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Dubiose Corona-Berichterstattung

Das SRF-Publikum wehrt sich.

Die einseitige Corona-Berichterstattung der öffentlichen Schweizer Medien hat bei vielen Menschen den Eindruck erzeugt, das Schweizer Radio und Fernsehen könne tun und lassen, was es wolle. Doch auch die öffentlichen Medien müssen die Grundrechte beachten. Sie unterliegen journalistischen und juristischen Standards, die im Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (RTVG) geregelt sind, darunter das Vielfalts- und Sachgerechtigkeitsgebot, die Achtung der Menschenwürde, das Diskriminierungsverbot.

In der Schweiz kann Beschwerde einreichen, wer glaubt, dass diese Standards verletzt wurden. Die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI), eine ausserparlamentarische Kommission bestehend aus Juristen und Medienfachleuten, prüft die Anträge. Noch nie hatte die UBI so viel zu tun wie in den letzten zwei Jahren, denn die irreführenden Nachrichten über oder im Zusammenhang mit Corona wollten viele TV-Zuschauer und Radio-Hörer nicht auf sich sitzen lassen. Wir haben der UBI in vier Fällen auf die Finger geschaut – wie beurteilt sie die Arbeit der SRG in Zeiten der «Pandemie»?

Unverfälschte Meinungsbildung vs. Programmautonomie

Zürich, 20. November 2021, eine Woche vor der bedeutenden Volksabstimmung zum Covid-Gesetz: Tausende demonstrieren gegen die Pandemiepolitik des Bundes. Wichtig genug für Radio SRF, um darüber zu berichten? Relativ. Zunächst wurde die Kundgebung in den Nachrichten vermeldet – doch wer den Sender in der Nacht einschaltete, erfuhr nichts mehr davon, dass die Menschen in grosser Zahl gegen die Corona-Massnahmen auf die Strasse gegangen waren. Wurde hier etwa ein politisch unliebsames Ereignis verschwiegen?

Beschwerdeführer Marc B. (60) findet: ja. Radio SRF habe ein relevantes Geschehnis in der Gesellschaft unterschlagen und somit gegen seinen Leistungsauftrag verstossen. Schon nach der Berner Kundgebung am 23. Oktober 2021 hatte er moniert, dass nicht ausreichend darüber berichtet worden war: Die Demonstration gegen die Covid-Massnahmen war die grösste seit 20 Jahren in der Bundeshauptstadt, mit schätzungsweise bis zu 100’000 Teilnehmern. Von den Massenmedien wurde sie – wie gewohnt – schlechtgemacht, kleingeredet oder schlichtweg ignoriert. Grund genug für Marc B., sich zur Wehr zu setzen; schnell hatte er Dutzende Mitunterzeichnende gefunden für eine sogenannte Popularbeschwerde.

Nachrichten müssen von Gesetzes wegen zu einer unverfälschten politischen Meinungsbildung beitragen, insbesondere vor Wahlen und Abstimmungen.

Doch für die UBI war der Fall juristisch klar: Radio SRF seien keine Fehler vorzuwerfen. Das schlagende Argument: «Programmautonomie» – diese «lässt SRF einen grossen Spielraum zu», oder anders gesagt, die Programmverantwortlichen können selbst entscheiden, worüber sie wann und auf welche Weise berichten wollen. Die Demo war ausserdem in den Nachmittags- und Abendnachrichten erwähnt worden. Problematisch wäre gewesen, wenn man gar nichts darüber gehört hätte. Pierre Rieder, juristischer Sekretär der UBI, kommentierte den Entscheid: «Die Beschwerdeführer hätten sich für die Berichterstattung gern eine journalistische Auffrischungsimpfung gewünscht.» Doch dem Publikum sei zu diesem Zeitpunkt bereits «hinlänglich bekannt» gewesen, dass es Covid-Massnahmengegner gibt und «Leute, die Berset als Diktator sehen». Ausschlaggebend sei: «Es gibt keine Vorschriften, über ein bestimmtes Ereignis zu berichten.» Die Beschwerde wurde abgeschmettert.

Marc B. sagt, er würde heute anders vorgehen, denn letztlich hätte er dem Radiosender «einen Bärendienst erwiesen»: Künftig könne sich SRF auf diesen Präzedenzfall berufen, mit Verweis auf das Zauberwort «Programmautonomie». Für Marcs Anliegen wäre ein anderes Mittel geeigneter gewesen: die sogenannte «Zeitraumbeschwerde». Bei dieser werden alle Sendungen während eines Zeitraums von bis zu drei Monaten beurteilt, die ein ähnliches Thema behandeln – in diesem Fall Corona – und die Ausgewogenheit der Berichterstattung insgesamt wird unter die Lupe genommen.

Verfassungsfreunde als «Demokratiefeinde»

Eine weitere Beschwerde betraf eine Abstimmungskontroverse zum Medienförderungsgesetz. Darin sprach eine grüne Politikerin nicht sehr wohlwollend über die «Freunde der Verfassung» – sie äusserte, diese «wollen die Demokratie stören», auch der Begriff «Demokratiefeinde» fiel. Ein heftiger Vorwurf – doch der Moderator schien nicht besonders motiviert, ihn zu klären. In den Augen der fast 90 Beschwerdeunterzeichner eine Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebots, des Diskriminierungsverbots und auch der Menschenwürde.

Die am schnellsten gewachsene Bürgerrechtsbewegung der Schweiz als antidemokratisch diffamieren? In Zeiten, in denen zunehmend versucht wird, Kritik am Regierungskurs in die Nähe des Terrorismus zu rücken, zweifellos ein dicker Hund. Ein UBI-Mitglied relativierte: Die «Freunde der Verfassung» hätten sich dieses Vorurteil selbst eingebrockt, namentlich mit der öffentlichen Aussage ihres früheren Pressesprechers Michael Bubendorf: «Wir lösen uns gerade kollektiv vom Staat.» Aber diese Position entspreche doch nicht der Auffassung aller FdV-Mitglieder, konterte eine Juristin.

Vor allem hätte die FdV Respekt verdient, sie hatte zu diesem Zeitpunkt immerhin bewiesen, dass sie «eine referendumsstarke Kraft» ist. Sie als «Demokratiefeinde» zu bezeichnen, sei «herabsetzend». Der Moderator hatte es versäumt, das auszubügeln; ein Journalist sollte kein «Randgruppen-Bashing» zulassen. Jedoch: Herabsetzende und diskriminierende Aussagen in einer Diskussionssendung würden nicht per se gegen das RTVG verstossen, wenn sie von Gesprächsteilnehmenden stammen und man diese jenen klar zuordnen könne. Auch die Menschenwürde sei gewahrt geblieben, denn die «Verfassungsfreunde» wurden nur wegen ihres Bildes in der Öffentlichkeit kritisiert, aber nicht lächerlich gemacht oder blossgestellt.

SRF hatte in seiner Stellungnahme geschrieben, die Aussage sei «bloss zugespitzt». In der UBI sah man es mehrheitlich ebenso: «Seit Corona wird mit härteren Bandagen gekämpft», schliesslich seien auch «hinkende Geschichtsvergleiche und Diktaturvorwürfe» vonseiten der Massnahmengegner an der Tagesordnung. Und nicht zuletzt betone der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seit Jahrzehnten immer wieder, dass sich – wer in der Politik tätig ist – auch harsche Kritik gefallen lassen müsse.

Die falsche Darstellung beim Publikum sei zwar für ein FdV-Mitglied «schon nicht sehr angenehm», insbesondere weil sich die Organisation nicht wehren konnte, wurde festgehalten. Es wäre also «begrüssenswert gewesen, dass man nicht über Abwesende spricht und sie aburteilt». Der Moderator hätte aus ethisch-journalistischen Gründen einschreiten sollen, aber das war ein «Fehler in einem Nebenpunkt». «Gesamthaft» sei die Sendung «nicht unsachlich» und «ausgeglichen», die Gesprächsleitung «transparent» gewesen. Beschwerde abgewiesen.

Nach einer kurzen Pause mit Kaffee und Gipfeli tragen zwei UBI-Mitglieder plötzlich Maske, der Tessiner Vertreter symptomatischerweise sogar FFP2 – hatte es ihm etwa gedämmert, dass aufgrund der Thematik heute womöglich «gefährliche» Zuhörer im Publikum sitzen könnten?

4 gegen 1 – eine ausgewogene Diskussion?

Die nächste Konsultation betraf eine Sendung des Westschweizer Senders RTS (Radio Télévision Suisse) über Sinn und Unsinn des Covid-Zertifikats. Die Diskussionsrunde sei unausgewogen gewesen, so die Beschwerde, denn vier von fünf Teilnehmern befürworteten eine «neue Normalität mit QR-Code», und der Moderator war nicht neutral. Kein Grund zur Sorge, erklärte der juristische Sekretär: «Das Sachgerechtigkeitsgebot verlangt keine Parität». Einige der jüngeren UBI-Mitglieder sahen es jedoch kritischer: Die Sendung sei ihrer eigenen Fragestellung – nämlich ob man ohne Zertifikat überhaupt noch leben könne – nicht gerecht geworden. Auch sei es latent ständig um das Bewerben der «Impfung» als «der Weg aus der Pandemie» gegangen – im mildesten Fall «nur für die Älteren». Kritische Ansichten zur Frage, was ein QR-Code bzw. die derart propagierte «Impfung» wirklich bringe – oder eben nicht –, habe es während der ganzen Sendung keine gegeben. Qualitätsjournalismus sähe anders aus. Der Antrag auf Gutheissung der Beschwerde wurde dennoch 6 zu 3 abgewiesen.

Gefährliche Corona-Wutbürger vs. unschuldige Gesundheitsdirektoren

Eine weitere Beschwerde hatte sich der Westschweizer Sender RTS mit einer besonders tendenziösen Sendung mit dem Titel «Der Hass vor der Abstimmung über das Covid-Gesetz» eingefangen. Darin wurden Politiker als unschuldige Opfer der Hetze wütender Corona-Gegner dargestellt. Der Untertitel unterste Schublade: «Sous les pavés, la rage!» – Unter dem Pflaster, die Wut. Die Sendung vom 14. November 2021 beinhaltete lange, ausführliche Interviews mit drei Gesundheitspolitikern, die angeblich mit Hass und Morddrohungen überschüttet wurden – wobei man Beweise dafür schuldig blieb. Und die Bürgerrechtsaktivisten? Konnten sich in ein paar kurzen Sätzen am Rande zu Wort melden. Eine Verletzung des Vielfaltsgebots?

Für den Genfer Unternehmer Wouter van der Lelij war damit die rote Linie überschritten: Die Sendung war für ihn reine Stimmungsmache gegen eine Gruppe, sie habe die Bevölkerung zusätzlich gespalten. Die Corona-Berichterstattung des RTS empfand er schon lange als «erschütternd», nun war für ihn das Fass überlaufen, er legte Beschwerde ein.

Eine besondere Knacknuss war in diesem Fall die Frage, ob das Vielfaltsgebot verletzt worden war. Konkreter gesagt: ob mit dieser parteiischen Berichterstattung die politische Meinungsbildung manipuliert wurde. Denn vor Abstimmungen und Wahlen gelten bezüglich der Ausgewogenheit erhöhte Sorgfaltspflichten. Aber war die Sendung geeignet, das Abstimmungsverhalten der Zuschauer zu beeinflussen? Würde jemand aufgrund des Beitrags seine Meinung ändern? Nein, argumentierten die einen, «das Vorwissen in der Bevölkerung war gross, die meisten waren in ihrer Position bereits gefestigt». Das Bundesgericht verlange jedoch eine klare «Beeinflussung», damit das Vielfaltsgebot als verletzt gilt.

Dagegen argumentierte die andere Seite: «Es waren emotionale Ausnahmezeiten – die Medien dürfen das nicht noch anstacheln.» Mit der desolaten Darstellung der Gegner des Covid-Gesetzes als primitiven Haufen von Gewalttätern sei sehr wohl die öffentliche Meinung beeinflusst worden: Die Sendung hatte sowohl das Potenzial, die «Unentschlossenen abzustossen», als auch die bisherigen «Unterstützer zu entmutigen» oder «zu Trotzreaktionen» zu verleiten. Der Mangel an journalistischer Objektivität sei in diesem Fall gravierend. Eine solche Sendung kurz vor der Abstimmung sei nicht ausgewogen und verletze das Vielfaltsgebot. Die Beschwerde wurde mit 6 zu 3 angenommen.

Ein Zeichen gesetzt für objektiveren Journalismus?

Als das Urteil verkündet wurde, brach Beschwerdeführer van der Lelij in Tränen aus. Ein Signal, das RTS dazu bringen wird, sich zu hinterfragen und in Zukunft objektiver zu berichten?

Mitnichten. Die Reaktion des Senders folgte kurz darauf und war ernüchternd: RTS vermeldete selbstgerecht, dass man die Entscheidung «nicht als Strafe für die gesamte Informationsarbeit, die die Redaktionen von RTS seit Beginn der Pandemie geleistet haben», betrachte. Dass die meisten erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen worden seien. Und dass man überdies erwäge, den Entscheid ans Bundesgericht weiterzuziehen. Kritische Selbstreflexion sieht anders aus.

Wouter van der Lelij zeigte sich enttäuscht angesichts dieses eklatanten Mangels an Einsicht. Auf LinkedIn kommentierte er: «Tausende von gebildeten Menschen signalisieren euch, dass ihr mit eurer Berichterstattung daneben liegt, und ihr leugnet das Problem einfach.» Die schnöde Reaktion zeige, wie weltfremd und abgekoppelt von der Bevölkerung die Programmverantwortlichen seien. Der Genfer berichtet, dass seine Kritik «von Hunderttausenden anderen Bürgern, einschliesslich Journalisten, und mindestens einem Produzenten innerhalb von RTS selbst, geteilt werde». So hätten ihn RTS-Mitarbeiter kontaktiert, die «eine beispiellose, ‹sowjetische› Atmosphäre der Selbstzensur» bei ihrem Sender schilderten.

Van der Lelij sieht sich nicht als Gegner des RTS, er bezeichnet sich im Gegenteil als Freund der Medien, der es jedoch als seine «Pflicht als Bürger» sieht, «die Alarmglocke zu betätigen». «Ich möchte einfach, dass RTS in Zukunft seiner journalistischen Mission besser gerecht wird: objektiv informiert, hinterfragt, Debatten mit einer Vielfalt von Meinungen in einem respektvollen Rahmen anregt. Dafür sorgt, dass die Bevölkerung zusammenfindet. Und so zum demokratischen Zusammenhalt beiträgt.»

Solche besonnenen Worte hat man in letzter Zeit nicht von vielen Journalisten gehört – was ernüchtern könnte. Aber dass solche konstruktive Stimmen und so viel Engagement aus der Bevölkerung kommen, dass so viele Medienkonsumenten kritisch beobachten, reflektieren und sich dafür einsetzen, dass die Medien die Aufgabe wahrnehmen, die sie in einer Demokratie zu leisten hätten – das ist ermutigend! ♦

von Christian Schmid Rodriguez


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Fahren mit Wasser

Autofahren mit Wasser – soll das ein Witz sein? Nein. Sven Mund beweist in seinen Seminaren, dass es funktioniert: Mithilfe eines Wasserstoff-Generators, der Gas aus einem Gemisch aus destilliertem Wasser und Elektrolyt erzeugt, spart er nicht nur Treibstoff ein, sondern vermindert auch den Schadstoffausstoss.

HHO-Generatoren werden in Irland und Portugal hergestellt, sie sind einfach erhältlich und relativ günstig. Unmöglich ist es also nicht – aber etwa gefährlich und kompliziert? Wer will sich schon mit Wasserstoff die Finger – oder gar das eigene Auto – verbrennen? Hier kommt Sven ins Spiel: Der 53-jährige Deutsche führt in die Technologie ein und hilft allen Interessierten, den Generator ins eigene Fahrzeug einzubauen. «Am Anfang haben alle Angst davor», lacht Sven, «dabei ist das Ganze eigentlich nichts Spektakuläres.»

Sven ist ein Tüftler, wie er im Buche steht. Als er selbst vom HHO-Generator erfuhr, dachte er sich: «Das hört sich zu gut an, um wahr zu sein. So ’n Ding muss ich kriegen.» Für 300 Euro bestellte er sich ein Exemplar, setzte sich mit Herstellern und Automechanikern in Verbindung und begann, die Technik an seinem eigenen Auto zu erproben. Seine erste Testfahrt: «505 Kilometer gefahren, bis zur ersten polnischen Tankstelle, 127 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit – da musst du schon ordentlich auf die Tube drücken», lacht Sven. Das Resultat: «12,6 Liter Verbrauch. Und ich hatte noch Sprit drin, als ich angekommen bin.»

Svens Vision: «Dass man den Verbrauch bei jedem Wagen reduzieren kann.» Also begann er, seine Erfahrungen mit dem Generator in Kursen, Vorträgen und Artikeln weiterzugeben. «So ist die Sache ins Rollen gekommen.» In Irland lägen Ergebnisse von 47 Prozent Treibstoffeinsparung vor – dieses Ziel will Sven für sich und seine Kursteilnehmer auch erreichen. Auf diesem Weg werde vieles durch learning by doing erreicht, denn der HHO-Generator sei «keine Lösung von der Stange, sondern experimentell». Jeder Autotyp erfordere spezielle Anpassungen, und nach der Installation werde stetig nachgebessert. 

In der Schweiz hat Sven eine «HHO-Plattform» aufgebaut, um das Thema «mit voller Kraft vorwärtszubringen». Denn «in der Gruppe kann man viel schneller und besser Ergebnisse erzielen und hat viel mehr Schlagkraft». Das Basteln in der HHO-Community habe «die Aura eines Männerabends, wo man halt gemeinsam was Cooles macht». Aber: «Wir machen es nicht nur zum Spass, sondern weil wir Effekt haben wollen. Und ich sehe den Effekt jeden Tag. 25 Prozent bei 2 Euro sind 50 Cent weniger Sprit, den ich bezahlen muss. Ne ganz einfache Rechnung.» Die ganze Experimentiererei müsse sich lohnen, findet Sven. Für ihn gilt: «Wie kann ich mit den geringsten Mitteln den maximalen Effekt erreichen?»

Schnell taucht jeweils die Frage auf, ob das, was er da macht, TÜV- bzw. MFK-konform ist. Sind solche Manipulationen nicht unzulässig? Sven gibt Entwarnung: «Ich ändere nichts am Fahrzeug. Ich bohre da nicht dran rum. Du änderst nichts an dem Motor. Es wird nicht in die Elektronik eingegriffen. Wo findet denn etwas Illegales statt?» Generator, Schläuche, Stecker seien alles temporäre Änderungen, die sich jederzeit problemlos wieder entfernen liessen – «danach sieht niemand, dass da irgendwas gemacht wurde. Die Gefahr, dass da jemand Ärger kriegt, geht gegen Null». Und wer sich gar nicht erst auf Diskussionen einlassen wolle, könne den Generator so einbauen, «dass beim Öffnen der Motorhaube nicht viel auffällt».

Alternative Technologien – unter Verschluss

Eigentlich sollte es niemanden überraschen, dass alternative Antriebstechnologien möglich sind. Sven erinnert gern daran, dass ein deutscher Hersteller schon mal ein 2-Liter-Auto entwickelt hatte, eine erfolgreiche Langstreckenfahrt damit wurde dokumentiert. «Ein Sprecher hatte grossspurig ankündigt, dass es 1990 auf den Markt kommt. Aber ich hab bis jetzt keins gesehen!» Wieso uns diese verbraucher- und umweltfreundlicheren Motoren vorenthalten werden, kann sich jeder selbst ausdenken.

Dass Politik und Konzerne die Energieprobleme für uns nicht lösen werden, ist für Sven logisch: «Ich sehe 50 Millionen Autos allein in Deutschland, die viel zu viel Benzin verbrauchen. Obwohl es auch anders geht.» Jedoch sei keine Regierung gewillt, auf die Einnahmen durch Benzinsteuern zu verzichten. Und die Alternativen auf dem Markt seien lächerlich: «Da sehe ich ein gebrauchtes 3-Liter-Auto für 100’000 Euro, das letztlich nur experimentellen Nutzwert hat. Das macht für mich keinen Sinn! Dann die Elektroautos, die mit ressourcenschädigenden Batterien durch die Gegend eiern. Das macht auch keinen Sinn! Ist ja eine Pseudokultur, zu sagen, wir sind alle so grün und Elektromobilität und so. Sollen sie doch alle mal ihre Elektroautos gleichzeitig laden – und dann schauen wir mal, was mit dem Stromnetz passiert, ja? Was mit dem Strompreis passiert, sehen wir ja jetzt gerade.»

Hat Sven nicht Angst, dass sein Engagement gewissen Akteuren ein Dorn im Auge ist? Er wiegelt ab: «Solange ich da ein bisschen vor mich hin tüftle mit ein bisschen Zusätzen, läuft das unter dem Radar.» Gefährlich wäre es hingegen, als «Verkünder des Wassermotors» oder mit der «Lösung unserer Energieprobleme» an die Öffentlichkeit gehen zu wollen – was einige mutige Menschen ja schon versuchten. Davon ist Sven weit entfernt: «Wenn ich eine 100-Prozent-Lösung hätte, die mit 100 Prozent Wasser funktionieren würde, würden wir heute nicht miteinander sprechen.» Sein Ansatz sei es lediglich, Menschen «darauf hinzuweisen, dass es im Internet Patente gibt für Technologien, die prinzipiell jeder ausprobieren kann».

Feuer und Flamme für Fahren mit Wasser

Dabei käme ihm auch keine besonders wichtige Rolle zu, findet Sven, er sei «nur der Katalysator, der Beschleuniger, der die Idee etwas vorwärtstreibt». Jeder könne sich einen HHO-Generator besorgen – er biete einfach die Starthilfe an. Mit seinem Projekt stösst er jedenfalls auf grosse Begeisterung: «Das ganze Feedback ist so überwältigend positiv, das ist einfach nur herrlich.» Mittlerweile komme er «vor lauter Workshops, Kongressen, Bestellungen zu nichts anderem mehr. Dabei ist das ja nicht mein Hauptberuf».

Sven arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Dienstleister und IT-Berater bei Grossbanken. «Aber eine solche Wertschätzung und Dankbarkeit» wie an seinen Seminaren habe er nur selten erfahren. «Und hier hast du auf einmal eine solche Lawine von guter Energie, die auf dich zuströmt, das ist einfach phantastisch. Das treibt mich an und ist meine Motivation.»

Sven Mund ist ein echter Macher, der mit seiner Energie andere mitreisst. Selber aktiv werden, ist seine Botschaft, denn: «Nur vom Hinsitzen und Zugucken wird sich auf dieser Welt nichts ändern. Auch dein Kraftstoffverbrauch nicht. Und zu hoffen, dass in fünf oder zehn Jahren vielleicht irgendein Autohersteller diese tolle Technik implementiert – die er heute schon längst hat –, das ist ja utopisch. Wenn man eine Veränderung will, muss man selbst die Veränderung sein. Das ist ein schönes Zitat, aber das praktizier‘ ich halt einfach.» ♦

www.fahrenmitwasser.de

von Christian Schmid Rodriguez


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Wer war Albert Hofmann?

Es gibt Erlebnisse, über die zu sprechen die meisten Menschen sich scheuen, weil sie nicht in die Alltagswirklichkeit passen und sich einer verstandesmässigen Erklärung entziehen. Damit sind nicht besondere Ereignisse in der Aussenwelt gemeint, sondern Vorgänge in unserem Inneren, die meistens als blosse Einbildung abgewertet und aus der Erinnerung verdrängt werden. Das vertraute Bild der Umgebung erfährt plötzlich eine merkwürdige, beglückende oder erschreckende Verwandlung, erscheint in einem anderen Licht, bekommt eine besondere Bedeutung. Ein solches Erlebnis kann uns nur wie ein Hauch berühren oder aber sich tief einprägen.

— LSD, mein Sorgenkind.

Als Albert Hofmann die Erfahrung einer anderen, vielleicht höheren Wirklichkeit machte, war er noch sehr jung, fast noch ein Kind. Auf einem seiner Waldspaziergänge erstrahlte die ihm so vertraute Umgebung plötzlich in einer ungewohnten Klarheit, einer von ihm bis dahin nie wahrgenommenen Schönheit, die sich nun direkt an sein Herz zu richten schien. Gefühle endlosen Glücks, absoluter Zugehörigkeit und seliger Geborgenheit durchzogen ihn in einer solchen Vehemenz, dass ihm von da an klar war: Diese Welt bietet mehr, als wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können.

Im Kaleidoskop der Wirklichkeit

«Mystische Ganzheitserlebnisse» wie diese begleiteten den wohl berühmtesten Schweizer Chemiker der Neuzeit sein Leben lang. Sie weckten in ihm das «Verlangen nach einem tieferen Einblick in den Bau und das Wesen der materiellen Welt», und damit auch den Wunsch, die Wechselwirkungen zwischen Wirklichkeit und Bewusstsein zu erforschen. Seine Faszination an der Natur und ihren Wirkungsweisen verhalf ihm nicht nur zu einer vielfach ausgezeichneten Dissertation über die Struktur des Chitins, sondern auch zu einer Lebensanstellung als Forschungschemiker und Leiter der Abteilung für Naturstoffe beim Basler Chemie- und Pharmakonzern Sandoz.

Selbst wenn Hofmann damals noch nicht ahnte, dass er neben seinen Forschungen an Heil- und Arzneipflanzen wie Meerzwiebel, Rauwolfia oder mexikanischen Zauberpilzen einen Stoff entdecken würde, von dem ein Gramm «ausreicht, um 20’000 Personen in einen mehrstündigen halluzinogenen Rauschzustand zu versetzen», war LSD – wider zahlreicher Behauptungen – kein Zufallsfund …

von Lilly Gebert
Credit Grafik: polyactive


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Der visionäre Winzer vom Iselisberg

Roland und Karin Lenz produzieren am Iselisberg im Kanton Thurgau seit mehr als 25 Jahren Bioweine pur – und das heute völlig pestizidfrei.

In ihren Weinen steckt somit noch mehr Bio, als es das Knospe-Label verlangt, verzichtet das Winzerpaar doch auch auf Kupfer und Schwefel, die im Biorebbau sonst gang und gäbe sind. Das Geheimnis der beiden Pioniere: pilzwiderstandsfähige Rebsorten. Eine Erfolgsgeschichte.

Roland Lenz führt durch den üppig mit Traubenrispen behangenen Rebgarten neben seinem Hof am Iselisberg, wo es summt und brummt, Schmetterlinge tanzen und unterschiedlichste Arten nebeneinander erblühen: Verschiedene pilzresistente Rebsorten – sogenannte Piwis –, pralle Grünflächen zwischen den Rebreihen und mitten in den Rebenreihen auch Haselnusssträucher, Mandel- und Walnussbäume. Rund 3000 Büsche, Gehölze und Bäume werden auf dem Weingut Lenz gehegt und gepflegt. «Dank unserer konsequent naturwertschätzenden Bewirtschaftungsweise hat sich der Boden unterdessen so gut erholt und ist dermassen fruchtbar geworden, dass wir auf derselben Fläche doppelt so viel Ertrag erzielen», erzählt Lenz freudestrahlend. Biodiversität ist bei ihm Trumpf. Deshalb wird er diesen Rebberg nun mit einem Obst- und Getreidegarten erweitern. «Wir lichten die Reihen aus und pflanzen dazwischen andere Kulturpflanzen an, etwa Dinkel, Hafer oder Buchweizen. Mit weniger Reihen, aber doppelt so viel Ertrag der Reben werden wir hier sogar mehr produzieren als vorher», so Lenz, «aber zusätzlich können wir noch Menschen ernähren mit Getreide oder Öl, falls wir zum Beispiel mal Lein, Flachs oder Hanf zwischen den Rebreihen anbauen.»

Was wie ein Märchen tönt, ist auf dem Rebhof Lenz gelebter Alltag. Weniger oder gar keine Pestizide und weniger Arbeitsaufwand ergeben einen höheren Ertrag, denn die Natur kann unter der Demeter-Bewirtschaftungsweise in ihrer ganzen Fülle erblühen.

Seit 1994 ist Roland Lenz mit den pilzresistenten Rebsorten unterwegs, und seit 1995 bewirtschaftet er seine Rebberge ohne chemisch-synthetische Hilfsstoffe. Auf Bioproduktion umgestiegen war er, weil er selber an einer durch Pestizide ausgelösten Allergie gelitten hatte. «Drei Stunden nach dem Ausbringen von Folpet, einem Wirkstoff von Bayer, war meine Haut jeweils stark gerötet und ich hatte Kopfweh», erinnert er sich. Dagegen nahm er dann eine Kopfwehtablette von Bayer, womit der Kreislauf geschlossen war – jedenfalls für Bayer. Doch die Agroindustrie hatte die Rechnung ohne den Winzer gemacht. «Was machen wir eigentlich hier?», fragte Roland Lenz eines Tages – und läutete die Wende auf seinem Betrieb ein. …


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Mensch/Person und Staat

Staatsrechtsprofessor David Dürr und Freiheitsrebell Christian Frei im Gespräch: Beide betrachten den Staat als Problem – sie haben aber unterschiedliche Ansätze, wie das Problem überwunden werden soll.

«DIE FREIEN»: Worum geht es bei der Idee «Mensch oder Person»?

Christian Frei: Es gibt den lebendigen Mann und das lebendige Weib. Das ist der Ursprung, wir sind lebend. Die Staaten, die aus gewinnorientierten Firmen bestehen, drängen den Lebenden selbsterschaffene Identitäten auf, die sie «Personen» nennen. Die Person ist aber nur eine Fiktion, sie ist nicht real. Es sind Rollen, die uns aufgedrängt werden, die uns nötigen, denn so können wir lebenden Menschen nicht mehr souverän agieren. Dieser Prozess ist illegal, weil nur der Mensch selber eine natürliche oder juristische Person aus eigenem Willen gründen darf. Geheime Verträge oder solche, die unter Zwang entstehen, sind ungültig.

David Dürr: Die Idee «Mensch/Person» stösst immer wieder an das Thema der Souveränität des Menschen, wofür ich mich besonders interessiere.

Gibt es denn einen rechtlichen Unterschied zwischen Mensch und Person?

DD: Ja, die Unterscheidung zwischen Mensch und Person ist rechtlich real. Als Person sind wir nur eine Nummer im System. Der Unterschied liegt im Umgang; die Person ist nicht auf Augenhöhe. Anderseits gibt es auch den Ansatz der Menschenrechte, bei denen es um den Menschen als solchen geht – oder sagen wir realistischer: gehen sollte. …

von Michael Bubendorf


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Die spirituellen Voraussetzungen der Freiheitsgewinnung

Was wäre, wenn der Mensch mal an sich selbst glaubte?

«Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten», notierte der Genfer Philosoph Rousseau am Anfang seines Traktats «Über den Gesellschaftsvertrag». Frei und zugleich in Ketten? Ein seltsamer Zustand, ausser wohl für Rousseau, bei dem eher die Gesellschaft den Einzelnen gestaltete, statt umgekehrt. Oder kann man theoretisch frei und praktisch unfrei sein?

Mit Blick auf heute wäre man stark geneigt zu sagen: ja. Freiheit ist ein teilbares Phänomen geworden. Da ist einerseits die freiheitsverbürgende Funktion der Grund- und Menschenrechte, die offiziell unangetastet sind und den würdebegabten Menschen als Subjekt in das Zentrum der Rechtsordnung stellen. Zugleich sieht man allerorten, wie der Begriff der Freiheit in sein Gegenteil verkehrt wird. Regierungen auf der ganzen Welt arbeiteten in den letzten Monaten mit Druck und Zwangsandrohung bei den Impfungen. Wer Freiheitsverzicht gross- schrieb, wurde mit einer Solidaritätsplakette belohnt.

Selten wurde das Gegenteil von Freiheit so unverschämt als Freiheit deklariert wie in Zeiten von Corona, als Politiker verkündeten: «Wir impfen uns den Weg zurück in die Freiheit!» Wenn eine Mehrheit es akzeptiert, dass Folgsamkeit als Freiheit etikettiert wird, ist sie auf einen begrifflichen Taschenspielertrick hereingefallen. 2 + 2 ergibt zwar immer noch 4, aber die Mehrheit hat dann auch nichts gegen 5 als Ergebnis. Ab diesem Punkt gilt die Warnung Voltaires: «Wer andere dazu bringt, Absurditäten zu glauben, kann sie auch dazu bringen, Gräueltaten zu begehen.». …

von Milosz Matuschek


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Die andere Seite der Wahrheit

Ohne den Völkerrechtsbruch des US-Präsidenten Obama vor acht Jahren hätte es die illegale Militärinvasion Putins vermutlich nicht gegeben.
Am 24. Februar 2022 gab Russlands Präsident Wladimir Putin seiner Armee den Befehl, in die Ukraine einzumarschieren – ein Verstoss gegen das UNO-Gewaltverbot und daher illegal. Fast genau acht Jahre zuvor, am 20. Februar 2014, liess US-Präsident Barack Obama die Regierung in der Ukraine stürzen, um das Land in die NATO zu ziehen. Dieser Putsch ist die Wurzel des Ukrainekrieges. Gleich wie die Invasion von Putin war auch Obamas Verhalten ein Verstoss gegen das UNO-Gewaltverbot und daher illegal. Es wird Zeit, sich nicht länger mit Halbwahrheiten der einen oder der anderen Seite zufriedenzugeben und die Geschichte des Konflikts vollständig und ausgeglichen zu erzählen.

Wir hören nur die halbe Geschichte
Derzeit liest und hört man in den Medien viel über die Invasion von Putin, die zu Recht kritisiert wird. Aber man liest und hört praktisch gar nichts über den Putsch von Obama. Warum wird uns nur die halbe Geschichte erzählt?
Haben die USA wirklich die Regierung in der Ukraine gestürzt? Warum hat das damals fast niemand bemerkt? Und welche historischen Belege gibt es dafür? Solche und ähnliche Fragen erhalte ich derzeit oft.
Als Historiker und Friedensforscher habe ich seit Jahren zu den offenen und verdeckten Kriegen der USA geforscht und in meinem Buch «Illegale Kriege» auch den Putsch in der Ukraine beschrieben. «Es war ein vom Westen gesponserter Putsch, es gibt kaum Zweifel daran», erkannte schon der frühere CIA-Mitarbeiter Ray McGovern.

In Berlin habe ich ein Jahr nach dem Putsch am 10. Mai 2015 einen Vortrag über die Ereignisse in der Ukraine gehalten und dort gezeigt, dass Präsident Obama tatsächlich die Regierung in der Ukraine gestürzt hat. Wer möchte, kann sich den Vortrag hier ansehen.

Konfrontation der Atommächte
Der Ukrainekrieg ist ein besonders delikater internationaler Konflikt, weil sich hier die USA und Russland gegenüberstehen, die beide über Atomwaffen verfügen. Wie bei der Kubakrise spielen beide Seiten mit verdeckten Karten und versuchen, die Ukraine in ihren Einflussbereich zu ziehen.
Nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion erklärte die Ukraine 1991 ihre Unab­hängigkeit von der Sowjetunion. Die Schwäche von Moskau gab Washington erstmals die Chance, den US-Einfluss auf Osteuropa auszudehnen und die früher von Moskau kontrollierten ehemaligen Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes in die NATO aufzunehmen.

Die NATO-Osterweiterung und der Gipfel von Bukarest
Obschon die USA gegenüber Russland versprochen hatten, die NATO werde sich nicht ausdehnen, geschah genau dies. Polen, Tschechien und Ungarn wurden im Jahre 1999 NATO-Mitglieder. Und beim NATO-Gipfel in der rumänischen Hauptstadt Bukarest im April 2008 erklärte US-Präsident George Bush, man werde auch die Ukraine in die NATO aufnehmen. Russland war erzürnt, denn die Ukraine grenzt direkt an Russland. Und auch in den USA gab es mahnende Stimmen. «Man stelle sich die Empörung in Washington vor, wenn China ein mächtiges Militärbündnis schmiedete und versuchte, Kanada und Mexiko dafür zu gewinnen», warnte der amerikanische Politologe John Mearsheimer von der Universität Chicago. Gemäss Mearsheimer hat der Westen die Russen unnötig provoziert und ist daher schuldig an der Krise in der Ukraine.

Senator John McCain auf dem Maidan
Auf dem Maidan, dem zentralen Platz der ukrainischen Hauptstadt Kiew, demonstrierten Ende 2013 immer mehr Menschen gegen die Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch und Premierminister Nikolai Asarow. Der bekannte Exboxweltmeister Vitali Klitschko führte die Demonstrationen an und hielt in enger Absprache mit den USA flammende Reden. In dieser angespannten Lage flog der einflussreiche US-amerikanische Senator John McCain in die Ukraine und besuchte am 15. Dezember 2013 Klitschko und das Protestlager auf dem Maidan. Der US-Senator ermunterte die Demonstranten, die ukrainische Regierung zu stürzen. Man stelle sich die Empörung in Washington vor, wenn ein bekannter russischer Parlamentarier nach Kanada fliegen würde, um dort Protestierende in der Hauptstadt Ottawa zu unterstützen, die kanadische Regierung zu stürzen. Genau das taten die USA in der Ukraine.

Die US-Botschaft in Kiew koordiniert die Proteste
Die Anführer der Proteste auf dem Maidan gingen in der US-Botschaft ein und aus und holten sich dort ihre Befehle. Einige Demonstranten waren bewaffnet und gingen gewaltsam gegen die Polizei vor. «Die Amerikaner forcierten erkennbar die konfrontative Entwicklung», erinnert sich Premierminister Nikolai Asarow, der gestürzt wurde.
In der US-Botschaft in Kiew war es US-Botschafter Geoffrey Pyatt, der die Demonstranten unterstützte und dadurch die Ukraine destabilisierte. Botschafter Pyatt war in direktem Kontakt mit Exboxer Klitschko. Die gut organisierte Demonstration auf dem Maidan wurde immer grösser und die Spannungen in Kiew nahmen zu.
Auch der heutige US-Präsident Joe Biden war direkt in den Putsch involviert, da auch er die Demonstration auf dem Maidan unterstützte. Im Dezember 2013 rief Biden, damals Vizepräsident unter Obama, in der Nacht Präsident Janukowitsch an und drohte ihm mit Strafen, wenn er den Maidan durch die Polizei räumen lasse. Janukowitsch hat daraufhin die geplante Räumung zurückgezogen.

Die fünf Milliarden Dollar von Victoria Nuland
Im US-Aussenministerium war Victoria Nuland für den Putsch verantwortlich. Nuland war unter US-Aussenminister John Kerry als stellvertretende Aussenministerin eine hochrangige Mitarbeiterin von Präsident Obama. Unter Präsident Donald Trump verlor Nuland an Einfluss, wurde aber von Präsident Joe Biden wieder als Staatssekretärin ins Aussenministerium berufen. In der Ukraine wollte Nuland Premierminister Nikolai Asarow und Präsident Viktor Janukowitsch stürzen, um das Land in die NATO zu ziehen, wie es am Gipfel von Bukarest beschlossen worden war. Die Anführer der De-monstration auf dem Maidan holten sich in der US-Botschaft nicht nur ihre Befehle, sondern auch ihre Bezahlung.
Im Dezember 2013, zwei Monate vor dem Putsch, hatte Nuland in einem Vortrag erklärt: «Wir haben mehr als fünf Milliarden Dollar investiert, um der Ukraine zu helfen, Wohlstand, Sicherheit und Demokratie zu garantieren.» Das führte auch in den USA zu Kritik. Der frühere US-Kongressabgeordnete Ron Paul fragte öffentlich: «Wir haben gehört, wie die stellvertretende US-Aussenministerin Victoria Nuland damit geprahlt hat, dass die USA fünf Milliarden Dollar für den Regimewechsel in der Ukraine ausgegeben haben. Warum ist das okay?»
Dass ein Teil der Demonstranten in der Ukraine bezahlt wurde, war damals ein offenes Geheimnis. «Es gibt Leute wie den US-Milliardär George Soros, die Revolutionen finanzieren. Soros hat auch den Maidan unterstützt, hat dort Leute bezahlt – die haben in zwei Wochen auf dem Maidan mehr verdient als während vier Arbeitswochen in der Westukraine», erklärte die Ukraine-Expertin Ina Kirsch gegenüber der «Wiener Zeitung». «Es gibt genügend Belege dafür, dass sowohl auf dem Maidan als auch auf der Gegenveranstaltung, dem ‹Antimaidan›, Leute bezahlt wurden», so Ina Kirsch, die in Kiew vor Ort war. «Es gab Preise für jede Leistung. Ich kenne Leute, die haben morgens auf dem Antimaidan bei der Gegendemo abkassiert, sind dann rüber auf den Maidan und haben dort nochmals kassiert. Das ist in der Ukraine ja nichts Ungewöhnliches.»

«Fuck the EU»: Das Telefonat vor dem Putsch
Der zentrale Beweis für die Beteiligung der USA am Putsch in der Ukraine ist ein abgehörtes Telefongespräch zwischen Victoria Nuland und Botschafter Geoffrey Pyatt, das diese am 7. Februar 2014 führten, nur wenige Tage vor dem Putsch.
Nuland sagt im Telefongespräch, wer in der Ukraine nach dem Putsch die neue Regierung bilden sollte. «Ich denke nicht, dass Klitschko Teil der neuen Regierung sein sollte, ich glaube, das ist nicht nötig und keine gute Idee», bestimmt Nuland. «Ich denke, Jazenjuk ist der richtige Mann, er hat die notwendige Erfahrung in Wirtschaft und Politik.» 
Tatsächlich wurde Arsenij Jazenjuk nach dem Putsch Premierminister in der Ukraine. Vitali Klitschko musste sich mit dem Posten des Bürgermeisters von Kiew zufriedengeben. Dies beweist, dass Victoria Nuland für die USA den Putsch plante und erfolgreich durchführte. Ban Ki-moon von der UN «könnte helfen, das wasserfest zu machen, und weisst du was, fuck the EU», sagte Nuland im abgehörten Gespräch wörtlich, was bei Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einiger Empörung führte.

Scharfschützen lassen die Lage am 20. Februar 2014 eskalieren
Ende Februar eskalierte die Situation auf dem Maidan. Am 20. Februar 2014 kam es zu einem Massaker, als nicht identifizierte Scharfschützen aus verschiedenen Häusern auf Polizisten und Demonstranten schossen, es gab mehr als 40 Tote. Chaos brach aus. Sofort wurden die amtierende Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch und seine Polizeieinheit Berkut für das Massaker verantwortlich gemacht, obschon diese kein Interesse daran hatten, dass die Lage eskalierte, da sie sich ja nicht selber stürzen wollten. «Die Welt darf nicht zuschauen, wie ein Diktator sein Volk abschlachtet», kommentierte Vitali Klitschko, der die Regierung stürzen wollte, im deutschen Boulevardblatt «Bild».
Der Regime Change war erfolgreich: Präsident Janukowitsch wurde gestürzt und floh nach Russland. Er wurde durch den Milliardär Petro Poroschenko ersetzt, der als Präsident umgehend erklärte, er wolle die Ukraine in die NATO führen.

Obama spricht über den Putsch
Ein Jahr nach dem Putsch hat US-Präsident Obama mit CNN über den Machtwechsel in der Ukraine gesprochen, dabei aber die Rolle der USA verschleiert. «Putin wurde durch die Proteste auf dem Maidan auf dem falschen Fuss erwischt», sagte Obama. «Janukowitsch ist geflohen, nachdem wir einen Deal zur Machtübergabe ausgehandelt hatten.» Dass Obama tatsächlich die Regierung in der Ukraine gestürzt hatte, erfuhren die Zuschauer von CNN nicht.

Putin spricht über den Putsch
Aber die Russen wussten, dass die USA den Putsch organisiert hatten, und waren sehr verärgert. «Ich glaube, dass diese Krise willentlich geschaffen wurde», sagte Präsident Putin gegenüber der italienischen Zeitung «Corriere della Sera». Die NATO-Länder hätten den Putsch verhindern können, zeigte sich Putin überzeugt.
«Wenn Amerika und Europa zu jenen, die diese verfassungswidrigen Handlungen begangen haben, gesagt hätten: ‹Wenn ihr auf eine solche Weise an die Macht kommt, werden wir euch unter keinen Umständen unterstützen. Ihr müsst Wahlen abhalten und sie gewinnen›, dann hätte sich die Lage völlig anders entwickelt.»

Die Sezession der Krim
Präsident Wladimir Putin hatte nicht die Absicht, die Ukraine kampflos aufzugeben. Unmittelbar nach dem Sturz von Janukowitsch gab er in den frühen Morgenstunden des 23. Februar 2014 den Auftrag, mit der «Rückholung» der Krim zu beginnen. Russische Soldaten in grünen Uniformen ohne Abzeichen besetzten am 27. Februar 2014 alle strategischen Punkte in Simferopol, der grössten Stadt auf der Halbinsel Krim.
Schon am 16. März 2014 stimmten 97 Prozent der Bevölkerung der Krim für den Austritt aus der Ukraine und den Anschluss an Russland. Seither gehört die Halbinsel Krim nicht mehr zur Ukraine, sondern zu Russland.
Weder die USA noch Russland haben sich im Ukrainekrieg an das Völkerrecht gehalten. Zuerst brach Obama das Völkerrecht mit dem Putsch am 20. Februar 2014. Als Reaktion darauf brach auch Putin das Völkerrecht mit der Besetzung der Krim am 23. Februar 2014. Die Besetzung der Krim durch Russland «war ein Bruch geltenden Völkerrechts (…) die völkerrechtliche Souveränität und die territoriale Integrität der Ukraine wurden missachtet», erklärt Dieter Deiseroth, früher Richter am Bundesverwaltungsgericht. Der Westen kritisierte Putin nun scharf, obschon er selbst «in zahlreichen Fällen immer wieder gegen geltendes Völkerrecht verstossen hat und verstösst (Kosovo, Irak, Afghanistan, Libyen, Drohnenkrieg, Guantanamo et cetera), was seine Glaubwürdigkeit schwer beschädigt hat».

Der Donbas spaltet sich ab
Nach dem Putsch in Kiew und der Sezession der Krim stürzte die Ukraine in einen Bürgerkrieg. Der neue Premierminister Arsenij Jazenjuk versuchte mit der Armee, dem Geheimdienst und der Polizei, das ganze Land unter seine Kontrolle zu bringen. Doch nicht alle Soldaten, Polizisten und Geheimdienstmitarbeiter folgten den Weisungen der Putschregierung. Im an Russland angrenzenden russischsprachigen Osten der Ukraine erklärten die Bezirke Donezk und Lugansk, dass sie die Putschregierung in Kiew nicht anerkennen würden. Die Separatisten besetzten Polizeistationen und Verwaltungsgebäude und argumentierten, die neue Regierung habe keine Legitimität, da sie auf illegalem Wege an die Macht gelangt sei.
Premierminister Jazenjuk wies dies vehement zurück und erklärte, alle Separatisten seien Terroristen. CIA-Direktor John Brennan flog nach Kiew, um die Putschisten zu beraten. Am 15. April 2014 begann die ukrainische Armee mit Unterstützung der USA ihren «Antiterror-Sondereinsatz» und griff die Stadt Slawjansk im Bezirk Donezk mit Panzern und Schützenpanzern an. Damit begann der ukrainische Bürgerkrieg, der in acht Jahren mehr als 13000 Tote forderte und am 24. Februar 2022 zur illegalen Invasion durch Putin führte.

Der Putsch in Kiew gibt Putin kein Recht, in der Ukraine einzumarschieren und damit das Völkerrecht zu brechen. Aber wenn wir im Westen den Putsch von 2014 ignorieren, werden wir den Ukrainekrieg nie verstehen können. ♦

von Daniele Ganser
erstmals erschienen im Rubikon, 12.3.2022 (online)
Credit (Photo): Michael Peter


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Die Rückkehr des Todes

Der Tod ist das grosse Tabu unserer Gesellschaft. Diese Behauptung stellte der Soziologe Jean Ziegler 1975 in seinem Buch «Die Lebenden und der Tod» auf. Ein halbes Jahrhundert später gilt festzuhalten: Zieglers These hat durch die vergangenen zwei Jahre an Dringlichkeit gewonnen, denn in der Konfrontation mit etwas potenziell unkontrolliert Gefährlichem offenbart sich, welche Werte wirklich zählen.

Die pandemiepolitischen Überreaktionen erfolgten vielfach in einem irrationalen, aktivistischen Panikmodus. Erklären lässt sich dies mitunter dadurch, dass sich etwas verdrängt Geglaubtes – der Tod – seinen Weg aus der Dunkelkammer des kollektiven Gedächtnisses bahnte und sich in direkter Konfrontation für jeden Einzelnen als omnipräsentes Risiko offenbarte.

Viele Menschen in westlichen Staaten, die während der vergangenen 70 Jahre ohne Kriegserfahrung aufgewachsen sind, verspürten in der allgemeinen Hysterie womöglich zum ersten Mal in ihrem Leben die Angst vor dem Tod. Diese Angst schaltete jedes kritische Nachdenken über das Geschehen aus, und sie legte eine tiefsitzende Pathologie unserer Kultur frei.

Die Politik behauptete zwar, Leben zu retten. Damit meinte man jedoch eine reduzierte Auffassung von Leben, eine, die sich auf das nackte biologische Leben (Giorgio Agamben) beschränkt. Dieses allein hat aber keinen sinnvollen Inhalt. Es ist absurd zu behaupten, Leben retten zu wollen, wenn dabei dessen Sinn zerstört wird.

Diese Reaktion zeugt von unserem inexistenten Verhältnis zum Tod, dem blinden Fleck in unserer Kultur. Pathologisch ist dies deswegen, weil der Tod eine Konstante des Lebens darstellt und ein integrativer Teil desselben ist. Das ist gewiss – doch wir verleugnen es.

Die Rückkehr des Todes erscheint derart bedrohlich, weil wir ihn abspalten. Der Tod zwingt uns, über die Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit unseres eigenen Lebens nachzudenken. Das Gutheissen repressiver Massnahmen dürfte nicht zuletzt darin gründen, dass man auch dieser Aufgabe aus dem Weg gehen will. Der moderne Mensch ist unfähig, sich mit sich selbst zu beschäftigen, oder wie es Blaise Pascal formulierte: «Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.»

Die Angst – die zur politischen Manipulation missbraucht wird – liesse sich reduzieren, wenn wir zu akzeptieren lernen würden, dass menschliches Leben befristet ist. Denn das Bewusstsein über die eigene Endlichkeit macht unser Leben einzigartig, eben weil nichts wiederkehrt und jeder Moment eigen ist. Das Schöne liegt im Vergänglichen.

Als Abwehr einer akuten Lebensgefahr kann Angst nützlich sein. Doch sie darf nicht zum permanenten Zustand werden. Eine während zwei Jahren immer weiter eskalierende Drohkulisse hat nichts mehr mit einem affektiven Schutz zu tun. Vielmehr mündet die Verdrängung des Todes in Gewalt – auch rhetorischer, symbolischer und psychischer – gegenüber vermeintlichen Sündenböcken, die als physische Manifestation der Todesgefahr gesehen werden.

Es ist diese verdrängte Angst vor dem Tod, die es verunmöglicht, zum Leben zurückzukehren. Wir werden lernen müssen, mit dem Tod zu leben. Es scheint, als gäbe es zum jetzigen Zeitpunkt zwei Möglichkeiten, mit dieser Tatsache umzugehen.

Die technologische Verwaltung

Die transhumanistische Ideologie gibt vor, die biologische Existenz technologisch konservieren zu können. Diesen Glauben hat man der Menschheit in den vergangenen zwei Jahren schmackhaft zu machen versucht. Doch ein Glaube, der uns von fremden Autoritäten aufgezwungen wird – ein Dogma –, kann keine Befreiung und auch keine Erlösung sein. Dogmen haben in der Geschichte der Menschheit noch nie dem Einzelnen genützt. Diese Zweckreduktion des Lebens kann keine Zukunft haben, denn die menschliche Existenz besteht nicht nur aus rationalistischem Kalkül, sondern zum Beispiel auch aus Intuition oder moralischem Gewissen. Diese Fundamente der menschlichen Existenz sind nicht eingrenzbar, und auch dies gilt es auszuhalten.

Die Transhumanisten sehen im Menschen bloss eine vergängliche Apparatur, die schwach ist und überwunden werden muss. Aber dieses Evolutionsnarrativ haben sie sich selbst konstruiert. Dabei geht verloren, dass sich mit dem Bewusstsein über die eigene Endlichkeit auch die Einsicht entwickeln kann, sein Leben sinnvoll gestalten zu müssen. Das transhumanistische Ziel des ewigen Lebens nimmt dem Leben seinen Zusammenhang und seinen Sinn. Dabei ist das Leben für den Menschen nicht vom Sinn zu trennen, ohne dass er zum Tier degradiert wird.

Diese Wahnvorstellung des ewigen Lebens speist sich aus der Angst vor dem Tod und dessen Verdrängung. Man glaubt, dieser Angst mit technologiebasierter «Human Augmentation» begegnen zu können. Die transhumanistische Heilslehre schöpft ihre Suggestionen aus der Komplexität der heutigen Welt und zielt darauf ab, Menschen ein verwaltetes, delegiertes Leben führen zu lassen.

Im politischen Feld ist mittlerweile offenkundig, dass der Staat sich heute in diese Richtung bewegt. In seiner technokratischen und expertokratischen Massnahmen-Manie war nicht zu erkennen, dass man bereit ist, die individuelle Lebensgestaltung zu respektieren. Auch ein sinnhaftes politisches Ziel war nicht zu identifizieren. Der Sinn fehlte überhaupt gänzlich. Diese ultimative Rechtfertigung aller Repressalien trieb sich so selbst ad absurdum. Doch durch das kollektive Bedürfnis nach Sicherheit sah sich der Staat legitimiert, den Wert des biologischen Überlebens absolut – und damit totalitär – zu setzen.

Doch über den Wert des Lebens kann keine Politik entscheiden; dies muss ein offener Prozess auf individueller und gesellschaftlicher Ebene bleiben. Im Kosmos Platons ist der Mensch nicht das Beste, hat aber eine ewige Seele, die ohnehin unsterblich ist. Wer wie die Transhumanisten selbst Hand am Schicksal anlegen will, wird überheblich. Auf die Hybris folgt die Ernüchterung.

Die aufgeklärte Selbstbestimmtheit

Die andere Möglichkeit fusst in einer radikalen Selbstreflexion, die zu Selbsterkenntnis führt. Es ist im Kern ein aufklärerischer Gedanke, ein Bekenntnis dazu, dass niemand anderes als der Einzelne selbst den Sinn seines Lebens bestimmen kann. Dieser Sinn kann seine Entfaltung auf verschiedene Weise finden: zum Beispiel im Glauben, in der Spiritualität. – Es ist die Verantwortung jedes Einzelnen, sein Koordinatensystem zu kennen, zu überprüfen und anzupassen. Diese Aufgabe scheint unumgänglich zu sein. Anthropologische Erkenntnisse legen nahe, dass ein Glaubenssystem jenseits des Materialismus fundamental für das menschliche Leben ist. Doch mit Technologie werden wir uns nicht einfach der Natur entledigen können. Technologie löst keine Sinnfrage. So hat doch gerade die Technologie der Moderne – nebst ihren zweifellos nützlichen Errungenschaften – zu unfassbaren Beschleunigungs- und Zerstörungsorgien beigetragen.

Jean Ziegler schlägt vor, jeden Tag durch Gedanken, Taten und Träume so viel Glück und Sinn wie möglich für sich und die anderen zu erschaffen. Auf diese Weise soll die Angst vor dem Tod, der Negation des Lebens, gemindert werden.

In der Akzeptanz von Ängsten und Verletzlichkeit sowie der Integration des Todes ins diesseitige Bewusstsein liegt ein grosses existenzialistisches Potenzial für den Menschen. Wenn wir Jean-Paul Sartres «Der Mensch ist zur Freiheit verdammt» als lebenspraktischen Leitfaden wählen, akzeptieren wir keine aufoktroyierten Einschränkungen mehr, die dem Menschen seine Fähigkeit und sein Bedürfnis absprechen, sein Leben selbst zu gestalten. Dann lassen wir auch nicht mehr zu, dass man uns für transhumanistische Pläne instrumentalisiert.

Die Angst vor dem Tod kann wohl verdrängt werden, doch nicht ohne Konsequenzen. Die Verdrängung führt zu einer latent psychotischen Realitätsflucht und zur Entfremdung des Selbst von der Wirklichkeit. Der Mensch muss also der Verdrängung der Angst entsagen, denn sie hält ihn in Gefangenschaft.
Ein mündiger Mensch wählt nie mehr freiwillig den Zustand der Entmündigung, der Angst und der Schuld. Der mündige Mensch bedient sich nach Immanuel Kant nicht mehr der Anleitung eines anderen, sondern benutzt seinen eigenen Verstand. Das Projekt der Aufklärung gibt es nicht umsonst: Es setzt Mut und Entschlossenheit voraus. ♦


von Armin Stalder
Credit (Bild): pexels.com – Cottonbro


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Von der Hand in den Mund

Auf dem Biohof Gumme oberhalb von Thörishaus nahe der Stadt Bern beackert eine kleine motivierte Gemeinschaft mit viel Handarbeit, Liebe und Fleiss einen kleinen steilen Flecken Land und versucht dort, neue Wege zu gehen. Das frische Obst und Gemüse vertreiben die Bäuerinnen und Bauern im Abo-System und auf regionalen Märkten. Lokal produzieren und lokal konsumieren – das hat Zukunftspotenzial.

Über dem Sensegraben am sonnenverwöhnten Südhang mit wunderbarem Ausblick auf die Gantrischkette arbeitet die kleine Gemeinschaft noch vorwiegend von Hand. Und da sie versucht, in geschlossenen Kreisläufen mit statt gegen die Natur zu arbeiten, ist ihre Wirtschaftsweise auch enkeltauglich.

«Wir möchten Landwirtschaft möglichst ressourcenschonend betreiben», sagt Betriebsleiter Thomas alias Gogo Ramser. Denn dass immer grösser auch besser sei, entspringe der überholten Idee aus Zeiten der Industrialisierung, die unter anderem zu degenerierten und vergifteten Böden, Insektensterben und vergiftetem Wasser geführt habe.

Fünf Parteien von Jung bis Alt leben und arbeiten auf dem Biohof Gumme wie in einer kleinen Dorfgemeinschaft. Die Grosselterngeneration Paula & Fritz Jost, die den Betrieb noch konventionell führten, wohnen unterdessen im schmucken Stöckli. Im Bauernhaus nebenan wohnen die beiden jungen Familien von ihrer Tochter Bea mit Gogo Ramser sowie ihrer Tochter Hanna und Marianne und Thomas Wieland mit ihren beiden Söhnen Manuel und Jaro. Der Gemüsegärtner Daniel Flühmann aus Mittelhäusern und der Weinfachmann Serge Berger aus Bern komplettieren das Gumme-Team. Dazu kommen immer wieder helfende Hände wie die von Elsbeth und Tanja, die der Gumme-Gemeinschaft freiwillig unter die Arme greifen.

Was sie alle vereint ist der Wunsch nach einer nachhaltigen Landwirtschaft mit kleinem ökologischen Fussabdruck und einem achtsamen Umgang mit Menschen, Tieren, Pflanzen, dem Boden, dem Wasser und der Luft. Die industrielle Landwirtschaft führe in eine Sackgasse, davon ist Gogo überzeugt: «Wo sie betrieben wird, sind die Böden vielerorts degeneriert und mit Schadstoffen belastet – etwa in China, den USA und in Europa. Der Humusgehalt der Böden war früher viel höher. Unterdessen ähnelt er mit 2 bis 2,5 Prozent vielerorts demjenigen in der Wüste. Der Rückhalt von Wasser und Nährstoffen in solchen Böden ist schlecht, und sie erodieren leicht.»

Hier sucht die kleine Gemeinschaft nach neuen Lösungen. Auf ihrem Land sollen auch noch ihre Kinder fruchtbare Böden antreten können. «Ich wünschte mir, dass wieder mehr Menschen in der Landwirtschaft arbeiten und dass der Boden wieder vermehrt von Hand bearbeitet wird», äussert der Betriebsleiter. So hätte einst die Hälfte der Bevölkerung in der Landwirtschaft gearbeitet, seien es heute noch magere zwei Prozent. «Deshalb fehlt den Menschen der Bezug zur Landwirtschaft und zu den Lebensmitteln. Die Nahrung sollte wieder einen höheren Stellenwert erhalten.»

An diesem schönen Sommernachmittag ist Feldarbeit Trumpf. Boden lockern ist angesagt. Mit grossen überdimensionalen Stechgabeln wird Luft in die unteren Bodenschichten transportiert und damit die Mineralisierung des Bodens unterstützt. «Das ist mein Lieblingssport», sagt Bea augenzwinkernd, während ihr der Schweiss von der Stirn rinnt. Die Bodenqualität zu verbessern sei eines der Steckenpferde der Hofgemeinschaft, wie ihr Mann und Betriebsleiter Gogo später unter dem kühlenden Laubdach des Lindenbaumes auf dem Hofplatz erzählt: «Wir arbeiten mit effektiven Mikroorganismen, den sogenannten EM, um die Bodenfruchtbarkeit zu verbessern.» Kleinstlebewesen oder Mikroorganismen bauen im Boden dauernd Stoffe um. Sie stellen den Pflanzen Nährstoffe zur Verfügung und tragen so zu einem fruchtbareren Boden bei. «Wir setzen EM auch im Stall ein gegen die Fliegen und impfen den Kompost damit.»

Ein zweiter raffinierter Helfer auf dem Hof ist der Komposttee, ein Kaltwasserauszug aus Kompost oder Regenwurmhumus. Bei dieser Methode der regenerativen Landwirtschaft werden aerobe Mikroorganismen vermehrt, um Pflanzen zu stärken und gesund zu halten. Der Tee wird aufgespritzt und damit der Pflanze ein Impuls gegeben. Dieser kurbelt die Photosynthese-Leistung der Pflanze an. Sie wird vitaler und ihr Immunsystem gestärkt, womit sie sich besser gegen Schadpilze und Schädlinge wehren kann. Während die konventionelle Landwirtschaft diesen Kleinstlebewesen mit Giften – Fungiziden, Pestiziden und Herbiziden – zuleibe rückt, setzt die Gumme-Gemeinschaft so weit wie möglich auf einen diametral entgegengesetzten Kurs: «Wir wollen die Pflanzen und den Boden stärken, damit die Natur sich selber ins Gleichgewicht bringen kann», sagt Gogo.

Damit ist die Gumme-Hofgemeinschaft bisher gut gefahren. Die Nachfrage nach ihren Gemüse-Abos ist stabil. Auch auf den Gemüsemärkten in der näheren Umgebung – Thörishaus, Mittelhäusern und Bern – ist ihr frisches und regional produziertes Obst und Gemüse ebenfalls sehr beliebt.

Dabei hatte einst alles klein angefangen: Anfangs bewirtschafteten Paula und Fritz den Hof noch zu zweit mit Helferinnen und Helfern. 2015 fand dann auch Daniel Flühmann auf dem Hof sein Glück. Er konnte einen Blätz Land übernehmen und dort sein Gemüse anpflanzen. Mittlerweile baut er eine grosse Varietät an Gemüse an und liefert seinen Abonnentinnen und Abonnenten einmal pro Woche eine kleine oder grosse Kiste Gemüse in eines der sechs Depots in der Region aus, wo die Kundschaft ihr Gemüse erntefrisch abholen kann.

Im selben Jahr legte die Gemeinschaft zusammen mit Serge Berger von der Rebenhackerei Berger aus Bern einen kleinen Weinberg mit Pinot-Noir-Reben an. Marianne und Tom leben schon länger auf dem Hof, wobei Tom mit seinem «GmüesEsel» weitherum bekannt ist. Mit seinem Carla Cargo-Veloanhänger radelt er den Hochstammbäumen in der Region nach, pflückt deren Früchte und pedalt mit bis zu 200 Kilogramm Gewicht auf dem Anhänger zurück auf den Gumme-Hof, um die Köstlichkeiten dort mit einfachsten Mitteln zu verarbeiten. Im Dorf unten bietet er der Bevölkerung überdies seine muskelbetriebenen Geräte zur Mitbenutzung an: Zwei Velos, ein Crosstrainer und ein Rudergerät treiben Mühlen zur Produktion von Polenta, Hartweizengriess, Weizenmehl oder Roggenmehl und Ölpressen zur Produktion von Rapsöl an. Auch auf dem Hof nutzt Tom ausgeklügelte Technik für seinen Dörrapparat. So sorgt ein Wasser-Luft-Tauscher dafür, dass aus dem Warmwasserüberschuss der Warmwasserkollektoren auf dem Dach warme Luft entsteht, mit der er seine Bohnen, Kirschen, Zwetschgen, Birnen und Äpfel dörren und haltbar machen kann.

Ein Einkommen aus kleinen Nebenerwerben ermöglicht der Gemeinschaft zudem noch mehr Narrenfreiheit bei ihrer innovativen Form der Landwirtschaft.

Diesen warmen Sommerabend liessen sie ausklingen bei gemeinnütziger Arbeit im Sensegraben, indem sie den Fluss von Abfällen befreiten – Idealistinnen und Idealisten durch und durch! ♦


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Chelsea und ich: Relativ frei – Hafturlaub

«Just wear the fucking mask!» – «Zieht doch einfach die verfluchte Maske an!» Chelsea Manning schaut mich starr an, fast abwesend. Da ist es wieder – dieses mittlerweile vertraute Gefühl, das mir immer dann in die Magengrube kriecht, wenn der Respekt, den ich für einen meiner Helden hatte, an oder mit Corona stirbt.

Chelsea Manning, geboren 1987 als Bradley Manning, übergab 2010 hunderttausende geheime Dokumente der US-Armee an Wikileaks. Die Whistleblower-Plattform von Julian Assange veröffentlichte das hochbrisante Material, wobei vor allem das Video mit dem Titel «Collateral Murder» traurige Berühmtheit erlangte. Die Aufzeichnungen der Apache-Helikopter offenbaren fürchterliche Grausamkeiten der US-Soldaten. Mindestens ein Dutzend unbewaffnete Menschen wurden bei den Angriffen der Helikopter in Bagdad getötet, darunter Journalisten und Helfer, die Verwundete versorgen wollten. Ein Mädchen und ein Junge mussten mit ansehen, wie ihr Vater vor ihren Augen erschossen wurde, die Kinder überlebten schwer verletzt.

Die Bilder haben nichts gemein mit den Action-Filmen «Green Zone» oder «American Sniper» und der restlichen Propaganda, die uns Hollywood über den Krieg erzählt. Dank Chelsea Manning wissen wir, dass die Fratze des Krieges mit dem hübschen Gesicht von Matt Damon rein gar nichts zu tun hat. …

von Michael Bubendorf


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