Skip to main content

Errichte dir eine Stadt

Build yourself a city, found yourself a state.
Grab the swamp and drain it,
cut the log and plane it,
make the hills and valleys fields.
And on the manmade plain,
breath your last complain,
slay your shame,
forget your name.
Do not strive for pity, build yourself a city.

Obwohl er heute weitgehend vergessen ist, war Eric Hoffer einer der bedeutenden Philosophen des 20. Jahrhunderts. Hoffer war jedoch kein Akademiker mit hochtrabenden Titeln; er war ein Hafenarbeiter, einer von Hunderten von Männern, die Schiffe an den Docks von San Francisco entluden. Ich empfehle Ihnen Hoffers Bücher, aber heute möchte ich mich auf ein Gedicht konzentrieren, das er in einem Interview im Jahr 1967 rezitierte. Hoffer hatte es im Hafen von San Francisco gesehen, es stand an einer Wand am Pier 35 geschrieben:

Errichte dir eine Stadt, gründe dir einen Staat.
Nimm den Sumpf und lege in trocken,
fälle den Baum und hoble ihn,
mach aus den Hügeln und Tälern Felder,
Und auf der von Menschenhand geschaffenen Ebene,
hauche deine letzte Klage aus,
bezwinge deine Schande,
vergiss deinen Namen.
Strebe nicht nach Mitleid, errichte dir eine Stadt.

Nach meinem Verständnis muss dieses Gedicht im Kontext der Bürgerrechtsbewegung der damaligen Zeit gelesen werden. Falls dem so ist, war Hoffer ziemlich mutig, vor allem in seinem Aufruf «Strebe nicht nach Mitleid». Doch der Gedanke war nicht falsch und er war sicherlich nicht der Einzige, der so dachte: Der ehemalige – schwarze – Bürgermeister von Chicago, Harold Washington, pflegte zu sagen: «Wenn sie dir die Tür vor der Nase zuschlagen, brich sie auf.»

Ungeachtet meiner Vorbehalte gegen die Idee, einen Staat aufzubauen, ist dieses Gedicht wichtig für uns, die produktiven und denkenden Menschen dieser Zeit, weil wir sind jetzt die Unterdrückten und brauchen einen Weg in die Zukunft.

Wir alle wissen, dass das System uns täglich belügt. Wir wissen, wie dreist es seine bizarre und zutiefst zerstörerische Politik vorantreibt, beispielsweise wenn es unseren Kindern beibringt, dass es eine gute Idee sei, sich von einem Jungen in ein Mädchen umwandeln zu lassen und umgekehrt. Oder wenn sie Transvestiten in die Kindergärten bringen – und sich dabei wie rechtschaffene Weltretter aufführen.

Ich kann kaum glauben, solche Dinge schreiben zu müssen, und doch muss ich es tun … und wir alle müssen der Wahrheit ins Auge sehen: Das System ist komplett übergeschnappt, und es gibt niemanden, der etwas dagegen unternehmen kann ausser uns, die aktuelle Erwachsenengeneration.

Wir dürfen uns jetzt nicht in Klagen ergehen und auch nicht auf versteckte Retter hoffen oder beten, dass sich das System auf magische Weise an seine vermeintlichen Tugenden erinnert, und ganz sicher dürfen wir nicht hassen und zerstören.

Was wir stattdessen tun müssen, ist, uns eine eigene Stadt aufzubauen. Wir müssen ein neues Reich schaffen, in dem Anstand und Vernunft zumindest gleichberechtigt neben der absichtlichen Zerstörung von Werten stehen.

Noch einmal: Es gibt niemand anderen, der das tut. Das System ist wahnsinnig geworden und wenn es jemand gäbe, der uns retten kommt, hätte er es 2020 oder 2021 getan. Wir müssen uns darum kümmern. Die Alternative würde bedeuten, unsere Kinder zu opfern.

Die gute Nachricht ist, dass unsere neue Stadt bereits ein Fundament hat. Hier sind die Dinge, die wir schon haben:

unser eigenes Geld: Wir haben Geld, das ausserhalb der Monopolwährungen besteht, die dem System seine Kraft verleihen. Vor allem haben wir Bitcoin, der von niemandem bewilligt werden muss, dank seiner dezentralen Funktionsweise gegen Zensur resistent ist und wiederholte Angriffe überstanden hat. Er funktioniert weiter und wird jeden Tag einfacher. Silber und Gold haben ebenfalls ein grosses Potenzial.

unsere eigenen Schulen: Vergessen wir für einen Moment, dass uns das System zwingt, für eine zunehmend entwürdigende Schulbildung zu bezahlen: Wir haben Hausunterricht, der weitaus besser ist als staatliche Schulen, ganz zu schweigen davon, dass er wesentlich sicherer ist. Wir haben auch einige hervorragende Privatschulen (nebst einigen nicht so guten).

privater Handel: Trotz Aufblähung der Konzerne während der Nullzins-Ära gibt es nach wie vor viele Familienunternehmen; unabhängige Betriebe mit menschlichen Geschäftsleuten. Sie stehen uns zur Verfügung.

unsere Religionen: Auch wenn wir Verbesserungspotenzial in ihnen sehen; das Christentum und das Judentum bleiben bestehen, und durch sie wird die Sichtweise anständiger, produktiver Menschen getragen und weitergegeben.

Wir haben also alles, was wir brauchen, aber wir müssen handeln … und aufhören, uns schuldig zu fühlen und uns für unsere Tugenden zu entschuldigen. Wir haben eine Stadt zu bauen. Niemand wird es tun, ausser wir selbst. Das Wohlergehen unserer Kinder und Grosskinder steht auf dem Spiel. ♦

von Paul Rosenberg

***

Paul Rosenberg beschäftigt sich seit der ersten Cypherpunk-Ära intensiv mit Kryptografie. Er ist Co-Autor eines Grundlagenpapiers über private digitale Volkswirtschaften. Dieser Artikel ist zuerst im März 2023 auf seinem Blog freemansperspective.com erschien. Ins Deutsche übersetzt von Michael Bubendorf und Christian Schmid Rodriguez.


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Teile diesen Beitrag mit deinen Freunden

Verwerflich: Diskriminierung im Tierreich!

Ich bin verwirrt, nein, erschöpft. Das Farbwort schwarz macht mich total fertig. Was geht sprachpolizeilich noch, was nicht mehr, wann droht gar Anklage, Busse oder Haft? Bei der humanen Anwendung geht gar nichts mehr, obschon niger ja für lateinisch schwarz steht. Dafür wird mit der Farbe schwarz rücksichtslos im Tierreich gewütet. Bären sind an der Börse im Gegensatz zu den Bullen, diese meist schwarzer Farbe, verhasst, ausser bei denen, die auf sinkende Kurse setzen. Aber bei allen anderen gelten sie als Problembären, die einen Bärenmarkt auslösen, der die Börsenhändler schwarz sehen lässt.

Ein anderer Vertreter aus der Tierwelt wird noch mehr gefürchtet: der schwarze Schwan. Es dürfte kein Zufall sein, dass Nassim Nicholas, der 2007 den schwarzen Schwänen ein Buch widmete, ein Börsianer ist. Seitdem versteht man unter einem schwarzen Schwan ein seltenes, negatives Ereignis, dessen Folgen grosse Kollateralschäden auslösen können. Corona war so ein Cygnus niger, ein schwarzviraler Schwan.

Der Finanzspezialist Markus Krall hat sich sogar erdreistet, ein Buch mit dem Titel «Wenn schwarze Schwäne Junge kriegen» zu schreiben. Eine schwarze bedeutungsmässig negativ konnotierte Grossfamilie? Hallo? Hat die inklusiv-diverse Sprachpolizei noch nicht gemerkt, dass die Diskriminierung im Reich der Tiere weit fortgeschritten ist? Eine Minderheit wird aufgrund ihrer Federfarbe an den Rand des Tierreichs gedrängt. Ich werde die Bewegung BSM gründen: Black Swan Matters …

von Marco Caimi


Du möchtest den ganzen Artikel lesen? Dann bestelle jetzt die 07. Ausgabe oder gleich ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Teile diesen Beitrag mit deinen Freunden

Einen Nährboden für die Zukunft schaffen

Eine neue Welt ist möglich! Doch oft mangelt es zukunftsweisenden und nachhaltigen Projekten an Geld, das andernorts wiederum in Hülle und Fülle vorhanden ist. Hier eine Brücke zwischen Geldgebern und Projektinitiierenden zu bauen, das haben sich Pius Christ und Patrick Annicchiarico zum Ziel gesetzt und dazu die Stiftung Fondation Goldapfel ins Leben gerufen.

«Ein im Herzen eines Apfels versteckter Kern ist ein unsichtbarer Obstgarten», schrieb einst Khalil Gibran, der bekannte Poet und Mystiker aus dem Libanon. Doch nur, wenn der Kern auf fruchtbaren Boden fällt, kann er reiche Früchte hervorbringen. Diesem Kern – den nachhaltigen Ideen innovativer Menschen – wollen die beiden Stiftungsväter einen fruchtbaren Boden bereiten. «Denn wenn wir ein selbstbestimmtes Leben in einer freien Gesellschaft führen wollen, dann müssen wir das Heft selber in die Hand nehmen, um den Kurs unserer Reise mitzugestalten», sagt Pius Christ.

Eine glückliche Fügung wollte es, dass sich Pius Christs und Patrick Annicchiaricos Wege kreuzten. Patrick Annicchiarico fing schnell Feuer für die Idee, die passenden Investoren mit nachhaltigen Projekten zusammenzuführen. Deshalb gründeten sie nach anderthalb Jahren Vorbereitungsphase im Juli 2022 die Fondation Goldapfel unter dem Dach der Stiftung Freie Gemeinschaftsbank in Basel, was den aufwendigen Gründungsprozess stark vereinfachte.

Ein Geschenk des Himmels waren die Leitsätze, die ihnen zugeflogen kamen. Etwa, dass sie mit Freude, Begeisterung und Liebe ein System bauen, das Herzen berührt und über Generationen wirkt. Dass sie grenzenlos und über den Gartenzaun hinaus zu denken wagen. Und dass ihr Tun die Spiritualität mit einschliesst. «Leben hat auch eine sakrale Ebene», sagt Patrick Annicchiarico und fügt hinzu, dass diese spirituelle Komponente nun auch vermehrt in den Geschäftsverbindungen eine Rolle spielen solle, zumal sie mit den Projekten, die sie anstossen, auch ein neues Bewusstsein fördern wollen.

Dass schönen Worten auch Taten folgen, konnten sie bereits beweisen. Mit dem Gründungskapital fördern sie mit Saat und Korn im Raum Biel-Solothurn ein erstes Projekt im Bereich neuer Ernährungsformen. «Angesichts der steigenden Rohstoff- und Lebensmittelpreise wollen wir die Ernährungsfrage wieder in die Hände der Konsumentinnen und Konsumenten legen», so Pius Christ. Mit seiner Erfahrung im Engagement gegen Foodwaste und einem grossen Netzwerk in der Bioproduzentenszene bietet sich hier eine einzigartige Chance, etwas Sinnvolles zu realisieren. Die Vision einer solidarischen Kooperative, die naturwertschätzende Produkte aus der Region zu fairen Preisen für Konsumenten und Produzenten anbietet, treibt ihn an. «Doch es geht um viel mehr als nur um eine Kooperative», meint Pius Christ: «Mit einer regionalen und regenerativen Lebensmittelproduktion entsteht eine neue Kultur mit einer lokalen Wertschöpfung.» Das könnte sogar so weit gehen, dass ein Ausgleich mit alternativen Zahlungsmöglichkeiten entsteht.

Zurzeit beschäftigen sie sich auch mit der Entwicklung eines co-working space für temporäre und feste Arbeitsplätze sowie der Realisation von Ideen und Vorhaben, die sich am Kooperationsprinzip der Natur orientieren. Dabei werfen sie unter anderem ein Auge auf die Forschungsarbeiten von Patrik Mürner, dem Pioniermykologen der Schweiz. Mit dem Projekt Mycosuisse erforscht und entwickelt er verschiedene Anwendungsbereiche für Pilzmyzelien. Mittels Pilzen sollen Böden und andere Altlasten saniert werden. Durch den Einsatz von Pilzmyzelien entstehen aber auch unzählige weitere interessante Möglichkeiten, etwa für die Textilbranche, das Bauwesen, für die Renaturierung von Bioanbauflächen, das Verpackungswesen, die Gastronomie sowie die Medizin. «Der Pilz wird uns auf dem Weg in eine bessere Zukunft begleiten», ist Pius Christ überzeugt. «Was der Pilzforscher Patrik Mürner noch alles herausfinden wird, darauf dürfen wir gespannt sein. Es ist jedoch jetzt schon absehbar, dass Pilze unzählige Anwendungsmöglichkeiten zum ressourcenschonenden Bauen und Produzieren bieten.»

Solchen nachhaltigen Projekten widmet sich die Fondation Goldapfel weiterhin mit viel Engagement, denn die Initianten sind davon überzeugt, dass die Natur jenes Wissen in sich trägt, das den Menschen eine gesunde und erfüllende Zukunft ermöglicht. ♦

von Redaktion

***

Pius Christ sorgte 2018 für Schlagzeilen: Als ein Zürcher Grossbetrieb 30 Tonnen Biotomaten nicht an den Handel liefern konnte, lancierte Christ gemeinsam mit einer Zürcher Partnerorganisation eine einzigartige Verkaufsaktion. Das Einstehen für Sinnvolles, Nützliches und dem Menschen Dienliches treibt den weitsichtigen Unternehmer und Kommunikationsprofi an, der Führungserfahrung in unterschiedlichen KMUs und Start-ups mitbringt. «Mit der Stiftung Goldapfel setzen wir eine Vision um: Wir unterstützen Netzwerke und neue Ideen, in denen Werte der Verbundenheit gelebt werden und wo Kreativität, Kooperation und Vertrauen alltägliche Realitäten sind.» naturmachtschule.ch

Patrick Annicchiarico erforscht seit bald 25 Jahren, was Himmel und Erde verbindet. Am Anfang seiner Reise stand Clemens Kubys «Unterwegs in die nächste Dimension», in dem dieser spektakuläre Heilungsphänomene dokumentiert, die der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt sind. Dieser Film weckte Patrick Annicchiaricos Spürsinn schon früh. Beruflich hatte er eine Laufbahn im Uhrensektor eingeschlagen und in verschiedenen Positionen erfolgreich Schweizer Markenuhren verkauft. Als passioniertem Alpinisten ist ihm bewusst, wie schnell alles enden kann und wie kostbar das Leben auf unserer Erde ist. «Die Zeit ist nun reif, all diesen Erkenntnissen entsprechende Aufmerksamkeit zu widmen.» welcome-to-elysion.com

Die Fondation Goldapfel

Das Leben neu und sinnstiftend gestalten: Liegt das auch dir am Herzen und du möchtest einen Beitrag leisten und deine Qualität einbringen? Oder hast du eine Projektidee im Bereich Bildung, Natur oder Kultur, die den Kriterien der Fondation Goldapfel entspricht? Dann freuen sich die Initianten auf deine Kontaktaufnahme. fondation-goldapfel.ch


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Teile diesen Beitrag mit deinen Freunden

Macht Euch die Erde untertan

Dieser Satz ist die Lunte zur Menschheitsgeschichte, einer jahrtausendealten Geschichte nicht abreissen wollender Gewalt als logische Folge des fatalsten und folgenschwersten Irrtums der Schriftauslegung.

Ein erfolgreiches Leben misst sich daran, ob man diese Welt in einem besseren Zustand hinterlässt, als man sie vorgefunden hat. Bis hierhin sind wir uns einig, Klaus Schwab, Greta und die Klimakleber, die WHO und ich. Aber wie misst man den Einfluss eines einzelnen Lebens auf diese Welt? Welcher Mensch kann sich eines persönlichen Beitrags zu einem Sonnenaufgang oder Vulkanausbruch rühmen?

An indischen Universitäten verabschiedet man abends die Sonne singend mit dem Sonnenuntergangsmantra und begrüsst sie morgens mit dem Sonnenaufgangsmantra. An unseren Universitäten setzt man abends Tweets ab wie «Die Sonne geht unter – Schuld ist der Klimawandel», woraufhin Wissenschaftler mit Verweis auf computergestützte Dunkelheitssimulationsmodelle prognostizieren, dass die Nacht diesmal monatelang andauern werde, um dann den unerwarteten Sonnenaufgang zu kommentieren mit: «Das haben wir alle gemeinsam geschafft.»

Wer die Welt verändern will, muss sich selbst verändern. Das heisst, man kann die Welt nur um so viel verbessern, wie man sich selbst verbessert. Alles andere ist Selbstüberschätzung. Über andere zu herrschen ist nie eine höhere Berufung, sondern immer ein grössenwahnsinniges Hinabsinken unter seine eigenen Möglichkeiten. Wer Lust auf ein Regierungsmandat verspürt, folgt keinem höheren Ruf, sondern einem niederen Trieb. Denn Dummheit regiert die Welt.

Wer hingegen durch Selbstbeherrschung das Wunder vollbringt, sich selber in seinem Denken, Reden und Handeln zu verbessern, wird diese Welt gleichsam für alle Menschen verbessern, die mit ihm in Berührung kommen. Und erstaunlicherweise führt genau das dazu, dass man dann doch noch mehr als nur sich selbst zu verbessern vermag, nämlich indem man andere durch sein Vorbild dazu anleitet, sich ebenfalls selbst zu verbessern.

Der Irrtum ist so alt wie die Menschheit und geht zurück auf einen Satz in der Genesis: «Macht euch die Erde untertan.» Seit dieser göttlichen Befehlsausgabe versucht der Mensch die Welt zu beherrschen. Tausende von Jahren Krieg und Unterdrückung sind die Folge …

von Andreas Thiel

***

Andreas Thiel etabliert durch seine sprachphilosophischen Betrachtungen eine durch Platon inspirierte neue Schule des Denkens, unter anderem mit seinem Format «Yoyogaga» auf kontrafunk.radio. 2023 erschien der Pilotfilm zu seiner staatsphilosophischen Filmserie «Les Sanspapiers», welche er zusammen mit Prof. Dr. iur. David Dürr produziert: lessanspapiers.ch


Du möchtest den ganzen Artikel lesen? Dann bestelle jetzt die 07. Ausgabe oder gleich ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Teile diesen Beitrag mit deinen Freunden

Mein Haus, mein Auto, mein Boot – sieht so Erfolg aus?

Nachdenken über das Streben des Menschen angesichts einer Welt, die im Wandel steht.

Ein Mensch wird geboren. Um die neun Monate lang hat er sich dahin entwickelt. Im Laufe der sechsten Schwangerschaftswoche begannen die ersten Organe, Form anzunehmen – sein Herz fing an zu schlagen. Etwa ab der 15. Schwangerschaftswoche war er in der Lage, zu schlucken und sein Fruchtwasser zu trinken. Ab ungefähr der 24. Schwangerschaftswoche war es ihm möglich, mehrere Stunden lang durchzuschlafen. Zudem begannen die Lungenzellen mit der Produktion des sogenannten Surfactant, einer Substanz, die die Oberflächenspannung der Lungenbläschen reduziert, damit sich die Lunge gut entfalten kann – ein weiterer entscheidender Schritt in Richtung Überlebensfähigkeit.

Ein Mensch wird geboren: Eine Erfolgsgeschichte? Gleichwohl es ein natürlicher Prozess ist, ist es keine Selbstverständlichkeit, dass er tatsächlich vollzogen wird. Man denke nur daran, was sich alles an Komplikationen in der Zeit von der Zeugung bis zur Geburt ereignen kann, die erschweren oder gar verunmöglichen, dass die mikroskopische kleine Keimzelle heran- und ausreift. Auch während oder direkt nach der Geburt. Wird beispielsweise der erste Stuhl des Kindes, Mekonium genannt, bereits in der Gebärmutter abgegeben und nicht in den ersten Tagen nach der Geburt, drohen gefährliche Folgen für das Kind, beispielsweise kann es zu einer schweren Lungenentzündung durch Mekoniumaspiration kommen.

Ein Mensch wird geboren. Bleiben wir dabei, dass das ein Erfolg ist, jedes Mal, wobei freilich zunächst der Begriff definiert werden muss. Das althochdeutsche Verb «erfolgen» bedeutet erstmal nichts weiter als dass eine Handlung zu einem Ergebnis führt. Erfolg folgt also aus dem, was man tut; etwas wird erreicht respektive wird einem zuteil. Das ist gross gefasst und impliziert eine Beliebigkeit, die dem gängigen Gebrauch nicht mehr entspricht. Gelingt es, morgens aus dem Bett zu steigen und sich eine Tasse Kaffee zu machen, würde niemand von Erfolg sprechen oder vielleicht nur die, denen das antriebsbedingt enorm schwer fällt.

Der Duden beschreibt Erfolg als «positives Ergebnis einer Bemühung» oder «Eintreten einer beabsichtigten, erstrebten Wirkung». Erfolgreich zu sein heisst demnach, das zu bekommen, was man will. Oder anders ausgedrückt: Die erbrachte Leistung liegt mindestens auf, besser noch über dem Bereich der selbst und/oder von anderen gesetzten Erwartung. Der kapitalistisch geprägte Mensch ist überdies darauf konditioniert, Erfolg in Zusammenhang mit monetärem Zugewinn zu stellen; ins Sichtbare gebracht durch Statussymbole gemäss der legendären Sparkassen-Werbung: «Mein Haus, mein Auto, mein Boot.»

Nun aber ist der Mensch ganz wesenhaft dafür begabt, zu scheitern …

von Sylvie-Sophie Schindler

***

Sylvie-Sophie Schindler ist philosophisch und pädagogisch ausgebildet und hat über 1500 Kinder begleitet. Die Journalistin ist Trägerin des Walter-Kempowski-Literaturpreises und publiziert unter anderem bei der «Weltwoche».


Du möchtest den ganzen Artikel lesen? Dann bestelle jetzt die 07. Ausgabe oder gleich ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Teile diesen Beitrag mit deinen Freunden

Rote oder blaue Brille?

Drei kräftezehrende Jahre lang haben wir ihn vehement verteidigt, uns vor ihm aufgebaut, unsere schützende Hand über ihn gehalten, um ihn vor Lügen, Propaganda und publizistischem Schmutz zu bewahren, den massenmediale Muldenkipper vor seinen schmaler werdenden Zugängen abgeladen haben – den Debattenraum.

Zeit, Bilanz zu ziehen. Zeit, sich zu fragen, was das alles gebracht hat. Scheint unser Habitat doch trotz dieses selbstlosen Engagements von Idealisten zum Dystopia einer oktroyierten Zeitenwende zu verkommen.

Quartalsberichte, Umsatzkennzahlen, Marktanteile, Seitenaufrufe, Return on Investment (ROI): Auf Basis derartiger «Key Performance Indicators» (KPI) würde man den Erfolg neuer Medien im Management bewerten. Vermutlich sähen entsprechende Statusberichte ganz passabel aus. Denn nie zuvor in der Zivilisationsgeschichte hatte die «fünfte Gewalt» mehr Zulauf, mehr Publikum, mehr Relevanz und mehr Momentum als in den zurückliegenden drei Jahren. Nie zuvor im Postfaktum des Medienzeitalters haben mehr Menschen weltweit gleichzeitig nach alternativen Informationsquellen, objektiver Berichterstattung und intellektueller Einordnung des Zeitgeschehens gesucht als im Zuge der Corona-Krise. Und dieser Trend setzt sich in Anbetracht des zusehends eskalierenden Ukraine-Konflikts, der postulierten Klima-Apokalypse oder dem dunkelgrünen Klassenkampf von oben ungehindert fort.

Nun greift der Ansatz, den Erfolg der fünften Gewalt nach rein betriebswirtschaftlichen Kriterien bewerten zu wollen, natürlich zu kurz. Denn obschon auch neue Medien und ausserparlamentarische Opposition kostendeckend arbeiten oder infrastrukturelle Fixkosten bewältigen müssen, ist monetärer Erfolg selten Primärantrieb der Initiatoren. Für sie steht zumeist gesellschaftlicher «Impact», also der Wirkungsgrad ihres Handelns im Fokus. Sie interessieren sich für den Effekt, den ihre Arbeit auf das sozioökonomische Umfeld, auf Politik und Kulturbetrieb hat. Für das Echo, das ihr Wirken im öffentlichen Raum evoziert. Naturgemäss sind dergestalt Resultate ungleich schwerer quantifizierbar als unternehmerische Triumphe, die sich in Kontoauszügen und Bilanzen niederschlagen.

Zudem ist Erfolg stets abhängig vom eigenen Anspruchsdenken sowie der individuellen Perspektive. Für Tagediebe und Faulenzer mag es schon ein Erfolg sein, sich trotz akuter Unlust pünktlich zur Arbeit eingefunden zu haben, während der getriebene Workaholic trotz ambitioniertem Tagespensum auch nach zwölf Stunden Maloche noch nicht vom Gefühl der Zufriedenheit beschlichen wird. Für die Massai in Kenia ist es bereits ein Segen, wenn nachts keine der wertvollen Dorfziegen vom Löwen gerissen wurde. Für eine in bitterer Armut lebende Familie im Sudan heisst Glück, dass ausnahmsweise mal niemand Hunger oder Durst leiden muss. Und für die Bewohner eines von Bombenhagel heimgesuchten Kriegsgebietes ist jeder weitere Tag, an dem man dem Tod von der Schippe gesprungen ist, ein grosser Erfolg.

Wie also ist das Erreichte zu bewerten? Wohin haben das Engagement von Corona-Massnahmenkritik, Bürgerrechtsbewegung und fünfter Gewalt geführt? Welche Resultate hat der zum Teil massive Arbeitsaufwand der ausserparlamentarischen Opposition gezeitigt? Zunächst ist diesbezüglich einzuräumen: Ja, es hätte durchaus besser laufen können – aber eben auch deutlich schlechter. Immerhin waren die Schweiz und Schweden diejenigen Länder, in denen die mildesten Corona-Massnahmen herrschten. Kein Vergleich mit Australien, wo das Regime eine strikte Zero-Covid-Strategie verfolgte, der österreichischen Impfpflicht oder Deutschland, wo man die Bevölkerung deutlich länger mit faschistoiden 2G-Reglements, Ausgangssperren und ausufernder Maskenpflicht gängelte.

Natürlich wäre es erfreulich gewesen, hätte man das hiesige Covid-Gesetz bereits mit der Volksabstimmung im November 2021 ad acta legen können. Selbstverständlich wäre es zu begrüssen gewesen, hätten sich noch mehr Menschen mit den kritischen Stimmen in puncto mRNA-Technologie beschäftigt, anstatt blindlings der Propaganda mafiöser Pharmakartelle und usurpierter Massenmedien anheimzufallen. Auf der anderen Seite haben hierzulande im November 2021 über 40 Prozent an der Urne gegen das Covid-Gesetz votiert. In der Alterskohorte unter 30 wäre es abgelehnt worden. Zu einem Zeitpunkt, als offizielle Stellen den kritischen Anteil der Bevölkerung beim nördlichen Nachbarn auf maximal 20 Prozent beziffern wollten. Und in Liechtenstein stimmten schon letzten September 52,7 Prozent der Wähler gegen die gesetzliche Grundlage für segregierende 2G-Reglements.

«Erfolg hat nur, wer etwas tut, während er auf den Erfolg wartet», konstatierte dereinst der Erfinder Thomas Alva Edison. Das gilt im Zuge der Corona-Krise speziell für die Sprache. Denn sie war das erste Opfer dieses korporatistisch orchestrierten Social-Engineering-Experiments, dessen Primärziel darin bestand, flächendeckenden Konformismus zu erzeugen. Eine perverse Umdeutung tradierter Begrifflichkeiten ungekannten Ausmasses griff Raum. Wörter wie Solidarität und Freiheit wurden ad absurdum geführt und ihrer Definition beraubt. Und die «Lämmer schwiegen» (Rainer Mausfeld, 2015). So ist davon auszugehen, dass ohne die Arbeit der neuen Medien und kritischen Netzwerke nicht nur das System deutlich autoritärer operiert hätte. Auch die Sprache hätte sich noch extremer in Richtung orwellscher Neusprech entwickelt.

Der französische Schriftsteller und Philosoph Michel de Montaigne (1533 – 1592) gab diesbezüglich zu bedenken:

«Da wir uns miteinander nur durch das Wort zu verständigen vermögen, verrät, wer es fälscht, die menschliche Gemeinschaft. Es ist das einzige Mittel, durch das wir unsern Willen und unsere Gedanken austauschen, es ist der Mittler unserer Seele. Wenn wir es verlieren, so haben wir keinen Zusammenhang und keine Kenntnis mehr voneinander. Wenn es uns betrügt, so zerstört es allen unseren Umgang und zerreisst alle Bande unserer Gesellschaft

Die massnahmenkritische Bewegung der Schweiz kann sich demnach guten Gewissens auf die Fahnen schreiben, durch ihren Verve eine Gegenöffentlichkeit erzeugt zu haben, die sich Gehör verschaffen und Schlimmeres verhindern konnte. Gleiches gilt im Übrigen für Deutschland, wo der Staat ohne den unermüdlichen Einsatz der freien Medien zweifelsohne deutlich weiter gegangen wäre. Quarantäne-Lager, Impfpflichten und Zero-Covid-Konzepte nach chinesischem Vorbild hatte man auch dort in Erwägung gezogen – und zum Teil bereits vorbereitet.

Ja, die Biosicherheitsdoktrin der «vierten industriellen Revolution» konnte nicht gänzlich gestoppt werden. Die invasive «One-Health»-Agenda, ein billiger Euphemismus für die Abschaffung der «souveränen Autonomie des Individuums» (Friedrich Nietzsche, 1887) unter dem Deckmantel der Volksgesundheit, läuft weiter. Die WHO arbeitet unbeirrt an einem neuen Pandemie-Abkommen, das der demokratisch nicht legitimierten, supranationalen Organisation bei Ratifizierung eine nie dagewesene Machtfülle zuschreibt. Auch die fragwürdigen mRNA-Injektionen sind längst nicht endgültig vom Tisch. En contraire – die Technologie soll nun auch gegen Krebs und andere Krankheiten in Stellung gebracht werden. Und der Starttermin für eine ehrliche Aufarbeitung der Verbrechen, die im Zuge der vermeintlichen Pandemie begangen wurden, steht ebenfalls noch in den Sternen. Dennoch dürften im Juni 2023 zumindest gute Chancen darauf bestehen, dass das leidige Covid-Gesetz nun wenigstens im dritten Anlauf abgelehnt wird.

Manch ein Erfolg mag nicht ohne Weiteres greif- oder quantifizierbar sein. Und das Ideal ist kaum jemals zu erreichen. Hin und wieder bemisst sich ein Erfolg aber auch schlicht daran, was in Anbetracht der denkbaren Szenarien alles nicht eingetreten ist. Zudem dürfte zumindest ein Umstand von allen Mitgliedern der oppositionellen Kräfte wohlwollend goutiert werden – dass im Verlauf der zurückliegenden drei Jahre unzählige Menschen zueinander gefunden haben, die sich ohne diese Krise(n) nie begegnet wären. So entstand das Fundament für eine humanere, dezentralere und freiheitlichere Gesellschaft, an der es nun mit neuem Elan weiterzuarbeiten gilt. Für die Zukunft. Gegen Tyrannei.

Ich für meinen Teil habe noch nie zuvor in meinem Leben und in so kurzer Zeit so viele neue, wertvolle Kontakte mit Gleichgesinnten geknüpft, so viele bereichernde Menschen kennengelernt. Dieser Umstand ist fraglos ein massiver Zugewinn an Lebensqualität. Und als grössten persönlichen Erfolg der vergangenen Jahre verbuche ich für mich die Tatsache, dass ich an potenzielle Erfolge oder Misserfolge keine Gedanken mehr verschwende. Ich mache einfach das, was mir richtig und wichtig erscheint, während ich darauf warte, dass sich Erfolge einstellen. Bleiben diese aus, hat man zumindest Gewissheit, das Menschenmögliche dafür getan zu haben. ♦

von Tom-Oliver Regenauer

***

Tom-Oliver Regenauer war nach betriebswirtschaftlicher Ausbildung unter anderem als Betriebsleiter, Unternehmens- und Managementberater sowie internationaler Projektmanager mit Einsätzen in über 20 Ländern tätig. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist er zudem als Musikproduzent und Texter aktiv und betreibt ein unabhängiges Plattenlabel. Zuletzt erschien von ihm «Homo Demens — Texte zu Zeitenwende, Technokratie und Korporatismus».

regenauer.press


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Teile diesen Beitrag mit deinen Freunden

Die Versuchung der Utopie

Die Sehnsucht nach dem Paradies auf Erden ist so alt wie die Menschheit. Aber sie war schon immer ein Irrweg.

In meiner Kindheit war die Welt für mich in Ordnung. Das ist sie für jedes Kind, das in einigermassen normalen Verhältnissen aufwachsen darf. Und auch wenn die Welt aus erwachsener Sicht nicht in Ordnung war, auch wenn der Vater zuwenig verdiente oder die Mutter vor lauter Traurigkeit immer weinte – dann gehörte auch dies zur kindlichen Ordnung. Die leere Haushaltskasse und die Tränen der Mutter, das war einfach so.

Dann wird das Kind älter, sein Bewusst-sein entwickelt sich, es beginnt zu vergleichen mit anderen Kindern und lernt: Meine Kindheit könnte auch anders sein. Der Tisch könnte reicher gedeckt sein. Die Mutter könnte auch lachen. Die Ordnung, in der das Kind lebt, bekommt Risse. Es wünscht sich eine Familie, in der die Eltern keine Probleme haben. Es wünscht sich, dass alles gut ist. Aber das geht nicht, denn es hat sich entschieden, auf diesen Planeten zu kommen, gerade weil die Welt ein Problemplanet ist. Probleme sind Erfahrungen, und wir möchten Erfahrungen machen. Wir möchten lernen. Deshalb ist das Kind hier.

Dann wird aus dem Kind ein junger Mensch auf seinem dornigen Weg zum Erwachsensein. Der junge Mensch entdeckt die Welt ausserhalb seiner kindlichen Ordnung. Er beginnt zu erkennen, dass er nicht nur das Kind seiner Eltern ist, sondern ein Erdenbürger. Und er sieht nicht mehr nur die Probleme in seiner unmittelbaren Welt, er sieht die Probleme der grossen Welt. Und so wie er sich eine Kindheit ohne Probleme gewünscht hat, so wünscht sich der junge Mensch nun, dass die grosse Welt keine Probleme mehr hat.

Wenn es Krieg gibt, wünscht er sich Frieden. Er wünscht sich Gerechtigkeit, wo es Ungerechtigkeit gibt. Er wünscht sich Toleranz anstelle von Intoleranz. Und er wünscht sich Liebe statt Hass.

Manche Frohnaturen unter den jungen Menschen machen sich nicht so viele Gedanken über die Schlechtigkeit auf der Welt. Sie lassen sich davon nicht beeindrucken. Sie wollen jung sein und das Leben geniessen. Sie haben recht. Sie sollen geniessen dürfen. Denn es werden Tage kommen, an denen das Leben sie prüfen wird, ob sie erkennen, dass ihr Glück eine Gnade ist. Ob sie die Kraft, die das Leben ihnen geschenkt hat, zu teilen bereit sind.

Andere junge Menschen können sich an ihrem Jungsein nicht freuen. Sie leiden darunter, dass ihre Hoffnungen für eine bessere Welt nicht in Erfüllung gehen. Sie empfinden so grossen Weltschmerz, dass sie …

von Nicolas Lindt

***

Nicolas Lindt ist Schriftsteller und gestaltet den täglichen Podcast «5 Minuten». Im Juli erscheint sein neues Buch «Heiraten im Namen der Liebe»

nicolaslindt.ch


Du möchtest den ganzen Artikel lesen? Dann bestelle jetzt die 07. Ausgabe oder gleich ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Teile diesen Beitrag mit deinen Freunden

Fragebogen an Stefan Millius

Was ist Ihr grösster Erfolg?

Jemanden gefunden zu haben, der es mit mir aushält. Aber das war ein Erfolg, der nichts mit meiner eigenen Leistung zu tun hat. Ein grosses Herz auf der anderen Seite reicht.

Welche ist Ihre erste Kindheitserinnerung?

Ich erinnere mich ganz grundsätzlich daran, dass ich sehr früh Befehle verweigert habe, wenn man mir nicht gut begründen konnte, warum ich das nun tun sollte. Am liebsten im Turnunterricht. Leider wissen das meine Kinder und machen es nun ebenso. Jetzt ist mir klar, wie anstrengend das aus der anderen Perspektive ist. Aber an die Adresse des Bundesamts für Gesundheit: Mit «Machs einfach!» kommt man bei mir nicht sehr weit.

Wann fühlten Sie sich das letzte Mal so richtig frei?

An das exakte Datum kann ich mich leider nicht erinnern. Es muss aber definitiv irgendwann vor dem Frühjahr 2020 gewesen sein. In jenen Zeiten also, in denen uns die Freiheit noch nicht als tödliche Gefahr verkauft wurde.

Was sehen Sie, wenn Sie in den Spiegel schauen?

Das, was mir die Genetik mitgegeben hat in Kombination mit dem, was ich danach damit leichtfertig angestellt habe. Entscheidender als der Anblick ist, dass ich es mit einem guten Gewissen tun kann. Das ist nicht immer, aber meistens der Fall.

Was glauben Sie, woher Sie kommen?

Ich weiss, dass ich aus einer befruchteten Eizelle komme. Das finde ich spektakulär genug, um nicht noch an mehr glauben zu müssen. Wunder brauchen keine zusätzlichen Wunder. Und schon gar keine Götter.

Warum sollte man Ihnen zuhören?

Ich möchte lieber nur Zuhörer, die zuhören wollen und keine, die das Gefühl haben, sie sollten. Aber wenn man mein Publikum aus irgendeinem Grund an die Stühle kettet, darf es wenigstens sicher sein: Ich sage nur, was ich wirklich denke.

Ein grüner Daumen oder zwei linke Hände?

Ich brauche 15 Anläufe, um zwei Nägel für ein Bild in die Wand zu schlagen. Danach hängt es schief – wenn überhaupt. Das sollte die Frage ausreichend beantworten. Ich tippe übrigens sogar mit nur drei Fingern, und ich habe nicht einmal eine Ahnung, welche es sind.

Eher mass-los oder mass-voll?

Ich bin in allem, was ich tue, grenzenlos masslos. Ein massvolles Verhalten erwarte ich hingegen von Leuten, die aufgrund ihrer Position in der Lage sind, meine Masslosigkeit grundlos einzuschränken. Ich empfehle das niemandem.

In welcher Rolle fühlen Sie sich am wohlsten?

Ich übernehme keine Rollen. Für diese muss man sich verstellen, und das führt langfristig zu Magengeschwüren.

Politik ist …?

… der Versuch, eine gesellschaftliche Ordnung herzustellen, die für alle mehr oder weniger funktioniert. Das Modell scheitert derzeit daran, dass die meisten Politiker sich nur fragen, was für sie selbst funktioniert.

Wie viel Freiheit ertragen Sie?

Ich will immer tun dürfen, was ich gerade tun will, solange das die Freiheit anderer Menschen nicht einschränkt. Aber bei «Starbucks» und Co. wäre ich sehr froh um eine Einschränkung meiner Wahlfreiheit, weil mich die schlicht überfordert. Das Leben ist kompliziert genug, da muss man das nicht auch noch auf Kaffee übertragen.

Welches Buch sollte jeder gelesen haben?

«Momo» von Michael Ende. Da steht alles drin, was man über die Welt wissen muss. Aber vermutlich finden Faktenchecker irgendwann heraus, dass der Autor mal mit 15 Jahren etwas Falsches gesagt hat. Man sollte sich das Buch also beschaffen, solange es noch nicht verboten ist. Ganz ernsthaft.

Ihre erste Liebesgeschichte?

Die Novelle «Djamila» von Tschingis Aitmatow. Hollywood hat gegen ihn keinen blassen Schimmer, wie man eine echte Liebe erzählt. Der Autor stammt übrigens aus Kirgistan. Wäre das 1991 nicht von Russland unabhängig geworden, wäre das Buch jetzt wohl auf irgendeiner Boykottliste.

Wieviel Macht beanspruchen Sie für sich?

Einzig und allein die Macht über mein eigenes Leben. Wenn das jeder so hält, sind wir alle frei und mächtig zugleich.

Zu welcher Musik tanzen Sie sich frei?

Ich weiss, was ich kann, aber auch, was ich nicht kann. Zu letzterem gehört tanzen. Gelegentlich singe ich mich aber hinter dem Lenkrad frei. Womit nicht gesagt sei, dass ich das besser kann als tanzen.

Ihr Lichtblick in finsteren Zeiten?

Achtung, bitte Taschentücher zücken: Das Lachen meiner Kinder, die Liebeserklärungen meiner Freundin und das Schnurren unserer Katze. In solchen Momenten ist mir sehr egal, welcher Zirkus da draussen gerade wieder veranstaltet wird.

Was geschieht nach dem Ende?

Das habe ich wenige Monate vor seinem Tod Niklaus Meienberg gefragt, und seine Antwort war: «Dann bleiben 200, vielleicht 300 Gramm Asche.» Ich schliesse mich ihm an, und ich mag den Gedanken sogar.

Was wollen Sie noch erreichen?

Der irische Dichter Pat Ingoldsby hat einmal in einzigartigen Zeilen beschrieben, wie schön es wäre, wenn es einfach kein «next thing» gäbe, überhaupt nichts, das als Nächstes auf einen wartet, keine weiteren Aufgaben, keine grossen Ziele, sondern nur das, was eben gerade vor einem liegt. Dass es nur diesen einen Moment gibt und keinen Gedanken darüber hinaus: Daran arbeite ich.

Kommt es gut?

Das spielt gar keine Rolle. Karl Valentin hat gesagt: «Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.» Daran halte ich mich, egal, wie es weitergeht. Aber an meinem letzten Tag würde ich ganz gern sagen können: Es war gut. Unterm Strich. ♦

***

Stefan Millius ist Journalist, Buch- und Drehbuchautor. Er hat zwei Kinder und wohnt im St. Galler Rheintal. Für die Bürgerrechtsbewegung «Aufrecht» kandidiert er im Herbst 2023 im Kanton St. Gallen für den Nationalrat.


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Teile diesen Beitrag mit deinen Freunden

Widerstand als Weg des spirituellen Erwachens

Interview mit Mary Bauermeister (1934 – 2023).

Das schöpferische Potenzial von Kunst ist scheinbar grenzenlos. Aber wie können wir es nutzen, um die Krise der Wahrheitsfindung zu überwinden? Wir sprachen mit der Avantgardekünstlerin Mary Bauermeister über die konstruktiven Kräfte unserer destruktiven Zeit.

Im November 2021, nachdem wir auf unserer Fahrt durch Deutschland quasi obdachlos geworden sind. Kein Hotel und kein Airbnb wollte uns ohne Zertifikat beherbergen. Ein Freund vermittelte uns an das Haus der damals bereits 87-jährigen Künstlerin Mary Bauermeister. Sie selbst war an dem Abend gar nicht zugegen. Ihr wurde der Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen verliehen. Am Tag darauf entstand ein Gespräch über die Kräfte unserer Zeit, das Milosz und mich bis heute prägt.

Milosz Matuschek: Liebe Mary Bauermeister, wir leben in einer Zeit, in der es viele Diskussionen gibt über Pflichten, Abstandsgebote …, also was man alles nicht darf. Was kann die Kunst in so einer Zeit machen?

Mary Bauermeister: Zur Freiheit aufrufen. Kunst ist eigentlich eine freie Tätigkeit. Sie dient niemandem. Wenn Kunst irgendeinem anderen dient ausser dem Geist, aus dem sie entsteht – inspirativ –, dann ist sie schon korrupt.

Wo ist die Widerstandskunst? Wo ist die kritische Kunst? Man sieht wenige Künstler, die sich mit dem Thema der Krise auseinandersetzen.

MB: Ja, das war sehr viel intensiver in der Nachkriegszeit. Wir hatten die entartete Kunst, wir hatten das Verbot von Kunst. Und da gab es natürlich den Widerstand unserer ganzen Generation, die den Krieg miterlebt hat, dass wir keinem Erwachsenen überhaupt mehr geglaubt haben, auch keinem Dogma, auch keiner kirchlichen Moral. Das war ja das ganze ’68. Wir haben alles infrage gestellt, weil das Desaster von zwei Weltkriegen und dann die Wiederaufrüstung eigentlich immer mehr Empörung gebracht hat. Da wurde es verpflichtend für die Kunst, in den Widerstand zu gehen. Das heisst, sich zu wehren. Und du kannst dich nur gegen etwas wehren, was dir bewusst wird. Was unterbewusst abläuft, dem sind wir alle ausgeliefert.
Es ist immer so eine Sache: Wie wirst du dir bewusst, über die nächste Stufe hinaus, welchen Ungeistern du dienst? Das ist ein spirituelles Aufwachen. Und da sehe ich in der Kunst die Möglichkeit, sich nur dem verantwortlich zu fühlen, was aus der geistigen Welt inspirativ in mich hineinkommt. Die moralische Fähigkeit der Unterscheidung lernen, denn auch ich habe lange nicht unterscheiden können. Ich habe nicht an das Böse geglaubt. Bis ich erfahren habe, es gibt das Böse als Element, nicht als Sieger des Kampfes, sondern als…

von Lilly Gebert und Milosz Matuschek

***

Mary Bauermeisters Kölner Atelier der 1960er-Jahre wird bis heute als Keimzelle der späteren Fluxus-Bewegung angesehen, einer Bewegung unter Künstlern gegen elitäre Hochkunst als Versuch, neue kollektive Lebensformen zu schaffen. Bauermeisters spätere Verbindung zur Geomantie, einer Art des Erd-Hellsehens, veranlasste sie dazu, weltweit für öffentliche wie private Auftraggeber Gärten anzulegen. Sie starb am 02. März 2023 im Alter von 88 Jahren.


Du möchtest den ganzen Artikel lesen? Dann bestelle jetzt die 07. Ausgabe oder gleich ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Teile diesen Beitrag mit deinen Freunden

Briefwechsel mit Richard Koller

Betreff: «Bargeld ist Freiheit und kein Fiat-Zwang»

Lieber Richard

Vor einigen Wochen hat das Anliegen der Bargeld-Initiative unerwartet Schützenhilfe vom Bundesrat erhalten, der einen Gegenentwurf zur von der «Freiheitlichen Bewegung Schweiz» angeführten Initiative ausarbeiten will. Diese erste Bargeld-Initiative ist ein ordnungspolitisches Vorzeigeprojekt: Kurz, klar und knackig formuliert, nimmt die Initiative den Staat an die Leine und fördert so die Individualrechte gegenüber dem Staat. Diese Initiative hat das Potenzial, den gefährlichen Flirt der Mächtigen mit der Bargeldabschaffung zu beenden, was die Einführung eines Orwellschen Überwachungsstaats nachhaltig behindert. Dafür gebührt dir und den weiteren Initianten Dank und Respekt.

Nun hast Du mit weiteren Initianten die zweite Bargeld-Initiative auf den Weg gebracht. Leider ist sie das exakte Gegenteil der ersten Initiative: Umständlich und ausführlich formuliert, hat sie das Ziel, die Bürger des Landes an die Kandare zu nehmen, sie gibt dem Staat Zwangsinstrumente gegen die Bürger des Landes an die Hand und würde zur buchstabengerechten Durchsetzung eine engmaschige Überwachung sämtlicher Transaktionen durch den Bund erfordern. Zeigt sich hier einmal mehr, dass wir zu dem werden, was wir bekämpfen? Die zweite Bargeld-Initiative ist eine der freiheitsfeindlichsten Vorlagen, über die das Volk je zu befinden hatte.

Sämtliche Transaktionen von Dienstleistern in der Schweiz sollen also mit Bargeld bezahlt werden können. Das ist eine ungeheuerliche Anmassung. Wenn ein Mensch mit der Kraft seiner Hände oder seines Geistes ein Produkt herstellt, dann sollte es diesem Menschen – und ihm allein – überlassen sein, gegen welchen Wert er die Früchte seiner Arbeit eintauschen will. Es ist nicht Aufgabe des Staates oder des Stimmbürgers, ihm dies vorzuschreiben. Wenn der Bäcker seine Brötchen lieber gegen Kartoffeln oder Silber tauschen möchte als gegen den Schweizer Franken, dann soll er das Recht dazu haben.

Besonders ironisch erscheint mir, dass es dieselben Menschen sind, die – vollkommen zu Recht – das Fiat-Geldsystem kritisieren und gleichzeitig ihre Mitmenschen zur Teilnahme an diesem kranken System zwingen wollen. Man muss geradezu hoffen, dass das Fiat-Geldsystem zusammenbricht, bevor die zweite Bargeld-Initiative angenommen wird. Sonst wären wir gezwungen, kostbare Güter und qualitativ hochstehende Dienstleistungen gegen ein vollkommen wertlos gewordenes Papiergeld einzutauschen.

Persönlich bin ich ein grosser Fan von Bitcoin. Aber ich würde nie jemanden dazu zwingen wollen, Bitcoin zu nutzen. Das beste Geld soll sich in Zukunft im freien Markt durchsetzen können, nicht mit politischem Zwang.

Viele Grüsse, Michael Bubendorf

*

Lieber Michael

Vielen Dank für deinen Brief, welcher aufzeigt, dass unser Verständnis der gegenwärtigen Geschehnisse und der Bargeld-Initiativen unterschiedlich ist …


Du möchtest den ganzen Artikel lesen? Dann bestelle jetzt die 07. Ausgabe oder gleich ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Teile diesen Beitrag mit deinen Freunden