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Monat: Oktober 2023

Eine Quelle, der er vertraut

Zwei Jahre lang widmete sich der Künstler Ferdinand Gehr ausschliesslich dem Nachdenken – in dieser Zeit der Introspektion wurde angelegt, was er während der folgenden 70 Jahre entfalten konnte.

Vom Werk des Malers Ferdinand Gehr (1896 – 1996) kennen viele die Bilder von Blumen und Äpfeln, da sie hunderttausendfach als Postkartenmotive verwendet wurden. Diese Aquarelle zu malen, bezeichnete Gehr einmal als sein «Hobby». Eindrücklicher wirken seine Landschaften (erdnahe oder auch traumhafte), Porträts, Farbholzschnitte, Glas-, Wand- und Tafelbilder, in denen Mystisch-Überzeitliches sich mit Naturhaftem verbindet.

Die Kontinuität seines während sieben Jahrzehnten entstandenen Schaffens war ihm auch deshalb möglich, weil seine Frau Mathilde (1907 – 1986) ihm alles abnahm, was nicht unmittelbar mit seiner künstlerischen Tätigkeit zu tun hatte. Zudem stand ihm, ab 1961, das erstgeborene seiner fünf Kinder, die Tochter Franziska, bei der Ausführung zahlreicher Wand- und Deckenbilder als Assistentin zur Seite. Auch seine Wandteppiche von zum Teil riesigem Format wurden von ihr ausgeführt.

Sie, die Textilkünstlerin Franziska Gehr (*1939), öffnete mir an einem unvergesslichen Sommertag das Atelierhaus in Altstätten. Ich durfte dort Werke ihres Vaters fotografieren, und mir von einer sehr speziellen Phase in seinem Leben erzählen lassen.

Zwischen 1924 und 1926 schien Gehr unproduktiv zu sein. Die Eindrücke vom modernen Kunstschaffen, die er während seiner Studien in Florenz und Paris erhalten hatte, waren derart reich, dass er eine Zeit des innerlichen Verarbeitens benötigte. Es entstand eine Situation, die man sich in ihrer Sonderbarkeit, sogar Peinlichkeit vorstellen muss: Dieser nicht mehr ganz junge Mann widmete sich, trotz einer abgeschlossenen Berufslehre als Textilentwerfer, jahrelang ausschliesslich dem Nachdenken! Er malte nicht – er tat «nichts» …

von Manfred E. Cuny


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«Wir können die Welt besser verlassen, als wir sie vorgefunden haben»

Interview mit Kai Stuht.

Kai Stuht fotografierte früher Promis, Sportler und Models, heute setzt er sich für Wahrheit und Aufklärung ein. Sein neuster Dokumentarfilm «Können 100 Ärzte lügen?» handelt vom Missbrauch der Medizin in der Corona-Krise. Wir sprachen mit dem Filmemacher über sein politisches Engagement, persönliche Schicksalsschläge und die Schöpferkraft in jedem von uns.

«DIE FREIEN»: Herr Stuht, kommen Sie nicht etwas spät mit Ihrem Film? Corona bewegt doch mittlerweile niemanden mehr.

Kai Stuht: Das sagten mir viele: «Kai, das Thema interessiert keinen Menschen mehr.» Solche Sätze musste ich mir zur Genüge anhören. Fakt ist: Es handelt sich um den erfolgreichsten Film, den ich und mein Team bisher gedreht haben. Ich hatte während der Pandemie schon den Beitrag «Empty» zur Corona-Krise produziert, der sehr gut gelaufen und 2021 erschienen ist. Später folgte das «Project Fovea», ein autobiografischer Film, in dem ich meine Gedanken zur Krise äusserte. Für mich war aber klar: Es braucht einen dritten Film.

Warum?

KS: Weil ich und mein Team in den vergangenen Jahren so viele Ärzte interviewt hatten. Dass mein neuster Film nun dermassen einschlagen würde, hätte ich trotzdem nicht gedacht. «Können 100 Ärzte lügen» wird nun auch ins Englische übersetzt. Ich bin mir sicher: Der Film wird nicht nur in Deutschland für Furore sorgen.

Wie können Sie schon jetzt wissen, dass es sich um Ihren erfolgreichsten Film handelt?

KS: Viele Menschen schauten sich die Dokumentation auf unserer Website an. Wir hatten zwar keine Millionenklicks. Wir bewegen uns aber im hohen fünfstelligen Bereich. «Apolut» veröffentlichte den Film zudem im September. Dort war man total begeistert. Der Film ist auf ein riesiges Interesse gestossen. Das zeigt sich auch dadurch, dass ich viele Interviewanfragen und positive Feedbacks erhalten habe. Von Zuschauern habe ich auch die Rückmeldung, dass der Film nicht nur informativ, sondern auch unterhaltsam sei.

Was auffällt: Sie lassen nur Kritiker des Corona-Regimes zu Wort kommen. Warum haben Sie nicht auch mit der Gegenseite gesprochen?

KS: Wir haben versucht, mit der anderen Seite ins Gespräch zu kommen. Wir haben über 50 Mediziner angeschrieben, die auf der anderen Seite stehen und das Narrativ gestützt und die «Impfungen» propagiert hatten – darunter auch Christian Drosten. Wir haben aber nie eine Antwort erhalten. Genau gleich erging es auch Professor Sucharit Bhakdi mit seinem Brief an Ex-Kanzlerin Angela Merkel. Auch er wartete vergeblich auf eine Antwort der Regierung.

Kein einziger Arzt, der regierungskonform war, wollte mit Ihnen sprechen? Das ist doch nicht möglich.

KS: Wir haben mit einem Arzt aus New York gesprochen, der die Massnahmen unterstützte. Ihn haben wir aber bewusst nicht in den Film eingebettet. Wir können nicht einen einzigen konformen Arzt hundert kritischen Ärzten gegenüberstellen. Die Auswahl sollte ausgeglichen sein. Das Schlimme ist: Keiner dieser angeschriebenen Ärzte wollte mit Bhakdi in Verbindung gesetzt werden. Keiner will in einem regierungskritischen Film zu Wort kommen. Wir haben zudem mehrere Ärzte interviewt, die ihre Patienten impften. Die merkten aber auch: Die Patienten sind vielfach nicht aus freien Stücken zu ihnen gekommen, sondern aufgrund des Impfdrucks. Diese Tatsache wiederum stimmte sie kritisch und führte dazu, dass sie ihre Meinung später änderten. Die Ärzte wussten gar nicht, was sie spritzten. Die konnten sich oftmals kein eigenes Bild machen. Sie glaubten lediglich das, was die Pharmaindustrie sagte. Deswegen sind noch immer viele Ärzte im Blindflug. Sie wissen nicht einmal, was sie ihren Patienten gespritzt haben.

Anfangs planten Sie, einen versöhnlichen Beitrag zu drehen, in dem Gegner wie auch Kritiker der Regierung zu Wort kommen sollten. Das gelang Ihnen nicht.

KS: Die ursprüngliche Idee lautete: Einen vermittelnden Film über die Dramatik der Lockdowns zu produzieren. Mein Team und ich interviewten viele Menschen aus der linksextremistischen Szene. Doch diese Leute fanden keinen Gefallen daran, dass wir auch mit Kritikern sprachen. Sie wollten nicht gemeinsam mit Bhakdi oder Ken Jebsen in einem Film vorkommen.

Stichwort Ken Jebsen, heute auch bekannt unter seinem bürgerlichen Namen Kayvan Soufi-Siavash. Er veröffentlichte am 19. April 2020 ein Interview mit Bhakdi, das auf ein riesiges Interesse stiess – besonders innerhalb der massnahmenkritischen Bewegung. Rückblickend kann man sagen: Sie waren mitunter der Erste, der Bhakdi eine Bühne gab. Jebsen und Sie machten Bhakdi regelrecht bekannt.

KS: Ich sagte Ken, den ich damals schon seit mehr als 10 Jahren kannte: «Den musst du unbedingt interviewen.» Dadurch erlangte Bhakdi dann auch einen unheimlichen Bekanntheitsgrad. Ich hatte das erste Interview mit Bhakdi in Kiel bereits Ende März 2020 geführt – also noch einige Tage vor Ken Jebsen. Unser Video ging damals richtig viral. Anlass dafür war Bhakdis Brief an Merkel. Darin äusserte er sachliche Kritik an den Corona-Massnahmen. Mein Team und ich wussten zu diesem Zeitpunkt bereits: Diese Inhalte sind filmreif. Uns war klar: Mediziner werden in dieser Krise eine wichtige Rolle spielen. Das war der Start für den Film «Können 100 Ärzte lügen?», nur war mir das damals noch nicht bewusst.

Sie sind ursprünglich eher ein Linker. Warum haben gerade die Linken in der Pandemie so versagt?

KS: Linkes Gedankengut ist strategisch zerstört worden. Ein Pazifist gilt mittlerweile als Feigling, als Kriegsverweigerer. Pazifismus versteht man heute bloss noch als eine naive Illusion, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Die Grundwerte haben sich komplett verändert. Viele haben sich mit den bestehenden Ungerechtigkeiten arrangiert. Man akzeptiert sie, wie ein Naturgesetz. Die Grünen stehen exemplarisch dafür. Auf ihren Plakaten vertraten sie bis vor kurzem noch pazifistische Positionen. Sie warben dafür, keine schweren Waffen in Kriegsgebiete zu senden. Inzwischen stellt sich ein Anton Hofreiter hin und sagt, dass Deutschland schwere Waffen in die Ukraine schicken müsse. Das ist ein Skandal.

Die Welt ist aus den Fugen geraten. In Deutschland wirbt der grüne Politiker Anton Hofreiter für Waffen, und die Massenmedien klatschen. Umgekehrt kämpft Bhakdi mit den Mühlen der Justiz, weil er die Impfpolitik Israels kritisierte und das Land als «lebende Hölle» bezeichnete. Er wurde darauf als Volksverhetzer und Antisemit abgestempelt, der den Holocaust verharmlose.

KS: Gegen Professor Bhakdi läuft noch immer ein Verfahren wegen Antisemitismus. Die Aussage war ungünstig. Ich weiss, dass er das nicht böse gemeint hatte. Er war wütend. Er versteht die deutsche Geschichte womöglich nicht so gut wie viele Deutsche. Wir Deutsche sind mit der Geschichte der Nazi-Verbrechen sicherlich vertrauter. Wir haben sie über Jahrzehnte immer und immer wieder vorgesetzt bekommen. Respekt zu haben vor Menschen, die wegen der Nazis kurz vor der Ausrottung standen, ist richtig. Hier ist Demut angebracht. Was wir aber auch nicht vergessen dürfen: Deutschland hat auch gegenüber Russland ähnliche Verbrechen zu verantworten. Rund 27 Millionen Russen sind während des Zweiten Weltkriegs umgebracht worden. Und jetzt stellt sich ein deutscher Politiker hin und sagt: «Wir brauchen schwere Waffen.» Was löst das im russischen Volk aus? Einem Volk, das wohlgemerkt Deutschland auch die Wiedervereinigung ermöglicht hat; einem Volk, das in Frieden auf uns zugegangen ist. Als ehemaliger Linker sage ich: Wir haben verdammt nochmal die Fresse zu halten und neutral zu bleiben. Wir müssen uns bewusst sein: Hofreiters Aussagen lösen in Russland eine enorme Wut aus. Das führt wiederum nur zu Hass. In den Worten des Grünen Politikers steckt so viel Ignoranz und Frechheit. Wenn Amerikaner oder Skandinavier solche Aussagen tätigen, ist das was anderes. Aber gerade wir Deutschen sollten gegenüber Völkern wie Russland oder Israel mehr Demut an den Tag legen. Und das gilt besonders für Politiker. Wenn sie jetzt mit dem Finger auf Menschen wie Bhakdi zeigen und ein Schauprozess vorantreiben, dann messen sie mit zweierlei Mass. Daran sieht man schon die Korruption. Das allein wäre schon ein Film wert.

Verstehen Sie sich heute noch als Linker?

KS: In meinen Augen geht es nicht um links oder rechts. Es geht darum, dass sich die Leute engagieren. Es geht darum, aufzuklären. Auch wenn man dann als rechter Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt wird. Damit muss man leben. Es ist wichtig, Menschen auf die Strasse zu bringen. Sie zu überzeugen. Meine tiefste Überzeugung lautet: Wir können die Welt besser verlassen, als wir sie vorgefunden haben. Das ist in meinen Augen auch der Sinn des Lebens. Man kann sich nicht davor drücken, bestimmte Probleme anzupacken. Ich stehe für friedliche Anarchie und ich bin überzeugt: Wir müssen uns spirituell weiterentwickeln. Die gegenwärtige Krise hilft uns diesbezüglich. Wir, die 99 Prozent, sind immer stärker. Albert Einstein sagte sinngemäss: Nicht die Eliten sind für Machtmissbrauch verantwortlich, sondern die Gesellschaft, die diesen erst zulässt. Das ist auch der Grund, weshalb ich kürzlich in Bonn war. Dort fanden die Bundesvorstandswahlen der Partei «Die Basis» statt, wo ich zum Kommunikationsverantwortlichen gewählt worden bin. Für mich als ehemaliges Mitglied der Piratenpartei ist «Die Basis» zur neuen Heimat geworden. Ich bin mir sicher: Wir, die 99 Prozent, können alles verändern, was wir verändern wollen. Wir sind in der Lage, sozialen Frieden zu schaffen. Wir sind fähig, eine vernünftigere Aussen- und Wirtschaftspolitik voranzutreiben.

Wie soll das gehen? Ihre Partei ist machtlos. Sie ist nicht einmal im Bundestag.

KS: Die Partei zählt rund 27´000 Mitglieder. Wenn jedes Mitglied in seinem Umfeld wiederum zehn neue Mitglieder in die Partei bringt, dann sind wir schon bei 270´000 Menschen. Mit einer weiteren Kampagne erreichen wir rasch einmal über eine Million Menschen. Dann können die grossen Medien die Partei nicht mehr ignorieren. Das sollte uns klar sein. Wenn wir etwas verändern wollen, braucht es Mut. Es geht darum, die Macht des Souveräns zu zeigen.

Den Parteien ist doch nicht mehr zu trauen. Sobald eine Partei wie «Die Basis» zu einem Machtfaktor wird, wird sie gekapert …

KS: Ich glaube auch nicht an das bisherige Parteiensystem. Ich glaube aber an das Grundgesetz, das gut ist – auch wenn es teilweise überarbeitet werden muss. Genauso glaube ich an die Demokratie. Ich glaube an ein Bürgerparlament. Bürger müssen sich politisch viel mehr engagieren und mitarbeiten können. Ums kurz zu machen: Eine ausserparlamentarische Opposition kann man viel schneller zerstören. Deshalb ist es wichtig, ins System hineinzugehen und dieses mit den eigenen Waffen zu schlagen. Man stelle sich vor: Eine Million Menschen organisieren sich bei der Partei «Die Basis». Für die etablierten Parteien wäre das ein K.O.-Schlag. Ich will ein chaotisches System, erst dann kann wieder etwas Neues entstehen.

Das «Neue» kann von den üblichen Verdächtigen sofort unterwandert werden …

KS: Klar. Streitereien und Unterwanderung sind nie zu vermeiden. Aber: Allein das bringt schon neue Strukturen. Plötzlich entdecken die Leute ihre Kraft. Es geht darum, ein Zeichen der Macht zu setzen. Ich bin davon überzeugt: Das wird alles verändern. So kann ein Zeichen für ganz Europa gesetzt werden.

Zurück zu Ihrem Film: Die Reichen und Mächtigen kommen in Ihrer Dokumentation schlecht weg. Gibt es auch Dinge, die wir von ihnen lernen können?

KS: Menschen, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Macht erfolgreich sind, haben ihre Gott-ähnliche Energie entdeckt. Nehmen wir Elon Musk. Er hat mit Autos und Raketen die Welt verändert und will jetzt zum Mars fliegen. Das Entscheidende ist: Diese Schöpferkraft steckt in uns allen drin. Für die Tycoons besteht die Gefahr darin, dass die Bürger diese Kraft bei sich selbst zu entdecken beginnen. Das versuchten sie schon immer zu verhindern. Auch während der Pandemie, die man den Bürgern auf eine dilettantische Art und Weise verkaufte. Die Mächtigen sagten sich: «Schaut euch diese Idioten an. Wir verbreiten etwas Angst und die lassen sich sofort alle impfen. Dafür stellen sich die Massen auch noch in Schlangen an, obwohl wir alle Grundregeln der Medizin brechen. Wir spritzen sie wie Vieh.»

Das Problem ist, dass die Masse ihren «Führern» blind folgt …

KS: Klar. Die grosse Mehrheit fügt sich. Nur deshalb können die Tycoons dieses Spiel mit uns spielen. Wir müssen uns deshalb auch an unserer eigenen Nase packen. Wir sind selbst schuld, dass wir in dieser Misere stecken. Wir sollten Menschen niemals so viel Macht geben, dass sie eine Gesellschaft dermassen manipulieren können.

Sie haben sich in der Corona-Krise weit aus dem Fenster gelehnt. Hatten Sie nie Angst?

KS: Das würde ich so nicht sagen. Mir ist klar: Wir haben es mit Kräften zu tun, die keine Rücksicht auf Verluste nehmen. Nehmen wir die Ukraine: Laut einem Bericht des israelischen Geheimdienstes sind ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffs rund 18´000 Russen und etwa 160´000 Ukrainer gefallen. Als friedliche Krieger müssen wir die Auseinandersetzung, den Widerspruch suchen. Wenn wir diesen Mut nicht aufbringen, werden wir nichts verändern. Aber verglichen mit dem, was die Menschen in der Ukraine durchmachen, ist es für uns hier nicht annähernd so gefährlich. Trotzdem ist mir die Gefahr bewusst. Mein Engagement ist nicht ungefährlich und kann Konsequenzen haben. Ich kenne – als Kämpfer, der ich bin – auch meine Energie. Was mir Sicherheit gibt: Ich fühle eine spirituelle Energie, dass ich das Richtige tue. Und dieses Gefühl gibt mir eine unglaubliche Kraft, mit Ängsten, Zweifeln und Schwierigkeiten zu leben. Diese Kraft möchte ich anderen Menschen vermitteln.

Kritiker können heute schnell diskreditiert werden …

KS: Über Künstliche Intelligenz (KI) kann man den Menschen alles Mögliche in den Mund legen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass viele Menschen aufstehen. Je mehr wir sind, desto besser kann man die Gefahr auf mehr Menschen verteilen. Und desto schwieriger wird es für die Mächtigen, die Leute zu diskreditieren.

Stichwort KI: Sie sind ein grosser Gegner des Transhumanismus und der KI. Daraus machen Sie in Ihrem Film keinen Hehl. Warum eigentlich?

KS: KI ist nichts anderes als Wissen, dass man uns in den letzten 20 Jahren gestohlen hat. Die Transhumanisten haben daraus ein Geschäftsmodell gemacht. Das nennt man dann KI. Der Name ist schon falsch. Es ist künstliches, geklautes Wissen. Der Transhumanismus ist eine entartete, rationale Dummheit. Wir denken, dass die KI mehr kann als wir. Das ist Unsinn. Man muss sich das am besten so vorstellen: KI ist nichts weiter als Wissen, das in einen «Mixer» gepackt und dann willkürlich wieder ausgespuckt wird – sei das zum Beispiel ein Gedicht, ein Text von Konfuzius oder sonst was.

KI wird also überschätzt?

KS: Wir Menschen sind fähig, über den «Mixer» hinaus Sachen zu interpretieren – zum Beispiel Gedichte. Wir sind schaffende, schöpferische Wesen. Und wir sind nicht dieser «Plastikmixer», bei dem einfach nur Müll rauskommt. Wir Menschen sind unglaublich vielfältig und facettenreich. Die KI bewegt sich nur im rationalen Bereich. Deshalb wird es für eine KI auch niemals möglich sein, das Menschsein als Ganzes zu erfassen, geschweige zu leben. Echtheit, Verbundenheit, Schaffenskraft, Kreativität: All das kennt die KI nicht. Wir Menschen haben die Fähigkeit, eine unheimliche Kraft in uns selbst zu entdecken. Das Gleiche gilt für das Intuitive, das Spirituelle. Das sind grosse Gaben, die der Mensch hat. Gleichzeitig sind es Ebenen, welche der KI immer verborgen bleiben werden. Das Rationale und Intuitive muss wieder ins Gleichgewicht gebracht werden.

Die Intuition passt den Transhumanisten nicht in Kram. Auch um das Gleichgewicht zwischen Vernunft und Intuition scheren sie sich wenig.

KS: Mit der Globalisierung sind in jedem Winkel dieser Erde die gleichen Bedürfnisse geschaffen worden. Dafür haben digitale Geräte wie das Handy gesorgt. Das haben die Eliten kapiert. Sie wissen über die zerstörerischen Einflüsse Bescheid, die ihre Politik verursacht hat. Künftig werden sie uns einfach in einer digitalen Welt verschwinden lassen. Man wird Menschen in 15-Minuten-Städten in Angst und Schrecken versetzen. Im digitalen «Leben» können Menschen schliesslich das Gleiche erleben. Zum Beispiel Urlaub, Abenteuer und Sex. Gleichzeitig sind sie dabei nicht den Gefahren des realen Lebens ausgesetzt. Wenn man die Leute benebelt, verstehen sie überhaupt nicht mehr, was mit ihnen geschieht. Sie sehen dann nicht mehr, dass sie in eine Falle gelaufen sind. Wir sind gerade auf dem besten Wege, in eine solche Falle zu treten.

In Ihren Augen ist die mangelnde Intuition ein Grund dafür, dass Menschen sich manipulieren oder korrumpieren lassen. Das ist auch Thema ihres Films: «Die Wissenschaft ist eine Hure der Politik geworden», sagt Ronald Weikl.

KS: Im übertragenen Sinne kann man sagen: Der Fisch stinkt. Das wissen viele Menschen in Spitzenpositionen auch ganz genau. Sie wissen, dass er nicht gesund ist. Aber: Viele schützen gleichzeitig weiterhin ihren Lebensstil, weil sie nichts anderes kennen. Sie haben Angst, dass noch etwas viel Schlimmeres kommen könnte – zum Beispiel Krieg oder Chaos. Deshalb trauen sie lieber dem Hegemon, dem Status quo, anstatt sich selber zu ermächtigen. Dem Polizisten wird gesagt: «Demonstranten sind böse.» Ähnlich läuft es in der Wissenschaft. Da kommt ein Bill Gates, finanziert dich. Und plötzlich denkst du als aufstrebender Wissenschaftler: «Das ist ja eine riesige Chance.» Entsprechend will man auch etwas «liefern». Und zwar am besten ein Resultat, das wiederum dem Geldgeber gefällt. Geld manipuliert extrem.

Wir lassen uns von Geld und Macht beeinflussen. Wir stellen Menschen rasch auf einen Thron. Und machen und selbst klein. Ein Teufelskreis.

KS: In der Tat. Wir schenken erfolgreichen Menschen oftmals unglaublich viel Aufmerksamkeit und Energie. Das habe ich früher selbst miterlebt als Fotograf von Promis. Das beobachtete ich bei Prinz Charles, Sathya Sai Baba, Chester Bennington von Linkin Park, Paris Hilton und vielen weiteren. Ich traf sie alle. Diese Menschen haben eine enorme Energie. Nehmen wir das Beispiel Chester Bennington. Ihn begleitete ich einmal während eines Auftritts.

Was beobachteten Sie?

KS: Alles begann mit einem «Meet and Greet». Da kamen Tausende von Fans. Sie überreichten Bennington Geschenke. Sie zeigten stolz ihre Tattoos, schenkten ihm Aufmerksamkeit, umarmten ihn und machten sich dann mit Tränen in den Augen wieder davon. Chester war danach voller Euphorie. Jetzt ging es richtig los. Er ging auf die Bühne, da standen 100´000 Menschen. Sie jubelten ihm zu. Es folgte ein Musikgewitter. Eine Stimmgewalt, die man sich gar nicht vorstellen kann. Doch nach dem Konzert änderte sich alles. Als wir wieder ins Hotel zurückgekehrt waren, war dieser Mann komplett am Ende. Ich machte damals ein Foto von ihm im Fahrstuhl. Auf diesem Bild sah man, wie die gesamte Energie verpulvert war. Der Mann war wie entkernt. Auf einmal war der ganze Glamour weg. All die Energie, die einem geschenkt wurde. Nun musste er sich wieder mit sich selbst auseinandersetzen. Bennington ist bloss eine Metapher. Sie zeigt: Schenken wir unsere Energie einer erfolgreichen Person, so erhält diese immer mehr Energie. Dabei sollten wir sie für uns selbst verwenden. Uns muss klar sein: Wir sind schöpferische Wesen, die Energie verteilen können.

Wie sind Sie eigentlich zum Massnahmenkritiker geworden. Wie kam Ihr Engagement zustande?

KS: Zu Beginn des ersten Lockdowns machte ich zahlreiche Interviews: Über leere Kiez, das Stillstehen der Subkultur der linken Szene und so weiter. Dann fuhr ich zur ersten Demo am Rosa-Luxemburg-Platz. Was ich sah, schockierte mich: Polizisten prügelten auf wehrlose Menschen ein, die das Grundgesetz hochhielten. Ich sagte damals zu Ken Jebsen: «Wenn das so weitergeht, gibt es hier bald Tote. Lass uns ein pazifistisches Zeichen setzen.» In einem Video rief ich die Demonstranten dazu auf, friedlich zu meditieren. Ken und ich setzten uns dann auf mein Wohnmobil und legten los. In den folgenden Tagen und Wochen begannen Tausende von Menschen auf Demonstrationen in Deutschland zu meditieren.

Die Polizei machte es den Demonstranten nicht einfach. Provokationen waren an der Tagesordnung. Die grosse Kundgebung am 1. August 2020 wurde gar aufgelöst.

KS: Umso beeindruckender war es, dass die Zigtausenden Menschen friedlich blieben nach der Auflösung. Kurz zuvor hatten die Teilnehmer alle noch eine Minute lang meditiert und ein Herz gemacht. Es war so still und friedlich, man hätte eine Nadel fallen hören können. Diese friedliche Kraft ist bei den grossen Demos immer erhalten geblieben. Ich sehe darin auch eine spirituelle Ebene.

Wie meinen Sie das?

KS: Diese Krise ist vor allem auch eine Erkenntnisreise. Sie verdeutlicht uns: Wir müssen als Gesellschaft endlich ins Handeln kommen. Wir dürfen auch nicht denken, dass die Zeit vor Corona eine gute war. Sie war vielleicht angenehm und bequem. Sie war aber auch unsozial. Wenn man den ganzen Tag immer nur herumsitzt, Chips isst und nichts macht, kommt irgendwann einmal die Watsche. Das gilt auch für die Gesellschaft: Vor Corona lebten zu viele Menschen in der Ignoranz – das versuchte ich auch mit meiner Kampagne «Ignorance Pulls The Trigger» aufzuzeigen. Nun sind wir als Gesellschaft gefordert, spirituell zu wachsen.

Auch Sie scheinen fasziniert zu seinen von den Reichen und Mächtigen. Ihre frühere künstlerische Arbeit war nur möglich, weil sie zumindest auch eine gewisse Faszination für diese Leute hegten. Als Fotograf konnten Sie lange auf gute Sponsoren aus der Industrie zählen. Sie verdienten unter anderem auch deshalb gutes Geld, weil Sie Promis fotografierten. Trotzdem sind Sie schon lange sehr kritisch. Wie kommt das?

KS: Bei mir hat die Manipulation schlecht funktioniert. Vermutlich hat das auch mit meiner frühen Krebskrankheit zu tun, mit der ich zwischen dem dritten und zehnten Lebensjahr zu kämpfen hatte. Schön früh in meinem Leben wurde ich mit essenziellen Dingen konfrontiert.

Sie sprechen viel darüber, wie wichtig die Intuition ist. Sie sagen, dass Sie diese auch dank Ihrer schwierigen Kindheit bewahren konnten. Hat man der Intuition heute den Kampf angesagt?

KS: Wenn wir Kinder füttern wie eine Stopfgans, dann triggern wir immer nur das rationale Gehirn. Oder anders gesagt: Wenn Kinder bloss mit fremdem Wissen gefüttert werden, ist das nicht ihr Wissen. Das führt später dazu, dass sie zu rationalen Ich-Wesen werden. Wir sollten für Kinder die Möglichkeiten schaffen, dass sie autodidaktisch lernen und sich selbst entwickeln können. Dann bleibt auch das Intuitive automatisch im Gleichgewicht. So bleiben sie diese Genies, die wir als Kind alle sind. Aber so funktioniert der Trick, der schon über viele Generationen weitergegebenen Manipulation.

Nicht nur in der frühen Kindheit, auch im Erwachsenenalter ereilte Sie ein weiteres Schicksalereignis.

KS: In der Tat. Mit 32 Jahren wurde ich schwer durch einen Blitz getroffen. Damals dachte ich mir: Wenn ich das schon überlebe, denn sollte ich doch künftig zumindest auf ein fotografisches Gedächtnis zurückgreifen und in grossen Shows auftreten können. Doch all das habe ich leider nicht in mir entdeckt.

Dafür kamen Sie zu anderen Erkenntnissen …

KS: In mir geschah etwas. Ich begann die Strukturen der Probleme zu verstehen. Auf einmal wurde mir vieles klar, was mir zuvor nicht bewusst respektive für mich nicht sichtbar war. Vieles von dem konnte ich später auch in meiner Arbeit aufnehmen. Beispielsweise in meiner «Ignorance Pulls The Trigger»-Kampagne oder auch im «Projekt Fovea». Eine zentrale, intuitive Erkenntnis für mich lautete: Wir sind Menschen, die alles in uns haben, aber wir sind uns dessen oft nicht bewusst.

Diese Erkenntnis liess Sie das Fliegen lernen im übertragenen Sinn. Sie sind unheimlich aktiv, immer unterwegs. Drehten allein in der Coronazeit mehrere Filme. Um nochmals auf Ihre schwierige Kindheit zurückzukommen: Hat Ihr Aktivismus auch damit zu tun? Haben Sie erst durch die Tiefen, die Sie schon früh durchgemacht haben, das Leben zu lieben gelernt?

KS: Für mich ist das Leben eine Hass-Liebe. Ich lebe in einer Welt, in der ich mich schon als Kind nicht immer zurechtfinden konnte. Schon als Kind ist mir die Welt sehr schizophren vorgekommen. Ich muss mich hier beweisen, so kommt es mir oft vor, weil es nicht meine Welt ist. Gleichzeitig liebe ich diese Welt mit all ihren Farben, Möglichkeiten und allen spannenden Erfahrungen. Unabhängig davon, ob sie gut oder schlecht sind. Doch zurück zur Frage: Ist mein heutiges Engagement auf meine Kindheit zurückzuführen? Ja, sicherlich. Das war mir aber viele Jahre nicht bewusst. Dass ich schon als Kind ums Leben kämpfen musste, half mir, die Essenz des Seins zu bewahren. Ich habe den Blick des Überlebens und der Essenz des Lebens immer in mir getragen. Um meine Krankheit zu überstehen, die laut den Ärzten nicht zu überleben war, musste ich eine immense Energie aufbringen. Diese Energie spürte ich immer. Und diese Energie ist immer in mir. Das war mir nur lange nicht klar.

Kommen wir zum Schluss nochmals auf das Thema Manipulation. Was können wir Bürger tun, um uns gegen die Flut der Propaganda von Seiten der Regierungen und Medien möglichst zu immunisieren?

KS: Wir müssen endlich die Kraft in uns selbst entdecken. Wir müssen unserer Intuition freien Lauf lassen. Nur deshalb konnte auch mein Film entstehen. Und so ist es auch mit anderen Dingen. Das Corona-Experiment der letzten Jahre hat nur funktioniert, weil ein Grossteil der Menschen immer zu den Gewinnern zählen will. Deshalb erwähne ich die eine «Million-Geschichte» gerne. Ich bin mir sicher: Wir stehen an einem Kipppunkt. Mittlerweile sind wir so weit, dass immer mehr Menschen das Risiko eingehen, sich kritisch zu äussern – ohne dabei gleich ihre Familie oder ihren Job zu gefährden. Da sind Kräfte auf der Strasse, die die Veränderung vorantreiben, und denen man sich anschliessen kann.

von Rafael Lutz

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Kai Stuht ist Fotograf, Filmemacher und Künstler. Er hat seit den 1990er-Jahren unzählige Kampagnen grosser Konzerne fotografiert, war als Sport- und Fashion-Fotograf tätig und hat zahlreiche Stars porträtiert. Die Doku «Können 100 Ärzte lügen?» finden Sie auf 100aerzte.com.


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Piraten

Die unbeugsamen Sozialreformer des 17. Jahrhunderts

Die Geschichte ist geprägt von Menschen, die aus der Norm ausbrechen, von Rebellen und Renegaten, die sich gegen die Eliten stellen und dadurch die Gesellschaft voranbringen. Auch die Piraten waren vielmehr Sozialreformer als kriminelle Mörder und Räuber. Viele ihrer Errungenschaften bestehen bis heute fort.

Stellen Sie sich vor, Ihre Freiheiten werden durch die Allmacht des Staates erstickt. Ihre Hoffnungen auf sozialen Aufstieg sind zunichtegemacht. Sie leben in ständiger Angst vor staatlichen Repressalien. So sah das Leben der meisten Menschen im 17. Jahrhundert aus. Einige jedoch, die mutig genug waren, die Ketten der Gesellschaft zu sprengen, fanden sich als Gesetzlose wieder. Von den Herrschenden gehasst, waren sie Vorreiter einer revolutionären Bewegung – der Aufklärung. Sie waren echte social justice warriors. Die Rede ist von den Piraten des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts.

Ein freies Leben auf hoher See

Die Piraten praktizierten die ersten Formen der Demokratie. Im Gegensatz zur autoritären Struktur der königlichen Marine wählten die Piraten ihre Kapitäne und Quartiermeister selbst. Die Macht war gleichmässig verteilt, und jeder Pirat hatte das Recht, seine Meinung zu äussern. «Jeder Mann hat eine Stimme in den Angelegenheiten von Wichtigkeit», schrieb der Pirat Captain Bartholomew Roberts. In Madagaskar, wo sich damals viele Piraten niedergelassen hatten, wurde die demokratische Herrschaftsform, die sich auf See bewährt hatte, ebenfalls praktiziert. Und zwar mit den gleichen Rechten für alle Männer und Frauen.

Gleichberechtigung und Lohngleichheit waren den Piraten wichtig. Trotz ihres raubeinigen Images waren sie den sozialen Normen ihrer Zeit weit voraus. Jeder Pirat erhielt, unabhängig von Rang oder Herkunft, einen fairen Anteil an der Beute. Sogar eine Art Unfallversicherung gab es an Bord, die die Männer im Falle von Verletzungen absicherte. In Captain Morgans Leitbild war die Höhe der Entschädigungen festgelegt: «für den Verlust eines rechten Armes sechshundert spanische Dollar; für den Verlust eines linken Armes fünfhundert spanische Dollar; für ein rechtes Bein fünfhundert; für das linke Bein vierhundert; für ein Auge hundert spanische Dollar; für einen Finger der Hand die gleiche Belohnung wie für das Auge».

Piratinnen, Inklusion und mehr

Die Piraterie öffnete auch Frauen Türen. Piratinnen wie Anne Bonny und Mary Read kämpften Seite an Seite mit Männern und waren genauso gefürchtet. Sie waren Protofeministinnen, die nicht nur forderten, sondern den Tatbeweis erbrachten.

In der Piraterie spielte es keine Rolle, wer sie waren, welche Hautfarbe, Religion sie hatten oder woher sie kamen. Arme, Reiche, Behinderte, alle wurden an Bord aufgenommen. Es war eine Gemeinschaft, die Inklusion und Vielfalt förderte. Ja, sogar gleichgeschlechtliche Ehen waren bei Piraten akzeptiert, in Form der matelotage, einem Bund zwischen zwei Männern, der eine weitreichende gesellschaftliche und finanzielle Partnerschaft darstellte.

«Strangulation durch Regulation»

Die Piraten setzten sich gegen die «Strangulation durch Regulation», gegen sinnlose Regeln und Gesetze zur Wehr. Dadurch wurden die Piraten zu einer Bedrohung für die Herrschenden. Nicht wegen ihrer kriminellen Aktivitäten, sondern wegen der sozialen und politischen Ideale, die sie repräsentierten. Tatsächlich arbeiteten die Regierungen selbst oft mit Freibeutern – nichts anderes als lizenzierte und steuerzahlende Seeräuber – zusammen, um ihre politischen und militärischen Ziele zu erreichen. Am meisten fürchteten sie die Piraten jedoch, weil sie Demokratie und Gleichheit symbolisierten.

Die Piraten stellten das starre hierarchische Herrschaftssystem infrage und verkörperten Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, lange bevor diese Werte mit der Aufklärung und der Französischen Revolution populär wurden. Die Autoritäten befürchteten, dass ihre Praktiken und Ideale das Verlangen des «Volkes» nach ähnlichen Rechten und Freiheiten wecken könnte. Die Piraten waren eine konkrete, lebendige und bedrohliche Alternative zur «moralischen Ordnung». In den Worten des Piraten Samuel Bellamy: «Sie schelten uns Schurken und Banditen; doch ich bin ein freier Prinz und habe so viel Autorität, Kriege zu führen, wie jener, der einhundert Segel und eine Armee auf dem Lande hat.»

Die Befürchtungen der Herrschenden waren nicht unbegründet. Denn die sozialen und politischen Veränderungen, für die die Piraten standen, beeinf lussten die Ideen der amerikanischen und französischen Revolution und trugen massgeblich zur Entstehung moderner Demokratien bei.

Meister des Brandings und des Storytellings

Die Piraten waren nicht nur auf dem Wasser, sondern auch in der Kunst des Brandings und des Storytellings versiert. Die berüchtigte Piratenflagge, bekannt als «Jolly Roger», war mehr als nur ein gruseliges Symbol – sie war ein effektives Marketinginstrument, das noch heute allen bekannt ist. Mit dem Bild des weissen Totenschädels auf schwarzem Grund sendeten die Piraten eine klare Botschaft an ihre potenziellen Opfer: «Gebt auf oder stellt euch den Konsequenzen.»

Diese Strategie war erfolgreich. Die schiere Präsenz der Piratenflagge reichte oft aus, um ein Handelsschiff zur Kapitulation zu bewegen, ohne dass ein einziger Schuss abgegeben wurde. In diesem Sinne waren die Piraten weniger gewalttätig, als gemeinhin angenommen wird. Sie bevorzugten es, Kämpfe zu vermeiden und stattdessen auf die Macht ihrer Reputation zu setzen. Das entspricht der Lehre des chinesischen Strategen Sun Tzu, der sagte: «Das höchste Ziel des Krieges ist es, den Feind ohne zu kämpfen zu besiegen.»

Im Vergleich zu den brutalen Bedingungen und drakonischen Strafen bei der königlichen Marine oder der Handelsmarine, war das Leben unter dem «Jolly Roger» bedeutend angenehmer. Die Piraten praktizierten ihre eigenen Formen der Disziplin und Gerechtigkeit, die weitaus fairer und humaner waren als das, was in der restlichen Gesellschaft praktiziert wurde.

Was wir heute von den Piraten lernen können

Die Piraten waren sicher nicht perfekt, und aus heutiger Sicht auch gewalttätig. Aber sie waren auch Revolutionäre, die für Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit kämpften. Viele der Errungenschaften der Piraten sind für uns heute selbstverständlich, doch sie waren ihrer Zeit weit voraus.

Was können wir heute von den Piraten lernen? Vielleicht ist es ihre Bereitschaft, Normen infrage zu stellen und Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Vielleicht ist es ihre Fähigkeit, eine inklusive Gemeinschaft aufzubauen, die auf Gleichberechtigung und Gerechtigkeit basiert.

Die Piraten hatten den Mut, das unfaire System zu hinterfragen, sich von dessen Ketten zu befreien und ihre eigene Gesellschaft, basierend auf Gleichheit und Demokratie, zu erschaffen. Und sie taten dies trotz der Gefahr, als Verbrecher zu gelten und wenn immer möglich durch den Staat publikumswirksam an den Galgen gebracht zu werden.

Die Lektion, die wir aus der Geschichte der Piraten lernen können, ist, dass Veränderung oft von den Mutigen und den Ausgegrenzten ausgeht. Es sind diejenigen, die sich trauen, die Regeln zu brechen und gegen den Status quo zu rebellieren, die echte Veränderungen bewirken können.

In einer Welt, die zwar permanent von Gleichheit, Inklusion und Toleranz spricht, sich aber zunehmend spaltet, in der die Toleranz gegenüber Andersdenkenden immer mehr abnimmt und die Grundlagen für eine freie demokratische Gesellschaft zunehmend geschwächt werden, könnten wir von etwas mehr Piratengeist in uns allen profitieren. Wir sollten uns trauen, Regeln infrage zu stellen, die keinen Sinn ergeben. Wie sollten uns auch trauen, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen und für eine inklusive und gerechte Gesellschaft einzustehen. Vielleicht sollten wir ein bisschen mehr Pirat sein. Denn in den Worten von Pirat Edward Teach, besser bekannt als Blackbeard: «In einer Welt voller Thronen und Kronen ist Freiheit unser grösstes Gut.» ♦

von Mathias Müller

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Mathias Müller ist Berufsoffizier in der Schweizer Armee. Er hat Arbeits- und Organisationspsychologie und Medienwissenschaften studiert und sitzt seit 2014 für die SVP im Grossen Rat des Kantons Bern. Sein neustes Buch «Piraten. Die Kunst, Grenzen zu überwinden» (110 S., 15 Fr.) kann bei mathias.mueller@bluewin.ch bestellt werden.


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Der Regierung vertrauen?

Auf keinen Fall.

Obwohl ich im Westen Deutschlands sozialisiert bin, habe ich einen Seismografen in mir ausgebildet, wie ihn auch die Menschen aus der DDR haben dürften. Das habe ich meinen Eltern zu verdanken, die aus dem tschechoslowakischen Kommunismus geflohen sind.

Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, standen auch die Menschen in der Tschechoslowakei unter dem Schock der deutschen Besetzung durch Hitler. Man strebte möglichst schnell eine neue Staatsgründung an, deren erste Weichenstellungen bereits im Exil erfolgt waren. Dazu gehörte unter anderem die Annäherung zwischen den Kommunisten und den restlichen Linksparteien. Bereits im Regierungsprogramm von 1945 liess sich der kommunistische Einfluss erkennen, der sich immer weiter ausdehnte. Am 25. Februar 1948 ereignete sich schliesslich der bekannte «Februarumsturz». Es war der Beginn der Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei in der Tschechoslowakei.

Wenige Monate später wird in einer tschechoslowakischen Kleinstadt ein Mädchen geboren, das eines Tages mich auf die Welt bringen wird – meine Mutter. Ihr Vater ist Schreiner, ihre Mutter kümmert sich um die drei Kinder, sie leben in einem hübschen kleinen Haus, in dessen Nähe ein Fluss vorbeiführt. In der Nachbarschaft bellen Hunde, nachts leuchtet am Schulgebäude eine riesige Uhr. Meine Mutter ist ein aufgewecktes Kind mit blondem Pferdeschwanz, sie stellt viele Fragen, sie lacht viel, sie ist der Liebling ihres Vaters. Ins Ballett geht sie besonders gerne, der Unterricht findet in einem Schloss statt, das irgendwann in Feuer aufgeht – man vermutet einen Anschlag. Meine Mutter weint, als sie davon erfährt. Später wird sie mir erzählen, dass sie in ihrer Kindheit immer Angst hatte vor «den Kommunisten».

Man habe seine Meinung nie frei sagen können, man habe nie gewusst, ob jemand einen belauerte …

von Sylvie-Sophie Schindler

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Sylvie-Sophie Schindler ist philosophisch und pädagogisch ausgebildet und hat über 1500 Kinder begleitet. Die Journalistin ist Trägerin des Walter-Kempowski-Literaturpreises und publiziert unter anderem bei der Weltwoche.


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Der aufrechte Mensch

Was bedeutet es, in sich selbst verwurzelt zu sein?

Der Physiotherapeut Berino Schmid hat die Behandlungsmethode «Gravity Rebalancing» entwickelt. Sie soll den Menschen helfen, sich mittels der Schwerkraft sowohl ins körperliche als auch ins seelische Lot zu bringen.

«DIE FREIEN»: Lieber Herr Schmid, bevor wir darauf eingehen, was «bewusstes Einpendeln in der Schwerkraft» bedeutet, würde ich Sie gerne fragen, wie Sie zu diesem Thema gekommen sind. Gab es einen Wendepunkt in Ihrem Leben, an dem es vielleicht auch Ihnen an «Mitte» gefehlt hat?

Berino Schmid: Nach dieser Tiefe und diesem Fundament habe ich eigentlich mein Leben lang gesucht. Ich habe immer gewusst: Da gibts mehr als das, was wir glauben zu sein. Diese Suche begann bei mir schon sehr früh und das erste Mal bin ich damit auf meiner Weltreise in Kontakt gekommen. Auf dieser habe ich mehrere Heiler kennengelernt. Auf Bali hatte ich das Erlebnis, dass mir jemand die Hände aufgelegt hat und nach zwei Stunden war mein Fieber verschwunden. Das, und die Ausbildungen, die ich dann gemacht habe, hat mich schon sehr geprägt.

Was genau waren das für Ausbildungen?

BS: Die gingen in die verschiedensten Richtungen: von Reflexzonenmassagen über Physiotherapie, Osteopathie, Yoga, Meditation, Quantenphysik bis hin zur Zwei-Punkt-Methode oder dem Entwickeln eigener Mudras, den symbolischen Handgesten aus Indien. Dabei war mein Ansatz immer der, dem eigenen Denken und Fühlen näherzukommen. Schlicht und einfach, weil ich weiss, wie sehr unser körperliches Wohlbefinden davon abhängig ist …

von Lilly Gebert


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