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Monat: Oktober 2022

Würde – Der Sinn für sich

Warum es in einer zunehmend komplexen Welt für Gerald Hüther «nicht mehr darauf ankommt, eine Rolle zu spielen, sondern man selbst zu sein».

Von Bremen über den Kaukasus nach Russland bis hin nach Indien und China – das Verzauberungsvermögen von Märchen auf Kinder scheint grenzenlos. Aber warum? Weil sie im Gegensatz zum Mythos, so zumindest Lewis Carroll (Autor von «Alice im Wunderland»), mit Liebe erzählt werden: Im Märchen wird das Unendliche ins Endliche übersetzt, das Göttliche ins Menschliche, das Ewige ins Zeitliche, das Ideale ins Unvollkommene. Mit seiner bildhaften Sprache hebt das Märchen die Unzugänglichkeit der Welt auf, macht sie für das Kind verstehbarer. Das Märchen integriert Ambivalenzen, nuanciert zwischen Schwarz und Weiss. Es sind seine unendlichen Möglichkeiten der Identifikation, die negative Emotionen überwindbar erscheinen lassen.

Was aber passiert, wenn einem Kind nur noch wirklichkeitsgetreue Geschichten erzählt werden? Es kann zu dem Schluss kommen, seine innere Wirklichkeit sei für seine Eltern weithin bedeutungslos.

Zwischen Wollen und Sollen, Leben und gelebt werden

«Wer nur gemocht wird, wenn er den Vorstellungen seiner Eltern, seiner Erzieher und Lehrer entspricht, wird nicht geliebt, sondern benutzt.»
– Gerald Hüther

Kinder, so der Neurobiologe Gerald Hüther, internalisieren bereits in ihrer vorgeburtlichen Entwicklung eine Vorstellung dessen, was Liebe bedeutet: gleichzeitige Autonomie und Verbundenheit. Ein Grundvertrauen in das eigene Dasein, das von der Erfahrung, in den eigenen Wünschen und Träumen nicht ausreichend berücksichtigt zu werden, mehr als getrübt werden kann. Es lässt jenes Gefühl von Inkohärenz entstehen, dessen Riss immer dort aufklafft, wo Denken, Fühlen und Handeln keine Einheit mehr bilden. Das «innere Bild» dessen, was und wer man sein will, scheint mit den äusseren Umständen, den Erwartungen und Bewertungen der eigenen Mitmenschen nicht mehr kompatibel. Es entsteht der Eindruck, unverbunden, unverstanden, grundsätzlich so, wie man ist, nicht akzeptiert zu sein.

Dabei ist für ein Kind, dessen – an sein «inneres Bild» geknüpftes – «Ich» noch zu keiner vollständigen Identität herangereift ist, gerade jener mit seinem Ego verbundene Selbsterhaltungstrieb überlebenswichtig: Es braucht die Identifikationen seiner Mitmenschen, um sich selbst als etwas, das existiert, wahrzunehmen. Ihr Verlust oder fehlende Übereinstimmung mit dem eigenen Selbstbild, so Gerald Hüther, bedeutet einen Energieaufwand für unser Gehirn, der – insofern er langfristig nicht aufrecht erhalten werden kann – einzig zwei Ausgangsmöglichkeiten offenbart, um die ursprünglich Ordnung stiftende Orientierung wieder herzustellen: Entweder es werden die Inkohärenz verursachenden Umstände verändert oder man verändert sich selbst, passt sich und seine Bedürfnisse an die jeweils herrschenden Verhältnisse an.

Ähnlich verhält es sich bei einem Kind, dem – sei es durch verbales oder nonverbales Verhalten – zu verstehen gegeben wird, dass es so, wie es ist, «nicht richtig sei». Auch ihm verbleiben einzig zwei «Schuldzuweisungen», um dem Druck jener Qualitätsanforderungen habhaft zu werden und den gewünschten Zustand von Kohärenz wieder herbeizuführen: Entweder es erklärt die Leistungsanfordernden, sprich seine Eltern, das Schulsystem oder gleich die gesamte Gesellschaft für blöd, oder es sucht die Ursache der Qualitätsmängel bei sich und erklärt sich selbst für blöd. Egal für was es sich entscheidet: Zum Objekt eigener oder fremder Absichten gemacht zu werden, tut weh und untergräbt das ureigene Gefühl dessen, ein selbstbestimmter Mensch zu sein. Denn zieht das Kind sich nun in oder aus sich selbst zurück – in beiden Fällen erlischt das menschliche Grundbedürfnis nach Verbundenheit und Zugehörigkeit einerseits sowie Autonomie und Freiheit andererseits. Tritt jedoch Letzteres ein, und das Kind erklärt sich selbst als «zu doof» für diese Welt, reduziert es sich zum «Objekt seiner eigenen Bewertung» und bezeichnet sich selbst als nicht liebenswert.

Für dieses Kind ist es nicht nur nicht vorstellbar, jemanden zu lieben, ohne, dass damit Erwartungen oder Bedingungen verbunden sind – konform seiner Selbstauffassung als Objekt verliert es den Bezug zu seinen persönlichen Neigungen und Fähigkeiten, ersetzt seine eigenen Entscheidungen und Bedürfnisse durch die Interessen einer Obrigkeit. Anstatt seine eigenen Ideale zu entwickeln, adaptiert es die seiner Mitmenschen. Im Verlust seiner Intuition entfremdet es sich von sich selbst, verfehlt es, verliert es sein Selbst. Das Einzige, was in dieser Willenlosigkeit zu bleiben scheint, ist die Teilnahmslosigkeit: Hat das Kind kein Mitgefühl mehr für sich, kann es auch kein Gefühl für andere mehr entwickeln. Was damit beginnt, sich selbst nicht mehr zu spüren, endet darin, auch andere nicht mehr zu spüren. …

von Lilly Gebert


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Warum die neue Weltordnung nicht ohne globales Chaos implementiert werden kann

Die Ereignisse der letzten Jahre haben bei Menschen, die auf ihre Freiheit, ihr Eigentum und ihre persönliche Würde bedacht sind, eine wiederkehrende Sorge von Neuem aufleben lassen. Diese Sorge dreht sich um die potenzielle Entstehung der berüchtigten «neuen Weltordnung», eines weltweiten totalitären Komplotts, das von globalistischen «Eliten» ausgeheckt wurde, um die bestehenden Reste von Redefreiheit, freiem Unternehmertum und freiem Denken zu zerstören.

Bevor wir uns der Frage widmen, inwieweit solche Befürchtungen gerechtfertigt sind, sollten wir festhalten, dass die Erzählung von der «neuen Weltordnung» in der Regel ein «negatives» und ein «positives» Element enthält. Das «negative» Element beschreibt, wie die globalen Verschwörer einen weltweiten sozioökonomischen Zusammenbruch herbeiführen wollen – das heisst die «alte Weltordnung» beseitigen –, während sich das «positive» Gegenstück auf die Bauweise des globalen Totalitarismus konzentriert, der auf der Asche der Zerstörung errichtet werden soll. In diesem Zusammenhang ist es wichtig festzustellen, dass die Theoretiker der neuen Weltordnung den Totalitarismus fast immer als eine Art technokratischen Feudalismus mit kommunistischen Untertönen darstellen, der am ehesten an das heutige China erinnert, gepaart mit «politischer Korrektheit» nach westlichem Vorbild und malthusianischer Eugenik.

Was den «negativen» Teil der Erzählung betrifft, so kann man plausibel argumentieren, dass er keineswegs aus verschwörerischen Spekulationen besteht, sondern sich ganz offensichtlich vor unseren Augen entfaltet. Langfristig koordinierter globaler Inflationismus, anhaltende «Konjunkturausgaben», die Strangulierung des Energiesektors durch «Umweltschützer», der zerstörerische Irrsinn von Lockdowns und die unerbittliche Förderung des «woke»-Wahnsinns scheinen recht eindeutig den perfekten Sturm für das weltweit geplante Chaos zu bilden. Offensichtlich ist keines dieser Phänomene spontan, und man muss kein Genie sein, um ihre äusserst ruinösen Folgen zu erkennen. Die fortschreitende Zerstörung der «alten Weltordnung» – heute meist als «Great Reset» oder «building back better» bezeichnet – hat den Beigeschmack koordinierter Böswilligkeit und gibt Anlass zu berechtigten Sorgen.

Der «positive» Teil des Projekts der neuen Weltordnung scheint dagegen eher ein Schreckgespenst zu sein. Das liegt daran, dass die Art von globalem Totalitarismus, die sich Theoretiker in der Regel vorstellen, in der Praxis unmöglich ist.

Erstens würde eine umfassende Entvölkerung – weit davon entfernt, die meisten produktiven Ressourcen in den Händen der parasitären «Elite» zu zentralisieren – deren Macht erheblich untergraben, indem sie den Grossteil des produktiven Potenzials der Weltwirtschaft eliminiert. Wie Julian Simon feststellte, sind es schliesslich die Menschen mit ihrem Erfindungsreichtum und ihrem Unternehmertum, welche die Hauptantriebskraft der wirtschaftlichen Entwicklung darstellen. Mit der Verwirklichung ihrer malthusianischen Pläne würden die Globalisierungseliten also den Ast absägen, auf dem sie sitzen, und sich selbst zusammen mit ihren Opfern ausrotten.

Zweitens: Wenn die unterjochte Weltbevölkerung tatsächlich versklavt würde, anstatt in einem riesigen eugenischen Programm ausgemerzt zu werden, dann würde auch die neue Weltordnung in kürzester Zeit zusammenbrechen. Das liegt daran, dass ein stabiler, gut funktionierender internationaler Totalitarismus auf äusserst komplexe technologische Lösungen und riesige Mengen hochwertiger Kapitalgüter angewiesen wäre. …

von Jakub Bożydar Wiśniewski


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Advent, Advent – kein Lichtlein brennt!

Regierungen befürchten Unruhen oder gar Volksaufstände im Herbst und Winter. Teilweise liegen die Nerven jetzt schon blank angesichts drohender Energieengpässe und galoppierender Inflation.

Zwei Winter und noch ein bisschen länger haben uns die G’s begleitet und erschreckt, insbesondere 2G: Geimpft und/oder genesen. Die zwei G’s dürften, zumindest in weiten Teilen Mittel- und Nordeuropas durch zwei E’s ersetzt werden: Energie und Essen.

In der Schweiz will man, unter Androhung drakonischer Geld- oder sogar Gefängnisstrafen bis in die Wohnungen und Häuser der Bürger hineinregieren. Lichterlöschen ist allenthalben angesagt. In der ZHAW (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) sind Lehrende und Studierende angehalten, die Helligkeit ihrer Bildschirme herunterzufahren, WiFi wird abends abgestellt und der Campus wird sich in Dunkelheit hüllen: Verdunkelung ist angesagt – so etwas hat es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben. Robert Habeck, der deutsche Blackout-Minister schreibt mit seiner Frau Andrea Paluch…

von Marco Caimi


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Fragebogen an Marco Rima

Was sehen Sie, wenn Sie in den Spiegel schauen?

Wenn ich morgens im Badezimmer stehe und in den Spiegel schaue, begrüsse ich mich jeweils mit den folgenden Worten: «Danke, o Herr, dass du so einen schönen Menschen geschaffen hast!» Und dann verlässt mein Sohn Nicolas (32) das Badezimmer, und zurück bleibt vor dem Spiegel ein untersetzter, älterer und weisshaariger Mann, der wohl auch schon mal bessere Tage erlebt hat – zumindest Aussehens-technisch!

Was glauben Sie, woher Sie kommen?

Meine Eltern haben mir gegenüber immer behauptet, ich sei die Frucht ihrer Liebe. Und um diese Frage auch noch gendergerecht zu beantworten, hat sich mein Vater, also Person 1, ergo der Samenspender, mit meiner Mutter, Person 2, der Person mit Uterus, fröhlich und in Liebe vereint. Und so wurde aus dieser Frucht dieser Liebe später ein ganz schönes «Früchtchen». Nämlich ich! Oder woher sollte ich denn sonst noch kommen?

Warum sollte man Ihnen zuhören?

Ich weiss es nicht … ich weiss nur, dass ich als König des Wikipedia-Halbwissens viel zu erzählen habe. Sehr viel Wissenswertes. Ich glaube Wissen macht sexy. Halbwissen ist nur halb sexy und nichts wissen ist dann gut, wenn man es mit der Mafia zu tun hat. Naja, als «Möchtegern-Intellektueller» ist man schon eine besondere Spezies. Warum? Ich versuche mich jeden Tag an meinen IQ von über 150 zu gewöhnen und ihn als solchen zu akzeptieren. Ich muss allerdings aufpassen, in welcher Situation ich mit meinem Wissen bzw. Halbwissen bei Frauen punkten kann. Gerade wenn es darum geht, sie mit einem klugen Spruch zu verführen bzw. ins Bett zu bekommen. Also hab‘ ich mich lässig vor die Auserwählte hingestellt und gesagt: «Die Observation der Lichtreflexe deiner Physiognomie führt bei mir unmittelbar zum exponentiellen Anstieg meines Reproduktionsorgans!» Gut, ich reüssierte mit dieser Anmache kaum, das heisst nie, aber Hauptsache, ich kam intelligent rüber.

Wann fühlten Sie sich das letzte Mal so richtig frei?

Am letzten Sonntag im Freibad …

Ihre erste Kindheitserinnerung?

Wenn ich als Kind aus der Wohnung gegangen bin, hörte ich meine Mutter immer sagen: «Komm‘ nach Hause, wenn es dunkel wird!» Gott sei Dank lebten wir damals nicht in Lappland. Man stelle sich das mal vor. Im Sommer wäre ich erst drei Monate später wieder nach Hause gekommen. Und ich erwiderte dann: «Ist gut, Mama, ich geh‘ in den Wald!» Was aber genauso viel bedeuten konnte wie: Vielleicht lümmle ich auch auf einer Baustelle rum, gehe zum See oder spiele mit meinen Freunden Räuber und Gendarm neben der Autobahn. Ich erinnere mich vor allem daran, dass ich angstfrei gross geworden bin und mich von dem Moment an, als ich über die Schwelle unseres Zuhauses gegangen bin, nur noch auf mich, meine Sinne (Sehen, Hören, Schmecken) und auf mein Bauchgefühl (Risikoeinschätzung) vertrauen konnte. …

von Redaktion


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Welcher Ton macht die Musik?

Wenn Stimmen auf Anklang treffen – Ein Zwiegespräch mit Yoki und Marty McKay.

Dort, wo die einen verstummen, eröffnen die anderen eine Echokammer. Das bewiesen die letzten zwei Jahre. Wir sprachen mit der Berner Sängerin und Songwriterin Andrea Pfeifer, auch bekannt als «Yoki», und dem Zürcher Rapper Marty McKay über die Aufgabe der Musik in Zeiten der Sprachlosigkeit.

«DIE FREIEN»: Liebe Andrea, lieber Marty, die letzten zweieinhalb Jahre haben vielen Menschen die Stimme verschlagen. Hat eure Musik sie ihnen wiedergegeben?

Andrea Pfeifer: Ich habe es so erlebt, dass es ihnen nicht unbedingt die Stimme wiedergegeben hat, aber dass sie sich erkannt und angenommen gefühlt haben. Ich glaube, wenn man einmal in diese Rolle kommt des Ausgeschlossenwerdens aus der grossen Herde, ist das für viele Menschen – auch für mich – ein ziemlich schmerzhafter Prozess. Aber das Gefühl, es gibt da Menschen, die einen verstehen und die trotz allem noch zu einem gehören, ist glaube ich das, was am Ende heilsam für die Menschen war.

Marty McKay: Das Feedback, das ich erhalten habe, war schon, dass man als «The Voice of the Voiceless» den Leuten eine Stimme gibt, die man im Mainstream nicht gehört hat. Big-Tech, Mainstream-Medien, Pharma, die Politiker – es war ja alles komplett gleichgeschaltet und zu 99 Prozent wurde keine andere Meinung zugelassen. Und wenn dann plötzlich etwas kam, was 180 Grad in die andere Richtung ging, waren die Leute schon erleichtert. Zwischendurch fühlt man sich ja doch mal unsicher, wenn man merkt: alle laufen in dieselbe Richtung. Darum war es schon wichtig – und wird es auch immer sein –, dass man klar zum Ausdruck bringt, wenn man eine andere Meinung hat. Egal bei welchem Thema.

Von Victor Hugo stammt das Zitat: «Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.» Inwieweit trifft dies auch auf euch und eure Musik zu? Gibt es Dinge, die sich nur durch Musik ausdrücken lassen?

AP: Ich sehe die Rolle der Künstler tatsächlich als Hofnarren: Es ist unsere Pflicht, unsere heilige Pflicht, dieser Rolle nachzukommen und unsere Regierung zu kritisieren. Ob das jetzt die einzige Möglichkeit ist, an die Leute ranzukommen, weiss ich nicht. Aber es ist ein sehr mächtiges Instrument, um die Herzen der Menschen ein bisschen aufzuknacken. Und auch unterschwellige Botschaften auf subtiler Ebene bei den Menschen in Gang zu setzen – wobei wir beide mit unseren Botschaften ziemlich direkt sind.

MM: Musik hat Frequenzen, mit der man Regionen im Gehirn und in der Seele erreicht, was mit einem Podcast oder einem Buch nicht möglich ist. Als ich meinen ersten Mundart-Song «Schwiz Wach Uf!», in den ich diese ganze Energie, Verzweiflung und Wut hineinpackte, vor der Veröffentlichung den ersten Leuten vorspielte, haben fast alle geweint. Da hab ich schon gemerkt, dass Musik Dinge schafft, die sich durch Wörter oder das gesprochene Wort alleine nicht erreichen lassen. Und das wissen die ja auch. Es gab ja einen Grund, weshalb Musik an Demos teilweise verboten war. Bestimmt nicht, weil du dann alle ansteckst oder zehn Meter weit spuckst. Die sind ja nicht blöd. Die wissen genau, welche Macht Musik hat und welche Energie sie den Leuten geben kann. …

von Lilly Gebert


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Person ärgere dich nicht

Mensch oder Person? Staat oder Firma? Die Frage geistert durch die Bürgerrechtsbewegung und ruft nach Klärung. Da kommt eine Kurzanalyse eines Juristen-Komitees aus der Bürgerrechtsbewegung gerade recht!

Doch wer auf einen ausgewogenen Blick auf die vielschichtige Thematik hofft, wird enttäuscht. Die Experten lehnen die «Mensch vs. Person»-Idee vollumfänglich ab und verweisen auf den Gesellschaftsvertrag. Ihre Analyse schliessen die Juristen mit dem Grundsatz «Pacta sunt servanda» – Verträge müssen eingehalten werden. Haben die Juristen da wirklich gut nachgedacht? Oder reden sie einfach nach, was uns von den Mächtigen schon in der Primarschule eingeredet wird?

Welcher Vertrag?

Wenn wir uns also – wie von den Juristen gefordert – der Macht unterwerfen sollen, weil wir doch einen Vertrag haben, dann sollten wir nachholen, was die Juristen aus unerfindlichen Gründen versäumt haben: Wir sollten klären, was ein Vertrag ist. Darüber lohnt sich selbst nachzudenken, bevor man aus dem übervollen Fundus der Vordenker schöpft. Machen Sie sich doch kurz eigene Gedanken, was ein Vertrag ist, bevor Sie weiterlesen. Sie werden mit grosser Wahrscheinlichkeit zu ähnlichen Resultaten kommen wie beispielsweise Paul Rosenberg. Er ging der Frage nach dem Gesellschaftsvertrag kürzlich auf seinem Blog Free-Man’s Perspective nach. Nach Rosenberg bedarf eine Sache bestimmter Voraussetzungen, um als «Vertrag» zu gelten. Die wichtigste davon: Es muss sich um eine freiwillige Übereinkunft handeln. Die Partner müssen der Vereinbarung frei von Druck, unlauterer Beeinflussung oder gar Drohung zustimmen. Nun brauchen wir uns gar nicht in Details zu verlieren; unter welchen Bedingungen der «Gesellschaftsvertrag» zustande kam, tut nichts zur Sache. Aus einem einfachen Grund: Die meisten von uns haben eben nicht zugestimmt. Und damit fehlt der Angelegenheit das zwingende Charakteristikum, um als «Vertrag» gelten zu können.

Als über die neue Bundesverfassung abgestimmt wurde, war ich noch nicht stimmberechtigt. Ich kann für mich also unbestreitbar festhalten, dass ich der Bundesverfassung nicht zugestimmt habe. Die Juristen werden nun mit «demokratischer Legitimierung» meine Nichtzustimmung zu einer Zustimmung umformen. …

von Michael Bubendorf


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Der Geist Europas

Ulrike Guérot ist Professorin für Europapolitik an der Uni Bonn und eine der prominentesten Kritikerinnen der Corona-Massnahmen-Politik. Nachdem sich ihr Essay «Wer schweigt, stimmt zu» über Monate hinweg in den deutschen Bestsellerlisten hielt, erscheint mit «Endspiel Europa» nun ihr nächster Querangriff inklusive Utopie-Entwurf. Wir sprachen mit ihr über den Traum Europa, seine Defizite und die Notwendigkeit der Transzendenz.

«DIE FREIEN»: Liebe Ulrike, seit mehr als 30 Jahren setzt du dich mit Europa, seiner Vergangenheit und Zukunft, seinen Problemen und Potenzialen auseinander. Dabei kommst du immer öfter auf das geistige, das spirituelle Erbe Europas zu sprechen. Warum?

Ulrike Guérot: Mein Nachdenken über oder meine Arbeit an Europa fing 1992 an. Das war zum Zeitpunkt des Maastrichter Vertrags, was ja hiess: «Ever closer union», also «immer engere Union». Zu diesem Zeitpunkt war ich im Bundestag und habe hautnah mitbekommen, wie dieser Vertrag verhandelt wurde und eine Aufbruchsstimmung auslöste. Ich kann mich heute noch daran erinnern, wie freudig damals alle darüber waren, sich in ein geeintes Europa hineinzudenken. Das hat mich nicht verlassen, über viele Jahre, ganz egal, wo ich war – in Brüssel, in Washington, in Wien oder in Berlin. Dieses Nachdenken über Europa, dabei aber auch zu sehen, wie sich die EU immer mehr von dem entfernte, was Europa sein sollte. Das wurde dann auch mein Thema: Eine neoliberale EU, Institutionen, die nicht funktionieren, die fehlende Bindung der EU mit den Bürgern, die populistische Ablehnung der EU. Das ist alles nicht mehr das, wovon wir 1992 geträumt haben. Damals hatte Europa auch eine spirituelle Dimension. Vielleicht sind mir deshalb aus meiner Arbeit für Jacques Delors, den EU-Kommissionspräsidenten 1985 – 1995, die folgenden Sätze besonders in Erinnerung geblieben: «Wir müssen Europa eine Seele geben» und «In einen Binnenmarkt kann man sich nicht verlieben». Denn gerade jetzt, wo Europa sich beinahe wieder im Krieg befindet, habe ich das Gefühl, dies ist ein Verrat an der europäischen Erzählung, an Europa. «Nie wieder Krieg» hiess es. Aber heute kämpft Europa wieder für einen vermeintlich geeinten Nationalstaat. Dabei sollte Europa die Überwindung der klassischen Nationalstaaten sein. Dieser fundamentale Verrat an den europäischen Werten springt mir gerade sehr ins Auge. Und deswegen wünsche ich mir tatsächlich, dass Europa seine Transzendenz, seine Spiritualität oder seinen Geist wiederfindet. Im Sinne von Jacques Delors: Wir werden Europa nicht mit Waffen beseelen.

Wie sähe eine spirituell-geistige Transzendenz Europas aus?

UG: Erst einmal braucht es mehr als einen Markt. Es ist ein grosses Problem, dass die Einbettung des Binnenmarktes in ein politisches Projekt Europa nie richtig gelungen ist. Es hat die europäischen Bürger mürbe gemacht, es hat sie gegen Europa gewendet. Viele bemerken das heute. Vielleicht war deswegen mein 2016 erschienenes Buch «Warum Europa eine Republik werden muss» ein so grosser Erfolg. Das hat eigentlich gezeigt, wie viele Leute schon damals im Zusammenhang mit Brexit, Populismus, Orban, PiS usw. das Gefühl hatten: die EU ist nicht die Utopie Europas, sie ist nicht das, wovon wir geträumt hatten. Wir wollen diese EU nicht, aber wir wollen Europa. Europa muss anders werden, une autre Europe, alter Europa, so heissen die Debatten. Und auf dieses «anders» kommen wir jetzt: Was hiesse diese Transzendenz, diese Beseelung Europas? Davon handelt das letzte Kapitel meines neuen Essays «Endspiel Europa». Dort habe ich ausgeführt, dass Europa aus einer Denk- und Geistestradition kommt, die im besten Sinne republikanisch ist. Und das muss man im Wortsinne verstehen: Wir reden derzeit sehr viel über Demokratie, aber selten über die Republik. Die Republik aber ist von Platon über Aristoteles, Cicero, Rousseau, Kant der Begriff dafür, wie in Europa seit 2000 Jahren politische Ordnungen und Bürger-Staat-Beziehungen geregelt werden. Insofern ist die Republik eigentlich das Juwel der europäischen Geistesgeschichte. Republik – also res publica – bedeutet schliesslich Gemeinwohl – dem Gemeinwohl unterstellt. …

von Lilly Gebert


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«Der Tod ist doch ein netter ‹Kerli›»

Murielle Kälin gestaltet aussergewöhnliche Trauerfeiern. Im Interview erzählt sie, wie Verstorbene mit ihr kommunizieren und weshalb sie Glücksmomente in Gurkengläsern sammelt.

«DIE FREIEN»: Frau Kälin, Sie sind ausgebildete Sterbe- und Trauerbegleiterin sowie Trauerrednerin. Wann waren Sie das letzte Mal traurig – und weshalb?

Murielle Kälin: Ich bin zurzeit sehr traurig. So wie es aussieht, wird meine Freundin – die dritte innert drei Jahren – wohl bald sterben. Wenn ich ehrlich bin, habe ich von Trauer in Zusammenhang mit dem Tod gerade ein bisschen genug. Ich kann aber gut mit Trauer umgehen und auch traurig sein. Klopft die Trauer an meine Tür, lasse ich sie herein – sie ist für mich wie ein Gast, der ab und an mal – in den unterschiedlichsten Lebenssituationen – zu Besuch kommt. Ich bewirte sie gerne, sage ihr aber auch, wenn es wieder Zeit ist zu gehen.

Lernt man das Leben mehr schätzen, wenn man wie Sie oft in Kontakt mit dem Tod kommt?

MK: Der Tod ist für mich einer der besten Lehrmeister: Er lehrt einen richtig zu leben und verleiht dem Leben auch seinen Wert. Wer sich seiner eigenen Endlichkeit bewusst ist, lebt anders. Manchmal stelle ich mir die Frage: Wenn ich nun auf dem Sterbebett liegen würde, was wür-de ich bereuen? Der Tod bringt Klarheit. Es wäre schön, wenn wir wieder mehr lernten, was wichtig ist im Leben und was nicht.

Warum ist der Tod in unserer Gesellschaft so ein grosses Tabu?

MK: Wir leben in einer Feel-Good-Gesellschaft: Gegen aussen ist immer alles gut; wir wollen nur die positiven, tollen Emotionen. Alle anderen Gefühle gilt es wegzudrängen oder mit einer Pille zu betäuben. Wir haben verlernt, mit unseren Emotionen umzugehen. Es wäre gut, wenn wir bezüglich unserer Emotionen in eine Neutralität kämen – Leben und Tod bilden zwei Seiten derselben Medaille; mit der Traurigkeit und Fröhlichkeit verhält es sich gleich: Wer noch nie traurig war, lernt die Fröhlichkeit gar nicht schätzen. Je mehr man sich gegen gewisse Gefühle wehrt, desto mehr kommen diese irgendwann doch hoch. Klopft die Trauer an die Tür, will man sie aber partout nicht hereinlassen, rammt sie einem irgendwann die Tür ein, und dann herrscht Chaos.

Gevatter Tod, Freund Hein, Sensen- oder Knochenmann: Wir geben dem Tod viele Namen. Geht es aber darum, die trauernde Person auf den Todesfall anzusprechen, tun sich viele schwer damit – weshalb?

MK: Viele weichen aus, weil sie eben mit ihren eigenen Emotionen nicht umgehen können. Man wird mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert, und dies bringt das schön zusammengebastelte Leben gehörig aus dem Gleichgewicht. Ein Todesfall bringt die Chance mit sich, dass man sein eigenes Leben überdenkt: Will ich diesen Job, diese Beziehung, diese Freunde usw. überhaupt noch? Es geht quasi darum, die Spreu vom Weizen zu trennen. Einiges kann so in Bewegung gesetzt werden, das braucht aber Mut. Beim Tod richtig hinzuschauen, braucht ebenfalls Mut. Ich glaube, das können nur die wenigsten. Dabei ist der Tod gar nicht so düster und bedrohlich, er ist doch ein netter «Kerli». …

von Luisa Aeberhard


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