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Kein Bild ist ein Abbild

Bilder – diejenigen in den Medien, wie auch diejenigen der Kunst – könnten als «Beurteilungen» der Wirklichkeit bezeichnet werden. Sie machen – mehr oder weniger prägnant – anschaulich, was Menschen als «wirklich» ansehen. Auch umgekehrt gilt: Das in einem eindrücklichen Bild Gezeigte beurteilen viele Betrachter als «real» (Beispiel: Die «Bilder aus Bergamo»).

Wir nehmen in unserem Alltag das Wirkliche als etwas wahr, das aus zahllosen Dingen besteht. Als «realistisch» beurteilen wir jene Bilder, die dieser Sicht einer Welt aus lauter vereinzelten Dingen zu entsprechen scheinen. Meistens halten wir foto-ähnliche Bilder für «wirklichkeitsgetreu». Denselben Standpunkt vertreten auch Kunsthistoriker. Sie lehren, dass in der Bildproduktion seit der Renaissance, seit der Anwendung der Perspektive, stets «realistischere» (oder «naturalistischere») Bilder entstanden und dass diese Entwicklung mit der Erfindung der Farbfotografie ihren Höhe- und Endpunkt erreicht habe.

Dieser Standpunkt blendet allerdings aus, dass jedes Bild bedingt ist durch das Bild-System, dessen Produkt es ist. Auch eine Fotografie kann aus der Realität nur jenen Aspekt auswählen, den die Kameratechnik wiederzugeben erlaubt. Weil die Wirklichkeit un-bedingt da ist, ohne in «Aspekte» aufteilbar zu sein, zeigt ein Bild sie nie so, wie sie ist. Auch nicht so, wie wir sie sehen – denn unser Sehen und Erleben ist vielschichtig, nicht nur auf einen Aspekt ausgerichtet.

Künstler – jene Leute, die berufen sind, eigenhändig Bilder herzustellen – kennen die Praktiken, mittels derer sie einen scheinbar realistischen Effekt erzielen können. Sie glauben deshalb eher weniger an die «Beweiskraft» eines Bildes. Zudem hat ihr künstlerisches Schaffen sie zur Einsicht geführt, dass die endlos wandelbare Wirklichkeit sich in kein fixiertes Bild zwängen lässt. Weil ein Bild eine Fläche ist, kann es der Natur – die Bewegung, die Raum-Tiefe ist – nicht entsprechen. …

von Manfred E. Cuny


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