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Monat: August 2023

Vom Überwinden der erlernten Hilflosigkeit

Die meisten von uns leben in einem Gefängnis. Einem Gefängnis, dessen Gitter sie in allen Bereichen mit zunehmendem Alter immer heftiger spüren, nie aber überwinden können. Es gelingt ihnen einfach nicht.

Die meisten von uns scheitern beim Versuch, den Zwängen, die von aussen vorgegeben werden, zu entkommen. Sie scheitern immer und immer wieder, bis sie eines Tages beschliessen aufzugeben, sich der Gefängnisordnung zu beugen, oder aber auf einen Menschen zu warten, der sie bei der Flucht anführt. Einem Menschen also, der ihnen den fertigen Plan zum Ausbruch vorlegt, sie dann bei der Hand nimmt und in die Freiheit führt.

Die meisten von uns warten ihr Leben lang auf diesen Befreier, doch selbst wenn er kommt und sie beschliessen, dieser Person freiwillig zu folgen, fühlt sich der Ort, an dem sie sich später wiederfinden, alles andere als frei an. Im Gegenteil: Sie finden sich im besten Fall in einer anderen Haftanstalt wieder, meistens wechseln sie aber nur die Zelle innerhalb bekannter Mauern.

So oder so kann für die meisten von uns von einem Ausbruch in die ersehnte Freiheit keine Rede sein. Die meisten von uns enden nach unzähligen gescheiterten Fluchtversuchen in der Resignation, die mittels Dauerkonsum und permanenter Selbstoptimierung den Gefängnishof wie einen Spielplatz mit unendlichen Möglichkeiten wirken lässt. Doch diese Täuschung kann nur aufrechterhalten werden, wenn wir, die Gefangenen, bereit sind, immer mehr Energie in diesen Selbstbetrug zu investieren.

Ein Gefängnis bleibt ein Gefängnis, ganz egal, wie bunt die Farben sind, mit denen wir die Gitterstäbe anmalen dürfen. Und jetzt die gute Nachricht. Es gibt Hoffnung, denn Freiheit existiert. Was nicht existiert, ist die Möglichkeit, echte Freiheit wie eine Dose Cola zu konsumieren.

Freiheit gibt es nicht in Dosen. Freiheit lebt. Sie ist überall und kann von jedem Punkt, zu jeder Zeit erreicht werden. Nötig ist dabei nur eine Überdosis Zuversicht und Mumm. Zuversicht in die Tatsache, dass wir alle frei geboren wurden, auch wenn die meisten von uns sich daran nicht mehr erinnern können. Und Mumm, der in jedem von uns vorhanden ist, aber seine Wirkung nur entfalten kann, wenn wir aufhören zu glauben, Dritte hätten den Schlüssel zu unserer Gefängniszelle. Das ist nicht der Fall.

Wir selber sind im Besitz dieses Schlüssels. Die Macht der gelebten Haftanstalt besteht vor allem darin, uns von dieser Tatsache abzulenken. Die meisten von uns können sich nur an die verschlossene Zelle erinnern, nicht aber an den Moment, als wir sie selber von innen zugeschlossen haben, auf Geheiss von aussen. Wir haben uns selber eingesperrt, und nur wir sind in der Lage, unsere Zelle von innen zu öffnen …

von Kayvan Soufi-Siavash

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Kayvan Soufi-Siavash ist Reporter seit 1986, erst beim Privatradio sowie bei ZDF, ARD, Pro7 und Deutsche Welle. Seit 2011 mit KenFM aktiv, aus dem 2021 apolut.net wurde. In seinem neuen Solo-Projekt soufisticated.net geht es weniger um Politik, als um das, was das Leben wirklich ausmacht – menschliche Begegnung.


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Die Wahl der Qual

Fünf Jahre, nachdem Christoph Blocher den Anspruch formulierte, dass es «rechts der SVP keine demokratisch legitimierte Partei geben darf», geschah etwas, was der Volkspartei noch gefährlicher werden könnte als eine Schweizer Rechtsaussenpartei.

Nicht nur rechts der SVP, sondern bis ins linke Lager hinein formierte sich eine Bewegung, die die Massnahmenpolitik während der Coronakrise ablehnte und der rechtskonservativen Partei wichtige Stimmen bei den kommenden Wahlen abzulaufen droht. Als 2021 ganze 40 Prozent der Stimmbevölkerung jenes Covid-Gesetz ablehnte, gegen das sich die SVP nicht positionieren wollte, drohte der Partei ein Debakel, das die Blocherschen Albträume bei Weitem übertraf. Wird eine neue Bewegung der SVP den Rang ablaufen? Welche Alternativen haben kritische, freiheitsliebende Wähler noch? «DIE FREIEN» stellen sich der Qual der Bundeswahl.

Willkommen im Gesetzesdschungel

Sie sind gerade in der Schweiz? Dann müssen Sie sich an über 5000 Gesetze und Verordnungen halten, die hier allein auf Bundesebene in Kraft sind. Die Bundesgesetze werden von den National- und Ständeräten verabschiedet, die das Schweizer Parlament bilden. Am 22. Oktober 2023 werden wieder 246 Menschen in diese nationalen Räte gewählt und in den kommenden vier Jahren Hunderte weitere Gesetze schaffen, die auf verschiedenste Weise Einfluss auf unser Leben nehmen.

Kritische Menschen, die eine Beteiligung an den Wahlen als sinnvoll erachten, sehen sich von den Altparteien am ehesten durch rechtskonservative Kräfte vertreten. Zu tief sitzt die Enttäuschung über die knallharte Diskriminierung und die für viele völlig unerwarteten Diffamierungen, die wachsame Menschen von den Politikern links der SVP erfahren haben.

Massnahmenkritiker und radikale Elemente

Viele kritische Menschen sehen die «Schweizerische Volkspartei» als einzige wählbare Option unter den bisherigen Regierungsparteien. Sie hat sich als einzige Altpartei zuweilen kritisch gegenüber den Zwangsmassnahmen während des Corona-Betrugs geäussert. Fotos von Ueli Maurer im Trychlerhemd konnten viele Menschen überzeugen, dass sich die SVP gegen die Massnahmen einsetzt. Vergessen geht dabei, dass es Vertreter der SVP waren, die die Zwangsmassnahmen im Bundesrat mitgetragen und auf kantonaler Ebene aktiv vorangetrieben haben, etwa in Zürich oder Bern. Die SVP selbst erklärt diesen Widerspruch mit dem Kollegialitätsprinzip, an das ihre Exekutivmitglieder gebunden seien. Doch ist es glaubwürdig anzunehmen, dass Corona-Turbos wie Natalie Rickli, Guy Parmelin oder Pierre Alain Schnegg gegen ihre eigenen Überzeugungen handelten, als sie Corona-Massnahmen ausweiteten und gegen «Ungeimpfte» Stimmung machten? Sicher ist, im Corona-Positionspapier der Partei unterscheidet die SVP zwischen der «grossen Mehrheit vernünftiger Massnahmenkritiker und einiger radikaler Elemente». Wen die SVP zu den Vernünftigen zählt und wer ein «radikales Element» ist, darüber ist im Positionspapier nichts zu lesen.

Auch bei aktuellen Themen hinterlässt die SVP einen schizophrenen Eindruck. «Wir müssen wachsam sein, gegenüber den Kräften, die unsere Neutralität begraben wollen», sagt Parteipräsident Marco Chiesa und lädt zum Wahlauftakt Adolf Ogi ein, der als Altbundesrat die erste NATO-Übung in der Schweiz eröffnete und dem eidgenössischen Beitritt zum NATO-Programm «Partnerschaft für den Frieden» den Boden bereitet hat. Kein Wunder, wird Herr Ogi mit einem riesigen Porträt im NATO-Hauptquartier in Brüssel gewürdigt. Auf unsere Rückfrage zu diesem Widerspruch lässt die SVP ausrichten: «Es steht ausser Frage, dass Herr Ogi an unserem Wahlauftakt sprechen kann. Wir stehen für die Meinungsfreiheit.»

Die SVP ist sich bewusst, dass die etablierte Politik von vielen kritischen Menschen nicht mehr als Möglichkeit gesehen wird, das Miteinander freiheitlich und friedlich zu organisieren. In einer Medienmitteilung zu den bevorstehenden Wahlen erklärt die Partei, dass viele Schweizer der Wahlurne frustriert fernbleiben, weil der Volkswille bei verschiedenen Initiativen nicht umgesetzt wurde. Doch gerade das sieht die SVP als einen der Gründe, weshalb sich die Stimmberechtigten an den Wahlen beteiligen sollten: «Ob und wie ein Volksentscheid umgesetzt wird, ist abhängig von den Mehrheitsverhältnissen im Parlament. Deshalb lohnt es sich, wenn die Wählerinnen und Wähler bei den Wahlen im Herbst jene Partei wählen, die ihre Interessen am besten vertritt.» Wer dieser Argumentation folgt und sich an den Wahlen beteiligen möchte, wird in der kommenden Legislaturperiode aber weder Corona noch das Verhältnis der Schweiz zur NATO dominieren sehen. Vielmehr wird uns die kommenden vier Jahre – und wohl noch weit darüber hinaus – ein anderes Thema beschäftigen.

Inkonsistenz als Programm

Das Wort «Klima» entstammt dem Griechischen klinein (κλίνειν) und bedeutet «Wandel». Klimawandel heisst also Wandelwandel, und der soll nach aktuellem Zeitgeist bekämpft werden. Nachdem die Stimmbürger das Klimaschutzgesetz (also Wandelschutzgesetz) unter dem Versprechen angenommen haben, dass sich der Wandelwandel ohne Verbote oder neue Steuern verhindern liesse, werden nun die Verbote und Steuern auf den Weg gebracht. Die SVP kritisiert die «Klima-Hysterie» und sieht die Freiheit durch links-grüne Politik gefährdet. Doch die Partei stellt sich nicht grundsätzlich gegen das Narrativ vom menschgemachten Klimawandel – obwohl dieses von unzähligen kritischen Wissenschaftlern als unseriös abgelehnt wird. Wie so oft tanzt die SVP auf allen Hochzeiten. Auf unsere Anfrage, ob es einen «menschgemachten Klimawandel» gibt, antwortet das Sekretariat ausweichend. «Dass sich das Klima wandelt, ist unbestritten. Aber nicht jede Hitzeperiode und jedes Unwetter ist auf den Klimawandel zurückzuführen.» Die Frage, ob und in welchem Ausmass der Mensch für den Klimawandel verantwortlich sei, lässt Andrea Sommer, Leiterin Kommunikation am Generalsekretariat der SVP, unbeantwortet.

Ob Corona, Klima oder NATO, die Inkonsistenz im freiheitlichen Denken hat in der SVP System. Klar wird sie hingegen bei den Themen rund um Recht und Ordnung: Die SVP befürwortet die Stärkung des Polizei- und Militärapparats. So war sie eine der lautesten Unterstützer des gefährlichen PMT-Gesetzes, das dem Staat erlaubt, Menschen auf Verdacht hin einzusperren, und das ihnen die Rechtsmittel entzieht, um gegen den Freiheitsentzug vorzugehen.

Die SVP ist – wie alle anderen Regierungsparteien – keine liberale Partei, was sich auch in der unzureichenden intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Thema Freiheit offenbart: Freiheitliche Menschen können nur resigniert den Kopf schütteln, wenn sie im SVP-Parteiprogramm lesen, dass die Familie die kleinste Einheit unserer Gesellschaft sei. Das ist ein unbeabsichtigtes Bekenntnis einer kollektivistischen Partei, die die tatsächlich kleinste Einheit der Gesellschaft nicht anerkennt: das Individuum.

Somit erstaunt es nicht, dass die SVP bei Themen der persönlichen Freiheit oft auf der Verbotsseite zu finden ist – beispielsweise beim Verhüllungsverbot – und auch zur elektronischen ID die Ja-Parole beschlossen hat. Beim Thema Bargeld dürfte die SVP ein etwas verlässlicherer Partner sein. Doch wirklich konsequent wirkt die Partei nur in einem Thema, welches kritische Menschen beschäftigt; in der Ablehnung der Machtdelegation an supranationale Organisationen. Vielen wird das nicht genügen, um die Stimme für vier Jahre an die SVP abzugeben. Doch zum Glück haben sich in den letzten drei Jahren Alternativen entwickelt.

Christoph Blochers Albtraum

Während die Freunde der Verfassung eine Beteiligung an Wahlen früh ausschlossen, formierte sich Aufrecht Schweiz als erste Organisation mit dem Ziel, politische Ämter zu erobern. «Aufrecht stellt Kandidaten, welche für Werte wie Selbstbestimmung und Eigenverantwortung stehen.» Während diese Beschreibung durch Klarheit besticht, fällt es schwer, den Verein anhand seines Positionspapiers einzuordnen. Aufrecht möchte als neue Organisation andere Wege gehen als die etablierte Politik. Werte und Konzepte prägen das Positionspapier, welches bei etablierten Parteien aus eindeutig formulierten politischen Forderungen besteht. Es fällt positiv auf, dass das Papier einer freiheitlichen Bildung viel Raum gewährt. Hingegen wird im Kapitel zum Thema Gesundheit eine klare Absage an Zwangsmassnahmen schmerzlich vermisst. Auch wenn kaum befürchtet werden muss, dass Aufrecht-Kandidaten in Zukunft Pandemiemassnahmen unterstützen, wäre ein klares Bekenntnis angebracht; Massnahmenskepsis ist immerhin die Wurzel der Organisation.

Im letzten Teil wird das Aufrecht-Papier konkreter, wenn auch zu Themen, die teilweise auf Jahre hinaus entschieden sind, wie die durch das PMT-Gesetz zementierten Präventivstrafen und die im letzten Jahr ebenfalls direktdemokratisch legitimierte «Widerspruchslösung» zur Organentnahme. Das Papier scheint – trotz deutlicher Abgrenzung vom Corona-Thema – auf eine Politik der vergangenen Jahre ausgerichtet zu sein. Die grossen Zukunftsthemen wie Bargeld, digitale Identität und WHO werden nur am Rande thematisiert oder bleiben – Stichwort Klimapolitik – gänzlich unerwähnt.

Das Bild der verschiedenen Aufrecht-Kandidaten ergibt eine bunte Collage. Es reicht von klassischen Liberalen wie dem Klotener Remko Leimbach bis zu Konservativen wie Robin Spiri aus dem Thurgau. Auch der ehemalige Grüne Kantonsparlamentarier Urs Hans kandidiert für den Verein. Seine Vorstösse im Zürcher Kantonalparlament richteten sich zuletzt gegen die Corona-Politik, gegen die Russlandsanktionen und für die Pressefreiheit. Lange schien es, als bliebe Aufrecht mit seiner farbigen Kandidatenmischung die einzige Organisation, die etablierten Kräften Wählerstimmen aus der massnahmenkritischen Szene abluchsen könnte. Doch dann kam alles anders.

Alternative für die Schweiz?

«Massvoll ist und bleibt ausserparlamentarische Opposition. Es wird keine Wahllisten geben. Und ich selber kandidiere nicht.» Diese Worte von Massvoll-Anführer Nicolas Rimoldi hatten nur wenige Monate Gültigkeit. Die während dem dritten Referendum gegen das Covid-Gesetz erprobte Zusammenarbeit mit den Freunden der Verfassung soll den Erfolg bei den eidgenössischen Wahlen bringen. Der Präsident der Verfassungsfreunde kandidiert eher lustlos unter dem Massvoll-Banner; zum Zeitpunkt, als dieser Artikel verfasst wurde, war Roland Bühlmann nicht mit einer persönlichen Website präsent. Hingegen überzeugt das Programm, welches Massvoll mit gewohnt professioneller Optik auf einer eigens dafür geschalteten Internetseite unter dem Titel «The Great Freeset» veröffentlicht. Es ist in der pointierten Sprache ihres Präsidenten gehalten: «Politische Posten sind von viertklassigen Taugenichtsen besetzt, von charakterlosen Feiglingen und dummen Schwätzern.» Das Programm greift die Themen der letzten drei Jahre in erfrischender Klarheit auf: Der Slogan «Dein Körper – Deine Entscheidung» stammt nicht von Massvoll, aber die prominente Erwähnung im Parteiprogramm schafft Klarheit. Und weiter stellt die violette Organisation klar, dass niemand diskriminiert werden darf, sei es wegen Masken, Impfungen oder Tests. Massvoll bringt auch eigene Themen ins Gespräch und scheut dabei heisse Eisen nicht: Das geforderte Waffentragerecht wird wohl nur von in der Wolle gefärbten Libertären unterstützt.

Neutralität, Meinungsfreiheit und Grundrechte werden im «Great Freeset» souverän abgearbeitet. Auch die grossen Themen der kommenden Jahre erhalten den gebührenden Raum: für Bargeld und eine vernünftige Energiepolitik, gegen den Digitalzwang. An alldem gibt es für kritische Liberale wenig auszusetzen.

Rimoldi spricht sich dafür aus, dass die SVP möglichst keine Wahlunterstützung aus der kritischen Szene erhält: «Die Stimmen müssen in der Bewegung bleiben.» Doch Massvoll postuliert klar, welche politische Organisation die Bewegung aus ihrer Sicht repräsentiert: «Wir sind die einzige Alternative zu den unfähigen Altparteien.» Der vor allem gegen Aufrecht gerichtete Seitenhieb dürfte nicht überall goutiert werden und offenbart das Problem zweier massnahmenkritischer Organisationen, die gegeneinander konkurrieren, statt gemeinsam die kritischen Stimmen einzufangen und ausserhalb der Blase auf Stimmenfang zu gehen. Unsere Gespräche mit den Präsidenten der beiden Organisationen zeugen von einem tiefen Zerwürfnis, das auch auf den Social-Media-Kanälen der Protagonisten dokumentiert ist: Die «violette Truppe verliert gerade jedes Augen-‹Mass› und suhlt sich in medialer Aufmerksamkeit», schreibt Patrick Jetzer und stellt klar: «Aufrecht hat nichts mit Massvoll zu tun. Wir distanzieren uns entschieden von diesem Anbiedern mit Ausländerfeindlichkeit.» Natürlich macht es Massvoll potenziellen Partnern nicht nur einfach – dass nicht alle Mitstreiter Provokationen wie einen Ausflug nach Braunau mittragen wollen, ist nachvollziehbar. Doch im Gespräch mit uns gibt sich Nicolas Rimoldi konziliant: «Wir haben unser menschenmöglichstes für Listenverbindungen mit Aufrecht getan, trotz aller Hinderungsversuche. Wir bleiben offen für Listenverbindungen mit Aufrecht, auch im Thurgau, wo unser Angebot auf dem Tisch von Aufrecht liegt. Aufrecht kann jederzeit auf uns zukommen.»

Eine Annäherung zwischen Aufrecht und Massvoll wäre wohl Voraussetzung, um bei den kommenden Wahlen Vertreter der massnahmenkritischen Bewegung ins Parlament zu hieven. Wenn die kritische Bewegung schon mit zwei Organisationen antritt, müssten diese ihre Kräfte im Minimum durch eine Listenverbindung bündeln. Im Kanton Zürich konnte sich Rimoldi dank dem Schulterschluss mit Aufrecht, der Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU) und den Schweizer Demokraten (SD) eine sehr Erfolg versprechende Ausgangslage für seinen Einzug ins Parlament sichern. Dieselben Organisationen bündeln im Kanton Bern ihre Kräfte. In einer Medienmitteilung äussert sich der Aufrecht-Vorstand säuerlich zur Zürcher Listenverbindung, die gegen seinen Widerstand zustande gekommen ist; der Aufrecht-Vorstand war geschlossen gegen die Verbindung mit Massvoll, wurde aber von EDU und SD überstimmt.

Inwiefern Aufrecht von der Zusammenarbeit mit der SVP-nahen Organisation Pro Schweiz (ehemals AUNS) profitieren kann, wird sich weisen müssen. Hingegen ist klar, dass die Listenverbindungen zwischen Massvoll und der SVP, die in mehreren Kantonen zustandekommen, vor allem der etablierten Altpartei zugutekommen.

Libertäre, Christen und «regierungszersetzende Projekte»

Welche Alternativen haben kritische Wähler noch? Die Libertäre Partei (LP) verfügt über Erfahrung im Kampf für radikale Freiheitspositionen und formuliert wohl auch deshalb zurückhaltendere Ziele. Die Positionen beweisen ein fundiertes Verständnis libertärer Philosophie; die LP stellt das Nichtaggressionsprinzip in das Zentrum ihrer Positionen und fordert, dass der Staat nur Rechte wahrnehmen darf, welche dem Individuum auch zustehen. Den Exponenten der Partei dürfte klar sein, dass solche naturrechtlichen Positionen in direktem Widerspruch zur Beteiligung an Parlamentswahlen stehen. Entsprechend weichen die Positionen in diesen Punkten von libertären Grundfesten ab; gefordert werden Minimalstaat, Föderalismus und Demokratie. Womöglich ist diese Mischung zu libertär für die allermeisten und zu freiheitsfeindlich für echte Liberale wie Edward Konkin III, der libertäre Parteien als «Antikonzept libertärer Ziele durch staatliche Mittel» bezeichnete. Unbeeindruckt von Konkin treten in Zürich ganze 23 Libertäre mit dem sympathischen Slogan «Nöd haue. Nöd chlaue» zu den Nationalratswahlen an. Angeführt wird die Liste vom ebenso sympathischen Parteipräsidenten Martin Hartmann, der hauptberuf lich in der Kryptobranche tätig ist.

Zu Unrecht geht oft das verdienstvolle Engagement der EDU gegen die Pandemiemassnahmen vergessen, die sich schon in der ersten Abstimmung gegen das Covid-Gesetz zur Wehr gesetzt hat. Das Positionspapier der EDU fordert eine Aufarbeitung der Covid-Politik. Im Kanton Bern tritt mit Andy Gafner ein Bisheriger zu den Nationalratswahlen an. Er hat im Parlament als Mitglied der SVP-Fraktion das Covid-Gesetz abgelehnt und das PMT-Gesetz angenommen. Die EDU ist eine Option für Wählerinnen und Wähler, die christliche Werte höher gewichten als konsequenten Liberalismus.

Nebst unabhängigen Kandidaturen wie jener von Marco Rima, der im Kanton Zug für den Ständerat kandidiert, oder von Josef Ender, der für den Kanton Schwyz in den Nationalrat will, bleibt noch die von Daniel Stricker gegründete Freiheitspartei. Auch sie zielt auf den Minimalstaat ab: mit klaren Forderungen, die Notrecht effektiv verhindern würden, dem Ziel der Abschaffung aller Subventionen, gegen neue Ausgaben und Medienförderung und für eine kontinuierliche Budgetreduktion bei den Behörden. Doch Parteipräsident Stricker erteilt Hoffnungen auf eine diesjährige Wahlbeteiligung der Freiheitspartei eine Absage. Auf unsere Anfrage lässt er ausrichten: «Die Freiheitspartei möchte nicht Teil des derzeit stattfindenden Niedergangs der Bewegung sein. Wir treten darum nicht zu den Wahlen im Herbst an, sondern fokussieren uns auf regierungszersetzende Kultur- und Satireprojekte. Sobald aber die in der Bewegung kultivierte Politik der verbrannten Erde abgeschlossen ist, wird die Freiheitspartei der Phönix sein, der sich mit kräftigem Flügelschlag aus der Asche erhebt.»

Vielleicht wird sich stattdessen aber die Erkenntnis durchsetzen, dass Politik nicht die Lösung ist, sondern das Problem. Stefan Millius, der in St. Gallen für Aufrecht kandidiert, hat dazu aufgerufen, dem System noch einmal eine Chance zu geben: «Wenn das nicht klappt, wenn dieses Angebot nicht auf Anklang stösst, kann man sich immer noch aus dem System ausklinken oder auswandern. Aber im kommenden Herbst sollten wir es noch einmal auf diese Weise versuchen. Denn dann werden wir wissen, ob genügend Menschen in diesem Land bereit sind, einzustehen für den dringend nötigen Wandel.» ♦

von Michael Bubendorf


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Der Ausverkauf ans Silicon Valley

Wenn der Code Ihrer Website an irgendeiner Stelle so aussieht, wie das Titelbild dieses Artikels, dann löschen Sie diesen Code heraus. Es gibt keinen Grund, Google Analytics drin zu lassen, der das aufwiegt, was dieses Tool mit all Ihren Besucherdaten macht. Wenn Sie hingegen auf eine Website stossen, welche diesen Code aufweist, dann verlassen Sie die Website bitte möglichst schnell.

Seit gut 25 Jahren betreibe ich ein Website-Business, und am Anfang waren wir Internetuser frei, wirklich frei. Gesetzgeber entdeckten das Internet erst später, Grosskonzerne hatten das Potenzial noch nicht entdeckt, das Web 2.0 war noch nicht erfunden. Ja, es gab tatsächlich keine Gesetze!

Erst mit der Zeit fingen die Behörden an, Vorschriften zu machen, um Macht auszuüben. Man konnte bei alledem richtig zuschauen, die Vorgänge waren sehr lehrreich. Google erfand seine geniale, durch Links gesteuerte Website-Suche. Das Web 2.0 entstand. In Millionen von Fachmagazinartikeln wurde es weltweit gepusht.

Beim Web 2.0 ging es darum, die frei durchs Internet surfenden User alle unter ein Dach zu bekommen, auf einen Server – sodass sie überwacht werden können. Darum nenne ich es das «asoziale Web». Google begann, nach den Websites die Websitebesucher zu analysieren, mit ähnlichen Methoden.

Der Gipfel ist Google Analytics. Das Gratis-Programm zaubert schöne Grafiken auf den Bildschirm des Website-Betreibers – aber die gleichen Besucherdaten gehen ins Silicon Valley, selbstverständlich. Denn eigentlich ist Google Analytics nicht gratis: Sie verkaufen die Daten Ihrer eigenen Websitebesucher an Google! Das ist der Deal.

Früher hat man sich noch über jeden Besucher gefreut, der auf die eigene Website kam. Heute werden den Besuchern erst die Hosen ausgezogen und die Daten ins Silicon Valley spediert, bevor sie sich die Website anschauen können.

Der Fachmann sieht am Screenshot des Titelbilds, dass Analytics mit JavaScript arbeitet. JavaScript liest von jedem Besucher 50 bis 70 Einzeldaten aus – das sind etwa sieben mal mehr als bei reinem HTML. Ein Beispiel? Ich habe am Computer einen speziellen Bildschirmhintergrund, den nicht jeder hat, und vielleicht drei Browsererweiterungen.

Diese Kombination ist wahrscheinlich auf der Welt einzigartig. Das bedeutet, dass ich schon bei der ersten Begegnung mit Analytics identifiziert bin! Das Programm wird mich immer wieder erkennen, die nächsten Tage, Monate, Jahre. Google sieht über lange Zeiträume hinweg, für welche Websites wir uns interessieren.

Die Websites, die wir besuchen, entsprechen stets Ihren Interessen, oder sagen wir gleich: Sie entsprechen Ihren Gedanken. Damit kommen wir dem Szenario des Gedankenlesens langsam sehr nahe.

Und ja, irgendwo steht zwar, dass Analytics bei der Übermittlung der Daten die IP-Adresse anonymisiert. Die anderen 49 bis 69 Daten, durch die man eindeutig identifiziert werden kann, bleiben jedoch unverändert. Wir haben es in der Tat mit cleverem, durchtriebenem Marketing zu tun.

Damit tut sich eine Reihe neuer Fragen auf: Auf wie vielen Websites von Volksinitiativen ist Google Analytics installiert? Und warum ist das ungut? Die Drittanbieter-Cookies werden ja demnächst aufgehoben. Fallen dann die Cookies von Google Analytics auch weg? Kann man nur mit Cookies die Besucherdaten ins Silicon Valley übermitteln oder haben Fertigwebsites noch mehr Tricks auf Lager?

Diese und andere Fragen kann ich Ihnen auf meinem Blog muinar.ch beantworten. ♦

von Mike S. Krischker

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Mike S. Krischker ist IT-Berater und dipl. Architekt ETH. Seine Webagentur Muinar hat er 1996 gegründet.


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Debattenkultur im Hochsommer

– Sie lehnen also Politiker per se ab?

– Ja.

– Warum?

– Die Erfahrung lehrt uns: Wenn wir sie nicht brauchen, sind sie da, und wenn wir sie brauchen, sind sie weg oder aber sie sind da, aber zu nichts nütze. Also heisst es zukünftig: Wehret den Anfängen.

– Was sagen Sie dazu?

Ein Politiker sagt was dazu. (Das inhaltliche, welches der Politiker dazu hier und im Folgenden sagt, ist irrelevant. Darum beschränken wir uns darauf, zu erwähnen, dass der Politiker das tut, was er am besten kann: Luftmoleküle bewegen.)

– Und was entgegnen jetzt Sie darauf?

– Nichts.

– Nichts?

– Meine Entgegnung würde einen Politiker nur dazu ermutigen, etwas zu entgegnen. Da ich Politiker aber bezahle, kann und darf ich mir das ersparen.

– Sie sind angesprochen. Was sagen Sie dazu?

Der Politiker bewegt heisse Luft.

– Würde es Ihnen was ausmachen, das Studio zu lüften?

– Wieso?

– Es ist so stickig hier drin.

Das Studio wird gelüftet.

– Besser?

– Wenn er aufhören würde zu reden, wäre es besser.

Der Politiker schweigt widerwillig.

– Nun denn. Wie sähe denn ein Staat ohne Politiker für Sie aus?

– Besser.

– Besser als was?

– Als jede nur denkbare Regierungsform.

– Aber regiert werden muss doch?

– Ja. Aber ohne Politiker.

– Was sagen Sie dazu?

Der Politiker sagt viel. Die Luft im Studio wird trotz geöffnetem Fenster stickig.

– Könnten wir vielleicht das Studio abreissen. Dann wäre mir wohler.

Das Studio wird abgerissen.

– Und?

– Jetzt ist mir wohler. Senden wir noch?

– Nein.

– Gottseidank.

– Wieso Gottseidank?

– Es kann nichts mehr verbreitet werden.

– Aber das Volk muss doch informiert werden.

Ja. Aber nicht durch die Verbreitung.

Der Politiker sagt etwas sehr Emotionales.

– Jetzt haben wir den Salat.

Ich bin sehr froh, dass wir nicht mehr auf Sendung sind.

– Wieso?

– Niemand kann es hören.

Der Politiker sagt etwas zu seinem Arbeitsplatz und überhaupt.

– Was sagen Sie dazu?

– Könnten wir nicht auch gleich in einem Aufwasch den Regierungssitz abreissen?

– Wieso das?

– Dann wäre dort die Luft auch viel besser und niemand würde erfahren, dass es zum Beispiel einen Regierungssitz gibt.

– Das ist absurd. Das Volk hat ein Recht …

… auf frische Luft. Gerade jetzt im Sommerloch.

– Ich würde sagen, diese Saure-Gurken-Debatte führt zu nichts.

– Das hoffe ich auch.

Der Politiker sagt noch was. Gewohnheitsmässig. Er redet und redet, bis die Sonne untergeht.

– Lassen wir ihn reden, bis er ins Sommerloch fällt. Dann hört man ihn eventuell nie wieder.

– Ich mach jetzt auch Feierabend.

Die Protagonisten verlassen den Ort. Der Politiker redet. Niemand hört ihn. ♦

von Oliver Hepp


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Die grosse Zeitenwende

Viele von uns haben auf die grosse Zeitenwende gewartet und sehnen sich die Zeit danach herbei. Doch leider haben wir mit unserer Inkarnation in genau dieser Zeit kein Ticket für die Eröffnungsparty des goldenen Zeitalters gebucht. Und wahrscheinlich werden wir, noch bevor diese Party startet, schon wieder von diesem Planeten gegangen sein.

Denn diese Wende wird nicht so sein, wie sie sich die meisten von uns vorgestellt haben. Zumindest wird es die nächsten 30 bis 100 Jahre noch keinen globalen Frieden mit neuen, gesunden und funktionierenden Gesellschaftsstrukturen für die gesamte Menschheit geben.

Das heisst aber nicht, dass sich diese grosse Wende nicht bereits vollzieht. Wir sind bereits mittendrin. Denn jetzt ist genau die Zeit, wo das Licht (das Gute, Göttliche und Wahre) siegen soll und siegen kann. Dieser Prozess findet aktuell und die nächsten Jahre hauptsächlich noch im Bewusstsein der Menschen statt.

Denn zuerst müssen noch viele Menschen ihr Herz für den Geist der neuen Zeit öffnen und ihn in sich aufnehmen. Und das geschieht nicht automatisch, denn jeder Mensch muss sich dabei von allem Alten und Dunklen in sich lösen. Erst dann werden sich die Auswirkungen dieses neuen Geistes auch in den Gesellschaftsstrukturen abzuzeichnen beginnen.

Stell dir deine Inkarnation am besten einfach als freiwilligen Hilfseinsatz in einem Kriegsgebiet vor. Das trifft es ganz gut. Denn wir befinden uns seit vielen Jahrtausenden in einem Krieg um die Erde. Nicht nur um den Planeten, sondern insbesondere um die Herrschaft über das Bewusstsein der Menschen. Und gerade jetzt befinden wir uns in der letzten und entscheidenden Schlacht.

In diesem Krieg gibt es verschiedene Arten von Helfern mit ganz unterschiedlichen Aufgaben. Einige von uns sind in den Reihen der aktiven Verteidiger an der Front, um zu krasse Vorstösse des Gegners zu verhindern oder abzumildern. Sie sind wie Soldaten, und sie kämpfen aktiv, beispielsweise als Anwalt, um dem kranken Treiben der Verirrten Einhalt zu gebieten.

Einige von uns sind die Sanitäter, Pfleger und Verpfleger, die sich liebevoll um unsere Mitstreiter kümmern – Trost und Liebe spenden – um sie wieder zusammenzuflicken oder aufzubauen, wenn Schicksalsschläge oder Angriffe ihre Seele gebrochen oder schwach gemacht haben.

Und die meisten von uns haben eine ganz besondere Aufgabe gewählt: Sie sind in die Reihen der Gegner inkarniert und bei ihnen aufgewachsen. Zuerst laufen sie mit und glauben, sie wären auf der richtigen Seite. Doch irgendwann wachen sie auf und erinnern sich an ihren Auftrag. Also wechseln sie die Seite und setzen sich aktiv für die Seite des Lichts ein. Sie gehen voran, befreien sich von ihrer dunklen Uniform, was gar nicht so leicht ist, denn sie sind wortwörtlich mit uns verwachsen. Und oft sind sie in ihrem Umfeld allein. Kein leichter Weg, denn sie sind Dissidenten, die dann oft bekämpft oder gemieden werden. Doch sie sind so wichtig, weil sie ihren Mitmenschen den Weg vom Dunkel ins Licht aufzeigen und ihn mutig und tapfer vorangehen.

So geht es in diesem «Krieg» darum, dass sich noch ganz viele von uns an ihre Aufgabe erinnern, um dann ebenfalls die Seite zu wechseln. Genau dadurch wird sich das Kräfteverhältnis verändern. Denn in diesem Krieg geht es nicht darum, das Dunkle zu besiegen oder den Krieg zu gewinnen, sondern darum, zum Licht zu wechseln und dadurch dem Gegner den Boden seiner Macht zu entziehen. ♦

von Oliver Wittwer

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Oliver Wittwer ist diplomierter Physiker und Doktor der Naturwissenschaften, Gründer, IT-Berater, Bewusstseinsforscher, Visionär, Autor und Speaker. Dieser Beitrag erschien zuerst im Mai 2023 auf seinem Blog provisions.ch


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Errichte dir eine Stadt

Build yourself a city, found yourself a state.
Grab the swamp and drain it,
cut the log and plane it,
make the hills and valleys fields.
And on the manmade plain,
breath your last complain,
slay your shame,
forget your name.
Do not strive for pity, build yourself a city.

Obwohl er heute weitgehend vergessen ist, war Eric Hoffer einer der bedeutenden Philosophen des 20. Jahrhunderts. Hoffer war jedoch kein Akademiker mit hochtrabenden Titeln; er war ein Hafenarbeiter, einer von Hunderten von Männern, die Schiffe an den Docks von San Francisco entluden. Ich empfehle Ihnen Hoffers Bücher, aber heute möchte ich mich auf ein Gedicht konzentrieren, das er in einem Interview im Jahr 1967 rezitierte. Hoffer hatte es im Hafen von San Francisco gesehen, es stand an einer Wand am Pier 35 geschrieben:

Errichte dir eine Stadt, gründe dir einen Staat.
Nimm den Sumpf und lege in trocken,
fälle den Baum und hoble ihn,
mach aus den Hügeln und Tälern Felder,
Und auf der von Menschenhand geschaffenen Ebene,
hauche deine letzte Klage aus,
bezwinge deine Schande,
vergiss deinen Namen.
Strebe nicht nach Mitleid, errichte dir eine Stadt.

Nach meinem Verständnis muss dieses Gedicht im Kontext der Bürgerrechtsbewegung der damaligen Zeit gelesen werden. Falls dem so ist, war Hoffer ziemlich mutig, vor allem in seinem Aufruf «Strebe nicht nach Mitleid». Doch der Gedanke war nicht falsch und er war sicherlich nicht der Einzige, der so dachte: Der ehemalige – schwarze – Bürgermeister von Chicago, Harold Washington, pflegte zu sagen: «Wenn sie dir die Tür vor der Nase zuschlagen, brich sie auf.»

Ungeachtet meiner Vorbehalte gegen die Idee, einen Staat aufzubauen, ist dieses Gedicht wichtig für uns, die produktiven und denkenden Menschen dieser Zeit, weil wir sind jetzt die Unterdrückten und brauchen einen Weg in die Zukunft.

Wir alle wissen, dass das System uns täglich belügt. Wir wissen, wie dreist es seine bizarre und zutiefst zerstörerische Politik vorantreibt, beispielsweise wenn es unseren Kindern beibringt, dass es eine gute Idee sei, sich von einem Jungen in ein Mädchen umwandeln zu lassen und umgekehrt. Oder wenn sie Transvestiten in die Kindergärten bringen – und sich dabei wie rechtschaffene Weltretter aufführen.

Ich kann kaum glauben, solche Dinge schreiben zu müssen, und doch muss ich es tun … und wir alle müssen der Wahrheit ins Auge sehen: Das System ist komplett übergeschnappt, und es gibt niemanden, der etwas dagegen unternehmen kann ausser uns, die aktuelle Erwachsenengeneration.

Wir dürfen uns jetzt nicht in Klagen ergehen und auch nicht auf versteckte Retter hoffen oder beten, dass sich das System auf magische Weise an seine vermeintlichen Tugenden erinnert, und ganz sicher dürfen wir nicht hassen und zerstören.

Was wir stattdessen tun müssen, ist, uns eine eigene Stadt aufzubauen. Wir müssen ein neues Reich schaffen, in dem Anstand und Vernunft zumindest gleichberechtigt neben der absichtlichen Zerstörung von Werten stehen.

Noch einmal: Es gibt niemand anderen, der das tut. Das System ist wahnsinnig geworden und wenn es jemand gäbe, der uns retten kommt, hätte er es 2020 oder 2021 getan. Wir müssen uns darum kümmern. Die Alternative würde bedeuten, unsere Kinder zu opfern.

Die gute Nachricht ist, dass unsere neue Stadt bereits ein Fundament hat. Hier sind die Dinge, die wir schon haben:

unser eigenes Geld: Wir haben Geld, das ausserhalb der Monopolwährungen besteht, die dem System seine Kraft verleihen. Vor allem haben wir Bitcoin, der von niemandem bewilligt werden muss, dank seiner dezentralen Funktionsweise gegen Zensur resistent ist und wiederholte Angriffe überstanden hat. Er funktioniert weiter und wird jeden Tag einfacher. Silber und Gold haben ebenfalls ein grosses Potenzial.

unsere eigenen Schulen: Vergessen wir für einen Moment, dass uns das System zwingt, für eine zunehmend entwürdigende Schulbildung zu bezahlen: Wir haben Hausunterricht, der weitaus besser ist als staatliche Schulen, ganz zu schweigen davon, dass er wesentlich sicherer ist. Wir haben auch einige hervorragende Privatschulen (nebst einigen nicht so guten).

privater Handel: Trotz Aufblähung der Konzerne während der Nullzins-Ära gibt es nach wie vor viele Familienunternehmen; unabhängige Betriebe mit menschlichen Geschäftsleuten. Sie stehen uns zur Verfügung.

unsere Religionen: Auch wenn wir Verbesserungspotenzial in ihnen sehen; das Christentum und das Judentum bleiben bestehen, und durch sie wird die Sichtweise anständiger, produktiver Menschen getragen und weitergegeben.

Wir haben also alles, was wir brauchen, aber wir müssen handeln … und aufhören, uns schuldig zu fühlen und uns für unsere Tugenden zu entschuldigen. Wir haben eine Stadt zu bauen. Niemand wird es tun, ausser wir selbst. Das Wohlergehen unserer Kinder und Grosskinder steht auf dem Spiel. ♦

von Paul Rosenberg

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Paul Rosenberg beschäftigt sich seit der ersten Cypherpunk-Ära intensiv mit Kryptografie. Er ist Co-Autor eines Grundlagenpapiers über private digitale Volkswirtschaften. Dieser Artikel ist zuerst im März 2023 auf seinem Blog freemansperspective.com erschien. Ins Deutsche übersetzt von Michael Bubendorf und Christian Schmid Rodriguez.


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Verwerflich: Diskriminierung im Tierreich!

Ich bin verwirrt, nein, erschöpft. Das Farbwort schwarz macht mich total fertig. Was geht sprachpolizeilich noch, was nicht mehr, wann droht gar Anklage, Busse oder Haft? Bei der humanen Anwendung geht gar nichts mehr, obschon niger ja für lateinisch schwarz steht. Dafür wird mit der Farbe schwarz rücksichtslos im Tierreich gewütet. Bären sind an der Börse im Gegensatz zu den Bullen, diese meist schwarzer Farbe, verhasst, ausser bei denen, die auf sinkende Kurse setzen. Aber bei allen anderen gelten sie als Problembären, die einen Bärenmarkt auslösen, der die Börsenhändler schwarz sehen lässt.

Ein anderer Vertreter aus der Tierwelt wird noch mehr gefürchtet: der schwarze Schwan. Es dürfte kein Zufall sein, dass Nassim Nicholas, der 2007 den schwarzen Schwänen ein Buch widmete, ein Börsianer ist. Seitdem versteht man unter einem schwarzen Schwan ein seltenes, negatives Ereignis, dessen Folgen grosse Kollateralschäden auslösen können. Corona war so ein Cygnus niger, ein schwarzviraler Schwan.

Der Finanzspezialist Markus Krall hat sich sogar erdreistet, ein Buch mit dem Titel «Wenn schwarze Schwäne Junge kriegen» zu schreiben. Eine schwarze bedeutungsmässig negativ konnotierte Grossfamilie? Hallo? Hat die inklusiv-diverse Sprachpolizei noch nicht gemerkt, dass die Diskriminierung im Reich der Tiere weit fortgeschritten ist? Eine Minderheit wird aufgrund ihrer Federfarbe an den Rand des Tierreichs gedrängt. Ich werde die Bewegung BSM gründen: Black Swan Matters …

von Marco Caimi


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Einen Nährboden für die Zukunft schaffen

Eine neue Welt ist möglich! Doch oft mangelt es zukunftsweisenden und nachhaltigen Projekten an Geld, das andernorts wiederum in Hülle und Fülle vorhanden ist. Hier eine Brücke zwischen Geldgebern und Projektinitiierenden zu bauen, das haben sich Pius Christ und Patrick Annicchiarico zum Ziel gesetzt und dazu die Stiftung Fondation Goldapfel ins Leben gerufen.

«Ein im Herzen eines Apfels versteckter Kern ist ein unsichtbarer Obstgarten», schrieb einst Khalil Gibran, der bekannte Poet und Mystiker aus dem Libanon. Doch nur, wenn der Kern auf fruchtbaren Boden fällt, kann er reiche Früchte hervorbringen. Diesem Kern – den nachhaltigen Ideen innovativer Menschen – wollen die beiden Stiftungsväter einen fruchtbaren Boden bereiten. «Denn wenn wir ein selbstbestimmtes Leben in einer freien Gesellschaft führen wollen, dann müssen wir das Heft selber in die Hand nehmen, um den Kurs unserer Reise mitzugestalten», sagt Pius Christ.

Eine glückliche Fügung wollte es, dass sich Pius Christs und Patrick Annicchiaricos Wege kreuzten. Patrick Annicchiarico fing schnell Feuer für die Idee, die passenden Investoren mit nachhaltigen Projekten zusammenzuführen. Deshalb gründeten sie nach anderthalb Jahren Vorbereitungsphase im Juli 2022 die Fondation Goldapfel unter dem Dach der Stiftung Freie Gemeinschaftsbank in Basel, was den aufwendigen Gründungsprozess stark vereinfachte.

Ein Geschenk des Himmels waren die Leitsätze, die ihnen zugeflogen kamen. Etwa, dass sie mit Freude, Begeisterung und Liebe ein System bauen, das Herzen berührt und über Generationen wirkt. Dass sie grenzenlos und über den Gartenzaun hinaus zu denken wagen. Und dass ihr Tun die Spiritualität mit einschliesst. «Leben hat auch eine sakrale Ebene», sagt Patrick Annicchiarico und fügt hinzu, dass diese spirituelle Komponente nun auch vermehrt in den Geschäftsverbindungen eine Rolle spielen solle, zumal sie mit den Projekten, die sie anstossen, auch ein neues Bewusstsein fördern wollen.

Dass schönen Worten auch Taten folgen, konnten sie bereits beweisen. Mit dem Gründungskapital fördern sie mit Saat und Korn im Raum Biel-Solothurn ein erstes Projekt im Bereich neuer Ernährungsformen. «Angesichts der steigenden Rohstoff- und Lebensmittelpreise wollen wir die Ernährungsfrage wieder in die Hände der Konsumentinnen und Konsumenten legen», so Pius Christ. Mit seiner Erfahrung im Engagement gegen Foodwaste und einem grossen Netzwerk in der Bioproduzentenszene bietet sich hier eine einzigartige Chance, etwas Sinnvolles zu realisieren. Die Vision einer solidarischen Kooperative, die naturwertschätzende Produkte aus der Region zu fairen Preisen für Konsumenten und Produzenten anbietet, treibt ihn an. «Doch es geht um viel mehr als nur um eine Kooperative», meint Pius Christ: «Mit einer regionalen und regenerativen Lebensmittelproduktion entsteht eine neue Kultur mit einer lokalen Wertschöpfung.» Das könnte sogar so weit gehen, dass ein Ausgleich mit alternativen Zahlungsmöglichkeiten entsteht.

Zurzeit beschäftigen sie sich auch mit der Entwicklung eines co-working space für temporäre und feste Arbeitsplätze sowie der Realisation von Ideen und Vorhaben, die sich am Kooperationsprinzip der Natur orientieren. Dabei werfen sie unter anderem ein Auge auf die Forschungsarbeiten von Patrik Mürner, dem Pioniermykologen der Schweiz. Mit dem Projekt Mycosuisse erforscht und entwickelt er verschiedene Anwendungsbereiche für Pilzmyzelien. Mittels Pilzen sollen Böden und andere Altlasten saniert werden. Durch den Einsatz von Pilzmyzelien entstehen aber auch unzählige weitere interessante Möglichkeiten, etwa für die Textilbranche, das Bauwesen, für die Renaturierung von Bioanbauflächen, das Verpackungswesen, die Gastronomie sowie die Medizin. «Der Pilz wird uns auf dem Weg in eine bessere Zukunft begleiten», ist Pius Christ überzeugt. «Was der Pilzforscher Patrik Mürner noch alles herausfinden wird, darauf dürfen wir gespannt sein. Es ist jedoch jetzt schon absehbar, dass Pilze unzählige Anwendungsmöglichkeiten zum ressourcenschonenden Bauen und Produzieren bieten.»

Solchen nachhaltigen Projekten widmet sich die Fondation Goldapfel weiterhin mit viel Engagement, denn die Initianten sind davon überzeugt, dass die Natur jenes Wissen in sich trägt, das den Menschen eine gesunde und erfüllende Zukunft ermöglicht. ♦

von Redaktion

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Pius Christ sorgte 2018 für Schlagzeilen: Als ein Zürcher Grossbetrieb 30 Tonnen Biotomaten nicht an den Handel liefern konnte, lancierte Christ gemeinsam mit einer Zürcher Partnerorganisation eine einzigartige Verkaufsaktion. Das Einstehen für Sinnvolles, Nützliches und dem Menschen Dienliches treibt den weitsichtigen Unternehmer und Kommunikationsprofi an, der Führungserfahrung in unterschiedlichen KMUs und Start-ups mitbringt. «Mit der Stiftung Goldapfel setzen wir eine Vision um: Wir unterstützen Netzwerke und neue Ideen, in denen Werte der Verbundenheit gelebt werden und wo Kreativität, Kooperation und Vertrauen alltägliche Realitäten sind.» naturmachtschule.ch

Patrick Annicchiarico erforscht seit bald 25 Jahren, was Himmel und Erde verbindet. Am Anfang seiner Reise stand Clemens Kubys «Unterwegs in die nächste Dimension», in dem dieser spektakuläre Heilungsphänomene dokumentiert, die der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt sind. Dieser Film weckte Patrick Annicchiaricos Spürsinn schon früh. Beruflich hatte er eine Laufbahn im Uhrensektor eingeschlagen und in verschiedenen Positionen erfolgreich Schweizer Markenuhren verkauft. Als passioniertem Alpinisten ist ihm bewusst, wie schnell alles enden kann und wie kostbar das Leben auf unserer Erde ist. «Die Zeit ist nun reif, all diesen Erkenntnissen entsprechende Aufmerksamkeit zu widmen.» welcome-to-elysion.com

Die Fondation Goldapfel

Das Leben neu und sinnstiftend gestalten: Liegt das auch dir am Herzen und du möchtest einen Beitrag leisten und deine Qualität einbringen? Oder hast du eine Projektidee im Bereich Bildung, Natur oder Kultur, die den Kriterien der Fondation Goldapfel entspricht? Dann freuen sich die Initianten auf deine Kontaktaufnahme. fondation-goldapfel.ch


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Macht Euch die Erde untertan

Dieser Satz ist die Lunte zur Menschheitsgeschichte, einer jahrtausendealten Geschichte nicht abreissen wollender Gewalt als logische Folge des fatalsten und folgenschwersten Irrtums der Schriftauslegung.

Ein erfolgreiches Leben misst sich daran, ob man diese Welt in einem besseren Zustand hinterlässt, als man sie vorgefunden hat. Bis hierhin sind wir uns einig, Klaus Schwab, Greta und die Klimakleber, die WHO und ich. Aber wie misst man den Einfluss eines einzelnen Lebens auf diese Welt? Welcher Mensch kann sich eines persönlichen Beitrags zu einem Sonnenaufgang oder Vulkanausbruch rühmen?

An indischen Universitäten verabschiedet man abends die Sonne singend mit dem Sonnenuntergangsmantra und begrüsst sie morgens mit dem Sonnenaufgangsmantra. An unseren Universitäten setzt man abends Tweets ab wie «Die Sonne geht unter – Schuld ist der Klimawandel», woraufhin Wissenschaftler mit Verweis auf computergestützte Dunkelheitssimulationsmodelle prognostizieren, dass die Nacht diesmal monatelang andauern werde, um dann den unerwarteten Sonnenaufgang zu kommentieren mit: «Das haben wir alle gemeinsam geschafft.»

Wer die Welt verändern will, muss sich selbst verändern. Das heisst, man kann die Welt nur um so viel verbessern, wie man sich selbst verbessert. Alles andere ist Selbstüberschätzung. Über andere zu herrschen ist nie eine höhere Berufung, sondern immer ein grössenwahnsinniges Hinabsinken unter seine eigenen Möglichkeiten. Wer Lust auf ein Regierungsmandat verspürt, folgt keinem höheren Ruf, sondern einem niederen Trieb. Denn Dummheit regiert die Welt.

Wer hingegen durch Selbstbeherrschung das Wunder vollbringt, sich selber in seinem Denken, Reden und Handeln zu verbessern, wird diese Welt gleichsam für alle Menschen verbessern, die mit ihm in Berührung kommen. Und erstaunlicherweise führt genau das dazu, dass man dann doch noch mehr als nur sich selbst zu verbessern vermag, nämlich indem man andere durch sein Vorbild dazu anleitet, sich ebenfalls selbst zu verbessern.

Der Irrtum ist so alt wie die Menschheit und geht zurück auf einen Satz in der Genesis: «Macht euch die Erde untertan.» Seit dieser göttlichen Befehlsausgabe versucht der Mensch die Welt zu beherrschen. Tausende von Jahren Krieg und Unterdrückung sind die Folge …

von Andreas Thiel

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Andreas Thiel etabliert durch seine sprachphilosophischen Betrachtungen eine durch Platon inspirierte neue Schule des Denkens, unter anderem mit seinem Format «Yoyogaga» auf kontrafunk.radio. 2023 erschien der Pilotfilm zu seiner staatsphilosophischen Filmserie «Les Sanspapiers», welche er zusammen mit Prof. Dr. iur. David Dürr produziert: lessanspapiers.ch


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Mein Haus, mein Auto, mein Boot – sieht so Erfolg aus?

Nachdenken über das Streben des Menschen angesichts einer Welt, die im Wandel steht.

Ein Mensch wird geboren. Um die neun Monate lang hat er sich dahin entwickelt. Im Laufe der sechsten Schwangerschaftswoche begannen die ersten Organe, Form anzunehmen – sein Herz fing an zu schlagen. Etwa ab der 15. Schwangerschaftswoche war er in der Lage, zu schlucken und sein Fruchtwasser zu trinken. Ab ungefähr der 24. Schwangerschaftswoche war es ihm möglich, mehrere Stunden lang durchzuschlafen. Zudem begannen die Lungenzellen mit der Produktion des sogenannten Surfactant, einer Substanz, die die Oberflächenspannung der Lungenbläschen reduziert, damit sich die Lunge gut entfalten kann – ein weiterer entscheidender Schritt in Richtung Überlebensfähigkeit.

Ein Mensch wird geboren: Eine Erfolgsgeschichte? Gleichwohl es ein natürlicher Prozess ist, ist es keine Selbstverständlichkeit, dass er tatsächlich vollzogen wird. Man denke nur daran, was sich alles an Komplikationen in der Zeit von der Zeugung bis zur Geburt ereignen kann, die erschweren oder gar verunmöglichen, dass die mikroskopische kleine Keimzelle heran- und ausreift. Auch während oder direkt nach der Geburt. Wird beispielsweise der erste Stuhl des Kindes, Mekonium genannt, bereits in der Gebärmutter abgegeben und nicht in den ersten Tagen nach der Geburt, drohen gefährliche Folgen für das Kind, beispielsweise kann es zu einer schweren Lungenentzündung durch Mekoniumaspiration kommen.

Ein Mensch wird geboren. Bleiben wir dabei, dass das ein Erfolg ist, jedes Mal, wobei freilich zunächst der Begriff definiert werden muss. Das althochdeutsche Verb «erfolgen» bedeutet erstmal nichts weiter als dass eine Handlung zu einem Ergebnis führt. Erfolg folgt also aus dem, was man tut; etwas wird erreicht respektive wird einem zuteil. Das ist gross gefasst und impliziert eine Beliebigkeit, die dem gängigen Gebrauch nicht mehr entspricht. Gelingt es, morgens aus dem Bett zu steigen und sich eine Tasse Kaffee zu machen, würde niemand von Erfolg sprechen oder vielleicht nur die, denen das antriebsbedingt enorm schwer fällt.

Der Duden beschreibt Erfolg als «positives Ergebnis einer Bemühung» oder «Eintreten einer beabsichtigten, erstrebten Wirkung». Erfolgreich zu sein heisst demnach, das zu bekommen, was man will. Oder anders ausgedrückt: Die erbrachte Leistung liegt mindestens auf, besser noch über dem Bereich der selbst und/oder von anderen gesetzten Erwartung. Der kapitalistisch geprägte Mensch ist überdies darauf konditioniert, Erfolg in Zusammenhang mit monetärem Zugewinn zu stellen; ins Sichtbare gebracht durch Statussymbole gemäss der legendären Sparkassen-Werbung: «Mein Haus, mein Auto, mein Boot.»

Nun aber ist der Mensch ganz wesenhaft dafür begabt, zu scheitern …

von Sylvie-Sophie Schindler

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Sylvie-Sophie Schindler ist philosophisch und pädagogisch ausgebildet und hat über 1500 Kinder begleitet. Die Journalistin ist Trägerin des Walter-Kempowski-Literaturpreises und publiziert unter anderem bei der «Weltwoche».


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