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Autor: Manfred Cuny

Materie – der Zauber des Tatsächlichen

Wahrscheinlich leben in der heutigen Zeit mehr Menschen als je zuvor, die sich als «Materialisten» bezeichnen würden. Falls das bedeuten würde, dass sie ihr Leben in Abhängigkeit von dem erleben, was in ihrer Umgebung unmittelbar hör-, greif- und sichtbar ist, wäre mir eine solche Einstellung sehr sympathisch.

Die Schönheiten der sinnlich erfahrbaren Welt fänden Beachtung. Das Naturgegebene würde als unermesslichen Reichtum, den es möglichst zu bewahren gilt, gesehen. Auf der Erde zu arbeiten hiesse, die Widrigkeiten der Umwelt abzumildern, ohne dass die dazu verwendeten technischen Mittel diese Umwelt unumkehrbar schädigen.

Merkwürdigerweise ist aber in unserer Zivilisation der typische Materialist derjenige, der sich sowohl von seinem eigenen Körper als auch von seinen sozialen Bindungen distanziert. Sein Denken kreist um ferne Ziele, die erreicht werden müssen. …

von Manfred E. Cuny


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Eine Quelle, der er vertraut

Zwei Jahre lang widmete sich der Künstler Ferdinand Gehr ausschliesslich dem Nachdenken – in dieser Zeit der Introspektion wurde angelegt, was er während der folgenden 70 Jahre entfalten konnte.

Vom Werk des Malers Ferdinand Gehr (1896 – 1996) kennen viele die Bilder von Blumen und Äpfeln, da sie hunderttausendfach als Postkartenmotive verwendet wurden. Diese Aquarelle zu malen, bezeichnete Gehr einmal als sein «Hobby». Eindrücklicher wirken seine Landschaften (erdnahe oder auch traumhafte), Porträts, Farbholzschnitte, Glas-, Wand- und Tafelbilder, in denen Mystisch-Überzeitliches sich mit Naturhaftem verbindet.

Die Kontinuität seines während sieben Jahrzehnten entstandenen Schaffens war ihm auch deshalb möglich, weil seine Frau Mathilde (1907 – 1986) ihm alles abnahm, was nicht unmittelbar mit seiner künstlerischen Tätigkeit zu tun hatte. Zudem stand ihm, ab 1961, das erstgeborene seiner fünf Kinder, die Tochter Franziska, bei der Ausführung zahlreicher Wand- und Deckenbilder als Assistentin zur Seite. Auch seine Wandteppiche von zum Teil riesigem Format wurden von ihr ausgeführt.

Sie, die Textilkünstlerin Franziska Gehr (*1939), öffnete mir an einem unvergesslichen Sommertag das Atelierhaus in Altstätten. Ich durfte dort Werke ihres Vaters fotografieren, und mir von einer sehr speziellen Phase in seinem Leben erzählen lassen.

Zwischen 1924 und 1926 schien Gehr unproduktiv zu sein. Die Eindrücke vom modernen Kunstschaffen, die er während seiner Studien in Florenz und Paris erhalten hatte, waren derart reich, dass er eine Zeit des innerlichen Verarbeitens benötigte. Es entstand eine Situation, die man sich in ihrer Sonderbarkeit, sogar Peinlichkeit vorstellen muss: Dieser nicht mehr ganz junge Mann widmete sich, trotz einer abgeschlossenen Berufslehre als Textilentwerfer, jahrelang ausschliesslich dem Nachdenken! Er malte nicht – er tat «nichts» …

von Manfred E. Cuny


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Kein Bild ist ein Abbild

Bilder – diejenigen in den Medien, wie auch diejenigen der Kunst – könnten als «Beurteilungen» der Wirklichkeit bezeichnet werden. Sie machen – mehr oder weniger prägnant – anschaulich, was Menschen als «wirklich» ansehen. Auch umgekehrt gilt: Das in einem eindrücklichen Bild Gezeigte beurteilen viele Betrachter als «real» (Beispiel: Die «Bilder aus Bergamo»).

Wir nehmen in unserem Alltag das Wirkliche als etwas wahr, das aus zahllosen Dingen besteht. Als «realistisch» beurteilen wir jene Bilder, die dieser Sicht einer Welt aus lauter vereinzelten Dingen zu entsprechen scheinen. Meistens halten wir foto-ähnliche Bilder für «wirklichkeitsgetreu». Denselben Standpunkt vertreten auch Kunsthistoriker. Sie lehren, dass in der Bildproduktion seit der Renaissance, seit der Anwendung der Perspektive, stets «realistischere» (oder «naturalistischere») Bilder entstanden und dass diese Entwicklung mit der Erfindung der Farbfotografie ihren Höhe- und Endpunkt erreicht habe.

Dieser Standpunkt blendet allerdings aus, dass jedes Bild bedingt ist durch das Bild-System, dessen Produkt es ist. Auch eine Fotografie kann aus der Realität nur jenen Aspekt auswählen, den die Kameratechnik wiederzugeben erlaubt. Weil die Wirklichkeit un-bedingt da ist, ohne in «Aspekte» aufteilbar zu sein, zeigt ein Bild sie nie so, wie sie ist. Auch nicht so, wie wir sie sehen – denn unser Sehen und Erleben ist vielschichtig, nicht nur auf einen Aspekt ausgerichtet.

Künstler – jene Leute, die berufen sind, eigenhändig Bilder herzustellen – kennen die Praktiken, mittels derer sie einen scheinbar realistischen Effekt erzielen können. Sie glauben deshalb eher weniger an die «Beweiskraft» eines Bildes. Zudem hat ihr künstlerisches Schaffen sie zur Einsicht geführt, dass die endlos wandelbare Wirklichkeit sich in kein fixiertes Bild zwängen lässt. Weil ein Bild eine Fläche ist, kann es der Natur – die Bewegung, die Raum-Tiefe ist – nicht entsprechen. …

von Manfred E. Cuny


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Betrachtungen im Dom zu Arlesheim

Im Baselbiet in Arlesheim steht ein wunderschöner Dom. 1679 bis 1681 erbaut, erhielt sein Innenraum 1759 bis 1761 ein neues, von Tessiner und Venezianischen Künstlern gestaltetes Gesicht. Das von ihnen geschaffene Ensemble wurde vor wenigen Jahren sorgfältig renoviert. Der erhebende Anblick dieses Gesamtkunstwerks – das man sich von Musik erfüllt vorstellen darf –, regt mich an, einige seiner Qualitäten näher anzuschauen.

Die hier verwirklichte Stileinheit von Architektur, Malerei und Plastik stammt aus jener Epoche, in der monarchische Gesellschaftsstrukturen – die sich wenig später aufzulösen begannen – noch bestanden. Die von der Kirche vermittelte Lehre wurde von den Gläubigen noch als ein tiefsinniges Bild des Universums verstanden und weitgehend mitgetragen. Die im Dom gemalten oder in Stuck (einem Gemisch aus Gips und Marmorpulver) modellierten Gestalten aus Bibel und Mythos können uns heute, wo nur noch Zahlen «modelliert» werden, erfreuen und berühren.

Gleichzeitig stellen sich mir angesichts eines solchen Bauwerks Fragen: Kann das Lebensgefühl, das diesen Innenraum durchdringt, sich mir mitteilen, oder bleibt es mir fremd? Bin ich nicht vielleicht «gegen» eine solche Prachtentfaltung, die mancher als theatralische Inszenierung eines vereinnahmenden Katholizismus bezeichnen würde? Auch ich kann für Momente diesen Rokoko-Stil in kritischer Weise sehen – frage mich aber, was mich daran trotzdem so sehr anzieht?

Ich wohne in der nahe gelegenen Stadt. Dort wurden in letzter Zeit grosse und riesengrosse Bauten hochgezogen. Es sind Häuser oder Türme in Form von Quadern (allenfalls schräg angeschnitten oder abgetreppt), deren Fassaden mit gleichmässigen Gittern gerastert sind. Die Masseinheit, die diesen Gitterstrukturen zugrunde liegt, ist ebenfalls so gross, dass – mit ihr verglichen – das Mass der Menschen (ca. 170 cm Höhe), die sich im Bereich dieser Immobilien bewegen, als winzig erlebt wird. Auch wenn ich das eine oder andere dieser Bauwerke gelungen, dessen Design im Einzelfall schön finden kann, stelle ich doch fest, dass sie, aufgrund dieser wenig differenzierten Massstäblichkeit, in ihrem jeweiligen Stadtquartier stehen, ohne mit ihm verbunden, ohne in ihm verankert zu sein. Die im Stadtgefüge übrig gebliebenen älteren Häuser nähern sich – mit den bei ihrer Gestaltung angewandten Skalen verschiedener Gross- und Kleinformen – dem menschlichen Mass an, während sie neben den grossgerasterten Neubauten nun wie «geschrumpft» – und die Passanten sogar «verzwergt» – wirken.

Was bei einem Neubau meistens fehlt, sind Formelemente, die ausreichend klein sind, um Grund-Mass zu sein, um mit dessen Hilfe das Gesamtmass des Baus ermessen zu können – und um dessen Grösse in Beziehung zur eigenen Körpergrösse sehen zu können (Beispiel einer diesbezüglich geglückten Gestaltung ist die Fassade des 2016 eingeweihten Basler Kunstmuseums).

Der Arlesheimer Dom hingegen lebt von der Spannung zwischen der real gegebenen Höhe und Breite des Kirchenraums und den bei den Wandornamenten wie auch innerhalb der Malereien verwendeten sehr kleinen Form-Teilen. Somit bieten all diese architektonischen, skulpturalen und malerischen Gestaltungen ein äusserst reiches Spektrum verschiedenster Form-Grössen an. …

von Manfred E. Cuny


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Gelungene Konfrontation

«Menn verdanke ich alles!», sagte sein Schüler Ferdinand Hodler rückblickend – dabei ist der Name von Barthélemy Menn (1815-1893) dem breiten Publikum kaum bekannt.

In der ersten Hälfte seines Lebens erlebte Menn eine starke Beachtung seiner Begabung. Während seines Aufenthalts in Paris und Italien (1833-44) gewann er die Anerkennung der bedeutendsten Maler seiner Zeit. Seine charakterliche Beweglichkeit und Offenheit ermöglichte ihm, mit den gegensätzlichsten Künstlerpersönlichkeiten in Freundschaft verbunden zu sein – mit Ingres, Delacroix, Corot, mit den Landschaftsmalern von Barbizon. Allerdings erstrebte er für sich nicht jene Art von Karriere, die seinen Pariser Freunden ihren Ruhm bescherte – ihm ging es darum, sich seine innere Unabhängigkeit zu bewahren. Er kehrte in seine Heimatstadt Genf zurück, wo jedoch seiner innovativen, realistisch-intimen Darstellungsweise blankes Unverständnis entgegengebracht wurde. Seine Bilder wurden als «unfertige Skizzen» abgetan. Die kleinliche Kritik, die seine Arbeit hervorrief, bewog ihn, sich mehr und mehr in sein Atelier zurückzuziehen, ohne seine Werke auszustellen. So fand er von 1850 bis 1893 als Leiter der Ecole des Beaux-Arts seine Erfüllung als Künstler und Kunstlehrer.

Nach seinem Tod gelangte der grösste Teil seines Oeuvres ins Genfer Musée d’art et d’histoire, das 3000 seiner Zeichnungen und Malereien verwahrt, auch sein «Selbstbildnis mit Strohhut». Die unvermittelte Gegenüberstellung des in Nahsicht erfassten Gesichts mit dem «abstrakten» dunkelbraunen Viereck überrascht. Das Bild wurde durchleuchtet, und dabei erschien unter der dunklen Fläche ein Ausblick auf eine Landschaft. Menn hatte also zuerst ein «Selbstbildnis vor offenem Fenster» gemalt. Warum änderte er diese Fassung? Empfand er bei diesem ersten Zustand des Bildes vielleicht, dass die Landschaft zu sehr vom Ausdruck des Kopfs ablenke? …


von Manfred Cuny


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