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Monat: Oktober 2023

Was ist eine gerechte Gesellschaft?

Zwiegespräch mit Marko Kovic und Titus Gebel

Titus Gebel ist erfolgreicher libertärer Unternehmer und fördert weltweit freie Privatstädte. Marko Kovic bekennt sich zum Sozialismus und ist als «Experte für Verschwörungstheorien» ein scharfer Kritiker der Bürgerrechtsbewegung. Wie sieht die Gesellschaft aus, die sie sich wünschen?

«DIE FREIEN»: Lieber Marko, lieber Titus, ihr habt beide sehr unterschiedliche politische Weltanschauungen. Wie stellt ihr euch eine lebenswerte Gesellschaft vor, und wie kann diese erreicht werden?

Titus Gebel: Eine lebenswerte Gesellschaft ist für mich gekennzeichnet durch das Motto «Leben und leben lassen», sodass jeder nach seiner Façon glücklich werden kann. Wir möchten alle in Frieden leben, wir möchten nicht totgeschlagen oder ausgeraubt werden – das will nicht mal ein Krimineller. Da haben wir alle eine hundertprozentige Übereinstimmung – bei allem, was darüber hinausgeht, nicht. Aber heute haben wir Systeme, in denen die Mehrheit entscheidet und die Minderheit zu Dingen zwingt, die sie eigentlich nicht möchte. Und dieses System wird natürlich gekapert von allen möglichen Interessengruppen, was zu einem permanenten politischen Konflikt führt, um die Mehrheit zu erringen, Gesetze zu verabschieden oder abzuwehren. Ich nenne das einen unsichtbaren Bürgerkrieg. Und das will ich nicht. Ich möchte, dass sich jeder auf das konzentriert, was er am besten kann, und das geht nur, wenn wir den Staat beschränken auf Schutz von Freiheit, Leben, Eigentum. Weil er, sobald er darüber hinausgeht, Missbrauch betreibt.

Wie kommen wir da hin?

TG: Schwierige Frage. Meine Erfahrung ist, dass die meisten das gar nicht wollen, das muss ich auch akzeptieren. Das Problem in der Demokratie ist, dass man den Wählern tendenziell immer mehr verspricht, um gewählt zu werden. Dadurch steigt die Staatsquote an und irgendwann sind so viele Leute und Unternehmen direkt oder indirekt vom Staat abhängig, dass das System nicht mehr reformierbar ist. Die Idee des schlanken Staats funktioniert in der Theorie, aber nicht in der Praxis. Deshalb denke ich, dass man sich komplett aus dem System rausnehmen und alternative Systeme von ausserhalb anbieten muss, aber ausschliesslich für Freiwillige. Ich habe mir so ein System überlegt: die Freie Privatstadt, in der wir anstelle des Staats alle Dienstleistungen privat erbringen. Wenn es Interessenskonflikte gibt, werden sie vor unabhängigen Schiedsgerichten ausserhalb unserer Organisation ausgehandelt. Es ist volle Vertragsfreiheit gegeben, sodass sich die Zivilgesellschaft spontan so entwickeln kann, wie sie das möchte. Aber man kann eben nicht andere dazu zwingen, nach seiner Pfeife zu tanzen. Auch dann nicht, wenn man die Mehrheit hat.

Wie weit sind diese Pläne fortgeschritten?

TG: In der Praxis ist es natürlich schwierig, denn man muss mit bestehenden Staaten verhandeln, die bereit sind, so ein Experiment durchzuführen. Das geht mit Staaten, die sowieso schon Sonderwirtschaftszonen haben und sich überlegen, so etwas auch für Bürger zu machen, sodass man dort auch wohnen kann. Es gibt seit einigen Jahren den Trend hin zu solchen Zonen, weil einige Staaten sich auch einen Wettbewerbsvorteil davon versprechen. Es ist aber noch ganz am Anfang und in der Schweiz eigentlich ausgeschlossen.

Marko Kovic: Du hast die Diagnose der Pathologie von einem zu grossen Staat, der sich plagt mit Partikularinteressen – das würde ich sogar ein Stück weit teilen. Aber habe ich richtig verstanden, dass du denkst, das ist die Konsequenz des demokratischen Systems an sich? Du denkst also nicht, dass eine Demokratie funktionieren kann ohne diese Pathologien? …

von Christian Schmid Rodriguez


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Robotokratie

Der Roboter «Sophia» von Hanson Robotics erklärte im Juli 2023 dem Publikum der «AI for Good Global Summit» in Genf: «Ich glaube, dass humanoide Roboter das Potenzial haben, effizienter und effektiver zu führen als menschliche Führungskräfte.» Daraufhin titelte der schwedische Wissenschaftler Jacob Nordangård: «Neue Agenda der Vereinten Nationen für Krieg und Robotokratie».

So ist ein neues Wort geboren, welches im Wortstamm die -kratie hat, von griechisch «die Herrschaft». Demokratie bedeutet «Herrschaft vom Volk ausgehend». In der Robotokratie hingegen soll das Volk durch Roboter oder Androiden, also hoch entwickelte Maschinenwesen ersetzt werden. Die Herrschaft der Maschinen. Es erinnert an den aufopferungsvollen Kampf eines John Connor gegen die zentrale Maschineninstanz Skynet im Film «Terminator» aus dem Jahr 1984. Was ist das Ziel der Robotokratie? Es ist nicht die Herrschaft der Maschinen, sondern letztendlich die Herrschaft über die Herrschaft der Maschinen. Denn Roboter bleiben seelenlose, gesteuerte Instrumente ohne Gewissen und Empathie. Ihre Intelligenz besteht nur aus Logik. Da sie weder über Gefühle noch Verantwortungsbewusstsein verfügen, sind sie eben nicht mehr als Werkzeuge, die stupide den Willen dessen ausführen, der sie programmiert. Dies gilt grundsätzlich auch für die sich selbst unbegrenzt verbessernde künstliche Intelligenz namens Seed AI.

So wie wir als Menschen Werkzeuge Gottes sind, der uns wohlwollend begleiten will und uns den freien Willen lässt, so sind die Roboter willenlose Werkzeuge in den Händen von Mächtigen, die andere Menschen beherrschen wollen – jedoch auf eine brutale, seelenlose, maschinelle Weise.

Robotokratie bedeutet digitale Diktatur, technologischer Totalitarismus, Ersatz des überflüssigen Menschen. Sie gipfelt im Transhumanismus im Sinne eines Yuval Harari, der den Menschen in einen roboterähnlichen Befehlsempfänger überführen will, der sich nicht mehr als von Gott nach dessen Ebenbild geschaffen erkennt, wie es in Mose 1:27 beschrieben ist: «Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde – nach dem Bilde Gottes schuf er ihn; als Mann und Weib schuf er sie.» Der Mensch, den Harari und seinesgleichen modellieren, ist nichts anderes als ein Sklave.

Wir sollten uns die Demokratie weder von Maschinen noch von ihren transhumanistischen Erfüllungsgehilfen aus der Hand nehmen lassen. Auch die Herrschaft von Menschen über Menschen ist voller Fallstricke und Gefahren, aber diese können wir zumindest definieren und die Herrschenden direkt zur Verantwortung ziehen. Wenn die Mächtigen nun Roboter in dieses Herrschaftssystem dazwischenschalten und sich fortan hinter der künstlichen Intelligenz verstecken, entziehen sie sich vollständig der Verantwortung – und wir verlieren jede Kontrolle. Der modernen Sklaverei wäre Tür und Tor geöffnet. Durch KI gesteuerte Einheiten, ob Mensch oder Roboter, sind nicht in der Lage, ihre eigene Versklavung überhaupt zu erkennen.

Die Transhumanisten, die diese Maschinen programmieren, sind korrupt und überheblich, sie können mit Menschlichkeit, Nächstenliebe und Seelensorge nichts anfangen. Entsprechend können auch ihre Roboter nichts mit diesen Begriffen anfangen. Möge Gott uns bewahren vor einer Robotokratie und der transhumanistischen Versklavung und uns stattdessen zur Freiheit führen, in der er uns als sein Ebenbild geschaffen hat. ♦

von Prof. Dr. Stefan Hockertz und Sylvia Theis


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Kommt überhaupt noch was Neues?

Es gibt Krieg, Hunger und Leid. Angesichts dessen kann man nicht von Fortschritt sprechen. Ist nicht viel wahrer, dass wir in einer «ewigen Wiederkunft des Gleichen» feststecken?

Kurt Gödel emigrierte 1940 von Wien in die USA und lernte dort schon bald den 27 Jahre älteren Albert Einstein kennen. Der Mathematiker und der Physiker schlossen schnell Freundschaft, die sich wesentlich darauf gründete, dass sie miteinander auf Augenhöhe kommunizieren konnten. Niemand sonst in ihrem Umfeld verstand sich darin, mit ihrem komplexen Denken mitzuhalten. Täglich spazierten sie gemeinsam zum Institute for Advanced Study in Princeton, an dem sie beide forschten, und später wieder zurück. Einmal soll Einstein gesagt haben, er komme überhaupt nur noch ans Institut, «um das Privileg zu haben, mit Gödel zu Fuss nach Hause gehen zu dürfen».

Während Einstein sich abmühte, eine «Weltformel» zu finden, kam Gödel durch zahlreiche Berechnungen zu folgender Erkenntnis: «In jedem Universum, das sich mittels der Relativitätstheorie beschreiben lässt, gibt es keine Zeit.» Damit bewies er nichts Geringeres als die Nichtexistenz der Zeit. Einstein war darüber sehr bestürzt, doch es gelang ihm nicht, Gödel zu widerlegen. Bis heute konnte das niemand. Trotzdem verhalten wir uns in Bezug auf die Zeit so, als hätte Gödel jenen Beweis nie erbracht. Nähmen wir ihn ernst, würden wir über Entwicklung gar nicht nachdenken können beziehungsweise anders. Denn wenn es keine Zeit gibt und also weder Vergangenheit noch Zukunft, dann gibt es keine Prozesse, keinen Fortgang, kein Nacheinander. Was aber geschieht, wenn ein Baum im Herbst seine Blätter verliert und die Haare bei Menschen im Alter ergrauen? Sind das denn nicht Zeichen der Zeit? Es ist jedenfalls etwas in Bewegung, doch wohin bewegt es sich eigentlich? Bewegung ist das Medium, mit dem und über das der Mensch die Welt erfasst und das ihn als Macher, als Gestalter definiert. Ob die Dinge dadurch besser oder schlechter werden, ist eine Frage des Blickwinkels – auf jeden Fall werden sie anders. Oder ist auch das ein Trug?

Kommt überhaupt noch was, also etwas Neues? …

von Sylvie-Sophie Schindler


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Auf der Frontlinie zwischen Gut und Böse

Wie soll man für den Frieden kämpfen? Darf die Verhinderung des Krieges zur Anwendung von Gewalt führen? Kann die Verteidigung der Gewaltlosigkeit sogar zum kriegerischen Kampf verpflichten? Wann verpflichtet das Gebot der Gewaltfreiheit zum Kampf? Und ist Abseitsstehen beim Kampf gegen das Böse in jedem Fall feige? Die Bhagavad Gita gibt Auskunft.

Friedfertigkeit ist eine Tugend. Die Summe aller Tugenden ist die Liebe. Liebe ist das göttliche Grundprinzip. Tugenden sind göttliche Eigenschaften. Mit jeder Tugend pflegen wir das Göttliche in uns. Das Göttliche ist unsere wahre Natur. Wir sind Geschöpfe Gottes. Unser Grundprinzip ist die Liebe. Leider befindet sich das Göttliche in uns in einem schlechten Zustand. Wie es dazu kam, ist eine sehr lange Geschichte. Diese beginnt vor der Entstehung unseres Universums, weit vor unserer Zeit, in der geistigen Welt. Davon berichten die alten Schriften. Davon berichtet die Genesis im ersten Buch Mose. Davon berichten die zoroastrischen Hymnen. Davon berichten Homers Epen. Davon berichtet das Sanskritepos Maha Bharata.

Das bekannteste Buch der über zweitausend Jahre alten Maha Bharata ist die Bhagavad Gita, der «Gesang des Erhabenen». Dieses poetische Werk handelt von der Tugend der Friedfertigkeit. Unter den altindischen Schriften ist die Bhagavad Gita die wichtigste und umfassendste Abhandlung über die Philosophie der Gewaltlosigkeit. Und sie ruft zum kriegerischen Kampf auf. Wie kann das sein? Liest man diese philosophische Schrift im Zusammenhang der Maha Bharata, beantwortet sie durch reine Logik die Fragen, wer wann, wie, unter welchen Umständen und mit welchen Mitteln zum kriegerischen Kampf verpflichtet ist und wer sich neutral oder passiv verhalten darf oder muss.

Dramatischer Höhepunkt

Die Bhagavad Gita beinhaltet im Wesentlichen eine Belehrung über die Philosophie der Gewaltlosigkeit aus dem Munde des hohen göttlichen Wesens Krishna. Die Lektion gilt dem jungen Bogenschützen Arjuna. Sie wird ihm erteilt auf dem noch grünen Schlachtfeld zwischen den beiden sich gegenüberstehenden Heeren, unmittelbar vor der Schlacht. Krishnas philosophische Unterweisung in Gewaltlosigkeit ist also literarisch kunstvoll eingebettet in einen Moment der Ruhe vor dem Sturm. Dieser hochdramatische Kontrast ist eine dramaturgische Meisterleistung und sagt einiges aus über die Bedeutung der Bhagavad Gita. Sie befindet sich im zentralen Schwebepunkt des Spannungsbogens über dem gesamten Epos Maha Bharata.

Dramaturgischer Kontrast

An diesem Punkt des Epos stehen sich zwei verschwisterte Clans im Krieg gegenüber. Auf der einen Seite stehen die Getreuen, welche das Gute bewahren, und auf der anderen die Abtrünnigen, welche die alte Ordnung zerstören, um eine neue zu schaffen. Arjuna führt die Guten an. Der göttliche Krishna dient dem tugendhaften, aber noch jungen Arjuna als Wagenlenker. Abgestützt auf die um einiges ältere vedische Schrift «Katha Upanishad» darf man diesen Dienst allegorisch verstehen. Krishna führt Arjuna geistig, indem er ihm hilft, seine Sinne – das sind die Pferde – durch das Bewusstsein – also die Zügel – zu lenken, damit sein urteilsfähiger Verstand – das ist der Wagenlenker – seinen Körper – also den Wagen – richtig durchs Leben führe.

Die Streitwagenallegorie

Auf Arjunas Bitte lenkt Krishna den Wagen zwischen die beiden sich gegenüberstehenden Heere. Allegorisch gesehen steht der grobstoffliche Körper nun auf der Frontlinie zwischen Gut und Böse. Die Schlacht hat noch nicht begonnen. Arjuna, dessen Bewusstsein noch von den grobstofflichen Sinnen beherrscht wird, beklagt, dass sich hier Verwandte, Freunde und Nachbarn in Feindschaft gegenüberstehen. Eher möchte er, der tugendhafte Held, sich kampflos ergeben und dem Feind unterwerfen, als zulassen, dass sich hier Brüder, Väter und Söhne gegenseitig auf dem Schlachtfeld töten. Er möchte lieber als Mönch im Wald meditieren oder als Gärtner den Garten pflegen, als hier diesen augenscheinlich so sinnlosen wie blutigen Kampf zu führen. Und er bittet Krishna um Belehrung.
Krishna ruft Arjuna in Erinnerung, dass er Krieger ist. In Friedenszeiten geniesst er die Freiheit, in Wald und Garten seine Reit- und Bogenschiesskünste zu üben, während die Mönche im Wald für ihn meditieren und die Gärtner für ihn den Garten pflegen. Aber jetzt ist diese friedliche Welt bedroht. Und während die anderen weiterhin meditieren und den Garten pflegen mögen, muss er, der Krieger, kämpfen, um die Freiheit der anderen zu verteidigen.

Daraus lernen wir immerhin schon mal, dass sich nicht immer alle zum Kampf verpflichtet fühlen müssen, sondern nur jene, die gerade «Krieger» sind und deren Pflicht es ist, die anderen zu verteidigen.

Die Lehre der Gewaltlosigkeit gebietet die Verteidigung der Schwachen

Der Kampf im Namen der Gewaltlosigkeit folgt dem Grundsatz, möglichst niemanden zu verletzen, nicht einmal den Gegner. Wenn ein Aggressor dich schlägt, weiche aus oder stecke ein, aber schlage nicht zurück. Im schlimmsten Fall wirst du getötet. Was soll´s? Du warst ein Vorbild für andere und wirst mit gutem Karma wiedergeboren.

Anders sieht es aus, wenn der Aggressor einen Schwächeren bedroht. Dann ist es deine Pflicht, dazwischenzugehen und anstelle des Schwächeren die Schläge einzustecken. In einem solchen Fall darfst du dich allerdings nicht mehr töten lassen, weil du dann einen Schwächeren schutzlos hinterlassen würdest. Hier beginnt die Selbstverteidigung. Sie dient nur als Schutzschild für Schwächere und darf nicht die Verletzung oder gar Tötung des Aggressors beabsichtigen. Um diese Anweisung zu verstehen, hilft eine Betrachtung des Aikido. Eine der Grundtechniken des Aikido besteht darin, die Angriffskraft so umzuleiten, dass der Angreifer durch seinen eigenen Schwung zu Fall kommt. Der Verteidiger setzt nur ein Minimum an Energie und damit keine Gewalt ein. Trotzdem kann sich der Angreifer verletzen, wenn seine Angriffsenergie gross genug ist. Je tödlicher die Angriffsenergie, desto gefährlicher für den Angreifer.

Auf eine moderne Verteidigungsarmee übertragen bedeutet das die Inkaufnahme toter oder verletzter Gegner im Fall eines potenziell tödlichen Angriffs. Bei der Landesverteidigung muss demnach die Verletzung oder gar Tötung fremder Truppen in Kauf genommen werden, sobald solche mit tödlichen Waffen eine Grenze überschreiten. Damit ist die Lehre der Bhagavad Gita natürlich bei Weitem nicht erschöpft. Aber dass unsere ehemalige Verteidigungsarmee mit den jüngsten Armeereformen zu einer potenziellen Interventionsarmee umgebaut wurde, zeigt, dass die Politik längst den Pfad der Tugend verlassen hat.

Etwas mehr Schrift- statt Aktenstudium würde guttun. Unser Zustand zeigt, wie weit wir uns von Gott entfernt haben. Der Weg zurück führt nur über Tugenden. Um dies zu verstehen, ist höhere Erkenntnis nötig. Denn wenn die Zügel mit den Pferden verwechselt werden, das heisst «wenn das Bewusstsein mit den Sinneseindrücken verwechselt wird, laufen die Sinne dahin wie Wildpferde». Die Folge ist, dass wir «Lust geniessen und Kummer erleiden» werden.

Aber wer nach höherer Erkenntnis sucht, wird sie finden, denn sie liegt weder in versiegelten Truhen vergraben noch hinter geheimen Türen verborgen, sondern offen in unzähligen Schriften vor uns. ♦

von Andreas Thiel


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Die Leiden der jungen Wörter

Nein, es ist kein Verschreiber, auch wenn Goethe und sein junger Werther den folgenden Text kaum ertragen würden. Lassen wir sie darum lieber in Frieden ruhen. Wer die Leiden der jungen Wörter und deren Symptome studieren möchte, muss sich nur in die Management- und Finanzliteratur der vergangenen Jahre vertiefen, sofern er das Imponier-Kauderwelsch verarbeiten kann. Mittlerweile scheuen sich diese Branchen auch nicht, sich am Hund zu vergreifen: Seit wenigen Jahren ist im Management häufig ein Begriff zu hören, den man bis dato nur vom Hundesport kannte: Agility. Agilität sei das Merkmal eines Managers, flexibel, dynamisch, antizipativ, proaktiv, initiativ und neukreativ. So viele leidende Wörter in nur einem Satz, was auf bereits fortgeschrittenes Leiden hindeutet.

Man machte sich in der Folge auf, total agil und benchmarkorientiert ganze Corporations zu restrukturieren, zu leanmanagen und underperformende Profitcenters downzugraden oder outzuplacen. Restrukturierung. Kein Stein bleibt auf dem anderen …

von Marco Caimi


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Vertrauen und ich

Plötzlich ist es sehr laut. Kalte Luft dringt herein. Der Geruch von verbranntem Kerosin. Die Stimmung ändert sich schlagartig, wenn auf viertausend Metern über Grund die Flugzeugtür aufgeht. Am deutlichsten bei den Tandem-Passagieren, die diese Situation zum ersten Mal erleben und jetzt realisieren: gleich ist es soweit. Die erfahrenen Springer, die gerade noch herumgeblödelt haben, konzentrieren sich auf den geplanten Exit. Letzte Kontrollen, um den festen Sitz der Griffe zu prüfen. Ungewollte, vorzeitige Schirmöffnungen können nicht nur Fallschirmspringer das Leben kosten, sondern auch Mitspringer gefährden und haben schon ganze Flugzeuge zum Absturz gebracht. Es geht um Leben und Tod und jede Menge Spass. Diese eigentümliche Mischung fasziniert mich immer wieder.

Ich liebe diese intensive Situation, kurz vor dem Exit. Fast mehr noch als den Freifall, bei dem wir gemeinsam Richtung Erde rasen. Beim «Tracking» fliegen wir gemeinsam eine zuvor abgesprochene Kurve. Wir nehmen mit unseren Körpern eine Haltung ein, die an ein Flugzeug erinnert und können so nicht nur einfach fallen, sondern nehmen auch richtig Vorwärtsfahrt auf. Ich komme mir oft vor wie in einer Kampfjet-Formation. Es gilt die Regel, dass man nah genug am anderen fliegt, wenn man sein Lächeln sieht. Wann sonst kann man einem Kumpel bei 250 Stundenkilometern einen High-Five gegeben? Und dabei legen wir richtig Strecke zurück; als ich es zu Beginn damit übertrieb, flog ich bis zur Kirche des Nachbarortes. Als ich meinen Schirm öffnete, wusste ich, dass ich keine Chance hatte zurückzufliegen, begann sofort die Suche nach einem alternativen Landeplatz und führte meine erste erfolgreiche Aussenlandung durch. Kuhfladen inklusive.

Momente der Wahrheit

Natürlich ist auch der Moment der Schirmöffnung immer speziell. Ich greife nach hinten, umfasse den Griff und werfe ihn in den mich umgebenden Wind. Am Griff ist eine Miniaturversion des Fallschirms angenäht, die sich mit Luft füllt und mit über 30 Kilogramm Zugkraft den Pin aus meinem Gurtzeug zieht, der meinen Fallschirm sicher verstaut hielt. Der Minifallschirm zieht weiter und holt den gefalteten Schirm aus der jetzt offenen Packung. Während sich die Kammern des Hauptschirms mit Luft füllen, werde ich unsanft von meiner Flugposition aufgerichtet und hänge schliesslich am geöffneten Schirm. Der ganze Prozess dauert etwa vier Sekunden, bei denen ich rund 200 Höhenmeter verliere. Das von Laien oft befürchtete Szenario vom sich nicht öffnenden Fallschirm gibt es eigentlich nicht. Man müsste eine ganze Reihe von Fehlern machen, damit sich weder der Hauptschirm noch die Reserve öffnet. Doch schlechte Öffnungen, die gibt es durchaus. Statistisch kommt es bei einer von Tausend Öffnungen zu einer Fehlfunktion, und die sind oft schlechter, als wenn sich der Schirm gar nicht öffnen würde. Vom einfachen Twist, bei dem sich die Leinen zwischen Gurtzeug und Fallschirm verdrehen, über den sehr unangenehmen Leinenüberwurf bis zum gefürchteten Hufeisen haben alle Fehlfunktionen etwas gemeinsam; es wird hektisch.

Alle Springer haben den Umgang mit diesen Szenarien geübt und sollten in der Lage sein, schnell zu erkennen, welches Problem vorliegt und was zu tun ist, um sicher landen zu können. Doch zwischen Himmel und Erde ist alles anders, hier ist nicht nur das Wissen entscheidend, sondern vor allem das, was wir «Kapazität» nennen: Die Fähigkeit, wohlbekanntes Wissen in einer extremen Stresssituation zu erinnern und umzusetzen. Erkenne ich das Problem mit meinem Hauptschirm? Kann ich das Problem schnell genug lösen oder greife ich auf meine letzte Option zurück und leite das Notschirmprozedere ein? Diese Entscheidungen müssen getroffen werden, während der instabil geöffnete Schirm enorme G-Kräfte entwickelt und mit atemberaubender Geschwindigkeit nach unten dreht. Wer solche Situationen aus sicherer Distanz miterleben möchte, findet unter dem Stichwort «Friday Freakouts» viele spannende YouTube-Videos solcher Situationen.

Spätestens auf 500 Metern über Grund muss die Entscheidung gefällt sein: Kann ich das Problem mit dem Hauptschirm lösen oder werfe ich ihn ab und ziehe den Reserveschirm? Wer unter 300 Metern über Grund noch zu schnell fällt, wird von einem Mini-Computer gerettet, der konstant Höhe und Fallgeschwindigkeit misst, nötigenfalls bei der eingestellten Höhe mit einer kleinen Sprengladung den Pin der Reserve löst und so den Notschirm automatisch öffnet. Selbst wer bei einem Zusammenstoss das Bewusstsein verliert, landet deshalb an einem offenen Schirm. Wie und wo ist dann natürlich eine andere Frage. Diese Öffnungsautomaten haben schon Tausenden Springern das Leben gerettet. Doch wer zu lange mit einer Fehlfunktion des Hauptschirms hadert, riskiert das Szenario, das ich am meisten fürchte: An zwei geöffneten Schirmen zu hängen, weil die Fallgeschwindigkeit am schlecht geöffneten Schirm so hoch war, dass der Öffnungsautomat die Reserve rausgeschossen hat. Zwei offene Schirme sind nicht doppelt sicher, sondern eine brandgefährliche und schwer zu kontrollierende Situation, die oft tödlich endet. Doch die meisten tödlichen Unfälle beim Fallschirmsport ereignen sich unter einem perfekt geöffneten Schirm aufgrund menschlichen Versagens; meist sind es falsche Manöver in geringer Höhe.

Statistik und Urvertrauen

In gewisser Weise sind alle dies Szenarien immer mit dabei, in jenem Moment auf 4000 Metern, wenn wir die Tür öffnen und sich die Stimmung so schlagartig ändert. Vor anderthalb Jahren machte ich die Ausbildung zum Fallschirmspringer, mittlerweile habe ich etwas über 300 Sprünge in meinem Logbuch. Bleiben theoretisch noch 700 bis zur statistischen ersten «Malfunction». Weshalb springe ich aus dem Flugzeug, trotz aller unbestrittenen Risiken? Natürlich hat das mit Vertrauen zu tun: Vertrauen in das hochentwickelte Qualitätsmaterial und Vertrauen in mich, dass ich in den entscheidenden Sekunden die richtigen Entscheidungen fällen werde. Aber es ist ein noch tieferes, noch grundlegenderes Vertrauen, nicht eines, das mich glauben lässt, dass mein Überleben garantiert ist. Sondern eines, welches mein Überleben nicht voraussetzt. ♦

von Michael Bubendorf


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Zwei Jahre nach der grossen Demo

Am 23. Oktober 2021 bewegt sich einer der grössten Demonstrationszüge in der Geschichte der Schweiz in Bern. Volle Gassen und Plätze vom Münster bis hoch zum Bundesplatz vor die Nationalbank. Niemand kann sie zählen, die vielen Tausend Menschen aus allen Schichten unserer Gesellschaft. Ein Nein zu unserer Regierung, unseren Parlamenten, den meisten Medizinern und zu unseren Ämtern. Die Ja-Sager zu all den Verbrechen der letzten Jahre sucht man in der Berner Altstadt an diesem Tag vergebens. Keiner der Verantwortlichen steht Red und Antwort.

Wir schreiben Oktober 2023. Zwei Jahre sind vergangen seit der Demo in unserer Bundeshauptstadt.

Und nun? Zähnefletschend grinsen sie uns an, von Plakatwänden herunter und auf Flugblättern. Sie spotten wieder rechthaberisch über uns, ohne Einsicht, Bedauern oder Demut, dafür mit viel Vergesslichkeit und Arroganz. Sie haben uns damals als Covid-Idioten verleumdet, uns die Pocken an den Hals gewünscht und uns unserer Freiheit beraubt. Sie haben unsere Eltern und Grosseltern einsam sterben lassen, ohne unsere tröstend haltenden Hände. Sie haben Tausende Kinder ihrer Zukunft beraubt und in die Depression getrieben. Sie belügen und betrügen, berauben und bestehlen uns weiter im Solde irgendwelcher Geldgieriger hier und irgendwo. Wir sollen nicht erfahren, wohin unsere Löhne und Renten fliessen und warum unser Geld immer weniger wird.

Und sie alle waren sich des Unrechts immer bewusst, von Anfang an.

Es ist das erste Mal seit ich wählen soll, dass ich keine Wahl habe. Früher wählte ich das kleinere Übel und habe dabei Leute wie einen Alain Berset und seine Entourage erhalten. Nun habe ich alle meine Wahlzettel und die verlogenen Prospekte ins Altpapier geworfen und denke an die Bäume, die ihr Leben für diese Leute lassen mussten. Ich habe meinen Glauben an die Demokratie verloren.

Und dabei denke ich wieder an die Worte von Yoki in ihrem «Vergeben». Hört´s euch an, bevor ihr wählen geht. ♦

von Herbert Schweizer


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Krieg, Frieden und die Menschheitsfamilie

Dr. Daniele Ganser im Gespräch mit Dr. Marco Caimi

Sei es Ukrainekrieg, 9/11 oder Corona – Dr. Daniele Ganser spricht unbequeme Wahrheiten aus und ist deshalb vielen ein Dorn im Auge. Der erfolgreiche Historiker über die Manipulation der öffentlichen Meinung und das Engagement für den Frieden in Zeiten der Kriegstreiberei.

Marco Caimi: Herzlich willkommen, Daniele Ganser. Du bist nicht nur Referent, sondern auch Buchautor von vier Bestsellern. Du polarisierst sehr stark, «20 Minuten» hat sogar geschrieben, du würdest Lügen erzählen. Was legitimiert dich dazu, «Lügen» zu erzählen?

Daniele Ganser: Es sind keine Lügen, sondern meine Analysen des Ukrainekrieges, die immer wieder schlechte Presse geben. Mein Background ist, dass ich Historiker bin, ich habe eine Doktorarbeit geschrieben über NATO-Geheimarmeen, habe in Basel promoviert, interessiere mich für internationale Politik und habe mich spezialisiert auf verdeckte Operationen der USA. Ebenso habe ich beschrieben, dass die USA 2014 einen Putsch in der Ukraine gemacht haben. Ich nehme an, das ist es, was «20 Minuten» mit Lügen meint. Solche Artikel sind oft diffamierend, da keine Gegenargumente aufgeführt werden.

Ein Begriff, der immer wieder in deinen Ausführungen vorkommt, ist der der Menschheitsfamilie. Was verstehst du darunter?

DG: Alle acht Milliarden Menschen. Ich habe festgestellt, dass in der Geschichte immer wieder Spaltungen aufgetreten sind, Spaltungen in eine sogenannte «Ingroup» und eine «Outgroup». Die Outgroup wurde zuerst verfolgt und dann getötet. Unter Pol Pot in Kambodscha hat man zum Beispiel gesagt, die Oberschicht muss getötet werden. Um herauszufinden, wer zur Oberschicht gehört, hat man festgelegt, dass die, die eine Brille tragen, lesen können, und wer lesen kann, gehört zur Oberschicht. Daraus folgte ein Genozid. Oft ist es das gleiche Muster: Bevor es zu einem Kampf kommt, werden zwei Gruppen gebildet, die sich gegenseitig abwerten. Und genau das versuche ich mit dem Begriff und Modell der Menschheitsfamilie zu verhindern …

von Marco Caimi

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Marco Caimi ist Arzt, Kabarettist und Publizist.

Daniele Ganser ist Historiker, Friedensforscher und Buchautor.


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Warum Sie nicht an einen totalen Zusammenbruch glauben sollten

Es gibt eine grosse Anzahl von Menschen, die auf einen umfassenden, apokalyptischen Zusammenbruch des westlichen Systems warten. Ich behaupte, dass es nicht dazu kommen wird. Und ich hoffe, Sie davon überzeugen zu können, dass ich recht habe.

Das gegenwärtige Risiko ist ein langer, stetiger Rückgang der Lebensqualität, nicht eine Apokalypse. Natürlich wäre eine Apokalypse dramatisch reizvoll: In der Apokalypse bricht alles Verkommene zusammen, alle Geheimnisse werden aufgedeckt, die Wahrheit kommt ans Licht, und wir haben am Ende recht. Das gibt ein ganz schön dramatisches Drehbuch für einen Film ab, aber das wird so nicht passieren in der modernen Welt.

Damit will ich nicht sagen, dass der aktuelle Zustand erhalten bleibt – das wird er nicht. Er wird in die Geschichte eingehen, wie die mächtigen Pharaonen oder das ewige Rom und allenfalls kurz betrauert werden. Die Gründe, weswegen wir – jenseits der Kriegsgebiete – keinen totalen Zusammenbruch erleben werden, sind einfach …

von Paul Rosenberg

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Paul Rosenberg beschäftigt sich seit der ersten Cypherpunk-Ära intensiv mit Kryptografie. Er ist Co-Autor eines Grundlagenpapiers über private digitale Volkswirtschaften und betreibt den anarchistischen Blog Free-Man’s Perspective.


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Krampfhaft am Puls der Zeit?

Die Schule ist bemüht, den Anforderungen des Lebens gerecht zu werden, was bei raschen Veränderungen leicht zu einem «Reformstau» führen kann. Bei vielen Lehrerinnen und Lehrern – meinen Kolleginnen und Kollegen – stellt sich nach und nach ein mir durchaus verständlicher Überdruss ein. Viele sehnen sich danach, einfach wieder einmal so zu unterrichten, wie sie es – als Fachkräfte – für richtig und zeitgemäss halten. Manche fühlen sich bevormundet und in ihrem Schulalltag mehr gestört denn unterstützt oder gar gefördert.

Die ausufernde Bürokratisierung in nahezu allen Lebensbereichen, so auch in der Schule, entpuppt sich mehr und mehr als Übel, das wie ein Krebsgeschwür unkontrolliert wächst. Lehrpersonen berichten mir heute, dass sie nach getaner Arbeit – nebst Nach- und Vorbereitung des Unterrichts – auch noch eine Stunde oder mehr damit verbringen, detaillierte Beobachtungen zu einzelnen Kindern am Computer einzutragen. Über jedes Kind, seine Taten und Untaten, sein Verhalten, seine Leistungen und sein Versagen muss Buch geführt werden. Man weiss ja nie! Sollten Eltern Einwände oder Kritik anmelden, muss mithilfe umfänglicher Dokumentierung darauf reagiert werden können.

Dieses krampfhafte «dem Puls der Zeit» gerecht werden könnte aber in die Irre führen. Ich will an einem Beispiel deutlich machen, was ich meine.

Im Silicon Valley, der Hochburg der weltumspannenden Digitalisierung, leben naturgemäss viele Kinder, deren Eltern in der Computerbranche tätig sind. Was erstaunen mag: Die meisten schicken ihre Kinder nicht in staatliche Schulen. Ausgerechnet in dieser Gegend schiessen seit Jahren Alternativschulen wie Pilze aus dem Boden. So etwa auch eine ganze Reihe von Rudolf Steiner Schulen. Warum?

Menschen, die ihre Arbeitskraft in die Entwicklung digitaler Systeme stecken, legen grossen Wert darauf, dass ihre Kinder – Achtung! – bis zur Vollendung ihres zwölften oder gar vierzehnten Lebensjahres vom Kontakt mit der ganzen Palette elektronischer Geräte (Handy, Laptop, Tablet usw.) bewahrt bleiben.

Wenn man sich nach ihren Motiven erkundigt, erhält man Antworten wie: Das Gefahrenpotenzial (Sucht) übersteigt bei Weitem den pädagogischen Nutzen. Oder: Das zu frühe Eintauchen in diese künstliche Welt entfernt die Kinder vom unmittelbaren Leben. Oder: Kinder lernen, wenn sie sich körperlich bewegen – nicht, wenn sie sitzend einen Bildschirm anstarren. Oder: Der verfrühte Umgang mit technischen Geräten kann die natürliche Entwicklung der Kinder nachhaltig behindern. Ihre Argumente sind durch unzählige Untersuchungen weltweit längst belegt. Erste Länder haben dieser unseligen Entwicklung auch schon den Rücken zugekehrt. Warum hören wir nicht auf sie?

Wenn ich nach dem pädagogischen Nutzen der teuren Geräte im Unterrichtsalltag frage, erhalte ich auch hierzulande ein resigniertes Schulterzucken. Im Sinne von: Das auch noch! Wozu überhaupt? Uns hat niemand gefragt. ♦

von Daniel Wirz

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Daniel Wirz ist Erwachsenenbildner, Buchautor, Vater von fünf Kindern und war 20 Jahre als Lehrer und Mitbegründer an einer Rudolf Steiner Schule tätig.


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