allen anderen Interessen. Das geänderte Stromversorgungsgesetzes bestimmt für Solar und Windkraftanlagen, dass (Art. 9a Abs. 4 Buchst. c) (…) das Interesse an ihrer Realisierung anderen nationalen Interessen grundsätzlich vorgeht.

Das bedeutet, das sie praktisch immer gebaut werden können, sobald der Kanton ein Eignungsgebiet ausgewiesen hat. Einsprachen von Anwohnern und Umweltorganisationen haben kaum mehr Aussichten auf Erfolg.

Massiver Windenergieausbau schon heute geplant

Schon heute haben die Kantone Vorgaben vom Bund zum Ausbau der Windenergie und müssen im kantonalen Richtplan sogenannte «Eignungsgebiete» ausweisen. Die Folge ist eine massive Steigerung der Windenergie-Ausbauplanung. Der Kanton Zürich hat 2022 einen Richtplanentwurf mit 120 Windturbinen vorgestellt, St. Gallen einen Richtplan mit 92 Turbinen aufgelegt und Graubünden einen mit circa 130 Anlagen. Richtpläne sind behördenverbindlich und müssen von den Gemeinden umgesetzt werden.

Und so ist die Lage schon heute: Die Gemeinde Hemishofen (Kt. Schaffhausen) wehrt sich gegen einen Windpark und hatte sich geweigert, die kommunale Nutzungsplanung anzupassen. Daraufhin hatte ihr der Kanton ein Ultimatum gestellt und mit Ersatzvornahme gedroht.

In Rickenbach (Kt. Luzern) plant die Nationalrätin Priska Wismer-Felder auf dem Stierenberg einen Windpark. Die Gemeindebevölkerung will keine Windturbinen auf ihrem Hausberg und hat bereits zweimal mit deutlicher Mehrheit für eine Schutzzone gestimmt. Trotzdem hat der Kanton angekündigt, dass er die Schutzzone nicht anerkennen werde.

Im Kanton Zürich wurden bereits in über 30 Gemeinden Initiativen für einen Mindestabstand eingereicht, in zehn Gemeinden hat die Gemeindeversammlung schon zugestimmt, meist mit überwältigender Mehrheit. Baudirektor Neukom hat angekündigt, dass der Kanton diese demokratischen Beschlüsse nicht anerkennen wird.

Kantone entziehen den Gemeinden die Planungskompetenz

Eine weitere Methode zur Abschaffung der Gemeindeautonomie liegt im Entzug der Zuständigkeit für das Planungsverfahren. In den meisten Kantonen können heute Gemeinden über Windparks auf ihrem Gemeindegebiet abstimmen. Das soll jetzt geändert werden:

  • Im Kanton Luzern wurde ein neues Gesetz in erster Lesung beschlossen, das das Planungsverfahren auf kantonaler Ebene konzentriert und die Gemeinden dadurch entmachtet.
  • Im Kanton Zürich hat die Baudirektion angekündigt, das Baugesetz so ändern zu wollen, dass den Gemeinden die Zuständigkeit für Windparks entzogen wird.
  • In St. Gallen hat der Regierungsrat beschlossen, dass für Windparks kantonale Sondernutzungspläne zum Einsatz kommen, bei denen die Gemeinden nicht mitentscheiden dürfen.

Beschleunigungsvorlage

Weitere Abstriche an der Gemeindeautonomie sind schon im Anmarsch. Mit der Beschleunigungsvorlage hat der Nationalrat im Dezember 2023 beschlossen, dass die Kantone künftig für die Planung von Wind- und Solarparks zuständig sind und auch gegen den Willen der Gemeinden entscheiden dürfen. In der Sommersession wird die Vorlage im Ständerat behandelt.

Damit erweist sich zusammenfassend, dass das Stromgesetz ein wesentlicher Baustein in einer ganzen Reihe von Bestimmungen ist, mit denen die Gemeindemitbestimmung bei Anlagen für «erneuerbare» Energie komplett abgeschafft werden soll. Eine solche Änderung der bewährten Kompetenzaufteilung zu Ungunsten der Gemeinden verletzt das verfassungsmässige Prinzip der Subsidiarität und unterhöhlt das Fundament der Schweizer Demokratie. ♦

von Siegfried Hettegger

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Siegfried Hettegger ist Präsident Freie Landschaft Schwyz


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