Skip to main content

Kosmische Lebensgefühle

Im Gespräch mit Uli Fischer

Wer sind wir im Zusammenspiel mit der Natur und ihren Wesenheiten? Schöpfer oder doch Zerstörer? Erschaffer oder Weltenhasser? Wie können wir unser Bewusstsein entwickeln, ohne die Natur, und damit das Leben als solches, zu verraten? Wir sprachen mit dem Autor und Musiker Uli Fischer über die «kosmische Aufgabe» des Menschen.

«DIE FREIEN»: Lieber Uli Fischer, wie lässt sich das heutige Verhältnis des Menschen zur Natur beschreiben?

Uli Fischer: Allgemein gesprochen kann man von einem manipulativ-machtförmigen Umgang des modernen Menschen mit der Natur sprechen. Wir verhalten uns übergriffig, kontrollierend, nutzend-vernutzend, grob und subtil destruktiv – und in vieler Hinsicht vollkommen ahnungslos oder ignorant in Bezug auf die wirklichen Zusammenhänge, die wir meinen nach Gutdünken umgestalten zu dürfen und zu können. Das ist dann in der Konsequenz Transnaturismus/Transhumanismus: Alles ist freigegeben zur grossen Verbesserung – mit den fatalen Folgen der Machtausdehnung und Kontrolle bis in den letzten Winkel des Gestirns.

Wie erklärst du dir diese Abgespaltenheit des Menschen vom Naturzusammenhang?

UF: Ich gehe von diesem Grundgedanken aus: Wir selbst gehen als seelische Wesen aus den Naturreichen hervor, haben diese Stufen der Bewusstseinsentwicklung seelisch «hinter uns», sonst wären wir als Menschen nicht präsent und wären auch nicht in Urresonanz mit der Natur. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling hat sinngemäss gesagt: «In der Natur sehen wir unsere eigene Bewusstseinsentwicklungs-Geschichte.» Wenn wir diesen Aspekt nicht zumindest ansatzweise gelten lassen, dann haben wir gar keine Möglichkeit, etwas in der Tiefe von unserem Mensch-Natur-Verhältnis zu verstehen. Tat tvam asi. Das alles bist du – aber wie?

Lässt sich hier noch von «kosmischem Schicksal» sprechen, oder ist das bereits selbst gewählte Verdammnis?

UF: Wir sehen hier wahrscheinlich zwei Seiten einer Medaille und können beides bejahen. Prinzipiell gehen wir zunächst von einem selbst geschaffenen Schicksal aus, das in eine Verdammnis führen kann. Wenn wir uns kollektiv gegen ein Mitschöpfertum entscheiden, dann ist ein Bewusstseinsregress die logische Folge. Wenn uns ein Einsehen in Sinn und Mitwirkungsmöglichkeit respektive -pflicht im schöpferischen Plan der Erde gelingt, dann entwickeln wir transformatorische Kraft.

Du schreibst von einem «schöpfungsnotwendigen Denken». Wie sähe dieses aus?

UF: Gemeint ist, dass wenn wir uns Sinn und Zweck der Schöpfung annähern, dass dann auch unser Denken und Handeln an diese Erkenntnishorizonte schöpferisch angepasst werden könnte und müsste. Schöpfungsgemässes Denken ist vielleicht korrekter. Wir können der höheren Intelligenz dieses Weltprozesses zuarbeiten im Rahmen der Talente und Erkenntnismöglichkeiten – wenn wir die höhere Intelligenz als eine Wirklichkeit akzeptieren und unsere gegebenen Wirkungsmöglichkeiten leben.

Worin besteht für dich dieser Weg, des Menschen Augen wieder für die Fülle der Schöpfung zu öffnen?

UF: Für mich ging es auf meinem Weg – durch das Zeichnen und Malen, Musizieren, Gedichte schreiben, Meditieren und so weiter – darum, selbstheilend empfänglicher zu werden für die kosmischen Impulse. Mit unterschiedlichem Erfolg. Das materialistische Weltbild, das mir in Kindheit und Jugend vermittelt wurde, konnte ich überwinden. Ein spirituelles Grundverständnis des Weltganzen ist mir prinzipiell erwachsen. Doch dann beginnt der eigentliche Weg der konkreten Ausgestaltung des Weges. Und da gab es jede Menge Umwege, auch Abwege, Rückkehr und Besinnungen. Ich befürworte heute eine transzendentale Naturphilosophie, die den Menschen auf dem Weg sieht zu einem umfassend mitschöpferisch tätigen Wesen, dessen Ziel auch die Erreichung der höchsten spirituellen Verwirklichung ist, wie es beispielsweise Buddha Shakyamuni angedeutet hat. Dieser Weg ist ein Heilungsweg auch für die Natur, weil sie uns «folgt» und uns den Rücken freihält, uns trägt. Wir brauchen das Lebensgefühl natürlicher Fülle, jenseits der Scheinfülle und des Scheinmangels. Den mittleren Weg zwischen Mangelmanagement und Raubtiermentalität. Das geht einerseits mit Selbstbescheidung, die die ursprüngliche Fülle wieder erkennbar werden lässt, und andererseits mit Unvoreingenommenheit den Chancen und Möglichkeiten des Lebens gegenüber. Daran arbeite ich, manchmal erfolgreich, manchmal weniger. Meine Lebensaufgabe habe ich noch nicht genau bestimmen können; von dieser Bestimmung und der Erfüllung hängt sicher auch das Gefühl der natürlichen Fülle ab. Und dieses Gefühl ist wichtig und will gepflegt werden. ♦

von Lilly Gebert

***

Uli Fischer beschäftigt sich mit Musik, Literatur und transzendentaler Naturphilosophie, komponiert und singt eigene Lieder. Seine Essays erscheinen u.a. bei Manova. ulifischer.de


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Die Demokratie ist tot – Es lebe die Demokratie!

Die Demokratie ist tot? Aber sie wird doch ununterbrochen gelobt, gepriesen und geehrt, ist in jedermanns Munde. Das Bundesministerium für Inneres schuf gar ein Demokratiefördergesetz. Die Verteidigung der Demokratie sei die unbedingt notwendige Aufgabe des Staates, denn die Feinde einer offenen Gesellschaft sässen mit der AfD im Inneren und mit Russland im Äusseren. Deshalb muss unsere Demokratie wehrhaft sein, am besten eine wehrhafte Klimademokratie. So das Gebot der Ampelkoalition. Doch wie passt die Schaffung von Feindbildern mit einer demokratischen Gesellschaft zusammen?

Karl Popper beschrieb in seinem Werk «Die offene Gesellschaft und ihre Feinde» die Merkmale und Voraussetzungen der Demokratie. Er hob besonders die Kritikfähigkeit der Bürger hervor, die den Missbrauch von politischer Macht verhindern kann. Jeder sollte seine eigene Meinung frei äussern können und sagen was ist. Sagen wir also, um mit Herodot oder Rudolf Augstein zu sprechen, was ist.

Diejenigen, die den deutschen Staat verhöhnen oder delegitimieren, bekommen es mit einem starken Staat zu tun. Das ist die gegenwärtige Realität und die klingt so, als dürfe der Staat nicht mehr kritisiert werden. Die erweiterten Befugnisse des Verfassungsschutzes erlauben es, Kritiker zu beobachten und strafrechtlich zu verfolgen. Wer sich frei äussert, seine Unzufriedenheit zum Ausdruck bringt, läuft Gefahr, ins Visier der Observationskräfte zu geraten.

Wer traut sich schon, nach dieser politischen Einschüchterungsmassnahme noch frei zu sagen, was er über die Regierung denkt? Da hält man doch lieber den Mund. Austausch, Diskurs, Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt – die Voraussetzungen jeder demokratischen Gesellschaft – werden unterdrückt. Die Regierung verengt den Spielraum für den Widerspruch, den Dissens, das Recht, Nein zu sagen, den von Hannah Arendt geforderten zivilen Ungehorsam und führt damit die Demokratie ad absurdum.

Die Ausweitung der Regierungsmacht

Das zukünftige Heil wird im Kampf gegen die angeblichen Feinde der Demokratie gesucht. Wenn diese besiegt sind, dann hätten wir einen wirklich demokratischen Staat. Um der Bedrohung Herr zu werden, müsse die Macht der Regierung ausgeweitet werden.

Doch jede Ausweitung dieser Macht richtet sich gegen die Demokratie. Mit der Wahlrechtsreform, der Reform der Wegzugsbesteuerung, dem Hinweisgeberschutzgesetz, dem Demokratiefördergesetz, dem Gesetz zur Volksverhetzung oder dem Digital Service Act werden nicht etwa die demokratischen Rechte des Individuums gestärkt und geschützt, sondern lediglich die Macht der Regierung.

Selbst wenn wir rein hypothetisch davon ausgehen würden, dass die Ampelregierung tatsächlich mit ihren neuen Gesetzen und Gesetzesverschärfungen ausschliesslich und allein die Demokratie schützen will, wäre ihr Vorgehen falsch. Denn es ist immer möglich, dass zukünftig eine tyrannische oder diktatorische Regierung an die Macht kommt, die die neuen Gesetze für unlautere Zwecke nutzen und sie gegen die Bevölkerung einsetzen könnte.

Die Ausweitung der Macht der Regierung ist daher immer zu vermeiden und sie ist gegenwärtig in keiner Weise gerechtfertigt.

Die Feinde der Demokratie

Eine Regierung, die meint, die Skepsis gegenüber seiner Politik zu mRNA-Impfstoffen, Klimawandel oder Ukraine-Krieg mit undemokratischen Methoden bekämpfen zu müssen und die dazu ihre Feinde genau definiert, läuft Gefahr, autoritär zu werden und sich abzuschliessen.

Der Aufbau von Feindbildern hat rein gar nichts in einer demokratischen Gesellschaft verloren. Denn diese richtet sich gerade gegen jede Siegesvorstellung, gegen das Ausgrenzen und Verfolgen Andersdenkender, gegen den Faschismus. Der Aufbau von Feindbildern ist vielmehr ein Merkmal totalitärer Staaten und dient der Aufrechterhaltung ihrer Macht.

Mit der Kriminalisierung des legitimen Widerstandes gegen die Corona-Massnahmen und der gewaltsamen Unterdrückung der Proteste durch die Polizei 2021 und 2022, bekam das politische Handeln eine neue Qualität. Das demokratische Recht auf freie Meinungsäusserung wurde untergraben. Das hätte in einer Demokratie nicht passieren dürfen. Die Opposition wurde delegitimiert und als Minderheit nicht mehr geschützt. Die Regierung hatte nun freie Hand und hat sie bis heute.

Gegenwärtig sind es primär die propagierten Vorstellungen des Sieges über Russland, die unbedingte Notwendigkeit der Rettung des Klimas und der Kampf gegen rechts, die von ihr als absolute Wahrheiten vorgegeben werden.

Unser demokratischer Staat

Ein demokratischer Staat zeichnet sich jedoch gerade dadurch aus, dass die Wahrheit nicht vorgegeben, sondern gesucht wird. Der demokratische Staat ist klein und es gibt in ihm Institutionen, die sich gegen eine unkontrollierte ökonomische und politische Macht richten, Institutionen, die die Herrschenden kontrollieren. Die Einhegung der Macht dient ihrer Begrenzung. Das scheint gegenwärtig nicht zu funktionieren.

Die öffentlich-rechtlichen Medien, Judikative und Verfassungsschutz stehen stattdessen weitestgehend unter der Kontrolle der Regierung. Selbst das RKI und damit die Wissenschaft ist weisungsgebunden. Ausländische Fernsehsender werden verboten, YouTube-Videos gelöscht, Menschen mit abweichender Meinung öffentlich diffamiert. Politiker beschimpfen und verklagen Demonstranten, Parteien sollen verboten werden. Mit dem neuen Digital Services Act ist es der Regierung möglich, ganze Plattformen wie Twitter, YouTube oder Instagram einfach abzuschalten.

Die Regierung kontrolliert die Bürger, doch wer kontrolliert die Regierung? Wer verhindert, dass sie selbst gegen das Grundgesetz verstösst? Wer massregelt sie, wenn sie willkürlich und übergriffig handelt?

Was ist zu tun, wenn eine übermächtige Regierung der Bevölkerung unter dem Vorwand des Ukraine-Kriegs und im Namen des Klimaschutzes eine Situation aufzwingt, die sie nicht verantworten, aber auch nicht ändern kann? Mit Demokratie hat das nichts zu tun.

Das Verhalten des Innenministeriums erweckt vielmehr den Anschein, dass, zeitgleich mit der ständig wiederholten Aufführung des Theaterstückes über unsere Demokratie, dieselbe hinter den Kulissen heimlich abgebaut wird. Sie wird vorgespielt und vordergründig geehrt, jedoch im Hintergrund verachtet und entwertet.

Die Absetzbarkeit der Regierung

Die Feindbilder dieser Demokratie werden hochgehalten, die bunte Demokratiefahne immer höher gehisst, doch die realen Lebensbedingungen der Menschen sinken und werden mit jedem Jahr schlechter. Die Inflation steigt und der Krieg rückt näher. Friedensziele gibt es nicht. Von der Politik beteuerte Absichten werden nicht umgesetzt. Die Bevölkerung wird hin- und mit Oberflächlichkeiten bei Laune gehalten.

Das Ergebnis der Europa-Wahl hat diese Politik nun delegitimiert. Nicht mit der nun verbotenen Verhöhnung, sondern mittels einer regulären Wahl. Die regierenden Parteien haben ihre Mehrheit verloren. Hat das Folgen? Gibt es Neuwahlen? Fehlanzeige. Es scheint, dass es selbst derjenige mit einem starken Staat zu tun bekommt, der die Bundesregierung auf legalem Weg delegitimiert.

Nach Karl Popper ist die Möglichkeit, die Regierung ohne Blutvergiessen abzuwählen, das entscheidende Merkmal der Demokratie. Eine Gesellschaftsform, in der das nicht möglich ist, bezeichnet er als Diktatur oder Tyrannei. Die Absetzbarkeit der Regierung ist so bedeutend, weil die Regierung dann einen Anreiz hat, sich so zu verhalten, dass die Menschen mit ihr zufrieden sind.

Die Reaktion der Ampelparteien auf die Wahlergebnisse zeigt deutlich, dass sie nicht gewillt sind, diesem Prinzip zu folgen. Stattdessen verharmlosen die Medien die Wahlniederlage als «Denkzettel». Sie ist jedoch kein Denkzettel, sondern die eindeutige Entscheidung der Bevölkerung gegen die Regierung.

Die Koalition aus drei etablierten Parteien ist folglich zwar theoretisch absetzbar, doch praktisch wohl kaum. Erst recht nicht, wenn einer der drei Koalitionspartner durch die CDU ersetzt wird und erst recht nicht, wenn die öffentlich-rechtlichen Medien, also die Macht über die Köpfe, unter staatlicher Kontrolle stehen.

Keine guten Aussichten? Vielleicht, doch wenn die Demokratie es trotz aller Widerstände, die ihr entgegenstehen, schafft, sich zu reorganisieren, sich wieder durchzusetzen, sich auf ihre Werte zu besinnen, dann, allerdings nur dann steht uns eine lange Phase des Friedens und der Freiheit bevor.

Denn, wie schon Karl Popper erkannte: «Wenn unsere Wachsamkeit nachlässt, wenn wir unsere demokratischen Institutionen nicht verstärken, dem Staate aber zusätzliche Gewalt verschaffen, dann kann es leicht geschehen, dass wir unsere Freiheit verlieren. Wenn aber die Freiheit verloren ist, dann ist alles verloren, denn nur die Freiheit kann die Sicherheit sichern.»

Was also tun? Der Mensch ist der Souverän. Jeder kann sich für die Humanität, die Menschenrechte und den Frieden einsetzen. Jeder kann für seine individuellen Bedürfnisse kämpfen. Jeder kann Nein sagen, nicht mitmachen, widersprechen. Das ist Demokratie. Nur davon lebt sie. Es lebe die Demokratie! ♦

von Tom Reimer

***

Tom Reimer ist promovierter Neurobiologe und unabhängiger Autor. Er schreibt neben Artikeln Gedichte und Essays, spielt Kabarett, macht Filme und Musik – alles mit der vielleicht unbegründbaren Motivation und Hoffnung, unsere Kultur bereichern zu können. Sein neustes Buch «Schaffen wir eine neue Kultur – Weil Menschsein mehr ist als Ökonomie» ist 2023 erschienen.


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Ein Idyll für Naturliebhaber und Gleichgesinnte

Roni Brunner von «Suoni della natura» im Gespräch

Roni Brunner stammt ursprünglich aus dem Aargau. Anfang 2021 kaufte er gemeinsam mit seiner Partnerin Katharina sein 4,5 Hektar grosses Grundstück im Herzen Italiens, unmittelbar angrenzend zur Toskana. Dort sind die beiden mittlerweile zu 100 Prozent energieautark: Die Energie für ihre Ferienstudios fliesst aus ihren Solaranlagen, das Wasser aus einem 120 Meter tiefen Brunnen. Die Oliven- und Obstbäume sowie ihr Garten sind biologischen Anbaus.

Zeitgleich mit der Eröffnung seines Natur- und Erlebnisortes «Suoni della natura» begann Roni Brunner bei «DIE FREIEN» zu inserieren. Nun, zwei Jahre später, haben wir nachgehakt und uns erkundigt, welche Früchte die rund ein Dutzend Inserate getragen haben.

«DIE FREIEN»: Lieber Roni Brunner, wie sind Sie auf unsere Zeitschrift aufmerksam geworden?

Roni Brunner: Wenn ich mich recht erinnere, bin ich, schon bevor die erste Ausgabe herauskam, über Corona-Transition auf «DIE FREIEN» aufmerksam geworden. Dort wurde das Heft vorgestellt und angekündigt, dass die erste Ausgabe in Arbeit sei. Ich bestellte dieses sofort und überlegte mir, dass ich dort gerne inserieren möchte.

Wie kam es zur Entscheidung, bei uns zu inserieren? Welcher Impuls war im Vordergrund?

RB: Der Impuls, das waren ganz klar die Personen, die die Zeitschrift anspricht. Mir schien es, als wäre die Schnittmenge zwischen den Menschen, die sich bei euch wohlfühlen, und denen, die auch ich gerne um mich habe – und die ich auch gerne als Gäste habe –, sehr gross.

Was hat das Inserat für Sie und Ihren Natur- und Erlebnisort bewirkt?

RB: Wir konnten etliche Anfragen und Buchungen realisieren, die auf das Inserat bei euch zurückzuführen sind. Wir sind nicht bei den grossen Anbietern wie Airbnb vertreten, an deren Klientel sind wir auch gar nicht interessiert. Deshalb fragen wir unsere Gäste immer, wie sie uns gefunden haben. Und es ist wirklich schön zu sehen, welch Netzwerke sich durch das Inserat gesponnen haben und weiterhin spinnen.

Was war die schönste Begegnung, die dank Ihrem Inserat bei «DIE FREIEN» zustande kam?

RB: Eine lustige Episode war, dass jemand, der aus dem weitesten Bekanntenkreis kam, seinen Aufenthalt bei uns gebucht hat. Da er in dem Nachbardorf von dem Ort lebt, aus dem wir kommen, und in dem wir Flyer auflegen, dachten wir natürlich zuerst, er sei darüber auf uns aufmerksam geworden. Dann stellte sich aber heraus, dass er das Inserat bei euch im Heft gesehen hatte. Das war lustig.

Wem würden Sie empfehlen, bei uns zu inserieren?

RB: Beispielsweise Restaurant- oder Gästebetriebe, die sich denen gerne anbieten würden, die sich, ich sag mal, der «Schwurblerszene» angetan fühlen. Eben die, die für sich einen anderen Weg gewählt haben und auf diesem «bewusste» Gäste suchen.

Das kann ich gut nachvollziehen. Es entsteht ja auch eine gewisse Unbeschwertheit oder Leichtigkeit, wenn man sich darauf einstellen darf, dass man bestimmte Themen nicht vor vorgehaltener Hand besprechen muss, sondern ganz frei und offen reden darf.

RB: Ja genau. Wir sind zum Beispiel auch vegetarisch unterwegs. Das ist ja keine Bedingung, aber es zieht schon eher «bewusstere» Menschen an, die dann vielleicht auch aufs Fleisch verzichten oder anderweitig ähnliche politische, gesellschaftliche Ansichten vertreten und mit uns teilen. Diesen Austausch auf Augenhöhe schätze ich sehr.

Wie weit reicht dieser Austausch?

RB: Im Kleinen sind wir im permanenten Austausch darüber, wie wir Prozesse einleiten oder unterstützen könnten, die langfristige Veränderungen mit sich ziehen können. Vor Ort gibt es immer wieder Begegnungen, aus denen sich wirklich gute Diskussionen ergeben. Man fühlt sich gegenseitig unterstützt und genährt und hat es einfach gut miteinander. Beispielsweise haben sich schon Yoga-Gruppen um eine Yoga-Lehrerin entwickelt, die sagte, dass sie gerne ganz frei und freiwillig Kurse anbieten würde – es haben sich mittlerweile schon mehrere Menschen angeschlossen. So entsteht alles sehr organisch und wird von den Menschen und ihrer gemeinsamen Begegnung getragen.

Dieses schöne Gefühl von eigenverantwortlichen und von ihren inneren Neigungen angetriebenen Menschen, die aus sich heraus und um sich herum eine Kreativität entfalten – das wünscht man sich!

RB: Ja genau. Auch Musiker, Kunstschaffende, Landart-Künstler haben bereits den Weg zu uns gefunden. So ergibt sich eine ganz eigene Klientel, die sich nicht länger durch Äusserlichkeiten, sondern durch eine grosse Innerlichkeit definiert – und wiederum auch nicht definieren lässt.

von Lilly Gebert

***

Katharina Zweifel & Roni Brunner
Località Manziano 16, 05010 Parrano, TR, Italia
Anfrage nach Verfügbarkeit: contact@suonidellanatura.info
suonidellanatura.info
Tel.: +41 (0)79 316 83 15


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Weltbeziehung und Urvertrauen

Der Resonanzbegriff bei Harmut Rosa

Regenbögen, Sternschnuppen, die Liebe: Die schönsten Dinge im Leben lassen sich nicht greifen. Sie sind unverfügbar. In sich, wie für uns. Wer mit ihnen in Resonanz gehen will, für den gilt nur eines: absolute Bedingungslosigkeit. Eine Bedingungslosigkeit, bedingt durch nichts anderes als die «Urvertrauen stiftende Erfahrung einer tragenden Weltbeziehung».

Wo der Glaube herrscht, die Welt verfügbar machen zu können, setzen wir «am Leben sein» mit «lebendig sein» gleich. Es gilt: Solange wir am Haben anstatt am Sein orientiert sind, bringen wir nicht nur die Welt auf Distanz zu uns, sondern uns gleichzeitig in eine Fremdheit mit uns selbst. Was bleibt, ist eine Beziehung der Beziehungslosigkeit. Wir sind zu sehr mit uns selbst beschäftigt, als dass wir die Dinge ihrem wahren Wesen nach erkennen könnten. Wir interpretieren und sezieren lieber, anstatt zu beobachten und abzuwarten. Unfähig, das Leben so zu nehmen, wie es ist, verkehren wir unser Gefühl, in die Welt geworfen zu sein, dahingehend, uns aus ihr hinauszuschleudern.

Es ist dieses «Fremdgesteuertwerden», der Reflex, Ohnmacht durch Kontrolle zu kompensieren, den der Soziologe Hartmut Rosa auf unsere Furcht vor Weltverlust zurückführt. Als «Grundangst der Moderne» versetze sie uns in einen «Agressionsmodus». Aus ihm heraus nähmen wir jede Unkoordinierbarkeit als Bedrohung wahr und liefen obendrein Gefahr, das Ausdehnen unserer eigenen Weltreichweite, also unserer Wahrnehmung dessen, was wir in dieser Welt alles unter Kontrolle und in Besitz nehmen könnten, auf Kosten anderer zu manifestieren. Wir stehen der Welt innerlich unverbunden, gleichgültig oder sogar feindlich gegenüber und befinden uns damit inmitten einer prinzipiellen Verwechslung von Erreichbarkeit und Verfügbarkeit sowie Symbiose und Verbindung. Dies mache uns nicht nur blind dafür, was es bedeute, uns von dieser Welt wahrhaft berühren zu lassen, – wir würden auch verkennen, dass unser insgeheimes Hoffen auf einen Zuwachs an Lebensstandard durch mehr Sicherheit und Macht nicht der Gier nach Mehr, sondern unserer Angst vor dem Immer-weniger entspränge.

Ein anderer Sinn für Verbundenheit

«Eine bessere Welt ist möglich, und sie lässt sich daran erkennen, dass ihr zentraler Massstab nicht mehr das Beherrschen und Verfügen ist, sondern das Hören und das Antworten.» – Hartmut Rosa, Resonanz

Ohne ein intaktes Weltverhältnis, so viel steht für Hartmut Rosa fest, kann es kein gelingendes Selbstverhältnis geben. Wer sich selbst nicht spürt, könne sich auch die Welt nicht anverwandeln. Und wem die Welt stumm und taub geworden sei, dem käme auch das Gefühl für sich selbst abhanden. Was wirkt wie eine Spirale der ausbleibende Begegnung, führt uns unweigerlich zu der Frage: Worin bestünde denn ein «gelingendes Weltverhältnis»? Was würde es bedeuten, wahrhaft mit uns und dieser Welt verbunden zu sein? Unserer immer alternativloser erscheinenden Beschleunigung setzt Rosa an dieser Stelle nicht den Begriff der Entschleunigung entgegen, sondern den der Resonanz. Ihre – wie er sie nennt – horizontalen, diagonalen wie vertikalen «Achsen» von Beziehungsqualitäten ermöglichten dem Menschen nicht nur eine als antwortgebend erfahrene Beziehungen zur Welt, zum Dasein oder zum Leben als Ganzem, sondern obendrein auch das besagte Urvertrauen, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen – und gehen.

Für Hartmut Rosa ist klar: Wolle der Mensch aus seiner Abgespaltenheit austreten, müsse er wieder lernen, sein In-Beziehung-Treten mit sich und der Welt als Totalität zu verstehen. Rosa teilt ihren Prozess des Zueinanderfindens in vier Phasen der Begegnung: den Moment der Berührung (Affizierung), den Moment der Selbstwirksamkeit (Antwort), den Moment der Anverwandlung (Transformation) und den Moment der Unverfügbarkeit (konstitutiv ergebnisoffen). Mit einem Menschen, einer Landschaft, einer Melodie oder einer Idee in Resonanz zu treten, bedeutet für ihn, «von ihm oder ihr gleichsam ‹inwendig› erreicht, berührt oder bewegt zu werden». Entscheidend sei hierbei das Gefühl, die Welt gehe einen etwas an. Folglich liesse sich dieser Moment der Affizierung auch als «Anrufung» übersetzen. Oder wie Rosa formuliert: «Plötzlich ruft uns etwas an, bewegt uns von aussen und gewinnt dabei Bedeutung für uns um seiner selbst willen.» Stumpfe Blicke fangen wieder an zu leuchten und in unseren Augen sammeln sich Tränen. Das Bedürfnis, der Welt zuzugehören, hat den «Panzer der Verdinglichung» durchbrochen. Mit unserem ganzen Körper und vollem Herzen zurück in ihren Bann gezogen, fühlen wir uns (selbst-)wirksam und lebendig mit ihr verbunden. Unsere Augen werden zu «Resonanzfenstern». Wir haben das Gefühl, mit der Welt im Dialog zu stehen.

Diese «Veränderung der Weltbeziehung» bezeichnet Rosa als entscheidendes Element der Resonanzerfahrung: «Wann immer wir mit der Welt in Resonanz treten, bleiben wir nicht dieselben. Resonanzerfahrungen verwandeln uns, und eben darin liegt die Erfahrung von Lebendigkeit. Wenn wir uns von nichts mehr anrufen und verwandeln lassen, oder wenn wir auf die zahlreichen Stimmen da draussen nicht mehr selbstwirksam zu antworten vermögen, sind wir innerlich tot, versteinert, kurz: resonanzunfähig.» Wer diese Anverwandlung erfahren wolle, so Rosa, müsse aufhören, alles um sich herum kontrollieren zu wollen. Lebendigkeit, Berührung und wirkliche Erfahrung entstünden aus der Begegnung mit dem Unverfügbaren. Eine Welt dagegen, «die vollständig gewusst, geplant und beherrscht wäre, wäre eine tote Welt.»

Wege zur Welt

Ohne eine «bidirektionale» – eine auf Gegenseitigkeit beruhende – Welterfahrung, keine Resonanz: So wie Unverfügbarkeit für Rosa die Bereitschaft impliziert, «sich auf nicht vorhersagbare Weise berühren und verändern zu lassen», impliziert Resonanz «Verletzbarkeit und die Bereitschaft, sich verletzbar zu machen». Kontrolle und Berührung schliessen einander nicht nur aus, gemeinsam begründen sie das Gesetz der Anziehung: Je intensiver wir etwas wollen, umso weniger gelingt es uns. Und je mehr wir etwas besitzen möchten, umso schneller verlieren wir es. Wo wir keinen Raum lassen, mit den Dingen wahrhaft in Kontakt zu treten, wo unsere Vorstellung und unser Wille bereits im Vorfeld jede Möglichkeit einer offenen, ehrlichen Begegnung unterlaufen, da schnüren wir selbst uns jedes Berührtwerden ab. Kurzum: Wo uns das Vertrauen fehlt, verfehlen wir das Leben.

Wer dies verstanden – oder besser noch: durchfühlt – hat, dem bleibt keine andere Wahl, als von sich aus neue Pforten zur Welt zu schaffen. Denn wem die Welt nicht mehr als Aggressionspunkt, sondern als Resonanzpunkt erscheint, wer ihr nicht in einem Modus der Aneignung begegnet, sondern dessen «Haltung des anverwandelnden und selbstwirksamen Hörens und Antwortens» auf eine «wechselseitige responsive Erreichbarkeit» gerichtet ist, für den verliere «das Steigerungsspiel» seinen Sinn und, wichtiger noch, seine «psychische Antriebsenergie».

Nur wer ohne Angst auf die Welt zugehen kann, dem steht es frei, sich ehrlich auf sie und ihre Teilnehmer einzulassen. Nicht im Sinne eines ideologisch aufgeladenen Objektbegehrens, sondern als menschliches Begehren, als Beziehungsbegehren. Und wie sollte es anders sein: Der Weg hin zu einer ehrlichen Beziehung zu unserer Mitwelt führt über uns selbst. Und dieser Weg zu uns selbst ist der Weg des Herzens. Und das ist ein Weg jenseits von Argumenten.

… oder, um es mit Udo Jürgens zu sagen:

Von jetzt an Sein statt Haben
Nicht das Gefühl vergraben
Einander finden
Anstatt Worte verlier’n

von Lilly Gebert
Buchvorlage: Hartmut Rosa (2020): «Unverfügbarkeit» (Suhrkamp)


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Erkenntnis durch den Klang

Das Theatrum Phonosophicum ein Kulturtipp aus dem Herzen Italiens

Der Starrheit des deutschen Universitätslebens überdrüssig, zogen die Klangkünstlerin Shushan Hyusnunts und der Musikphilosoph Leopoldo Siano nach Neapel. Ihr Wunsch? Eine neue Kultur des Klangs und der Stille. Mit ihrem theatrum phonosophicum wollen sie transformieren – den Menschen, sein Hören, sein Sein.

«DIE FREIEN»: Liebe Shushan, lieber Leopoldo, gemeinsam betreibt ihr das Projekt «theatrum phonosophicum». Wofür steht dieses?

Shushan Hyusnunts: Das theatrum phonosophicum ist das «Theater der Phonosophie». Die phonosophia verstehen wir als «Erkenntnis durch den Klang». Das theatrum phonosophicum ist ein Forschungs- und Lebensprojekt, das die Erschaffung von Erfahrungsräumen fördert, in denen altes traditionelles Wissen mit experimentellen Praktiken (lecture-performances, Installationen, Klangkunst, Akusmatik, «deep listening» usw.) kombiniert wird. Ein Wissen, das deshalb nicht nur ein «Buchwissen» ist, sondern mit allen Sinnen erfahren werden kann. Daher der Anspruch auf die Synthese der Künste, auf das Gesamtkunstwerk (vom antiken griechischen Theater bis zu Richard Wagner und den Avantgarden). Kern des theatrum phonosophicum ist das Hören verstanden als «Seinserfahrung» und die anthropologische Auseinandersetzung mit dem Klang, mit den Klängen im Raum, mit der Landschaft bzw. mit dem soundscape und den akustischen Archetypen.

Leopoldo Siano: Das Wort phonosophia entdeckte ich einmal zufällig in einem Aufsatz über Morton Feldman. Blitzartig begriff ich, dass es genau das Wort war, das wir suchten, um unsere Arbeit präzis zu bezeichnen. Wir kommen beide aus der sogenannten Musikwissenschaft, aber dieses Fach – akademisch verstanden – wurde uns allmählich immer enger. Später entdeckten wir, dass das lateinische Wort phonosophia ein Neologismus des Jesuiten und Barockgelehrten Athanasius Kircher war … Wie gesagt, ist für uns die Hörtätigkeit zentral, allerdings wird das Hören in sehr breitem Sinne verstanden: als Hören der Welt, als Hören des unaufhörlichen Ereignisses des Seins.

SH: In der Barockzeit wurde das Wort theatrum unzählige Male als Titel von wissenschaftlichen Traktaten verwendet, die als Darstellung einer gewissen Disziplin gedacht waren. Es gab ein theatrum botanicum und ein theatrum anatomicum, also ein Theater der Botanik und ein Theater der Anatomie, ein theatrum chemicum, theatrum memoriae, ein theatrum instrumentorum und so weiter. Und gab es sogar ein theatrum fungorum, ein Theater der Pilze …

LS: Das letzte hätte John Cage sehr gut gefallen können! Es ging also um den Versuch, das angesammelte Wissen wie auf einer Bühne, sinnlich darzustellen. Und das versuchen wir auch mit dem theatrum phonosophicum.

Was war der ausschlaggebende Impuls, in dieser Form als Kulturschaffende tätig zu werden?

LS: Ich habe zehn Jahre an der Universität zu Köln gelehrt, wo auch Shushan studiert und dann für ein paar Semester unterrichtet hat. Allerdings war uns die akademische Welt immer steriler geworden, es wurde uns dort immer unbehaglicher: Mit der zunehmenden Digitalisierung und der Einführung der Gendersprache wurde es noch schlimmer. Im Allgemeinen haben wir die grosse Kluft zwischen den meisten Universitätsleuten und dem Leben gespürt. Wir waren auf der Suche nach einem «gelebten Wissen». Wir waren müde, nur Vorträge zu halten, Aufsätze zu schreiben und bei Tagungen aufzutreten. Wir suchten eine «Theorie der Praxis». Das theatrum phonosophicum ist eine Art philosophisches Instrument, wobei das Wort «Philosophie» etymologisch, also ernst genommen wird: als Liebe, als «Liebe zur Weisheit» – verstanden auch als «Kunst des Bewusstseins» oder, wenn man will, als «praktische Daseinstechnik». Wir haben das Bedürfnis gehabt, die Philosophie durch die Sinne zu (er)leben. Da ist für uns unter anderen der «philosophe-artiste» Peter Kubelka ein grosses Vorbild gewesen. Im Italienischen sind die Wörter «Wissen» (sapere) und «Geschmack» (sapore) etymologisch miteinander verbunden. Das Wissen soll nach etwas «schmecken» … Daher ist der Wunsch entstanden, ein aktionistisches Pendant zu haben: Statt einfach Vorträge zu halten, haben wir begonnen, lecture-performances, Klang-Aktionen, Installationen oder «Install’Aktionen» zu machen… Eine lecture-performance ist für uns eine Art story-telling, eine Hybridform zwischen einem Vortrag und einem poetischen Ritual, in dem wir auch Musikinstrumente, aufgenommene Klänge, verschiedene Objekte, Substanzen, Speisen verwenden. Wir wollen nicht einfach über ein Thema sprechen, sondern das jeweilige Thema den Zuhörern unmittelbar erleben lassen. Und dies nicht nur über den Intellekt, sondern über alle Sinne … Mit einer lecture-performance will man nicht nur die Menschen «in-formieren», sondern eher trans-formieren. Immer mehr gefällt uns der Satz von John Cage: «I like it better when something is being done than when something is being said.»

Wen oder – viel spannender – was möchtet ihr mit eurem Projekt erreichen?

LS: Wie Mary Bauermeister sagte, ist jede Existenz ein «unvollendetes Projekt» … Ob wir etwas «erreichen» wollen? Ja, wir wollen uns selbst und so viele Menschen wie möglich zum «lebendigeren Leben» durch das Erwachen aller Sinne führen, vor allem durch den Klang. Es geht um Seinssuche und Seinsfindung. Idealerweise ist das theatrum phonosophicum ein Projekt ohne Ende. Wir wollen es immer mehr verwirklichen, indem wir immer mehr Menschen einbeziehen. Als Musikwissenschaftler waren wir müde, nur am Schreibtisch zu sein. Das Schreiben ist uns zweifelsohne noch sehr wichtig, aber das genügte uns nicht mehr. Wir hatten das Bedürfnis, bestimmte Erfahrungen mit anderen Menschen zu teilen: aber nicht nur mit Wörtern, sondern körperlich, sinnlich, im Raum.

SH: Wir wollen Menschen erreichen, denen unsere Arbeit hilfreich sein kann, um das eigene kreative Potenzial zu entfalten.

Vom 21. bis 23. Juni veranstaltet ihr in Attigliano zusätzlich das Festival «PHONOSOPHIA». Mit diesem möchtet ihr «eine neue Kultur des Klangs und der Stille (total listening) fördern». Was steht hinter diesem Anliegen und wie genau lässt sich «Wissen» durch Klang vermitteln?

SH: Ja, in Attigliano werden wir in wenigen Tagen die erste PHONOSOPHIA eröffnen, ein Fest der «Erkenntnis durch den Klang». Das Festival findet anlässlich der Sommersonnenwende und der Johannisnacht statt. Es liegt uns sehr am Herzen, den Tag und das Jahr rituell zu zelebrieren. Für die Sonnenwenden und die Tagundnachtgleichen gefällt es uns sehr, Feste oder Aktionen des theatrum phonosophicum zu organisieren. Im Laufe der letzten Jahren haben wir mehrere long-durational performances gehabt, bis zu vier Stunden – oder sogar 24 Stunden mit Fabula. Jetzt geht es zum ersten Mal um ein ‘Fest, das drei volle Tage dauern wird. Die lange Dauer ist sehr wichtig für die Vertiefung, für das Eintauchen. Wir werden unterschiedliche Veranstaltungsformate haben: lecture-performances, soundwalks, Nachtspaziergänge in einem «Zaubergarten», Install’Aktionen, Ausstellungen, den Vortrag eines Astrophysikers über die Sphärenharmonie, poetische Lesungen, Klang-Rituale etc.

LS: Das Festival findet in Attigliano, beim Simmetria-Institut statt. Das ist ein sehr besonderer Ort. Das Institut ist eine Forschungsstätte und ein Museum der Mythen, der Riten und der Symbole – eine beeindruckende Sammlung von Kunstwerken verschiedener Kulturen und Epochen! Die Bibliothek des Instituts umfasst mehr als 8000 Bände: vor allem pythagoreische, hermetische, alchemistische Literatur, aber auch viele Bücher über westliche und östliche Philosophie, Mathematik, Geometrie, Mystik etc. Es ist ein Ort, an dem die ganzheitliche Erforschung des Menschen und der spirituellen Traditionen der Welt gepflegt wird, vergleichbar mit der Eranos-Stiftung in der Schweiz. Das 2020 eröffnete Simmetria-Institut wurde konzipiert und gegründet vom unermüdlichen Claudio Lanzi, Forscher, Verleger und Meditationslehrer, unterstützt von seinem Team bzw. seiner Stiftung.

SH: Um zur Frage zurückzukommen: Im theatrum phonosophicum wird der Klang – im Sinne von Marius Schneider und der kosmogonischen Mythen, die in verschiedenen Traditionen zu finden sind – als Ursprung und Essenz aller Dinge betrachtet. Die Welt ist eine Art «versteinerte Musik», ein Schwingungsgewebe, was auch von der modernen Physik bestätigt wird. Die Klänge können vieles beschwören, aber vor allem kann der Klang wirken. Die Erfahrungen, die man durch die Musik und im Allgemeinen durch den Klang macht, sind meistens unaussprechlich. Man ist ständig auf der Suche nach der unerschöpflichen schöpferischen Quelle, nach der sophia, die im Klang selbst ist.

2022 ging es für euch von Deutschland aus nach Armenien, jetzt seid ihr seit dem Frühling 2023 in Italien. Flieht oder sucht ihr?

LS: Wir fliehen nicht! Deutschland ist für uns beide sehr wichtig gewesen. Obgleich wir nicht mehr in Deutschland sind, sprechen Shushan und ich miteinander immer noch deutsch. Wir tragen Deutschland in uns, aber es geht um ein «inneres Deutschland», ein «geheimes Deutschland», um Stefan George zu zitieren… Es ist das Deutschland der Dichter, der Philosophen, der Mystiker und nicht zuletzt der Musiker. Das Deutschland von Meister Eckhart, von Bach, von Goethe, Novalis, Nietzsche, Wagner, Stockhausen, Beuys etc. Aber dieses Deutschland hat mit dem heutigen Deutschland wenig zu tun. Während der Zeit der planetarischen «Pandemenz» war uns in Deutschland sehr ungemütlich, sogar unerträglich geworden. Bestimmte Probleme wurden sichtbarer. Wir haben verstanden, dass die Zeit reif war, um Deutschland endgültig zu verlassen. Wir haben also – jenseits der kleinbürgerlichen «Vernünftigkeit», der inneren Stimme und der Logik des Herzens, also einem «Herzensruf» folgend – einen grossen Schritt gemacht und sind kein kleines Risiko eingegangen …

SH: Es war gewissermassen doch eine Art «Flucht» von Deutschland … (Schmunzeln)

LS: «Denke ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht», so Heine … Wir sind also nach Armenien umgezogen, wo wir uns freier fühlten. Die vielen armenischen Freunde empfngen uns mit grosser Herzlichkeit und Wärme. Sie haben an unsere Arbeit geglaubt. An der State Philharmonia of Armenia, im legendären «Ground Floor» – ganz im Herzen der Altstadt Jerewans – initiierten und kuratierten wir die multisensorielle Veranstaltungsreihe Theatrum Phonosophicum. Es waren Monate von reger Tätigkeit und Austausch mit vielen jungen kreativen Menschen, die bei unseren Veranstaltungen und Workshops («The Art of Listening») mitmachten. Anfang 2023 – als wir gerade dabei waren, im künstlerischen-kulturellen Feld Armeniens Fuss zu fassen, kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel, die Einladung von der Stiftung Morra, nach Neapel umzusiedeln, wo wir jetzt seit einem Jahr diese Forschungsresidenz im Museo Archivio Laboratorio Hermann Nitsch machen.

Merkt ihr Unterschiede in der Art, wie ihr und eure Arbeit wahr- beziehungsweise angenommen werdet?

LS: Ja, freilich. In Deutschland war uns immer schwieriger geworden, über das Wesen unserer Arbeit zu kommunizieren. Einerseits waren die meisten, die uns als akademische Musikwissenschaftler kannten, nicht bereit zu erkennen, dass wir auch etwas anderes machten. Darüber hinaus ist das deutsche Publikum ziemlich verkrampft, selbst die jüngeren Menschen, die meisten Studenten, sind lauwarm und verkopft geworden, mit geringem authentischem Interesse für die Kunst und die Kultur. Und der Prozess der immer zunehmenden Digitalisierung der Existenz hat die Gehirne und die Weltwahrnehmung vieler Menschen umstrukturiert. Die Corona-Zeit war schliesslich der letzte Schlag …

SH: Aber man muss sagen, dass wir dank der Corona-Krise durch einen langsamen schmerzhaften inneren Prozess gegangen sind, um tiefer zu uns selbst zu gelangen, um zu machen, was wir wirklich machen wollten. So haben wir den Mut gehabt, Abstand von der Universitätswelt zu nehmen, um unser theatrum phonosophicum zu betreiben. Dafür war Deutschland für uns ein unfruchtbarer Boden geworden.

LS: In Armenien haben wir hingegen die grosse Aufgeschlossenheit des Publikums sehr genossen.In Armenien gibt es viel weniger ideologische Voreingenommenheit und Verkrampfungen. Das Publikum ist intuitiver. Vor allem sind sehr viele jungen Armenier zu unseren Veranstaltungen und Workshops gekommen, mit weit offenen Augen und offenem Herzen, gierig nach Wissen, nach neuen Entdeckungen und Erfahrungen. Ein fruchtbarer Boden, um das Feuer der Erkenntnis anzuzünden! In Italien geniessen wir ebenfalls das südliche Temperament der Menschen. Hier lebten übrigens die Vorsokratiker: Parmenides, Empedokles, Pythagoras … Von Neapel waren auch Giordano Bruno, Giambattista Vico und viele andere Philosophen, Dichter und Musiker. Cogito ergo Sud! Es gibt hier eine jahrtausendelange philosophische Tradition, mit der wir uns sehr verbunden fühlen. Ausgerechnet an diesen Orten hat übrigens Parmenides seine «Seinsphilosophie» konzipiert. Die Weisheitsbotschaften der Mythen und der vorsokratischen Philosophie sind hier noch zu spüren, in der Natur, in den Felsen, in den Landschaften …

Inwieweit erfüllt euch das, was ihr jetzt macht, an dem Ort, wo ihr jetzt seid?

LS: Wir fühlen uns nun hier sehr wohl. Wir fühlen uns «angekommen». Nicht nur, weil ich selber Italiener bin und nach fast zwei Jahrzehnten im Ausland, wieder in der «Heimat» bin. Es geht eher um eine tiefere, archaische Verbindung mit dem Süden Italiens, mit dem Magna Grecia, mit dem «Grossen Griechenland», mit den hiesigen mythischen Landschaften, mit dem Meer, den Wäldern, den Vulkanen … Wir wollen also im Süden bleiben. Nach vielen «Wanderjahren» ist es uns nötig, endlich Wurzeln zu schlagen. Als Mary Bauermeister hörte, dass wir Deutschland verlassen wollten, unterstützte sie sofort unser Vorhaben, sie sagte: «Ihr gehört dem Süden!». Wir spüren, dass wir hier etwas zu tun haben. Die Orte, wo wir arbeiten und wirken, sind uns sehr wichtig. In Deutschland haben wir lange Zeit in Kürten, ländlich, im Dorf von Karlheinz Stockhausen und der «astronischen Musik», gewohnt: Es war eine sehr produktive Zeit, mehrere Bücher sind dort geschrieben worden und viele neue Ideen und Projekte entstanden …

SH: … aber wir haben in Neapel erkannt, dass wir jetzt am richtigen Ort sind. Und dies gilt auch für mich, auch wenn ich nicht Italienerin bin, fühle ich mich hier im Süditalien ebenfalls zu Hause. Wir sind immer sehr viel gereist, haben aber im Moment sehr wenig Reiselust, weil es hier unglaublich viel zu entdecken und zu tun gibt.

LS: Neapel ist ein Kosmos an sich, eine buchstäblich magische Stadt, und sie befindet sich inmitten von zwei Gegenden, die uns sehr am Herzen liegen: die Campi Flegrei und der Cilento. Idealerweise möchten wir diese zwei herrlichen Gegenden durch den kosmopolitischen élan des theatrum phonosophicum miteinander verbinden, dieser Raum soll unser Wirkungsfeld sein. ♦

von Lilly Gebert

***

Am Festival PHONOSOPHIA (21. bis 23. Juni 2024 in Attigliano, Italien) findet eine Vielzahl an Performances, Diskussionen, Klangspaziergänge, Workshops und kreative Retreats statt, an denen international führende Persönlichkeiten der künstlerisch-kulturellen Szene teilnehmen. Zum Programm (auf Italienisch und Englisch).

Shushan Hyusnunts (*1989) ist Musikwissenschaftlerin und Klangkünstlerin.

Leopoldo Siano (*1982) ist Musikphilosoph und Sound-Aktionist.


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Ein Unternehmer auf Wolke sieben

Interview mit Thomas Becherer

Herausforderungen nimmt er mit offenen Armen an. Sein Credo lautet: Visionsumsetzung und inneres Wachstum statt Stillstand und Bequemlichkeit. Thomas Becherer hat in Windeseile die Onlineplattform Conscious:Love auf die Beine gestellt. Im Interview erklärt der 43-jährige Unternehmer, was eine bewusste Partnerschaft ausmacht.

In Thomas´ Dachwohnung ist es wohlig warm. Das Feuer knistert im Cheminée; entspannte Klaviermusik läuft im Hintergrund; auf dem Couchtisch stehen Schälchen mit allerlei salzigen und süssen Knabbereien. Thomas hat sich gut vorbereitet. Es ist kein Zufall, dass er mir unter anderem «Sugus» und Grüntee offeriert. Er hat im Internet gelesen, dass ich nach diesen Kaubonbons und dieser Teeart «süchtig» sei.

Die Info aus dem Netz traf vor sechs Jahren noch zu – heute ist sie alles andere als aktuell. Auch Thomas führte vor sechs Jahren ein anderes Leben. Er war einer dieser geschniegelten Anzug-Männer – Unternehmensberater, geschäftlich viel auf Reisen. «Damals fand ich den Business Lifestyle ‹voll geil›», gesteht der 43-Jährige, der heute sein eigenes Unternehmen, die Conscious Life AG, führt. Kerngeschäft ist die Onlineplattform Conscious:Love (s. Infobox), die verschiedene Bereiche wie Dating, Freundschaft, Events und Podcasts vereint.

Thomas studierte ursprünglich Chemie, entschied sich nach seinem Abschluss aber, noch den Master of Business Administration zu machen. Aufgewachsen in der Nähe von München, kam der Deutsche 2016 in die Schweiz, wo er als Unternehmensberater diverse Projekte leitete, unter anderem für einen führenden Schweizer Medienkonzern. Anfang 2019 wagte Thomas den Sprung ins kalte Wasser: Er stieg aus dem «Angestelltensystem» aus und gab dem Leben so die Chance, ihm zu zeigen, was es noch für ihn geplant hat, wie auf der Website der von ihm gegründeten Plattform Conscious:Love zu lesen ist. Als er nach dem Austritt erst mal in Urlaub ging – vier Wochen Fuerteventura –, hatte er eine Erkenntnis: «Auch wenn ich alles erreicht habe, was ich wollte, war ich unglücklich – wahres Glück kommt eben von innen, nicht von aussen.»

Mit der Umsetzung der Onlineplattform, die anfangs Impffrei Love hiess, begann Thomas im Frühling 2021. Innert sechs Wochen stellte er die Website auf die Beine. «Ich arbeitete zum Teil bis zu 16 Stunden pro Tag; oft war ich so im Flow, dass ich bis spät in die Nacht produktiv war.» Schon vor der Corona-Zeit realisierte der 43-Jährige Projekte, bei denen es darum ging, «bewusste Menschen», die Alternativen aufbauen wollen, zusammenzubringen.

Übrigens: Thomas hatte im Laufe der Zeit auch ein Profil auf Conscious:Love erstellt: Nach einer langjährigen Beziehung war er wieder Single – «die Trennung hat mich ganz schön durchgeschüttelt». Während des Verarbeitungs- und Heilungsprozesses habe er seinen Blick nach innen gerichtet und so viel über sich selbst gelernt.

Von emotionalen Herausforderungen nach dem Ende einer intensiven Beziehung handelt auch das Lied «Another Love» von Tom Odell. In diesem heisst es: «I want to learn to love, but all my tears have been used up.» Der Song erzählt die Geschichte eines Mannes, der nicht mehr richtig lieben kann, weil seine vorherige Beziehung all seine Liebe aufgebraucht hat. Daheim auf Thomas´ Klavier liegen die Noten dieses Liedes. Er hat sich das Klavierspiel mit Videos selbst beigebracht und spielt das Instrument nun seit gut einem Jahr, wie er beiläufig erzählt.

Während andere sich nicht aus ihrer Komfortzone bewegen, nimmt der Unternehmer neue Herausforderungen mit offenen Armen an – Visionsumsetzung und inneres Wachstum statt Stillstand und Bequemlichkeit, lautet sein Credo. «Entscheidend ist, was du in die Welt bringst», sagt er und zitiert Steve Jobs: «Ich möchte eine Delle ins Universum schlagen.»

«DIE FREIEN»: Lieber Thomas, Datingplattformen werden in Zeiten von Tinder und Co. in erster Linie mit oberflächlichen Begegnungen und schnellem Sex in Verbindung gebracht. Deine Vision ist es, «bewusste und aufgewachte Menschen» zu verbinden, sodass «tiefgründige und authentische Begegnungen, bewusste Partnerschaften» entstehen können. Was verstehst du unter einer «bewussten Partnerschaft»?

Thomas Becherer: Meiner Ansicht nach gibt es fünf Punkte, die eine bewusste Partnerschaft ausmachen. Eine bewusste Partnerschaft fängt bei der Beziehung zu dir selbst an. Es geht um Fragen wie: Akzeptierst du dich so, wie du bist? Lebst du im Einklang mit dir selbst? Bist du ehrlich zu dir? Selbstreflexion, -fürsorge und -liebe spielen bei diesem ersten Punkt eine wichtige Rolle. Die eigenen Themen werden aufgearbeitet, um Klarheit zu schaffen. Welche Traumata trägst du noch mit dir herum? Was triggert dich in Beziehungen, und weshalb? Kennst du deine Verhaltensmuster? Welcher Beziehungstyp bist du? Es geht also darum, die volle Verantwortung für dein eigenes Leben und Wohlbefinden zu übernehmen.
Bei einer Partnerschaft, die aus dem Zustand des Mangels und der Bedürftigkeit entstanden ist, wird die Verantwortung für die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse, für das eigene Glück an die Partnerin oder den Partner abgegeben. Damit verbunden sind Projektionen und Erwartungen. Erfüllen sich Letztere nicht, geht das Drama los: Man fühlt sich nicht geliebt, ist enttäuscht und unglücklich. Bist du im Reinen mit dir, kannst du mit ganz anderen Startbedingungen eine Partnerschaft eingehen. Taucht in der Beziehung ein Thema auf, welches in dir etwas auslöst, weisst du, dass es in den meisten Fällen mit dir und nichts mit deinem Partner zu tun hat, denn er ist ja der Spiegel deines Selbst. Natürlich lässt sich so nicht alles rechtfertigen – narzisstisches Verhalten, Missbrauch oder dergleichen sind davon sicher ausgeschlossen.

Kommen wir zum zweiten Punkt.

TB: Aus der eigenen Fülle und Liebe bist du bereit für die Beziehung zu zweit. Du und dein Partner können ein Feld von Geben, Schenken, Wohlwollen und Liebe öffnen.

Brauchen Paare, die eine bewusste Beziehung leben möchten, gemeinsame Ziele?

TB: Ja, gemeinsame Werte, Visionen und Ziele sind sehr wichtig. Was möchtest du mit deinem Partner gemeinsam aufbauen? Vielleicht wollt ihr eine Familie gründen. Aber was passiert, wenn die Kinder ausziehen? Habt ihr eine grosse Vision, die euch zusammenschweisst? Muss diese im Laufe eurer Beziehung angepasst werden? Geht ihr noch in dieselbe Richtung? Ich kenne viele Paare, die eine gemeinsame Vision, ein gemeinsames Projekt haben oder gar zusammen arbeiten. Es ist sehr schön zu sehen, wie das verbindet.

Nun fehlen noch die beiden letzten Punkte.

TB: Beim vierten Punkt geht es darum, die Illusion loszulassen und der Realität ins Auge zu sehen: Projizierst du vielleicht Hoffnungen in den Partner hinein? Oder baust du sogar eine Illusion auf? Um herauszufinden, ob dein eigenes Bild von der Realität abweicht, hilft es, immer mal wieder einen Schritt zurückzutreten – wie sieht das Ganze aus einer neutralen Position aus? Bist du dir bewusst, was der Realität entspricht oder was nur eine Illusion ist, kannst du dies über den fünften Punkt – die Kommunikation – deinem Partner offen und ehrlich mitteilen.

Das heisst, will man eine bewusste Partnerschaft leben, müssen auch unangenehme Wahrheiten aus- und angesprochen werden?

TB: Auf jeden Fall, denn gerade dies schafft Nähe und stärkt die Verbindung. Mit Kommunikationsritualen, etwa einem wöchentlichen Zwiegespräch, kann ein Einblick ins momentane Befinden des Partners gewährt werden. Dies sind die fünf Punkte, die aus meiner Sicht eine bewusste Beziehung ausmachen. Ich sehe darin grosses Potenzial, das Thema Partnerschaft in der aktuellen Zeit zu transformieren.

Deine Onlineplattform sei für Partner- und Freundschaft «fernab des Woke-Wahnsinns und Gender-Terrors», also «jenseits des Mainstreams und der Matrix», heisst es auf der Website von «Conscious:Love». Auf dieser erfährt man auch, dass täglich über 1000 Smileys zwischen Profilen verschickt werden. Seit der Gründung im Jahr 2021 wurden über eine Million Nachrichten versendet. Das klingt dann doch nach digitaler Fast-Food-Kommunikation und somit nach Mainstream …

TB: Die Zahlen sollen verdeutlichen: Hier ist richtig was los! Die Smiley-Funktion haben wir auf vielfachen Wunsch im Spätsommer 2023 eingebaut. Diese zusätzliche Option des Anschreibens macht die erste Kontaktaufnahme einfacher. Wenn etwa eine Nutzerin auf ein Profil stösst, das sie besonders anspricht, kann sie dieser Person ein lachendes Smiley schicken. Lächelt die Person zurück, entsteht ein Match.

Selbstarbeit, innere Heilung und persönliche Weiterentwicklung: Solchen Themen widmet sich dein Podcast, der auf YouTube rund 3000 Abonnenten zählt. Mit deinen Gesprächspartnern unterhältst du dich etwa darüber, wie man Bindungsängste auflösen oder eine bewusste Sexualität leben kann. Bei mittlerweile fast 80 Gesprächen konntest du dir bestimmt viel Wissen aneignen – erzähle von einem Aha-Erlebnis.

TB: Der Podcast ist für mich ein grosses Lernfeld. Ein Aha-Erlebnis hatte ich während des Gesprächs mit «SEOM» [deutscher Rapper im Bereich spiritueller Hip-Hop, Songwriter, Redner und Autor; Anm. d. Red.]. Er erzählte mir unter anderem, wie er seine jetzige Frau kennengelernt hat. Als er ihr zum ersten Mal begegnet sei, habe er eine so starke Anziehung gespürt, dass für ihn klar gewesen sei: Wow, das ist sie! Die Sache hatte jedoch einen Haken: Die Frau war damals bereits in einer anderen Beziehung. Dieser Umstand stellte für «SEOM» aber kein Hindernis dar. Er sagte ihr, wie toll er sie fände, und sollte sie irgendwann nicht mehr in der Beziehung sein, würde er sich freuen, sie kennenlernen zu dürfen. Nach eineinhalb Jahren trat dies schliesslich ein. Auf meine Frage, wie lange er bereit gewesen wäre, auf sie zu warten, antwortete «SEOM», er habe eben gewusst, dass sie die Richtige sei und sie eines Tages wieder frei sein werde. Dass man in einem so tiefen Vertrauen sein kann, hat mich zutiefst beeindruckt.

Wie geht es mit «Conscious:Love» weiter? Welche neuen Ideen möchtest du umsetzen?

TB: Mein Unternehmen trägt bewusst den Namen Conscious Life AG: Die Angebotspalette für bewusste Menschen ist breit gefächert, darin sehe ich viel Potenzial. Auf der Onlineplattform wird es bald einen neuen Bereich geben, die «Conscious:Academy». Ob Seminar, Workshop oder Referat: Wissen und Inspiration stehen hier im Fokus. Ausserdem möchte ich den Bereich Events ausbauen. Noch im ersten Halbjahr 2024 soll es für Nutzerinnen und Nutzer möglich sein, auf der Plattform kleine Events, wie beispielsweise einen Wanderausflug oder einen Grillabend, selber zu erstellen. Grössere Events organisiere ich selbst oder zusammen mit Partnern. Bedingung ist, dass sie thematisch zu «Conscious:Love» passen. Beispiele hierfür wären Themen wie bedrohte Männlichkeit und Weiblichkeit oder energetische Heilarbeit.

Hast du einen Herzenswunsch?

TB: Ich würde gerne ein Buch über das Thema bewusste Partnerschaft schreiben. Von der operativen Arbeit bei der Conscious Life AG möchte ich mich etwas freimachen – im vergangenen Jahr habe ich extrem viel gearbeitet –, damit ich wieder mehr Musse habe, neue Projekte anzustossen. Es ist mir wichtig, Freiräume zu schaffen – nur so kann Neues zu mir finden.

Auf der Website von «Conscious:Love» schreibst du: «Ich selbst hatte immer den Wunsch, eine bewusste und tiefgehende Partnerschaft zu leben (…).» Ist dieser Wunsch schon wahr geworden?

TB: Ja, ich habe mittlerweile eine wunderbare Frau an meiner Seite, und wir bauen eine bewusste Partnerschaft auf. Kennengelernt haben wir uns natürlich – wie könnte es anders sein – über «Conscious:Love».

Im Gegensatz zum Protagonisten des Liedes von Tom Odell möchte Thomas sich auf «Another Love» einlassen. Ein Unternehmer, der nach den Sternen und der Wolke sieben greift. ♦

von Luisa Aeberhard

***

Conscious:Love zählt rund 19´000 aktive Nutzer, die grösstenteils in Deutschland, der Schweiz oder Österreich leben. Aber auch Menschen aus Japan oder den USA sind unter anderem vertreten. Seit der Gründung im Jahr 2021 sind mehr als 150´000 Verbindungen zwischen den Profilen entstanden. Die Plattform ist werbefrei und finanziert sich ausschliesslich durch die kostenpflichtigen Premiumprofile für Datinginteressierte. Die Basisprofile sowie die Profile für die Freundschaftssuche sind dagegen kostenlos.

Die Onlineplattform wird von der Conscious Life AG betrieben, deren Gründer und Inhaber ist Thomas Becherer. Das Unternehmen mit Sitz im Kanton Zug arbeitet mit Partnern wie dem «Schweizerischen Verein WIR», dem Angebot von «Ja zum Leben» und dem Portal staatenlos.ch zusammen.


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Alles ist …

resonare

Wieso, fragt sich der Lateiner, lese ich ausgerechnet diesen Artikel? Aus purem Zufall oder steckt mehr dahinter? Bin ich ein schwingfähiges System, welches auf diese Worte widerhallt, stehe ich in Resonanz zu …? Führt mich mein Lebensweg geradewegs an genau den Ort und die Begebenheit, welche in meinem System ein Mitschwingen erzeugt oder kommt mir das Resonanzgesetz lateinisch vor?

Resonanz

Alles auf dem Lebensweg ist Resonanz. Was sonst ausser dieser? In der letzten Ausgabe kolumnisierte ich, «dass buchstäblich Alles, einschliesslich dem Ausschliesslichen (…) in Resonanz steht zueinander oder eben nicht». Dies scheint mir ein Hinweis zu sein, dass ich mich aller Wahrscheinlichkeit nach als Stimmgabel inkarniert habe. Voltaire sagte, kurz bevor er den Löffel abgab: «Ich glaube nicht an die Reinkarnation. Ich habe schon in meinem letzten Leben nicht daran geglaubt.» Mich spricht das an. Resonieren Sie auch damit? Dann scheinen Sie wie Voltaire ein aufgeklärter Geist zu sein. Doch wie ist es um den Geist selber bestellt? Was ist er und wer liess ihn aus der Wunderlampe?

Zeichen

Gibt es überhaupt einen Lebensweg? Ich lese die Zeichen, am liebsten die krummen! Ich stelle Fragen. Fragen hören mit einem Fragezeichen auf. Ganz im Gegenteil zu Aussagen, die mit einem Ausrufezeichen geradewegs von oben nach unten verlaufend in einem Punkt münden. Fragezeichen beginnen im Punkt, um sich dann in einer Spirale, die keinen Anfang und kein Ende hat, aufwärts durch die Unendlichkeit zu winden. Ist das zielführend?

Die Bibel belehrt uns. «Wer sucht, der findet.» Ist nicht vielmehr das Gegenteil der Fall? Wenn ich auf meinen Lebensweg zurückblicke, sehe ich eine Bibel im Kopfstand und lese: «Wer findet, der sucht nicht.» Dies scheint mir, was mich angeht, veritabel. Doch wie ist es um den Geist bestellt und gibt es überhaupt einen Lebensweg?

Geist und Erleuchtung

Die Lehre – manche sagen auch – die Leere vom Geist besagt: Der Geist ist unantastbar. Er ist unbewegt und immerwährend. Er hat keinen Anfang und kein Ende. Der reine Geist ist da, weil er niemals weg war. Wenn das so ist, gibt es dann Erleuchtung? Oder ist das nur ein weiterer Traum im Traum? Waren wir jemals wach? Ist Erleuchtung eine Illusion und der Tanz dieser Illusion schenkt uns die Illusion der Erleuchtung?

Theorie und Praxis

Es gibt eine Menge an Theorien. Unsere Welt ist voll davon. Eine Theorie beruft sich auf eine Theorie, die sich wiederum auf Theorien beruft. Illusion baut sich so zusammen. Jede Theorie ist ein Schlag ins Gesicht.

Ich streife den kuscheligen Pyjama des Traums, in dem ich meine Illusionen träumte, ab, sage allen Theorien und deren Experten und Priestern Adieu, wache auf und untersuche den Geist selbst. Was sagt der Geist dazu? Er sagt, dass man sich dabei vor Allem eins, nämlich nicht verbessern kann, denn man ist schon gut.

Spricht Sie das an? Oder nicht? In beiden Fällen hat das nichts mit dem Inhalt zu tun. Auch nichts mit der Form. Es ist … wahrscheinlich Resonanz. ♦

von Oliver Hepp


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

3med – Einblick in die integrative Medizin

Klassische Medizin oder Komplementärmedizin? 3med bietet das Beste aus beiden Welten und lädt Sie herzlich ein zur Eröffnung des neuen Gesundheitscenters in Liebefeld bei Bern! Vom 21. bis 23. Juni geben wir Ihnen Einblicke in die integrative Medizin mit ihren innovativen Technologien und Methoden. In diesen drei Tagen erwarten Sie spannende Vorträge und eine Podiumsdiskussion mit renommierten Gesundheitsexperten. Dazwischen können Sie das neue 3med-Center Liebefeld auf unseren Führungen oder auf eigene Faust erkunden.

Eines unserer Kernthemen: Anti-Aging – ein Begriff, in dem der alte Menschheitstraum von der Unsterblichkeit fortlebt. Ein wichtiges Gesundheitsthema einerseits und ein Tummelplatz für Werbung andererseits. Dr. Rüdiger Schmitt-Homm, Dozent für Präventivmedizin an der medizinischen Fakultät der Uni Dresden hat hierzu ein umfassendes Werk vorgelegt. Er wird uns am 22. und 23. Juni dazu Red und Antwort stehen. Prävention ist das Hauptanliegen des Autors: «Es muss viel mehr Mühe darauf verwendet werden, Krankheiten zu verhindern und so die leistungsfähige Lebensphase zu verlängern.» Besondere Beachtung findet das Hormonsystem, das wir mit verschiedenen Möglichkeiten vor den Folgen der Alterungsumstellung schützen können.

Jo Marty, ein international anerkannter Autor, Referent und Experte im Bereich der Komplementärmedizin, Biochemie und Gemmotherapie wird uns am 23.6. in die Welt der Vitalpilze einführen. Heilpilze haben ein grosses medizinisches Potenzial, sie können die Körpersysteme auf verschiedenen Ebenen unterstützen. Jo Marty wird in seinem Vortrag über die Anwendungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Hormonen, Krebs, Blutdruck, Gefässen und Immunsystem Auskunft geben.

Im 3med-Center Liebefeld können Sie diese zwei Grössen aus der Welt der Medizin persönlich erleben! Weitere Themen, über die Sie an unserer Eröffnung viel Wissenswertes erfahren können: Stoffwechsel, Wechseljahre, Männerhormone, Orthomolekularmedizin sowie Zellerneuerung mit IHHT (Hypo-Hyperoxie-Intervall-Training).

Im Rahmen der Eröffnung versenden wir Gutscheine zur Biophotonik-Analyse. Kontaktieren Sie uns gerne und besuchen Sie uns vom 21. bis 23. Juni 2024 im 3med-Center in Bern Liebefeld!

zum Programm

von 3med


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Stromgesetz

Salamitaktik zur Abschaffung der Gemeindeautonomie

«Die Mitspracherechte der Gemeinden werden nicht angetastet», wiederholt Bundesrat Rösti immer wieder. Der Bund spricht von der «Wahrung von Mitsprache- und Beschwerdemöglichkeiten», das Stromgesetz ändere «nichts an den demokratischen Mitsprachemöglichkeiten der Bevölkerung. Abstimmungen zu konkreten Projekten bleiben auch bei einer Annahme der Vorlage weiterhin möglich (Faktenblatt UVEK).

Diese Aussagen sind falsch. Das revidierte Energiegesetz enthält eine vom Bund und den grossen Medien bislang eisern verschwiegene Bestimmung (Art. 13 Abs. 3):

Erkennt der Bundesrat einer Anlage ein nationales Interesse (…) zu, so kann der Bundesrat zudem beschliessen, dass die notwendigen Bewilligungen in einem konzentrierten und abgekürzten Verfahren erteilt werden.

Konzentriert und abgekürzt heisst: Planungsverfahren auf kantonaler Ebene unter Ausschaltung der Gemeinden und möglicher Einschränkung der Rechtsmittel. Die Ermächtigung bezieht sich auf Anlagen, welche die erforderliche Grösse und Bedeutung für das nationale Interesse nicht erreichen – weniger als 20 Gigawattstunden pro Jahr, das sind Windparks mit in der Regel bis zu drei oder vier Windturbinen – und denen der Bundesrat trotzdem das nationale Interesse zusprechen kann. Bisher war das eine Ausnahmeregelung, neu wurde diese Einschränkung gestrichen. Allein in Zürich gibt es Stand heute 18 Eignungsgebiete für solche kleinere Windindustriegebiete, und es könnten noch mehr werden, wenn sich bei anderen Eignungsgebieten im Zuge der fortschreitenden Planung Einschränkungen ergeben.

Warum sollen gerade Windparks mit drei bis vier Turbinen besonders schnell und undemokratisch realisiert werden dürfen? Aus den Protokollen zur Beratung erschliesst sich der Grund. Die Bestimmung geht zurück auf einen Minderheitenantrag des ehemaligen Ständerats Knecht, der davon ausging, dass für grössere Anlagen bereits die Beschleunigungsvorlage vorgesehen ist und der mit seinem Antrag diese «Beschleunigung» auch für kleinere Solar- und Windparks haben wollte. Es war ihm wichtig, mit seinem Antrag «einen ersten Entscheid zugunsten von schnelleren Verfahren zu fällen».

Dieser Eingriff in die Demokratie auf kommunaler Ebene bei kleineren Windparks steht nicht alleine da. Der schrittweise Abbau der Gemeindeautonomie im Sinne der Salamitaktik ist schon länger im Gange.

«Nationales Interesse» als Hebel zur Durchsetzung von Windindustriegebieten

Neben der direkten Einschränkung der Gemeindemitbestimmung gibt es auch die indirekte. Begonnen hat diese mit dem Energiegesetz 2016. Um Windparks gegen den Willen der Bevölkerung und Gemeinden durchsetzen zu können, wurde ihnen ein «nationales Interesse» zuerkannt. Die Schwelle liegt bei einer Stromproduktion von 20 GWh jährlich. Das ist sehr niedrig, ist vergleichbar mit einem Kleinwasserkraftwerk und entspricht dem Jahresstromverbrauch von circa 2900 Personen. Durch das nationale Interesse erhalten die Anlagen höchstes Gewicht bei der Interessensabwägung und sind gleichwertig insbesondere zum nationalen Natur- und Landschaftsschutz.

Doch nicht genug damit, jetzt setzt das Stromgesetz noch einen drauf:

1. Die bisherige Richtplanung verlangt eine Interessenabwägung unter Einbezug aller Interessen – der kantonalen, kommunalen und lokalen Interessen. Neu bestimmt das Energiegesetz (Art. 12 Abs. 3):

Das nationale Interesse geht entgegenstehenden Interessen von kantonaler, regionaler oder lokaler Bedeutung vor.

Kantonale und kommunale Naturschutzgebiete, Biotope, Landschaftsschutzgebiete, Naherholung und Tourismus sollen bei der Richtplanung künftig nichts mehr zählen. Gemeinden dürfen über Mindestabstände oder Schutzzonen für Windkraftanlagen nicht mehr abstimmen, und wenn sie das trotzdem machen, dann werden die demokratischen Beschlüsse für ungültig erklärt.

2. Anlagen im nationalen Interesse erhalten neu grundsätzlich Vorrang vor allen anderen Interessen. Das geänderte Stromversorgungsgesetzes bestimmt für Solar und Windkraftanlagen, dass (Art. 9a Abs. 4 Buchst. c) (…) das Interesse an ihrer Realisierung anderen nationalen Interessen grundsätzlich vorgeht.

Das bedeutet, das sie praktisch immer gebaut werden können, sobald der Kanton ein Eignungsgebiet ausgewiesen hat. Einsprachen von Anwohnern und Umweltorganisationen haben kaum mehr Aussichten auf Erfolg.

Massiver Windenergieausbau schon heute geplant

Schon heute haben die Kantone Vorgaben vom Bund zum Ausbau der Windenergie und müssen im kantonalen Richtplan sogenannte «Eignungsgebiete» ausweisen. Die Folge ist eine massive Steigerung der Windenergie-Ausbauplanung. Der Kanton Zürich hat 2022 einen Richtplanentwurf mit 120 Windturbinen vorgestellt, St. Gallen einen Richtplan mit 92 Turbinen aufgelegt und Graubünden einen mit circa 130 Anlagen. Richtpläne sind behördenverbindlich und müssen von den Gemeinden umgesetzt werden.

Und so ist die Lage schon heute: Die Gemeinde Hemishofen (Kt. Schaffhausen) wehrt sich gegen einen Windpark und hatte sich geweigert, die kommunale Nutzungsplanung anzupassen. Daraufhin hatte ihr der Kanton ein Ultimatum gestellt und mit Ersatzvornahme gedroht.

In Rickenbach (Kt. Luzern) plant die Nationalrätin Priska Wismer-Felder auf dem Stierenberg einen Windpark. Die Gemeindebevölkerung will keine Windturbinen auf ihrem Hausberg und hat bereits zweimal mit deutlicher Mehrheit für eine Schutzzone gestimmt. Trotzdem hat der Kanton angekündigt, dass er die Schutzzone nicht anerkennen werde.

Im Kanton Zürich wurden bereits in über 30 Gemeinden Initiativen für einen Mindestabstand eingereicht, in zehn Gemeinden hat die Gemeindeversammlung schon zugestimmt, meist mit überwältigender Mehrheit. Baudirektor Neukom hat angekündigt, dass der Kanton diese demokratischen Beschlüsse nicht anerkennen wird.

Kantone entziehen den Gemeinden die Planungskompetenz

Eine weitere Methode zur Abschaffung der Gemeindeautonomie liegt im Entzug der Zuständigkeit für das Planungsverfahren. In den meisten Kantonen können heute Gemeinden über Windparks auf ihrem Gemeindegebiet abstimmen. Das soll jetzt geändert werden:

  • Im Kanton Luzern wurde ein neues Gesetz in erster Lesung beschlossen, das das Planungsverfahren auf kantonaler Ebene konzentriert und die Gemeinden dadurch entmachtet.
  • Im Kanton Zürich hat die Baudirektion angekündigt, das Baugesetz so ändern zu wollen, dass den Gemeinden die Zuständigkeit für Windparks entzogen wird.
  • In St. Gallen hat der Regierungsrat beschlossen, dass für Windparks kantonale Sondernutzungspläne zum Einsatz kommen, bei denen die Gemeinden nicht mitentscheiden dürfen.

Beschleunigungsvorlage

Weitere Abstriche an der Gemeindeautonomie sind schon im Anmarsch. Mit der Beschleunigungsvorlage hat der Nationalrat im Dezember 2023 beschlossen, dass die Kantone künftig für die Planung von Wind- und Solarparks zuständig sind und auch gegen den Willen der Gemeinden entscheiden dürfen. In der Sommersession wird die Vorlage im Ständerat behandelt.

Damit erweist sich zusammenfassend, dass das Stromgesetz ein wesentlicher Baustein in einer ganzen Reihe von Bestimmungen ist, mit denen die Gemeindemitbestimmung bei Anlagen für «erneuerbare» Energie komplett abgeschafft werden soll. Eine solche Änderung der bewährten Kompetenzaufteilung zu Ungunsten der Gemeinden verletzt das verfassungsmässige Prinzip der Subsidiarität und unterhöhlt das Fundament der Schweizer Demokratie. ♦

von Siegfried Hettegger

***

Siegfried Hettegger ist Präsident von Freie Landschaft Schwyz


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Autotraum – ausgeträumt?

Ein Auto bedeutet Freiheit. Zumindest gehörte es lange zu den heilsbringenden Versprechungen von materiellen Konsumwünschen. Wie der Fernseher oder der Kühlschrank galt das Auto während des «Wirtschaftswunders» in der Nachkriegszeit als Baustein eines guten Lebens.

Zunehmend wird das Auto als Feind wahrgenommen. Zu viele schädliche Emissionen: Lärm, CO₂. Antwort der Politik: 30er-Zonen, Dezibel-Beschränkungen, Abgasvorschriften.

Vorbei scheint die Zeit des Autos als Spassmobil, als aufregende gestaltungspotente Innovation, die jedes ästhetische und technische Bedürfnis zu befriedigen wusste. Das Auto hat seinen Nimbus der Unschuld verloren.

Am Auto lässt sich nachvollziehen, wie sich der Zeitgeist über einen bestimmten Zeitraum verändert. Es ist die materialisierte Form von Ideologie. Weitere  Beispiele sind Architektur, Mode oder Musik. Insofern kann das Auto stellvertretend für eine breite Entwicklung gesehen werden.

Magische Illusionen

Das SUV (Sport Utility Vehicle) scheint als einziger Fahrzeugtyp noch an Träume appellieren zu können. Der Name suggeriert Sportlichkeit und Geländetauglichkeit. Meistens sind solche Autos weder sportlich noch geländetauglich.

Doch sie sind ein erträgliches Geschäftsmodell für Hersteller: Wegen ihrer Massigkeit und ihrem Gewicht sind sie ressourcenintensiver im Unterhalt, belasten Strassen stärker, brauchen grössere Reifen, verursachen mehr Bremsstaub, erzielen höhere Durchschnittspreise.

Verkaufsargument: Übersicht durch höhere Sitzposition. Wirklich? Eher trifft das Gegenteil zu: Grosse Autos sind unübersichtlich. In seiner panzerartigen Erscheinungsweise soll es Durchsetzungskraft ausstrahlen, um sich im Verkehr mächtiger zu fühlen. Wenigstens auf der Strasse soll der soziale Aufstieg demonstriert werden. Die Selbstüberschätzung führt zu falschem Sicherheitsempfinden.

Die Bauform eines SUV entspricht der Quadratur des Design-Kreises. Sie führt zu einem Luftwiderstand eines Containers und soll – im Fall des SUV-Coupés – sportlich wirken. Aerodynamik bezieht sich jedoch auf Keilförmigkeit. Mit Marketing lassen sich semantische Widersprüche in magische Illusionen verwandeln.

Zeitlose Ikonen wie Citroën DS oder VW Käfer? Kaum ein Hersteller wagt ein Abenteuer, jegliche Formen offenbaren assimilierte Standards eines massentauglichen Universalgeschmacks. Innen wie aussen. Aussen ein Möchtegern-SUV, innen viel Klinisches. Die Bedienelemente erinnern eher an Smartphones.

«Smarte» Zukunft

Das Auto der Zukunft soll «smart» sein. Mithilfe künstlicher Intelligenz bereitet es ein komfortables Fahrerlebnis. Lästige Manöver wie Einparken werden überflüssig. Autofahren der Zukunft als supercool-smartes Sorglospaket.

All dies ist Ausdruck einer rationalistischen Denkweise, eines ökonomischen Prinzips, das wesentlich einem puritanischen Kalkül entspricht: kalt, seelenlos, unpolitisch. Doch das Verantwortungsproblem bleibt.

Das Auto der Zukunft soll niemandem mehr gehören («Carsharing») und dank digitaler Überwachungstechnologie den Einstieg für diejenigen blockieren, deren ökologischer Fussabdruck das Monatskontingent bereits überschritten hat.

Hauptsache es wird «grün». Denn angeblich herrscht Klimakrise. Und das Auto: auserkoren, die Welt zu retten. Besser gesagt: ihre Besitzer, durch «nachhaltigen» Konsum, damit das Genussdiktat nicht hinterfragt werden muss.

Ein «grünes» Auto ist ein gutes Auto, weil es vorgaukelt, von seinen ursprünglich gefährlichen Komponenten gesäubert zu sein. Man fährt ein Elektroauto, um etwas «Gutes» zu tun. Was tust du, um die Natur zu bewahren? Die Sinnfindung wird durch eine sentimentale Form der Identifikation auf das Auto projiziert. Die Werbung verkauft schon längst immaterielle Werte, die der Selbstverwirklichung dienen sollen. Die tatsächlichen Eigenschaften eines Autos wie Funktionalität oder Ausstattung sind dabei unwichtig geworden. Die Form des Blechs darf grotesk sein, solange die Energieeffizienz vermeintlich stimmt.

Unsterbliches Geheimnis

Mit der «richtigen» Haltung den Planeten retten: So «benutzerfreundlich» wie heute haben Menschen noch nie Probleme gelöst. «Nachhaltigkeit» ist das Gebot der Stunde. Tu nur noch das, was umweltverträglich ist. Schon die Kirche hat mit dem schlechten Gewissen gute Geschäfte gemacht.

Diese quasireligiöse Moral beeinflusst das Verhalten mannigfaltig. Dadurch erhalten scheinbar freie Handlungen unterschwellig eine noch strengere Anweisung. Selbstbestimmung entpuppt sich als aufgezwungener Glückskommunismus. Man macht etwas nicht nur für sich, sondern auch für ein kolportiertes höheres Gut.

Unmündigkeit ist unsexy. Gilt auch beim Autofahren. Man will nicht durch Technologie fremdgesteuert werden. Die Kulturpuritaner vergessen das oft. Es geht um Subjektivität, Kontrolle ist alles. Mit ihr ist die sinnliche Erfahrung des Autofahrens verknüpft. Ausserdem lebt mit der Kultur des Autos ein göttlicher Traum: die Allbeweglichkeit. Es sind diese auratischen Geheimnisse, die das «Auto» unsterblich machen. ♦

von Armin Stalder


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.