
Musik für eine freie Welt
Kurzinterview mit Lutz Graf Ulbrich – Lüül
Begegnet bin ich Lüül in Berlin, nachdem er unserem gemeinsamen Freund Jens Fischer Rodrian bei dessen Albumrelease im «ZigZag» auf der Bühne zur Seite stand. Seine Lieder «Ich bin die freie Rede», «Verbrannte Erde» oder «Untergang» liefen bei mir anschliessend in Dauerschleife. Einen solch intelligent-humorvollen Umgang mit dem, was ist, hatte ich gerade innerhalb der deutschen Musikszene bis dato fast ausgestorben geglaubt. Im Interview mit «DIE FREIEN» haben wir den Musiker und Songwriter entsprechend gefragt, was «eine freie Welt» für ihn und die Musik bedeutet.
«DIE FREIEN»: Lieber Lüül, glaubst du, dass Musik die Kraft hat, gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen?
Lüül: Das klingt mir etwas zu gross. Aber auf jeden Fall kann Musik unterstützend sein und dabei helfen. Aber natürlich hauptsächlich in Verbindung mit Text. Da gibt es ja zahlreiche Beispiele. Songs von John Lennon, Bob Marley. Mir fällt spontan James Brown ein, der in den 1960er-Jahren mit «I say it loud, I’m black and proud» einen Song schrieb, der zur inoffiziellen Hymne der Black-Power-Bewegung in den USA wurde. Mir wurde zum Beispiel vielfach für mein Lied «Ich bin die freie Rede» gedankt, das etwa bei der wöchentlichen Mahnwache für Julian Assange vor der amerikanischen Botschaft gespielt wurde und die Menschen gestärkt hat.
Hat sich dein Verständnis von künstlerischer Freiheit im Laufe deiner Karriere verändert?
L: Da kann ich gleich bei der «Freien Rede» anschliessen, die zu schreiben für mich nicht einfach war. Für den Song brauchte ich wirklich sehr lange, weil ich den Text so anlegen wollte, dass er nicht plakativ anprangert, sich auf keine Seite schlägt, sondern nur die Befindlichkeit der freien Rede beschreiben sollte, das war stark genug. Man sieht auch, dass, wenn Texte zu kritisch sind, zu provokativ oder den Radioleuten nicht ins Konzept passen, Lieder dort nicht gespielt werden.
Inwiefern beeinflussen äussere Faktoren wie Labels, Streaming-Dienste oder Publikumserwartungen die künstlerische Freiheit?
L: Hat mich eigentlich nie gekümmert, ich habe immer mein Ding gemacht. Aber die Resonanz hat sich seit Corona geändert. Da wurden Künstler in Medien, auf YouTube und Spotify gebannt, auch Podcaster wurden zensiert und natürlich ist auch beim Publikum zu merken, dass sich da eine Spaltung vollzogen hat. Auch ich hatte mich übrigens entschlossen, mein letztes Album «Der stille Tanz» ohne Plattenfirma zu machen und zwar von A bis Z, also im Eigenvertrieb. Aber nicht, weil die Plattenfirma das nicht wollte – ich hatte sie gar nicht gefragt –, sondern weil ich mich so entschieden hatte und autark sein wollte.
Wie war es, in der West-Berliner Musikszene der 1970er und 1980er kreativ zu arbeiten?
L: Gut, sehr gut sogar! Das war eine sorglose Zeit und «alles schien möglich», wie ich es ja auch in meinem Lied «West-Berlin» beschrieben habe. West-Berlin war wie ein Dorf mit dem Flair einer Metropole. So hab ich das jedenfalls immer empfunden. Man konnte schnell genug Musiker finden, die Szene war kreativ und neugierig auf alles, was unkonventionell war. Wir haben uns auch sehr gut und kollegial unterstützt bei unseren Aktivitäten. Und ausserdem war der finanzielle Druck noch nicht so da, man konnte viel ausprobieren, ohne gleich Pleite zu gehen. Und tatsächlich unterstützte sogar der Berliner Senat die Rockszene mit dem sogenannten Senatsrockwettbewerb, wo Bands gut dotierte Preise und Studiozeiten gewinnen konnten. Auch die Off-Theater wurden grossartig unterstützt. Es gab grosszügige Produktionsgelder.
Glaubst du, dass sich solche kreativen Kollektive wie damals noch einmal formen könnten?
L: Ja, klar, jede Zeit hat natürlich ihre eigene Dynamik, aber ich sehe gerade jetzt viele neue Initiativen von Menschen, die sich gemeinsam unterstützen, um etwas zu bewegen, weg vom Mainstream.
Gab es Momente in deiner Karriere, in denen du durch Musik persönliche Befreiung erlebt hast?
L: Die sind an einer Hand abzuzählen und gehören zu den absoluten Highlights meines Musikerlebens. Zum Beispiel in Neuseeland, wo wir mit den 17 Hippies beim «WOMAD Festival» spielten, da gab es einen Empfang für 150 Musiker, die aus aller Welt gekommen waren. Es gab eine offene Bühne, wo ein Gitarrist aus Mali, ein Bassist aus Tobago und ein Drummer aus Paris jammten. Der Gitarrist (Achmed von Mamadou & Mariam) spielte diese typische Highlife-Gitarre, die ich so mag, ich nahm mir die zweite Gitarre, wir «connecten» sofort und jammten gemeinsam eine magische Session, in der es keine Grenzen mehr gab, obwohl wir uns nie vorher gesehen hatten.
Wie gehst du – insofern du sie hast – mit kreativen Blockaden um? Gibt es Strategien, sich wieder «frei» zu fühlen?
L: Da ich ein Leben führe, wo ich selbst entscheide, ob und wann ich etwas kreieren möchte, habe ich dieses Problem nicht. Wenn also Zeiten kommen, in denen ich nichts Neues schaffe, warte ich nur ab, bis mich die Muse küsst. Bisher hat das auch immer geklappt.
Gibt es für dich eine «musikalische Utopie» – eine Welt, in der Musik absolut frei ist?
L: Als Musiker, dessen erste Band Agitation Free heisst, war und ist für mich Freiheit immer wichtig. Und gerade in den ersten Jahren haben wir versucht, unsere musikalische Utopie zu verwirklichen, auch wenn wir es nicht so genannt haben. Wir suchten einfach nach neuen Klängen und Tönen, die wir vorher nicht gehört hatten, experimentelle Musik halt. Gerade aber diese jugendliche Unbekümmertheit und dieser Pioniergeist haben uns damals ausgezeichnet. Als Liedermacher bin ich eher konservativ unterwegs. 2025 wird aber wieder ein reines Musikalbum von mir erscheinen – «Lüüls Lab» – wo ich versucht habe, mich selbst zu überraschen und einfach geschehen liess, was meine Schöpfungskraft mir anbietet. Insofern mag das unter dem Begriff passen. Aber natürlich schielt man, wenn man so lange im Business ist wie ich, schon darauf, wie es ankommen kann, und dann ist man dadurch schon eingeschränkt und nicht mehr frei. Ich wollte aber auf jeden Fall alles so machen, wie ich es für richtig fand und nicht, wie «man es macht» und habe es von A bis Z selbst gemacht. Das gab mir meine eigene Freiheit und als Künstler sollte man sich diese Freiheit eh herausnehmen, sonst schafft man ja nix Authentisches. Von mir aus kann man das ruhig musikalische Utopie nennen.
Lieber Lüül, vielen Dank für das Gespräch!
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Lüül, bürgerlich Lutz Graf-Ulbrich, ist ein deutscher Gitarrist, Sänger, Texter und Komponist. Seine einzigartige Mischung aus Chanson, Folk, Rock und experimentellen Elementen stellte er zuletzt in seinem 2022 erschienenen Album «Der stille Tanz» zur Schau, in dem er Geschichten von Freiheit, Sehnsucht und dem Rhythmus des Lebens in Zeiten der Unfreiheit erzählte.
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