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Autor: Lilly Gebert

Verlogen, Betrogen, Realitätsverschoben

Von Salamitaktiken und Verblendungsversuchen: Flo Osrainiks neues Buch «Lügen, Lügen, Lügen» ist eine Abrechnung mit jener Politik, die uns das Gegenteil von dem, was wir uns wünschen, als das verkauft, was wir meinen zu wollen.

Ab heute auf Platz 7 der Spiegel-Bestsellerliste!

«Doch wenn der Regierende sein Spiel gerne allein spielen und Politik im Geheimen betreiben will, dann gibt es nur einen Weg: er muss die Masse täuschen. Zwar kann er sich von der Masse nicht absondern, doch er kann zwischen Masse und sich einen undurchlässigen Vorhang ziehen, auf dem die Masse einen projizierten Anschein von Politik sieht, während die eigentliche Politik dahinter gemacht wird.» (Jacques Ellul, «Propaganda»)

Bereits der französische Schriftsteller Honoré de Balzac wusste: «Es gibt zwei Arten von Geschichte: Die eine ist die offizielle, geschönte, jene, die gelehrt wird, eine Geschichte ad usum delphini; und dann ist da die andere geheime Geschichte, welche die wahren Ursachen der Ereignisse birgt, eine beschämende Geschichte.» Und ganz «nebenbei: Wer der offiziellen Verschwörung offen misstraute, war in absehbarer Zeit seinen Job los.»

Die Tyrannei der Unwahrheit

Ausbeutung, Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit: Eine abweichende Meinung hatte immer schon ihre Konsequenzen. Und dennoch scheuten Balzac wie auch der Soziologe Jacques Ellul sich nicht davor, das infrage zu stellen, was der Westen selbst für unumstösslich hält: seine Mündigkeit. Also die Fähigkeit seiner Bürger, darüber zu urteilen, ob das, was ihnen als Wirklichkeit verkauft wird, auch wirklich wirklich ist. Für beide war klar: Wenn die Kluft zwischen Leben und Lüge nicht noch weiter aufreissen soll, wir nicht als Rad im Getriebe eines unmenschlichen Systems enden wollen, gilt es nicht nur den Vorhang jenes Machtgefüges zu lüften, sondern zugleich auch an der eigenen Widerstandskraft zu arbeiten.

Gleich dem Risiko, zur Ressource eines Machtkomplexes zu verkommen, dessen Algorithmen und Zensurmechanismen mit zunehmender Radikalität auch eine immer breitere gesellschaftliche Akzeptanz finden, gilt es sich folglich der Frage zu stellen: Haben die Prinzipien der Aufklärung jemals gegolten? Oder hat uns, sowohl im 19. Jahrhundert wie auch heute, mehr ihr progressiver Schein als ihr – teilweise vielleicht auch unangenehmes – Sein imponiert? Waren wir jemals darauf aus, gesellschaftlich klare Machtverhältnisse zu schaffen? Oder hat es uns, wenn wir mal ehrlich sind, nicht immer schon gereicht, wenn von irgendwoher das Versprechen kam, «man werde sich schon darum kümmern»? Wie viel Mut zur Revolte ist uns am Ende wirklich in Fleisch und Blut übergegangen? Und wie viel Systemkritik wird allein dadurch abgefedert, dass uns durch das Erzählen eines Parallelnarrativs schlichtweg kein Anlass dazu gegeben wird, gegen das vorherrschende System aufzubegehren?

Es sind diese Fragen, die auch Flo Osrainik zum Schreiben veranlassen: Sein neues Buch «Lügen, Lügen, Lügen» ist die gnadenlose Enthüllung der Unmenschlichkeit jener Herrschaftsvertreter, die meinen, in ihrem deep state über uns und die demokratischen Prinzipien hinwegregieren zu können. Denn egal ob es sich um das seit 1954 hinter verschlossenen Türen stattfindende Bilderberg-Treffen, die zeremonielle Grafschaft der City of London oder das ins Gönnerische gekleidete Davos handelt: Das, was uns letztendlich alle betrifft, beschliesst man nicht nur ohne uns, man ist auch nicht mal dazu bereit, uns ehrliche Antworten zu geben. Für Osrainik Grund genug, in die Tiefen der gegen uns gerichteten Verschwörungen zu tauchen.

Im Lügenlexikon

Dem Untertitel seines Buches «Terror, Tyrannei und Weltenbrand als Neue Normalität der Globalisten» gerechtwerdend, stellt (und beantwortet) er genau jene Fragen, die uns allen unter den Nägeln brennen: War Osama bin Laden verantwortlich für die Terroranschläge vom 11. September 2001? Oder war er nur das notwendige Feindbild, um im Nahen Osten die «Demokratie zu erkämpfen»? Nutzt man tatsächliche Terrorgruppen, um Aktionen auszuführen, die man aber, weil sie einer politischen Agenda entsprechen, im Hintergrund durch V-Leute anleitet? Warum werden die Amerikaner nicht für ihre Verbrechen in Guantánamo zur Rechenschaft gezogen? Was ist mit den Biowaffenlaboren in der Ukraine? Wenn es schlussendlich nur noch die Reichen und Mächtigen sind, die darüber bestimmen, was wir als «wahr» zu akzeptieren haben, leben wir dann noch in einer Demokratie oder bereits in einer Oligarchie? Und wenn ja, wie könnte sich eine Fassadendemokratie besser entlarven als mit einem Präsidenten, der öfter der Luft die Hand schüttelt, als dass er einen geraden Satz herausbekommt?

Auf fast 400 Seiten und mit viel Detailtreue gewährt uns Osrainik einen Überblick über die Verschwörungen und Verbrechen der vergangenen Dekaden und zeigt dabei unverblümt auf, wie sich NATO, CIA und weitere Geheimdienste durch die Manipulation der öffentlichen Meinung zu ihren Gunsten nicht nur bereichern, sondern in erster Instanz überhaupt erst legitimieren und am Leben erhalten. Dabei klärt Osrainik nicht nur auf, er macht auch deutlich: Das Einzige, was diese verbrecherischen Organisationen noch aufrechterhält, ist unser Glaube an sie. Wäre die Masse nicht derart davon überzeugt, dass sie gemäss ihrem Willen und zwecks ihres Schutzes handeln würden, zerfiele ihr auf Lügen gebautes Kartenhaus binnen kurzer Zeit.

Boykottieren, sanktionieren, revolutionieren

«Weckt man in den Menschen die Idee der Freiheit, so werden die Freien sich auch unablässig immer wieder selbst befreien; macht man sie hingegen nur gebildet, so werden sie sich auf höchst gebildete und feine Weise allezeit den Umständen anpassen und zu unterwürfigen Bedientenseelen ausarten. Was sind unsere geistreichen und gebildeten Subjekte grösstenteils? Hohnlächelnde Sklavenbesitzer und selber – Sklaven.» (Max Stirner, «Das unwahre Prinzip unserer Erziehung»)

Für Osrainik ist es Zeit für die Erkenntnis, dass wir es mit einer systemischen Frage zutun haben. Die Kritik an Einzelpersonen – Politikern und Journalisten wie Agendaköpfen – ist zwar richtig und wichtig, sie ist aber nicht die Lösung des Problems. Solange wir glauben, dieses löse sich, sobald «da oben» einfach jemand anderes sässe, haben wir den Ernst unserer Lage nicht verstanden: Das politische System, so wie es sich momentan strukturiert und motiviert, ist nicht darauf ausgelegt, das Leben derer, denen gegenüber es verpflichtet ist, einfacher und besser zu machen. Es ist zu einem Lobbykartell verkommen, ausgerichtet und hörig einzig jenen gegenüber, deren Ziel es ist, den Kuchen nicht nur nicht zu teilen, sondern ihn gleichzeitig für sich grösser und für «den Rest» kleiner werden zu lassen.

Konträr zu dieser elitären, mitunterals menschenfeindlich zu bezeichnenden Haltung steht Flo Osrainiks Widerwille, das momentane Gefühl von Spaltung langfristig zu akzeptieren: Denn mögen Begriffe wie «Gegenöffentlichkeit» oder «Mainstream-» und «Alternativ-»Medien momentan zwar den von Lagerbildung geprägten Diskurs beherrschen, sollte das nicht das Ziel sein. Dieses besteht für Osrainik vielmehr darin, dass wir uns von dem befreien, was Kapitalinteressen und Grosskonzerne für uns vorgesehen haben, und uns stattdessen wieder darauf zurückbesinnen, was wir wollen. Erst wenn wir einsehen, dass die uns umgebenden Strukturen – egal wie und von wem sie geführt werden – zu gross geworden sind, um das Leben als solches noch zu erfassen, können wir anfangen, an dem zu bauen, was uns und unseren Bedürfnissen wahrhaft zu entsprechen vermag.

Was wir einmal als Lüge enttarnt und seinem wahren Kern nach erkannt haben, können wir nicht mehr nicht wissen. Während sich die Lüge rückgängig machen lässt, ist Erkenntnis irreversibel. Darin besteht unser grosser Vorteil gegenüber all denen, die diesen Schritt noch vor sich haben. Und dennoch liegt hier die Krux begraben, die Flo Osranik, seinen Lesern deutlich zu machen versucht: Die Dinge zur Kenntnis nehmen und sich einzugestehen, dass man belogen wurde, reicht langfristig gesehen nicht aus. Es ist nur die Grundlage, die es braucht, um jene positive Empörung in sich zu entwickeln, die es letztendlich unabdingbar macht, ins eigene Handeln zu kommen. Für ihn ist klar: Wenn sich etwas ändern soll, braucht es das Eingeständnis, dass sich nichts ändern wird, solange wir es nicht selber tun.

Osrainik geht es darum, das Bedürfnis des Menschen zu streiten, in etwas Positives zu verwandeln: Nur indem wir lernen, uns auszutauschen, ohne uns gegenseitig zu zerfleischen, besteht langfristig gesehen die Möglichkeit, unabhängig zu werden von übergeordneten Narrativen und Schubladensystemen, die auf nichts anderes aus sind, als uns zu teilen. Erst wenn wir wieder aufeinander eingehen – selbst wenn wir vielleicht nicht dergleichen Meinung sind oder jemals sein werden –, nähern wir uns einzeln wie auch gemeinsam dem, was wir für uns als unsere Wirklichkeit bereit sind anzuerkennen.

Die Frage ist nur, worauf warten wir noch? ♦

von Lilly Gebert

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Flo Osrainik ist in München geboren und aufgewachsen. Der Deutsch-Österreicher ist heute als freier Journalist und Autor tätig. Er lebt und arbeitet in München und Istanbul. Er hat unter anderem Beiträge für RT Deutsch, junge Welt, Telepolis, amerika21, Hintergrund sowie das Weblog NEOPresse verfasst. Ausserdem ist er Vorstandsmitglied von acTVism Munich. Weitere Informationen unter floosrainik.net.

Sein Buch «Lügen, Lügen, Lügen» ist am 12.06.2023 erschienen und seither überall erhältlich.

– Ellul, Jacques (2021): Propaganda. Wie die öffentliche Meinung entsteht und geformt wird. Westend. S. 164f.

– Stirner, Max (1927): Das unwahre Prinzip unserer Erziehung oder Humanismus und Realismus. Verlag f. freies Geistesleben. (Erstveröffentlichung 1842 in der Rheinischen Zeitung).


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Klima: Grauen oder Vertrauen?

Im Gespräch mit dem Energieexperten Franz Ulrich

Wie ein Damoklesschwert hängt sie über uns: die Klimakatastrophe. Das von ihr angekündigte Abschmelzen der Polkappen, ihre Dürren und Extremwetterlagen versetzen ganze Generationen in Angst und Schrecken. Berechtigt? Inwiefern unterliegt die momentane Klimaveränderung natürlichen, immerwährenden Schwankungen und inwieweit ist der Mensch objektiver Störfaktor des natürlichen Gleichgewichts? Und welche Rolle spielt dabei CO₂? Franz Ulrich, diplomierter Elektroingenieur ETH, spricht über den IPCC und die eigentlichen Ursachen des Klimawandels.

«DIE FREIEN»: Herr Ulrich, Sie sind diplomierter Elektroingenieur ETH und seit 2007 in der Energieberatungsbranche selbstständig. Man darf also meinen, Sie sind mit der Szene rund um Klimapolitik und CO₂ relativ gut vertraut. Und trotzdem sind Sie ihr gegenüber kritisch. Wann erfolgte der Bruch?

Franz Ulrich: Schon während dem Studium haben mich die erneuerbaren Energien immer sehr interessiert. Denn ihren Grundsatz finde ich absolut richtig: Weniger abhängig zu sein von den Grosskonzernen oder dem Ausland und stattdessen mehr in die Eigenverantwortung zu kommen; dezentrale Energieversorgung, da kann ich voll und ganz dahinterstehen. Und dennoch sind mir, und das nicht erst seit Corona, dahingehend Zweifel gekommen, wie einseitig die Debatten geführt werden – wenn sie denn geführt werden. Das Problem ist schliesslich nicht der Klimawandel. Dieser findet statt und hat schon immer stattgefunden. Das Klima ist ja nicht etwas Statisches. Das Problem ist die einseitige Debattenkultur über die eigentlichen Ursachen des Klimawandels und dass es heute für Viele feststeht, dieser läge alleine am menschengemachten CO₂. Zugegeben: Solange die daraufhin ergriffenen Massnahmen freiwillig blieben, hat mich dies nicht gross gestört. Wir haben Meinungsfreiheit, da kann man sagen und machen, was man will. Solange es eben freiwillig ist, und bleibt. Jetzt aber, da immer mehr Verbote ausgesprochen werden, hat diese Meinungs-Monokultur für mich eine andere Dimension erreicht. Das ganze Corona-Debakel hat uns gezeigt, wo so etwas hinführen kann. Auch in Bezug auf die Angstmache, die wir gleichermassen in der Klimapolitik und bei den Anhängern der sogenannten «Letzten Generation» finden.

Wenn Sie mich fragen, bietet gerade diese Verengung im Diskurs, sei es eben zu Corona oder innerhalb der Klimadebatte, die Grundlage dafür, dass wir so anfällig geworden sind für Angstmache. Uns wurde das Vertrauen in Alternativen genommen und stattdessen eine Angewiesenheit auf absolute Lösungen kreiert. Welche Rolle fällt hierbei der Wissenschaft anheim, beispielsweise in Bezug auf erneuerbare Energien?

FU: Ob Innovationen gelingen oder nicht, liegt meist nicht an der Wissenschaft als solche, sondern an der Offenheit der Menschen. Das haben wir zum Teil auch bei Corona gesehen: Was neu oder bahnbrechend sein könnte, wird niedergemacht: Ein Paradox, denn Wissenschaft sollte ja neues Wissen schaffen. Dabei weiss die Wissenschaft in ihrer Breite eigentlich schon, was abgeht und was möglich ist. Aber die offizielle Wissenschaft, die wir zu hören und zu lesen bekommen, ist halt sehr einseitig. Forschungen im Bereich von freien Energien finden statt und bieten trotz ihres kleinen Rahmens vielversprechende Ansätze, die es nur zu verfolgen gelte, wollte man sich nicht dem Risiko eines Energie-Engpasses aussetzen. Ich will hier nicht von «Mainstream-Wissenschaft» oder «wahrer» Wissenschaft sprechen. Für mich geht es darum, diese Schwelle zu überwinden und aus der Breite an Wissen, das uns zur Verfügung steht, die besten Lösungen zugunsten aller zu finden.

Für wie gerechtfertigt halten Sie die momentane Klimapanik?

FU: Ich persönlich glaube nicht, dass es so schlimm steht um unser Klima und das CO₂ sehe ich nicht als grosses Problem. Natürlich leistet auch CO₂ seinen Beitrag zum Klimawandel, aber dieser findet ja sowieso statt. Das haben wir auch in der Vergangenheit gesehen. Da finden wir Zeiträume, in denen es bedeutend kälter war, wie eben in der kleinen Eiszeit oder auch Zeiten, wo es wärmer war als heute. So zum Beispiel während der mittelalterlichen Warmperiode oder zu Römerzeiten, wo man aus Funden bei Alpenübergängen, die jetzt wieder eisfrei werden, feststellen konnte, dass diese damals auch eisfrei waren. Und allgemein ist die kleine Eiszeit als sinnvolle Vergleichsbasis zu hinterfragen: Das Ende einer Kaltperiode als Nulllinie anzunehmen, um dann jede Erwärmung als Schreckensszenario darzustellen, kann es schliesslich auch nicht sein. Obendrein ist CO₂ unschädlich und ungiftig. Das wissen alle Gärtner, die CO₂ in ihre Gewächshäuser reinblasen. Wir haben in der Atmosphäre heute eine Konzentration von 420ppm und das Optimum für Gewächshäuser liegt bei ungefähr 600ppm. Dass CO₂ wie ein Dünger wirkt, sehen wir beispielsweise auch an Satellitenbildern, auf denen unsere Erde immer grüner wird. Und da stelle ich mir die Frage: Wollen wir wirklich das Klima von 1850? Ist das sinnvoll? Wir haben jetzt doch ein paar Milliarden Menschen mehr auf diesem Planeten. Hätten wir das Klima von damals, was für die Schweiz vermutlich kühle, verregnete Sommer bedeuten würde, wäre die landwirtschaftliche Produktion wohl an einem ganz anderen Punkt. Und da bin ich mir eben nicht sicher, ob wir Menschen uns gut überlegt haben, was wir eigentlich wollen. So erscheint mir die aktuelle Klimapolitik zum grossen Teil als ein Kampf gegen Windmühlen, der Unmengen an Ressourcen verschleisst, Freiheiten beschneidet und letztlich den Schutz unserer Umwelt – oder besser Mitwelt – ins Abseits drängt. Mein innerer Antrieb und meine Motivation liegen viel mehr in diesem Bereich.

Der Klimaforscher Fred Pearce hat darauf hingewiesen, dass Wetterkatastrophen oft das Ergebnis von Landnutzungsänderungen, wie beispielsweise der grossflächigen Versiegelung unserer Böden oder schlechter Planung sind, da diese den Wasserkreislauf von Verdunstung und Niederschlag stören. Ist es am Ende vielleicht nicht die Masse an Menschen, die es als solche zu versorgen gilt, sondern die Art und Weise, wie wir versuchen, diese Menschen zu ernähren, die als umweltschädlich zu betrachten ist?

FU: Für mich ist die menschliche Aktivität auf diesem Planeten, die Frage nach der Art und Weise, wie wir mit unserer Erde und unseren Mitmenschen umgehen, grundlegend für jede weitere Überlegung. Und da steht das Wassermanagement weit vorne. Die Bodenversiegelung hat enorm zugenommen und gleichzeitig nimmt die Rückhaltfähigkeit des Wassers im Boden ab. Und wenn wir das einfach ausklammern, nur Klimaschutz betreiben, wird das gesamte Potenzial von Umweltschutz, Bodenverbesserung oder Humusbildung einfach ausser Acht gelassen. In diesem Bereich gibt es weltweit so viele sehr gute Projekte, die aber nicht wahrgenommen werden, solange wir nur die Schreckensszenarien bringen.

Der IPPC galt in den vergangenen 20 Jahren als der Referenzrahmen für politische Beschlüsse. Warum droht sich der Wind ausgerechnet jetzt zu drehen? Woher rührt die momentane Kritik?

FU: Oft schleicht sich so etwas ja ein und ist dann einfach da. Wenn ich mir jetzt die Klimaberichte anschaue, habe ich das Gefühl, hier sind systematisch Wissenschaftler mit abweichenden Meinungen und Forschungsergebnissen wahrscheinlich gar nicht zu Wort gekommen, wurden ausgeblendet oder gar nicht erst zugelassen für die Review-Prozesse. Denn es gibt viele Stimmen und Publikationen von Wissenschaftlern, die eine andere Sichtweise auf die Dinge haben. Es ist eben ein Markt, und das auf vielen Ebenen: Der ganze CO₂-Zertifikatehandel, Förder- und Forschungsmittel, neuerdings forcierte Gebäudesanierungen, Heizungsverbote, Elektromobilität und so weiter … Das ist für viele Unternehmen auch ein Riesengeschäft geworden. Das ist wie ein Strom, in den man, einmal hineinbegeben, mitschwimmt, ohne sich noch gross Gedanken zu machen.

Deshalb glaube ich, die Kritik war immer schon da, aber vielleicht wurde sie jetzt zusätzlich gepusht, auch durch Corona. Ich sehe es ja an mir: Ich bin jetzt «geschärfter» und achtsamer als ich es noch vor 2020 war. Und ich glaube, dieser Prozess hat weltweit stattgefunden: Je mehr die Schrauben angezogen werden, desto mehr Menschen beginnen Zwänge zu hinterfragen. Die Menschen haben verstanden, dass sie sich, um für sich selbst einzustehen, breit informieren müssen.

Dem IPCC wird oft vorgeworfen, er vernachlässige die historische Dimension. Beispielsweise in Bezug auf das Gletscherschmelzen oder das Korallensterben. Für mich hat dieses permanente «Auslassen» etwas sehr Strategisches. Wie empfinden Sie das?

FU: Wir können nur aus der Geschichte lernen. Wir müssen von der Geschichte ausgehend versuchen in die Zukunft zu projizieren, um für sie Schlüsse zu ziehen. Das funktioniert natürlich nicht, wenn wir die Geschichte ausblenden und dann Modelle heranziehen, die zwar schlimm aussehen, dafür aber über keine historische Einordnung mehr verfügen. Das ist ja auch das Problem von Klima-Modellierungen, dass sie zum grossen Teil die Vergangenheit nicht richtig abbilden können, weil viele natürliche Effekte noch gar nicht richtig verstanden oder eben ausgeblendet wurden. Und wenn solche Klimamodelle nicht das bisherige abbilden können, wie sollen sie uns dann überhaupt einen Blick in die Zukunft ermöglichen können? Da können nur falsche Resultate herauskommen. Auch da scheint mir, sieht man dann gerne die Modellierungen mit den schrecklichsten Szenarien, oder es wird dementsprechend so transportiert. Das ist auch interessant am IPCC-Bericht: In diesem gibt es ja wie verschiedene Stufen der wissenschaftlichen Untersuchungen und Arbeiten, aus denen am Schluss eine Art Zusammenfassung für die Politiker resultiert. Und wenn man diese mit den Forschungen vergleicht, dann stimmen die Ergebnisse für die Politiker nicht unbedingt mit den eigenen wissenschaftlichen Erkenntnissen überein. Das zeigt, wie politisiert die Wissenschaft heute ist. Verschiedene Institutionen fordern denn auch «weniger Politik in der Wissenschaft, dafür mehr Wissenschaft in der Politik».

Was ist denn Ihre Zukunftsprognose? Worauf hoffen Sie?

FU: Ich wünsche mir eine wirklich offene Debatte. Dass wir über alles sprechen können und dass keine Stimmen unterdrückt oder einfach weggelassen werden. Vielleicht hat da die Digitalisierung schon ein bisschen zugeschlagen, dass wir oft nur in schwarz und weiss denken können. Aber so ist es nicht, es gibt ja immer alle Schattierungen dessen, was wir als «Wahrheit» betrachten können. Ich glaube, nur indem der breite Diskurs zugelassen wird, und wir ihn auch selber zulassen, können wir unsere Probleme wirklich lösen, anstatt permanent neue zu schaffen. Die heutigen Probleme sind ja ohnehin häufig die Lösungen von alten Problemen. Da erhoffe ich mir wirklich, dass wir an dieser Stelle einen Schritt weiterkommen. Das heisst nicht, dass wir von heute an die perfekte Lösung haben müssen. Das ist wahrscheinlich auch gar nicht der Sinn und Zweck des menschlichen Daseins. Aber dass wir miteinander gemeinsam weiterkommen und uns vergegenwärtigen, dass alles mit allem verbunden ist. Das stört mich heutzutage mitunter am meisten an den ganzen technischen Lösungen: Sie haben keinen Bezug zum Leben. Und das ist, davon bin ich überzeugt, der falsche Weg. Eigentlich macht uns die Natur alles vor. Wir müssten nur wieder lernen, sie zu beobachten und dahingehend zu kopieren, anstatt weiterhin zu meinen, wir wüssten es besser. Denn das tun wir offenbar nicht. ♦

von Lilly Gebert

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Franz Ulrich ist diplomierter Elektroingenieur (ETH Zürich) und führt zusammen mit seiner Frau seit 16 Jahren ein Büro für Energie- und Elektrosmog-Fragen. Im eigenen Labor untersuchen und erforschen sie Wasser und dessen innere Zusammenhänge. Die Freizeit verbringt er gerne in der Natur und in den Bergen.


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Macht, Moral, Mut

Das Streben nach der Erlösung von der Klimaschuld.

Es ist der Traum jeder Politik, die von Machtstreben und Gesinnungsmoral geleitet wird: ein absoluter, unhinterfragbarer Massstab, der praktisch jede Massnahme rechtfertigt. In Thomas Eisingers Roman «Hinter der Zukunft» wird diese Dystopie Wirklichkeit.

Unlösbar am Handgelenk eines jeden Bürgers fixierte «Smart-Watches» bemessen anhand jeder seiner Handlungen und jeder seiner Worte die Zuteilung seines individuellen CO₂-Lebensbudgets. Was unter dem Deckmantel «Der gute Helfer» die «richtige Haltung» fördern soll, korrumpiert innere Freiheiten und bricht ihre Sinnhaftigkeit auf ein einziges Ziel herunter: Klimagerechtigkeit.

Was aber passiert, wenn Ideale zu Mitteln verkommen und der anfängliche Wunsch, der Natur keinen weiteren Schaden zuzufügen, zwecks Kontrollausweitung totalitärer Ideologien missbraucht wird? Wenn weder als «grün» deklarierte «Schutzmassnahmen», noch das täglich gesprochene «pray for the planet» etwas anderem zugutekommen, als dem Glauben, Gutes zu tun?

«DIE FREIEN»: Lieber Herr Eisinger, in Ihrem Buch zeichnen Sie ein Regime, das in seinem Ausmass an Freiheitsberaubung und Überwachung George Orwells «1984» sehr nahekommt. Und dennoch verlautbart die durch diese unterdrückte Gesellschaft keinen Widerstand. Wie kann das sein?

Thomas Eisinger: Das ist tatsächlich der grosse Unterschied zu dem Szenario, das Orwell entworfen hat. In meinem Buch «Hinter der Zukunft» stehen die Menschen tatsächlich auf der Seite der Regierung, also sprich der Unterdrücker. Sie sind der Meinung, sich auf der Seite der höchsten Moral, also des absolut Guten, zu befinden und damit etwas Gutes zu tun, indem sie ihr Verhalten komplett verändern und an ihre Regeln anpassen.

Ist das die Gefahr moderner «Demokratien», dass wir ihnen keine eigenen Interessen mehr zuschreiben, sondern sie als moralisch einwandfreie Instanzen wahrnehmen?

TE: Gehen wir mal davon aus, dass wir existierende Demokratien haben … Es gibt natürlich dieses paternalistische Prinzip, das davon ausgeht, dass der Staat – was immer das sein mag – in Form seiner ganzen Institutionen besser weiss, was gut für uns, für den Einzelnen ist, als es die Menschen selbst wissen. Sobald aber ein Staat, der als abstraktes System wiederum aus nichts anderem besteht als Einzelpersonen, sich einbildet, der Einschätzung des Einzelnen überlegen zu sein, ist das die Abschaffung jeder individuellen Freiheit. Und ich glaube, darum geht es schlussendlich auch: Gerade der jüngeren Generation ist dieser Wert der Freiheit so nicht mehr bewusst. Sie kennen es nicht anders. Sie sind in einer Welt aufgewachsen, wo es zu jeder Frage immer nur eine alternativlose Antwort gibt. Es gab ja zu keinem grossen Ereignis ernsthaft geführte Diskussionen – egal ob 9/11, die Migrationskrise, Klimawandel oder jetzt Corona. …

von Lilly Gebert


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Lenken und gelenkt werden – wie wir uns unsere Urteilskraft bewahren

Interview mit Michael Esfeld

Inmitten von Machtkonzentration, Manipulation und Medienkorruption – welche Möglichkeiten bleiben dem Einzelnen, sich eigenständig sein Urteil zu bilden? Und worin begründet sich eigentlich Evidenz? Lilly Gebert und Michael Bubendorf sprachen mit dem Wissenschaftsphilosophen Michael Esfeld über die Freiheit, sich jedweder Propaganda zu entziehen und über die Pflicht, skeptisch zu bleiben.

«DIE FREIEN»: Lieber Michael, im Interview mit Gunnar Kaiser hast du gesagt: «Es ist ja ganz leicht zu zeigen, dass alle wissenschaftlichen Standards über Bord geworfen wurden. Das betrifft nicht nur die Universitäten, sondern die ganze Gesellschaft.» Wenn es so leicht ist: Warum hat es dann trotzdem funktioniert, die Leute anhand offensichtlich falscher Darlegungen in die Irre zu führen?

Michael Esfeld: Weil noch zu viel Autoritätsgläubigkeit da ist. Man hat halt geglaubt, dass wenn ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin etwas sagt, dass das dann auch so ist – das habe ich auch geglaubt. Also bei dem Klimazeugs war ich vorher auch schon skeptisch – es hat mich nicht gross aufgeregt, aber es ist halt politisch. Aber ansonsten geht man eigentlich davon aus, dass eine wissenschaftliche Aussage stimmt. Das ist auch klar, dass wir Experten brauchen. Man muss ja Experten haben, weil man nicht alles selbst prüfen kann, und das hat ja im technischen Bereich durchaus seinen Sinn. Und man würde normalerweise annehmen, dass man denen auch bei grösseren Themen wie Gesundheit und Epidemien vertrauen kann.

Aber es wurde nur einer Seite vertraut.

ME: Ja, natürlich. Man hat dann ganz schnell gemerkt, dass da was nicht stimmt. In dem Moment, wo externe Einflüsse ins Spiel kommen – finanzielle oder ideologische –, ist klar: Man kann dem nicht mehr vertrauen. Und jetzt sind wir bei der Urteilskraft: Es ist klar, dass man auch selbst immer die grösseren Zusammenhänge, also die intellektuelle oder mentale Landkarte braucht, um Sachen einordnen zu können. Und die hat halt vollkommen gefehlt.

Du hast in deinem Buch «Und die Freiheit?» auch mehrfach die «Great Barrington Declaration» erwähnt. Eine wichtige Initiative von Wissenschaftlern, die zwar auch Fehler beinhaltet, aber immerhin: Da waren sehr viele Wissenschaftler, die gesagt haben, dass das alles so nicht stimmt.

ME: Der Punkt ist ja nicht, dass viele, sondern dass qualitativ hochstehende Leute sich gegen die Lockdown-Strategien ausgesprochen haben. Man weiss einfach aus der Wissenschaftsgeschichte, dass es kein innerwissenschaftlicher Prozess sein kann, wenn plötzlich über Nacht ein Strategiewechsel stattfindet –, denn der dauert. Andernfalls kann es nur durch nicht wissenschaftlichen, also politischen, sprich finanziellen Druck und Gehirnwäsche oder sonst irgendwas erklärt werden. Wenn es bisher in der Wissenschaft die Meinung war, X zu tun, und jetzt soll man Y statt X tun, dann müssen natürlich die, die immer der Meinung waren, dass X zu tun ist, erst einmal durch Argumente und Evidenz überzeugt werden. Und das dauert. An der Reaktion hat man sofort gesehen, dass das Fake ist und nicht Wissenschaft. Selbst wenn es richtig gewesen sein sollte, hätte es nicht über Nacht geschehen können.

Hannah Arendt bezeichnete das Urteilen als blosse Vorbereitung für das Wollen: Was also wird hier manipuliert? Unser Wille oder unsere Urteilskraft?

ME: Unsere Urteilskraft. Urteilskraft heisst ja zunächst mal, dass man Dinge ins Verhältnis einordnet, also dass man guckt, was jetzt jeweils einer Sache angemessen ist. Beispielsweise: Es kommt ein neues Virus. Jetzt kann der Wissenschaftler Modelle ausrechnen, wonach sich niemand mehr ansteckt, wenn die Leute zu Hause bleiben. Das ist irgendwie trivial. Dafür brauche ich keinen Wissenschaftler. Und dann wird es umgesetzt. Die Urteilskraft sagt jetzt aber: Wenn Leute zu Hause bleiben, dann schaden sie erstens ihrem Immunsystem, zweitens geht es ihnen irgendwie schlecht, wenn sie keine sozialen Kontakte mehr haben, und drittens gibt es ganz schnell Konflikte, wenn Menschen in einer kleinen Wohnung zusammen eingesperrt werden. Also Urteilskraft wäre jetzt, das ins Verhältnis zu setzen, damit es der Sache angemessen ist. Dafür brauchen wir keinen Wissenschaftler.

Aber all das lässt sich zurückführen auf unser fehlendes Evidenzvermögen: Wir haben keinen Bezug mehr zu unserer eigenen Realität. Kant hat ja die Urteilskraft als das vermittelnde – oder in seinen Worten versöhnende – Element zwischen Natur und unserer Freiheit bezeichnet. Sie verbindet die sinnliche und die moralische Welt, und ihr Gebrauch kennzeichnet sich hierbei dadurch aus, dass man das Besondere im Allgemeinen erkennen kann. Also unsere Abstraktionsfähigkeit in gewisser Weise. Er nennt das Erweiterung des Geistes. Ist es insofern unser Mangel an Abstraktionsvermögen, der unsere Urteilskraft einschränkt?

ME: Natürlich, das Urteilen steht vor dem Handeln: Bevor ich etwas tue, muss ich die Konsequenzen einschätzen können und ich kann nicht einfach einem Algorithmus folgen. Wenn es keine sozialen Kontakte mehr gibt, dann infiziert sich auch keiner. Die Aussage ist trivial, aber jetzt zu beurteilen, zu gewichten, was die Folgen sind, wenn es keine sozialen Kontakte mehr gibt – das ist Urteilskraft.

Wenn aber die Realität, oder das, was in der Realität eintreffen könnte, uns von «Experten» in der Form vermittelt wird, dass es von seiner Komplexität her den Horizont unserer Urteilskraft übersteigt: Sind wir dann angewiesen auf Gehorsamkeit, die Abgabe von Verantwortung und das Auslagern von Entscheidungen über unser Handeln?

ME: Das ist der platonische Fehler: Es gibt keine Experten fürs Handeln. Es gibt nur Experten für technische Fragen. Das platonische Wissen um das allgemein Gute, das kann die heutige moderne Wissenschaft prinzipiell nicht vermitteln, weil sie objektiv ist. Sie ist keine Religion. Sie kann keine Wissenschaft der Werte sein, nur eine Wissenschaft der Tatsachen. Aber das ist falsch – natürlich kann jeder selbst Gefahren beurteilen, und auch bei Viren sind die Gefahren unmittelbar: Man sieht nur Bilder von angeblichen Toten durch das Virus und kann nicht überprüfen, woran die Leute wirklich gestorben sind –, aber in der Nachbarschaft nimmt man nichts davon wahr. Nehmen wir an, jetzt kommt eine Virenwelle, von der man wirklich nicht wüsste, wie gefährlich sie ist, und lassen die Sache laufen. Dann wären einige Personen vorsichtig, und alles Weitere regelt sich ganz schnell von unten durch die Evidenz. Deshalb ist es wichtig, dass das jeder selbst beurteilen kann – Laissez-faire –, denn dann werden verschiedene Strategien ausprobiert.

Aber das ist ja eine der grossen Umkehrungen, die stattgefunden hat. Du sagst, jeder kann Gefahren selbst beurteilen, aber viele Leute sagten nach der ganzen Propaganda: Du stellst eine Gefahr für mich dar und deshalb braucht es Gesetze und Regeln, die dein Verhalten einschränken. Wie konnte das funktionieren?

ME: Indem man so eine Art Story daraus gemacht hat: Modelle haben in der Wissenschaft ja einen Sinn, sie geben mögliche Szenarien an, aber ein Modell ist keine Repräsentation von Wirklichkeit und auch keine Voraussage. Und jetzt ist es leider so, dass in den letzten Jahrzehnten die Modelle gegenüber der Evidenz zugenommen haben, weil man Computer hat und alles Mögliche schön ausrechnen kann. Ob das irgendeinen Sinn macht, ist eine andere Frage. Der Sinn liegt vielleicht darin, Möglichkeiten aufzuzeigen.

Hannah Arendt sagte, dass man die Wahrheit nur erkennen könne bei dem, was aussersinnlich ist – also in der Welt, die nicht von Reizen überfüllt ist. Aber wir leben eben in einer reizüberfluteten Welt. Wie bewahren Sie sich darin Ihre Urteilskraft?

ME: Na ja, also man kann das nur aufgrund von Daten. Und da müssen wir einfach herauszufinden versuchen, was für Daten wir haben.

Also stützen Sie sich trotzdem auf Daten?

ME: Ja, natürlich.

Und was ist mit Bauchgefühl oder Intuition?

ME: Da würde ich jetzt sagen: Nein. Ich möchte Evidenz sehen, weil Bauchgefühl ist ja ganz verschieden.

Aber woher wissen Sie, welche Urteile Ihrer eigenen Denke entspringen und welche vielleicht von Fremdeinflüssen vorbestimmt wurden?

ME: Es gibt eine Grundlage von Daten, wenn wir jetzt hier über empirische Dinge wie Viren oder so etwas reden.

Ja, aber da haben wir ja gerade die letzten drei Jahre die Manipulation schlechthin erlebt.

ME: Wenn ich nach Daten schaue, bin ich erst mal skeptisch, wenn sie aus intransparenten, totalitären Staaten wie China kommen. Bei Daten zu Epidemien oder Pandemien werden in westlichen Ländern die Toten erfasst – da ist Übersterblichkeit das erste. Natürlich kann man immer sagen, dass Leute an irgendwas gestorben sind, aber da müsste man ja im Einzelfall nach Ursachen gucken und davon gibt es immer viele. So, jetzt wäre erst einmal: Haben wir irgendwo Übersterblichkeit? Jetzt kommt was Neues: Die ersten Daten waren von Ioannidis. Er hatte dieses Kreuzfahrtschiff, die Diamond Princess untersucht. Da wurden alle Leute getestet, man rechnete das hoch und kam auf eine Sterblichkeit deutlich unter einem Prozent. Damit war für mich das Thema eigentlich erledigt. Das waren die einzigen zuverlässig erhobenen Daten. Diese Kreuzfahrtschiffpassagiere waren eher alt, und es ist jetzt nicht so, dass es eine Gruppe von Bergsportlern gewesen wäre. Denn wenn ich eine Gruppe von 70-jährigen Bergsportlern nehme, ist das natürlich nicht repräsentativ, weil das besonders fitte Leute sind. Es ist also kein bias sample, denn die Daten und die Spannbreite sind sehr gross. Somit war klar: Es ist nichts Alarmierendes.

Ich finde die Frage dennoch interessant: Was stärkt die Urteilskraft? Du sagst jetzt die Zahlen, aber ich glaube, es ist schon auch mehr. Ich habe die Bilder aus China gesehen, wie die Menschen über die Strasse gehen und mitten im Gehen fallen sie tot um. Am Anfang hiess es: Das ist das Coronavirus, das wird uns jetzt alle umbringen. Ich sah das und wusste: Das kann nicht stimmen –, aber nicht wegen Zahlen, sondern wegen meines Bauchgefühls.

ME: Das kann auch nicht stimmen. Also wenn jemand jemanden erschiesst, dann fällt man halt tot um. Aber das Virus, das ist ja kein Gift wie Zyanid oder so. Man kann daran sterben, klar, aber das dauert einen Moment. Man fällt da nicht einfach so mitten auf einer Strasse tot um. Oder nehmen wir die Bilder von Bergamo, da waren plötzlich Särge da – und man weiss nicht, woher die kommen. Und jetzt will ich nicht irgendwie Vorurteile haben –, aber wenn man weiss, dass es in Italien nicht so gut organisiert ist und denen aus Panik das Gesundheitspersonal wegläuft und die Leute mehr oder weniger in Streik gehen, dann ist doch klar, dass die Patienten sterben. Das war einfach ein Chaos. Aber wieso sollte man das jetzt auf das Virus zurückführen? Wieso sind denn die auf dem Kreuzfahrtschiff nicht gestorben? Da waren ja so viele Alte – das passt irgendwie nicht zusammen. Es passt vielleicht zu den chinesischen Bildern, aber von China weiss ich, das wird von oben bestimmt, was rauskommt und was nicht.

Und da haben wir doch das Problem, Michael: Die Urteilskraft der grossen Masse der Menschen ist an diesen Bildern gescheitert. Menschen haben zu mir gesagt: Ja, ich war auch lange skeptisch, aber dann habe ich diese Särge in Bergamo gesehen, und da war es für mich klar – da muss man etwas unternehmen.

ME: Nehmen wir Folgendes an: Ich habe die Särge aus Bergamo gesehen usw. Und natürlich reagiere ich, bin vorsichtig und nehme Rücksicht gegenüber anderen Leuten. Aber dann möchte ich diese Särge von Bergamo irgendwie durch Evidenz bestätigt haben. Woher weiss ich, ob nicht die Leichenbestatter in Streik gegangen sind oder Sonstiges? Ich kann ja Särge und Fotos von Särgen sehen, aber es braucht ein bisschen Skepsis gegenüber ungewöhnlichen Sachen.

Ich muss wichtige Dinge nachprüfen wollen! Das sehe ich als das Problem derjenigen, die sehr viel in den Nachrichten gesehen haben und dann nicht das taten, was wir gemacht haben – nämlich zu recherchieren, herauszufinden, was da los ist. Die allermeisten Menschen tun das nicht.

ME: Genau. Jetzt haben wir den Boom, dass wir staatlich finanzierte Medien haben und dass die Medien nicht wirklich frei sind. Es wäre ja typischerweise Aufgabe von Journalisten, darüber zu recherchieren, was da wirklich los ist. Denn es passt nicht zu dem, was man sonst sieht. Man muss immer die einzelnen Informationen, die man bekommt, in ein Gesamtbild einzuordnen versuchen, sodass es passt. Und jetzt ist es so, dass wir uns viel mehr auf das Smartphone, auf Computer, auf das Internet verlassen als auf unsere eigene Wahrnehmung der Umgebung – und das ist halt ein Problem. Dadurch wird man manipulationsanfälliger. Das ist halt der Fluch und Segen der Technik. Durch das Internet kann man mit jedem Menschen auf der Welt quasi augenblicklich kommunizieren, auch über Zoom. Man kann sich sehen und Kontakte halten, und das ist eine tolle Sache. Aber man kann Menschen natürlich auch viel einfacher manipulieren: Wenn man ihnen Bilder zeigt von Leuten, die alle nur maskiert rumlaufen, dann fangen die auch an, maskiert auf der Strasse herumzulaufen.

Halten wir also fest: Es fehlt die Skepsis gegenüber Ungewöhnlichem. Das Smartphone macht uns manipulationsanfälliger und die Medien, die unsere Skepsis fördern sollten und auch selbst skeptisch sein sollten, nehmen ihre Aufgabe nicht wahr. Was machen wir jetzt?

ME: Das macht ihr alternativen Medien doch! Ihr versucht, an die Leute zu appellieren, sie resistenter zu machen gegen Manipulation.

Aber ich denke, man kann nur an der Stelle ansetzen, dass es keine Machtkonzentration geben soll. Also wenn es einen Staat gibt, der Medien lenkt, der Wissenschaft lenkt, durch die Finanzierung die Bildung lenkt, der Notstände ausrufen kann usw., ist klar, dass hier die Freiheit fehlt. Nehmen wir mal an, ich habe ein politisches Programm, oder: Ich bin Wissenschaftler und ich bin von irgendwas fanatisch überzeugt – zum Beispiel davon, dass die Menschheit durch Viren oder durch den Klimawandel untergehen wird. Jetzt kann ich zwei Dinge tun: Ich kann Bücher schreiben, Leute zu überzeugen versuchen. Das ist mühsam und andere widersprechen mir. Viel einfacher ist es, wenn es mir gelingt, Berater eines Politikers zu werden, denn der Politiker kann einfach das, was ich will, beschliessen und er kann Medien finanzieren und so weiter. Das ist doch die sinnvollere, also die zweckrationalere Strategie.

Oder ich habe ein Unternehmen, das tolle Produkte herstellt. Jetzt kann ich versuchen, Kunden zu überzeugen, aber wenn die mir die Produkte nicht abkaufen, gehe ich pleite. Und das ist mühsam. Ich kann aber auch einen Politiker überzeugen, der mir ein Gesetz macht und sagt, dass mein Produkt der Menschheit hilft und mir deshalb eine Garantie gibt, dass, wenn ich pleite gehe, es einen bail out gibt, weil es too big to fail ist.

Aber das wäre ja unsozial. Und deshalb muss diese Machtkonzentration weg. Wenn es die zentrale Machtkonzentration nicht mehr gibt, ist es viel schwieriger – man muss dann die einzelnen Menschen überzeugen.

Wie schaffen wir das?

ME: Durch Skepsis gegenüber Machtkonzentration. Indem man sieht, was das alles anrichtet. Wahrscheinlich werden wir es halt irgendwann merken, denn das Ganze lebt ja nur auf Pump, es ist ja nicht finanzierbar – jetzt sind wir beim Geld. Eigentlich müsste man sagen: Okay, wenn ihr einen Lockdown haben wollt, muss aber die direkte Bundessteuer verdoppelt werden, und die Kantonssteuern entsprechend auch.

Angeblich haben wir ja keine Inflation wegen der Massnahmen, sondern wegen Putin.

ME: Natürlich gibt es immer irgendjemand anderes, der schuld ist.

Inwieweit hängt hier Urteilskraft mit unserem Bedürfnis nach Freiheit zusammen?

ME: Ich weiss nicht, ob es ein Bedürfnis nach Freiheit gibt.

Aber es gibt ein Interesse daran, sein Leben selbst zu gestalten. Und das erlischt ohne Freiheit.

ME: Ja, natürlich. Wenn man nicht ein bisschen Urteilskraft und Freiheit hat und das von anderen regeln lässt, dann geht es irgendwann schief. Dafür muss man irgendwann sehr teuer bezahlen. Wenn du dein Urteilsvermögen, deine Freiheit abgibst und denkst, das sei doch so ein wohlmeinender Bundesrat, dann endet das immer schlecht. Obendrein wird dieser Preis von allen bezahlt. Das ist das, was ich real existierende Postmoderne genannt habe: Geld, das durch nichts mehr gestützt ist, das einfach gedruckt werden kann, schafft eine Illusion von Wohlstand und Leistung. Corona hat ja nichts gekostet – das Geld wurde einfach gedruckt. Aber irgendwann, wenn sich die Geldmenge ausweitet, ist ja klar, dass der Wert des Geldes, also die Kaufkraft sinken muss, weil einfach mehr Geld da ist, ohne dass mehr Güter da sind. Wenn mehr Güter produziert werden, also die Produktivität steigt und die Geldmenge entsprechend steigt, ist es ja okay, denn dann müssten ansonsten die Preise fallen. Aber jetzt ist es ja so, dass die Geldmenge ausgeweitet wird und die Produktivität sogar sinkt. Ist ja klar, dass das Geld so an Wert verliert, und das trifft alle, manche mehr und andere weniger. Aber dann sieht man die Konsequenzen. Es ist ja im Leben immer so, dass man viel wollen kann, aber die Mittel knapp sind. Und deshalb ist Urteilskraft so wichtig, um mal zu überlegen: Welche Mittel möchte ich einsetzen, um ein Ziel zu erreichen? Also wie und wofür setze ich knappe Mittel ein?

Maurice Merleau-Ponty sagte, eine fehlende Übereinstimmung entbinde uns nicht davon, das, was wir ablehnen, zu verstehen; vielmehr steigere sie diese Pflicht. Er schreibt: «Die wahre Freiheit … nimmt die Anderen, wo sie sind; sie sucht die Doktrinen, die sie leugnen, zu durchdringen und erlaubt sich kein Urteil, bevor sie nicht alles verstanden hat. Wir müssen unsere Freiheit des Denkens in der Freiheit des Verstehens erfüllen.» Wie kommen wir zurück in einen vorurteilsfreien Diskurs?

ME: Wir haben nie einen vorurteilsfreien Diskurs. Von den Vorurteilen kommen wir weg, indem wir uns mit verschiedenen Positionen auseinandersetzen und Argumente austauschen.

Aber wie kann dann eine gerechte Urteilsfindung stattfinden?

ME: Indem jeder seine Meinung sagen darf. Auch die, die du für falsch hältst oder die, die ich für falsch halte.

Trotzdem leben wir in einer Gesellschaft, wo Regeln für uns alle bestimmt werden.Und wenn wir uns in einem in der Urteilskraft schwer gestörten Kollektiv befinden, dann ist der demokratische Weg versperrt. Weil wir so nicht zur Lösung kommen. Die Leute werden nicht der Vernunft folgen.

ME: Na ja, es ist schwer zu sagen, wo die Vernunft liegt. Der demokratische Weg ist ganz klar: Man kann nur über Sachen abstimmen im Sinne der offenen Gesellschaft. Popper setzt voraus, dass man die anderen respektiert. Man kann nicht darüber abstimmen, ob die anderen ein Lebensrecht haben. Eine Demokratie funktioniert also nur unter der bedingungslosen Anerkennung der Menschenrechte aller. Wenn ein Bundesrat und ein Parlament Unrecht beschliessen, haben wir in der Schweiz glücklicherweise die Volksabstimmung – das ist die einzige Form, in der wir uns im institutionellen Rahmen dagegen wehren können. Aber eigentlich sollten Volksabstimmungen nur über Sachen stattfinden, die im Rahmen der Anerkennung der Menschenrechte aller stehen.

Wir wissen auch, dass von staatlicher Seite versucht wird, Einfluss auf die Urteilskraft der Individuen zu nehmen. MK Ultra, Brutkasten-Lüge, Twitter-Files, das sind nachgewiesene und unstrittige Beispiele. Noam Chomsky nannte es «manufacturing consent», also «die Herstellung von Zustimmung», der Versuch, in der Bevölkerung Rückhalt für das staatliche Handeln gegenüber anderen Staaten zu gewinnen. Bei Corona versuchen die Regierenden oder Machthaber, die eigene Bevölkerung dafür zu gewinnen, sich selbst Schaden zuzufügen.

ME: Im 19. Jahrhundert entstanden Nationalstaaten, die nach aussen aggressiv sind, also zum Imperialismus tendieren, und nach innen repressiv sind, also tendenziell homogene Volkskörper sind. Dabei war das Privatleben jedoch nicht von der Repression betroffen. Die Repression beschränkte sich darauf, dass man Zwangsabgaben erhob, um Leute von staatlichen Programmen abhängig zu machen, also Sozialhilfe, Medizinhilfe usw., und damit die freiwillige genossenschaftliche und wohltätige Organisation von Unterstützung ausschaltete. Man nahm den Leuten die Mündigkeit und die Verantwortung für ihr eigenes Leben weg, machte aber keine Vorschriften für ihr Privatleben. Das ist jetzt einfach einen Schritt weitergegangen. Jetzt wird es totalitär, jetzt geht es in das Privatleben rein.

In dem Sinne ist die Repression eigentlich nicht neu, sondern sie hat sich einfach ausgeweitet.

ME: Rückblickend würde ich sagen, das war einfach der zweite Schritt, jetzt nimmt die Repression wieder zu. Man braucht nur auf die Medieninszenierung zu schauen: Wann immer ein Problem auftritt, wird ein Politiker gerufen, der überhaupt keine Kompetenz oder kein Mandat hat, und dann soll er das Problem lösen. Und es wird dadurch totalitär, dass es ins Privatleben reingeht, und das geht nur, wenn man den Menschen die Selbstverantwortung nimmt – dann nimmt man ihnen ja auch die Urteilskraft. Man suggeriert den Leuten, dass das ein Fürsorgestaat ist, und so entsteht die Haltung: Wissenschaftler müssen das jetzt richten. Und das ist das Absurde. Die Menschen müssen dann auch keine Urteilskraft mehr einsetzen, weil sie vollständig betreut sind. So kommt es, dass sie dies auch befolgen, wenn man ihnen sagt, dass Sie sich jetzt einsperren, Masken tragen oder sich impfen lassen müssen.

Ich denke, man kann niemanden zur Freiheit oder Mündigkeit zwingen. Man muss gegen diese Strukturen angehen und versuchen, sich Freiräume zu schaffen. Man kann den Leuten ja auch vermitteln, dass die, die mitmachen wollen, das tun können. Ich habe nichts dagegen, dass sie mit einer Maske herumlaufen. Ich habe auch nichts dagegen, wenn der Wirt sagt, er lasse nur noch Geimpfte rein – er schadet sich ja selbst. Die, die so leben wollen, sollen so leben können. Aber sie sollen den anderen nichts aufzwingen. Das kann man doch eigentlich vermitteln. Und dann werden wir ja sehen.

Manche Beobachter sagen, diese Ausweitung der Repression ins Private, dieser Totalitarismus sei Teil des Dritten Weltkriegs. Dieser finde nicht zwischen Staaten statt, sondern sei ein Krieg der Mächtigen gegen die allgemeine Bevölkerung und werde auch gegen unsere Wahrnehmung geführt. Was sagst du dazu?

ME: Das glaube ich nicht, dass das so stimmt. Denn erstens sind die Mächtigen ja auch keine homogene Gruppe. Ich würde denken, dass es bei bestimmten Themen eine Allianz gibt, wo sich verschiedene Interessengruppen finden, aber das kann auch wieder zu Ende gehen. Es gibt nicht einfach die Gruppe der Mächtigen versus die allgemeine Bevölkerung. Und zweitens haben wir Abstimmungen, es kann sich jeder ein Urteil bilden. Propaganda hat es auch immer gegeben. Es gibt nicht einfach eine Gruppe von Bösen da oben. Das ist mir irgendwie zu pauschal, es gibt viele verschiedene Interessen, und die sind sich untereinander auch nicht einig. Gab es nicht auch Streit unter den Impfstoffherstellern? Es ist halt wie überall, auch in der Uni: Wenn über etwas im Fakultätsrat abgestimmt wird, dann finden sich Gruppen zusammen, aber es ist nicht so, dass es immer eine Gruppe von Mächtigen gibt, die immer zusammenstehen. Auch die müssen immer ihre Mehrheit finden. Und so haben wir auch die Möglichkeit, dagegen anzugehen.

Wie?

ME: Indem wir reden und versuchen, die Leute zu erreichen.

In einem Interview bei Gunnar Kaiser sagtest du: «Wenn wir den postmodernen Totalitarismus zu Ende führen, dann steht am Ende dieser Entwicklung die totale Zerstörung.» Aber da wollen wir doch nicht hin, oder?

ME: Wir können das verhindern, wenn jetzt genügend Leute ihre Urteilskraft einsetzen. Aber vielleicht wird es zu spät sein. Und: Immer wenn es eine totale Zerstörung gab, gab es wieder einen Neuanfang. Ich will das nicht, aber ich kann es auch nicht verhindern. Es ist klar, dass das Fiatgeldsystem irgendwann in einer Geldentwertung endet, weil es prinzipiell unmöglich ist, die Schulden zurückzuzahlen, weil sie einfach zu hoch sind. Das heisst, das bricht irgendwann zusammen.

CBDC – digitales Zentralbankgeld wird die Lösung sein nach dem Zusammenbruch unseres Fiatgeldes.

ME: Da muss man halt schauen, ob genügend Leute bereit sind, das anzunehmen.

Das werden sie.

ME: Mit dem digitalen Zentralbankgeld bricht es erst recht zusammen. Das ist dann die totale Steuerung. Die totalitären Regime sind entweder durch einen expliziten Krieg oder – wie die Sowjetunion – einfach wirtschaftlich irgendwann zusammengebrochen. Um das zu stoppen, muss man die staatliche Machtkonzentration durchbrechen. Und man muss Urteilskraft einsetzen und Verantwortung für sein eigenes Leben und in überschaubaren Gemeinschaften übernehmen, weil niemand anderes das kann. Wer sagt, dass er das nicht kann, macht das Leben am Ende des Tages kaputt. Vielleicht muss es so weit kommen, dass es kaputt geht – ich weiss es nicht. Ein Zusammenbruch des Geldsystems ist absehbar und schwer zu stoppen, weil halt zu viel Verschuldung da ist. Man müsste sofort mit diesem Geldsystem aufhören und zu einer freien Wirtschaft mit freiem Geld statt staatlichem Geldmonopol übergehen, sodass es ein Produktivitätswachstum gibt. Man müsste da also eine 180-Grad-Kehrtwende machen. Aber danach sieht es Moment nicht aus. ♦

von Lilly Gebert und Michael Bubendorf


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«Es kommt immer mehr ans Licht»

«DIE FREIEN» im Gespräch mit Karina Reiss

Wer ist die starke Frau an der Seite von Sucharit Bhakdi? Was treibt die Biochemikerin an, trotz all des Gegenwindes weiterhin für die Aufarbeitung mit den Prinzipien der Wissenschaft zu kämpfen?

«DIE FREIEN»: Karina, mit welchem Gefühl gehst du derzeit täglich aus dem Haus?

Karina Reiss: Mit sehr gemischten Gefühlen. Wir sind in den letzten drei Jahren nach dem Zeitalter der Aufklärung wieder im dunklen Mittelalter gelandet. Hexen sollen wieder beweisen, dass sie keine Hexen sind. Anstelle wissenschaftlicher Erkenntnisse bestimmt der medial eingetrichterte Aberglaube das Handeln der Menschen. Dabei ist das besonders Erschreckende, dass dieser Aberglaube vor den Menschen, die sich Wissenschaftler oder Ärzte nennen, nicht haltgemacht hat.

Was macht das mit einem, von den eigenen Kollegen als «unwissenschaftlich» abgestempelt zu werden?

KR: Wer behauptet, dass das, was mein Mann und ich gesagt und geschrieben haben, wissenschaftlich nicht korrekt ist, der hat das gute Recht dazu, wenn es mit Fakten belegt ist. Wer keine fachlichen Argumente bringt, ist aus meiner Sicht kein Wissenschaftler. Nicht in eine offene Diskussion zu gehen, ist ein Armutszeugnis. Insofern ist mein Hauptproblem nicht der Vorwurf meiner Kollegen, sondern dass ich ihnen gegenüber meine Achtung verloren habe. Es sind ja teilweise Menschen, mit denen ich über viele Jahre direkt oder indirekt zusammengearbeitet habe. Dieselben Menschen wollen nicht mehr in einem wissenschaftlichen Journal publizieren, wenn in diesem Heft auch ein – wohlgemerkt wissenschaftlich gänzlich unanfechtbarer – Artikel von meinem Mann und mir erscheint. Aus meiner Perspektive haben sich meine Kollegen als Wissenschaftler komplett disqualifiziert. …

von Lilly Gebert


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Im Labyrinth der Meinungen

Auf der Suche nach Urteilskraft

Die anderen könnten recht haben. Dann hätte die Menschheit gerade mit knapper Not die Auslöschung durch ein gefährliches Virus überlebt und stünde jetzt vor dem Untergang, weil wir Menschen zu viel CO₂ ausstossen und damit die Erdatmosphäre so sehr erhitzen, dass die Meeresspiegel ansteigen und die Hitze das Leben in grossen Teilen der Erde unmöglich macht, während die Überbevölkerung zur vollständigen Plünderung der natürlichen Ressourcen unseres Planeten führt. So schätzen offenbar die allermeisten Menschen unsere aktuelle Situation ein.

Wir kommen zu einer komplett anderen Einschätzung. Während wir den Wert der Natur erkennen und der Umwelt Sorge tragen müssen, halten wir den Einfluss des Menschen auf die Temperatur der Erdatmosphäre vorerst für vernachlässigbar. Eine Pandemie konnten wir beim besten Willen nicht erkennen. Und während in manchen Regionen wie Afrika die Bevölkerung tatsächlich zunimmt, steht die «westliche Welt» vor einer genau umgekehrten Herausforderung: Das Wort «Bevölkerungskollaps» beginnt in den Industrienationen die Runde zu machen und erscheint uns als realere Bedrohung.

Pandemie, Klimawandel, Überbevölkerung: Wir bekämpfen Phantome. Szenarien, die erst durch unsere Vorstellung, unterstützt von Computermodellen, als Gefahr erscheinen und durch deren Bekämpfung erst zu einer wirklichen Gefahr werden. Als spritzte die Feuerwehr Unmengen Löschwasser auf ein Haus, das gar nicht brennt. Mit dem Resultat, dass das Haus danach zerstört ist. …

Lilly Gebert und Michael Bubendorf


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Briefwechsel mit Mathias Bröckers

Lieber Mathias.

Ich weiss ja nicht, wie es dir geht, aber ich für meinen Teil bin sehr hellhörig geworden, als Lauterbach und Konsorten letzten Herbst beinahe über Nacht ihre jahrelange Cannabisfeindlichkeit abzuwerfen schienen und wie selbstverständlich in Talkshows davon anfingen, ihre Pläne bezüglich einer freien Abgabe als auch einem begrenzten Eigenanbau zu «verteidigen». Versteh mich nicht falsch; dem Konsum von Gras und Haschisch stehe ich neutral bis wohlgesonnen gegenüber. Was mich skeptisch macht, sind die Umstände: In Zeiten der Wut, Verzweiflung und Ohnmacht eine Droge zu legalisieren, durch die das Leben zwar leichter scheint, deren Verteufelung sich aber schon länger als ein Jahrhundert hält, erscheint zumindest mir als ein etwas zu «stimmiges» Zusammentreffen. Insofern sich nun mal auch – trotz «pandemischer Notlage», heruntergewirtschafteten Immunsystemen und mentalen Sinnkrisen – keine Argumentation bezüglich der Wirksamkeit von Cannabinoiden gegen Krebs, Depressionen oder Alzheimer auftut, wirkt das Ganze auf mich wie eine Fortführung der vergangenen drei Jahre: Etwas, das vorrangig der Regierung, dem Staat oder einer bestimmten Agenda in die Hände spielt, wird als Wohlwollen gegenüber dem Bürger verpackt.

In diesem Fall wäre dies für mich das «Sedieren» derjenigen, die noch so etwas wie Empörung verspüren, um wiederum Kritik als auch Aufstände an und gegen den aktuellen politischen Kurs in Rauch aufzulösen. Aus der Geschichte wissen wir schliesslich, dass immer dort, wo die jeweilige Machtkonzentration ihren Rückhalt in der Zivilbevölkerung verlor, dieser einzig zwei Möglichkeiten der Machterhaltung blieben: Brot und Spiele oder eine Militärdiktatur. In Bezug auf die Cannabis-Legalisierung haben wir es, denke ich, mit Ersterem zu tun. Sie reiht sich ein in das ohnehin schon ablenkende wie ziellose Alltagsprogramm der Mehrheit – bestehend aus Netflix, Social-Media und Metaverse.

In deinem Buch «Die Drogenlüge» erwähnst du schliesslich auch die Schlussfolgerung einer Finanzanalyse des britischen Weltreichs im 18. und 19. Jahrhundert: «Ohne Opium kein Empire». Sollten wir uns da nicht fragen, ob Cannabis zukünftig ebenfalls in diese Schublade der Mittel zur Bevölkerungskontrolle fallen wird? Was aber ist dann aus jenen «gegen Vernunft und Logik weitgehend immunisierten» Verteidigern der Cannabis-Prohibition geworden? In deinem Buch gehst du so weit, sie mit «heiligen Kriegern» zu vergleichen: Wie für alle Fundamentalisten seien auch für sie «jeder Kompromiss und jede schadensmindernde Realpolitik gleichbedeutend mit einer Kapitulation vor dem Bösen». Warum also jetzt? Wo sind diese Stimmen hin? Hat «das Böse» aufgehört zu existieren oder sind andere Überzeugungen plötzlich wichtiger (geworden)? Was meinst du? Mich würde sehr interessieren, ob du meine Beobachtungen teilst (und vielleicht sogar Antworten auf meine Fragen hast) oder ob du als jahrzehntelanger Befürworter einer Legalisierung dem aktuellen Gesinnungswandel eher positiv entgegenblickst.

Herzlich, Lilly

*

Liebe Lilly

In der Parteipolitik wird gefeilscht wie auf dem Basar und was dabei herauskommt, sind oft oberfaule Kompromisse. Ich erinnere mich noch, als ich mit dem im Vorjahr verstorbenen letzten Aufrechten der «Grünen», Christian Ströbele, Mitte der 1980er-Jahre bei der taz zusammensass, und wir einige drogenpolitische Grundsätze für das Wahlprogramm aufschrieben. Als er nach einigen Wochen mit der gedruckten Fassung wiederkam, war die Forderung nach Legalisierung von Cannabis verschwunden: «Der Vorstand hatte Angst, dass wir dann als Rauschgiftpartei diffamiert werden.» Zehn Jahre später waren die «Grünen» in der Bundesregierung und stellten unter anderem die Gesundheitsministerin, mit dem Ergebnis, dass sich Cannabisregelungen im Betäubungsmittelgesetz verschärften: 1998 wurde auch der Verkauf von Cannabis-Samen unter Strafe gestellt. Als ich Ströbele darauf ansprach, erfuhr ich, was dazu geführt hatte: «Wir wollten unbedingt durchsetzen, dass in Gefängnissen kostenlose Spritzen erhältlich sind, damit sich die Inhaftierten nicht reihenweise infizieren. Die CSU war strikt dagegen und forderte: Wenn wir beim Heroin und euren Spritzenautomaten nachgeben, müsst ihr beim Cannabis verschärfen.» So kam es, dass auch Hanfsamen, die keinerlei rauschwirksame Substanzen enthalten, in Deutschland der Prohibition anheimfielen – als «Vorstufe» der Drogengewinnung sind sie bis heute verboten. Nicht, weil von ihnen irgendeine Gefahr ausgeht, sondern weil parteipolitisches Gezerre zu oberfaulen Kompromissen führt.

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Diesen strukturellen Hintergrund muss man auch in der aktuellen Situation beachten. Einem Teil der Sozialdemokraten und Grünen ist trotz aller üblen Kompromisse in der Vergangenheit eigentlich schon immer klar, dass das Strafrecht kein geeignetes Mittel der Drogenpolitik ist. Wenn Corona-Minister Lauterbach, der nicht dazu gehörte, jetzt über Nacht vom Rauschgift-Saulus zum Hanf-Paulus wird, dockt er damit koalitionsintern beim linken/liberalen Flügel an – nicht aus Überzeugung, sondern weil es taktisch sinnvoll erscheint, nach der ins Totalitäre gedrifteten Gesundheitspolitik auch wieder mal eine freiheitlich-fortschrittliche Karte zu spielen. Soll damit die schikanierte Bevölkerung einfach ruhiggestellt werden? Falls Lauterbach oder einer seiner Stichwortgeber so denkt, kann man auch hier ein Scheitern vorhersagen. Denn aus den USA, wo immer mehr Bundesstaaten den Konsum liberalisieren oder völlig legalisieren, und auch aus den Niederlanden, wo Coffeeshops seit Jahrzehnten selbstverständlich sind, ist mittlerweile bekannt, dass die Freigabe nicht zu massenhaftem Konsum und dem Sodom und Gomorra führen, das die Prohibitionisten seit 100 Jahren an die Wand malen.

Dass nicht nur bei den Leuten, sondern auch in der Politik der Gesinnungswandel nur langsam einsetzt, hat damit zu tun, dass die US-Prohibitionskampagne der 1930er noch tief in das allgemeine Bewusstsein eingeprägt ist – 100 Jahre Desinformation schleichen sich nicht so leicht aus. Als ich vor 30 Jahren mit Jack Herer «Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf» veröffentlichte, wurde uns noch «Verantwortungslosigkeit» vorgeworfen, weil wir die seit 5000 Jahren bekannten medizinischen Cannabis-Eigenschaften dokumentiert hatten – heute gibt es kaum einen «heisseren» Naturstoff in der Pharmaforschung als die Cannabinoide. Und weil das Patent bei Mutter Natur liegt, kann jeder seine Medizin auf Fensterbank, Balkon oder Garten wachsen lassen. Es braucht nur Sonne, Erde und Wasser – und ein kleines Hanfkorn, das dringend aus den Fängen der Strafgesetze befreit werden muss.

Beste Grüsse, Mathias ♦

von Lilly Gebert


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Falsche Vorbilder – Die Kunst, für sich selbst einzustehen

Nina Maleika hat noch nie etwas von sinnlosen Regeln und falschen Autoritäten gehalten. Die Musikerin erzählt uns, wie ihr Gerechtigkeitssinn geschärft wurde, als sie noch ein Kind war.

«DIE FREIEN»: Liebe Nina, du bist Sängerin, Songwriterin und Moderatorin, gibst Musikunterricht für Kinder, ernährst dich vegan, bist sehr engagiert und stadtbekannt. Als was aber identifizierst du dich selbst?

Nina Maleika: Tatsächlich als alles, ich war schon immer ein sehr vielseitiger Mensch. Natürlich ist die Kunst die letzten zwei bis drei Jahre ein bisschen kürzergetreten im Zuge meines Aktivismus. Aber ich habe 20 Jahre als Sängerin und Künstlerin gelebt und jetzt haben andere Sachen Priorität. Ich lasse mich nicht gerne einschränken oder einkategorisieren. Das hat mich immer ausgemacht: Dass ich irgendwie überall zu Hause war, mich auch als alles identifiziert habe.

Du bist eine starke Persönlichkeit, die auch mal den Mund aufmacht – hast du vielleicht eine besonders ausgeprägte Aversion gegen Konformitätsdruck?

NM: Ich habe vor allem eine Aversion, wenn mir jemand etwas vorschreiben will, den ich erstens nicht kenne und den ich als Autoritätsperson auch nicht respektiere. Und ich habe ein Problem mit Anweisungen, die irgendwie keinen Sinn machen, die einfach in meine Persönlichkeit eingreifen. Das war als Kind schon so. Ich war noch nie dazu geneigt, einer Führungsperson in irgendeiner Form hinterherzurennen. Ich war auch als Kind nie Fan von irgendeiner Band mit Postern an der Wand. Dieses Glorifizieren habe ich in der Form nie gehabt. Damit ist es natürlich schwer für mich, das auszuhalten, was hier seit fast drei Jahren passiert. Ein Freund von mir hat neulich gesagt: «So eine Pandemie ist nichts für dich. Du machst da einfach nicht mit.»

Erklärst du dir so auch deinen Sinn für Gerechtigkeit?

NM: Meinen Sinn für Gerechtigkeit hat meine Mutter in mir geweckt. Ich war als Kind immer sehr rebellisch, immer sehr «dagegen». Aber ich war teilweise auch sehr ungerecht zu anderen Kindern. Ich habe mich damals auch körperlich durchgesetzt mit Fäusten, wenn mir was nicht gepasst hat. Aber wenn ich irgendwie Fehler gemacht habe, hat meine Mutter die Kinder nach Hause geholt und gesagt: «Da musst du dich jetzt entschuldigen». Diesem starken Drang und Wunsch, immer auf die Schnauze zu hauen, wenn mir was nicht gefällt, hat meine Mutter immer was entgegengesetzt, wenn es darum ging, dass man sich gegen Schwache gerichtet hat. Und sie hat mir einen sehr, sehr guten Blick dafür mitgegeben und eingeschärft, um zu gucken: Wo sind Menschen, die schwach sind? Nimm sie unter deine Fittiche und hilf ihnen. Sei und steh bei ihnen.

Zweimal wurden bei dir Hausdurchsuchungen durchgeführt. Man könnte fast sagen, man hat dich auf dem «Kieker» – offenbar passt du nur zu gut in dieses staatlich-mediale Feindschema.

NM: Also, erstens gibt es nicht so viele bekannte Frauen unter den Aktivistinnen, die so laut sind. Es gab die Anwältin Beate Bahner, Eva Rosen oder vielleicht noch Sarah Bennett. Die meisten von ihnen waren am Anfang sehr laut, sind jetzt aber schon wieder in den öffentlichen Medien zurückgetreten. Und dann kam ich halt auf deren Schirm. Ich glaube, es ist sehr ungewöhnlich, dass jemand sich so angstfrei und so laut und deutlich mit der Ansage «Ich lasse mich hier nicht weg- oder kleinreden» der Öffentlichkeit aussetzt. Da bin ich natürlich ein gefundenes Fressen. Ich sehe es aber nicht nur negativ: Wenn ich die Aufmerksamkeit, die ich durch die Hausdurchsuchung bekommen habe, innerhalb der Bewegung dafür einsetzen kann, Leuten Mut zu machen, dann hat sich das «gelohnt». Natürlich haben sie mich auf dem Kieker, aber ich kann es halt auch tragen. Von daher sind sie da bei mir schon an der richtigen Adresse. (lacht)

Siehst du nicht auch in eben dieser Haltung vieler Menschen, die darauf hoffen, dass jemand aufsteht und für sie einsteht, eine Gefahr?

NM: Ja, natürlich. Ich gucke mir die Menschen jetzt auch schon eine ganze Zeit lang an, und irgendwie scheint es normal zu sein, dass viele immer jemanden brauchen, der vorneweg geht und den sie als mutig, als Held oder Heldin abstempeln können. Ich finde das zu einem gewissen Punkt auch okay und vielleicht auch normal. Aber ich würde mir wünschen, dass alle selber persönlich da vorne stehen – wir gemeinsam. Ich habe diesen Guru, diesen Helden nie gebraucht, andere brauchen ihn. Wenn da jemand vorangeht, der das mit Verantwortungsbewusstsein macht, dann finde ich es gut. Aber die Gefahr ist natürlich, dass die anderen sich zurücklehnen und dann irgendwelche Leute da vorne laufen. Vielleicht ist der Mensch einfach noch nicht so weit.

Ermöglichen Kunst und Musik in dieser Hinsicht vielleicht eine Hilfe zur Selbsthilfe?

NM: Ehrlich gesagt, weiss ich nicht mehr so genau, was Kunst ist und ob sie hilft. Wir erleben ja, dass die Künstler entweder gar nicht schnallen, was hier passiert, oder es nicht schnallen wollen, weil sie am Tropf dieses dreckigen Systems leben und sich natürlich auch die Butter vom Brot nicht nehmen lassen wollen. Von daher überschätzen wir Kunst vielleicht. Vielleicht hatte sie diesen Stellenwert mal, aber jetzt nicht mehr – zumindest nicht in unserem kranken System.

Wie würde für dich denn eine gerechte, lebenswerte Gesellschaft aussehen?

NM: Ich glaube, eine lebenswerte und gerechte Gesellschaft funktioniert in unserem kapitalistischen, westlichen System nicht. Das ist ein Trugschluss. Wir sind alle einfach nicht konsequent genug. Wenn wir so leben wollen würden, wie es gesund wäre, dann müssten wir hier komplett alle raus. Wir müssten zurück zum Ursprung. Dann müssten wir unser Konto kündigen, unsere Steuernummer kündigen, und das wollen wir nicht. Wir wollen alle weiter in unserem geilen Haus wohnen. Wir wollen alle weiter in Luxus leben, in den Urlaub fahren und zum Arzt gehen, weil wir uns selbst und unseren Heilkräften nicht vertrauen. Und deswegen müssen wir den Wahnsinn hier mitmachen und können uns auch nur partiell darüber beschweren, inklusive mir. Wir sind einfach nicht im Vertrauen und wir sind alle nicht konsequent. Ich kenne ganz wenige, die sagen: Okay, ich geh raus.

Woran hast du denn noch Spass?

NM: Ich habe an total vielem Spass. Ich habe Spass an dem Leben, das ich neu erschaffe, und an der Person, die ich gerade werde, also an ganz vielem. Das ist auch ein Abschied. Ich habe Spass am Aufbau des Neuen, ohne zu wissen, was es ist. Wenn wir merken, dass das Alte nicht mehr funktioniert, wenn man sich von irgendwas löst; wenn man sich sozusagen aus der alten Welt herauszieht und etwas Neues schafft, tappt man wahrscheinlich erst mal ein paar Jahre im Dunklen. Man befindet sich in einer Übergangsphase, in der man nicht genau weiss, wohin mit sich, wo nur noch ein grosses Fragezeichen ist. Ich glaube, dass das gesund und auch normal ist. Nach drei Jahren Wahnsinn komme ich auch immer mehr zurück zum spirituellen Aspekt: Man muss sich erst komplett verlieren, um etwas Neues entstehen zu lassen. Wir können nichts Neues erschaffen, wenn das Alte nicht gestorben ist. Das ist vielleicht erst mal nicht so schön und klingt vielleicht nicht positiv, aber ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Prozess. Ich kenne ehrlich gesagt auch niemanden, der sich in diesem Wahnsinn tiefgreifend verändert hat, ohne den spirituellen Aspekt einzubeziehen. Es geht gar nicht anders. Das, was hier passiert, ist so was von schlimm – dem kannst du nur mit Humor oder mit Spiritualität begegnen. Alles andere halte ich für unmöglich. ♦

von Lilly Gebert


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Zwischen gut und gut gemeint

Wieso wir einen weisen Egoismus brauchen.

Der eine ist ein erfolgreicher Unternehmer, der andere hat sich vor drei Jahrzehnten von seinem gutbezahlten Job als Ingenieur verabschiedet, um sich mehr und mehr mit dem unnötigen Leiden auseinanderzusetzen. Alec Gagneux und Daniel Model im Zwiegespräch.

«DIE FREIEN»: Für wen stehen Sie beide jeden Morgen auf? Für sich oder für andere?

Daniel Model: Ich vertrete grundsätzlich die Kunst, ein Egoist zu sein. Das erscheint mir sehr wichtig, aber es ist eben eine Kunst, und deshalb sehr anspruchsvoll. Das heisst, ich muss nach mir selber schauen, als physische Voraussetzung meiner Gesundheit. Ansonsten würde ich – allein schon als Eigentümer einer Firma, die mit 4500 Mitarbeitern die Grösse einer Gemeinde hat – andere in Mitleidenschaft ziehen. Wenn ich also als Gemeindepräsident aufstehe und die Grundarbeiten bezüglich mir selber gemacht sind, kommt die Verantwortung, und dann sind es plötzlich doch die anderen, oder?

Alec Gagneux: Ich denke, es ist etwa 40 Prozent für andere und 60 für mich, wenn ich mit dem rechten Bein aufstehe. Wenn ich mit dem linken aufstehe, ist es umgekehrt. Und ich schätze auch den Egoismus. Aber es braucht einen weisen Egoismus. Diesen definiere ich nach Mani Matter: «Dene wos guet geit, giengs besser – Giengs dene besser wos weniger guet geit.» Mir kann es also nur gut gehen, wenn es den anderen auch gut geht. Eines meiner Hauptanliegen ist der Hunger: Es verhungern etwa 50 Millionen Menschen pro Jahr – das ist kein Thema, interessiert niemanden. Es gibt keine UNO-Versammlung, die sagt: Jetzt brauchen wir mal 200 Milliarden sogenanntes «Sondervermögen»! Aber gleichzeitig haben wir jetzt 100 Milliarden «Sondervermögen» für Rüstung und nennen das «ein Hilfspaket für die Ukraine». Somit frage ich mich, manchmal schon vor dem Aufstehen: Wo könnte man eigentlich einen Hebel ansetzen, damit es den anderen auch besser geht? Damit es auch mir wieder besser geht? Das sind so die indirekt egoistischen Komponenten. Ich habe lange im buddhistischen Kontext gelebt und dort ist eigentlich die Motivation wichtiger als die Tat selber. Ich schwebe also immer zwischen Altruismus und Egoismus. Allerdings ist beim Egoismus die Voraussetzung für mich, keinen Schaden für andere auszulösen. Und das ist auch schon schwierig.

Zumindest einen «Hebel» scheinen Sie darin gefunden zu haben, dass Sie seit 2019 Ihr Sommer-«WEFF» (Sinnvolles Wachstum für Erde, Frieden und Freiheit) in Davos veranstalten – quasi eine Gegenveranstaltung zum Winter-WEF. Haben Sie schon mal daran gedacht, Klaus Schwab einzuladen?

AG: Ich spreche mit jedem, auch mit Herrn Schwab. Ich finde es wirklich wichtig, dass wir eine Kultur haben, in der wir fähig sein müssen, mit jedem zu sprechen. Mit jedem. Das bedeutet auch mit einem absoluten Terroristen. Wir müssen an einem Tisch sitzen können und verhandeln. Wenn wir das nicht können, sterben weiterhin Millionen von Menschen.

Entspräche dies auch dem W in «WEFF» – Ihrer Intention eines sinnvollen Wachstums?

AG: Ich habe mir überlegt, ob ich beim W «Wahrheit» schreiben sollte und habe es dann gelassen. Das stösst viele Leute ab, die sagen dann: Der meint, er wisse alles. Das meine ich überhaupt nicht, aber ich suche trotzdem die Wahrheit. Deshalb kommt eben das «Sinnvolle» dazu. Denn wenn das Leben keinen Sinn macht, dann kann man es auch sein lassen. Mit Wachstum ist auch das geistige Wachstum gemeint, aber das muss ich nicht jedem sagen.

Lynn Margulis zeigte 1998 in «Der symbiotische Planet» auf, dass sich mehrzelliges, «höheres» Leben vor Milliarden Jahren nicht allein aufgrund von Mutation und Selektion, sondern vor allem durch Vereinigung und Symbiose entwickeln konnte und brachte damit Darwins Paradigma des «Survival of the fittest» ins Wanken. Wenn es nicht der Egoismus war, sondern die Kooperation, die uns zum Menschen werden lassen hat – warum wird unser Leben dann von diesem «Kampf ums Dasein» dominiert?

DM: Ich glaube, wir haben so einen Kurs bekommen von der Natur, von der Schöpfung. Aus dieser Veranlagung können wir Glück oder Probleme schaffen. Das ist ja das Spannende: Dass es dann eben doch am Individuum liegt, wie stark es sich in einer Beziehung einbringt oder wie sehr es aufs Destruktive Wert legt. Die Freiheit ist ein unglaublich hoher Anspruch, der auch nur mit einem ganz hohen Preis zu bezahlen ist. Deshalb dürfen wir nicht daran verzweifeln, dass die Menschen auch daran scheitern können.

AG: Ich habe von Anfang an gemerkt, dass es mir in der Entwicklungszusammenarbeit nicht reicht, nur «gut» und «gut gemeint» unterwegs zu sein. Gut gemeint bedeutet einfach zu häufig schlecht. Das sieht man bei unserem Sozialsystem: Die Leute werden abhängig von der Welthungerhilfe, die Armut geht hoch wie noch nie und der Hunger hat sich in den letzten drei Jahren verdoppelt! Da zähle ich auch das World Economic Forum mit rein. Seitdem die sich vor 50 Jahren «Improving the State of the World» auf die Fahnen geschrieben haben, nehmen die Fischbestände ab und der Hunger zu. Diese Ideologie ist für mich eine Konkurserklärung. Deshalb wünsche ich mir ein Wirtschaftssystem, das anders misst. Erst dann kann ich mir vorstellen, dass die Ziele der Agenda 2030 so weit erreicht werden können, dass das Leiden abnimmt und diejenigen, die jetzt davon profitieren, nicht mehr profitieren. Ich denke, wir müssen wegkommen von einer Konkurrenzwirtschaft zu einer – und das ist nicht einfach, es ist ein bisschen ein Traum – kooperativen Menschheitsfamilie.

DM: Das Wirtschaften ist eigentlich etwas Natürliches, das Problem ist, was der Mensch daraus gemacht hat. Mit dem Fractional Banking System hat er die Wirtschaft so gehebelt, dass die Finanzseite die Realwirtschaft völlig verlassen hat. Das ist ja aus wirtschaftlicher Sicht das ganz Schlimme: Wenn Sie das Geld einfach so aus dem Nichts machen, bezahlen Sie plötzlich kulturelle Preise, Preise der Degeneration. Ich habe aber schnell gemerkt, dass sie unsere Kultur als solche nicht angreifen können. Kultur heisst schliesslich immer: Wie gehen wir eigentlich miteinander um, wenn wir uns begegnen? Deshalb möchte ich an dieser Stelle die Marktwirtschaft in Schutz nehmen. Denn das ist eine Veranstaltung, eine soziale, die entsteht, wenn niemand befiehlt, was entstehen soll.

AG: Ich empfinde eine gesunde Konkurrenz ebenfalls nicht als Problem. Aber wir leben ja nicht in einer freien Marktwirtschaft, auch nicht in einer sozialen Marktwirtschaft. Wir leben in einem Monopoly, wo die Grossen entscheiden, in welche Richtung es geht. Der Plan vom WEF lautet: «You will own nothing and you will be happy.» Wenn das eintritt, ist der Markt weg. Wenn wir uns das, was täglich die Drohne liefert, nicht mehr aussuchen können, weil es schon vorgegeben ist, dann gibt es keine Konkurrenz mehr, dann ist es nicht Kapitalismus, sondern eine Marktdiktatur.

Und da sind wir wieder bei der Unterscheidung von «Gut» und «Gut gemeint». Denn auch wenn Sie, Herr Model, sagen, der Staat könne nicht über unsere «Betriebskultur» verfügen, mussten wir in den letzten zweieinhalb Jahren erleben, dass er es eben doch kann: Sobald die staatliche Moralkeule geschwungen wird, verfällt die Gesellschaft in eine sozialistisch-totalitäre Kollektivmoral. Es entsteht ein Druck, der von Solidarität zeugen soll, aber kann man diese überhaupt befehlen?

DM: Warum ich bei Solidarität zusammenzucke, erklärt sich aus meiner Lebenserfahrung heraus: Diese hat gezeigt, dass in neun von zehn Fällen, wer Solidarität schreit, eigentlich auf Kosten desjenigen leben möchte, von dem er Solidarität verlangt. Da hat der Begriff eine Entwertung durch die Praxis erfahren. Du musst jetzt solidarisch sein! Und dann? Dann bin ich unter Zwang gesetzt. Man kann über den Zwang doch nicht Tugend generieren. Und trotzdem ist es das, was seit Jahrzehnten passiert. Und da frage ich mich: Wie konnten wir in so eine Degenerationsdynamik hineingeraten? Unsere Debattenräume haben sich ja nicht nur verengt – es gibt sie nicht mehr. Entweder ist man Klimaleugner oder – und das ist für mich wirklich das Allergrösste – Putinversteher. Ausgerechnet das Verstehen mit einem negativen Attribut zu belegen – das darf einfach nicht sein. Aber vielleicht kann diese Spirale jetzt durchbrochen werden: durch Helden und heldenhafte Taten. Mir ist aufgefallen, dass Helden in unserer Gesellschaft nicht mehr vorkommen, die sind nicht erlaubt, oder? Der Sozialismus will schliesslich auch keine Helden. Und vielleicht steckt dort eine Antwort: Dass wir Helden brauchen, die hinstehen und dadurch – vielleicht auch erst post mortem – ein Umdenken bewirken. Die Frage ist ja: Wie können wir diese Moralkeule drehen und in eine gute Debatte verwandeln? Ich habe zwar das Mittel nicht, aber ich glaube, wir kommen nicht darum herum, etwas zu leiden. Denn erst im Schmerz gibt es – im buddhistischen Sinne – eine Metamorphose hin in die Weisheit.

AG: Das Leiden ist ein zentrales Element, das halt mit Hollywoodfilmen unterdrückt wird. Dadurch, dass wir beim Leiden nicht genug hinschauen, entstehen Sucht und Verdrängung. Somit können wir nicht genau analysieren, was die Ursachen des Leidens sind, sondern bear-beiten die Symptome. Entweder lieben wir alle Wesen oder dann lassen wir es gleich bleiben. Schlachthäuser wären ja auch mal ein Thema. Schaust du auf Wikipedia nach, dann ist es interessant, dass Solidarität für Gleichgesinnte gemeint ist – eine «Solidargemeinschaft». Damit sind Leute gemeint, die ich kenne, meine Freunde. Ich dagegen versuche diesen Begriff inflationär zu gebrauchen und zu sagen: Nein, es geht eigentlich ums Ganze, um die gesamte Menschheitsfamilie. Wir können nur solidarisch sein, wenn wir das Herz öffnen und sagen: Wo ist das Leiden? Wie können wir der Spaltung entgegentreten und wieder anfangen, Brücken zu bauen? Wenn wir die Ursachen des Leidens nicht verstehen, können wir auch keine echte Entwicklungszusammenarbeit betreiben. Dann leisten wir nur noch humanitäre Hilfe, die sich als «nachhaltige Entwicklung» bezeichnet – die Hilfe zur Selbsthilfe geht komplett verloren. Das ist natürlich ein Businessmodell mit Wachstumspotenzial. Das Hauptinteresse des Internationalen Roten Kreuzes müsste sein, dass es keine Kriege mehr gibt, aber dann wäre natürlich das IKRK obsolet, was ja eigentlich seine Motivation sein müsste. Meine Motivation ist, dass es keine Entwicklungshilfe mehr braucht. Ich möchte mich in Projekten so schnell wie möglich arbeitslos machen.

Es scheint nicht nur das Geld vom Goldstandard entkoppelt zu sein, sondern auch der Mensch und seine «Realwirtschaft» vom Leben als solchem. Wie hören wir auf, destruktiv zu sein, und werden stattdessen wieder Teil eines natürlichen, gesunden Kreislaufs?

AG: Dazu braucht es drei Elemente: Ein gerechtes Wirtschaftssystem, das die Bedürfnisse der Menschen erfüllt, eine freiwillige Familienplanung, sodass keine Frau ungewollte Schwangerschaften erleiden muss – es gibt jedes Jahr 90 Millionen ungewollte Schwangerschaften –, und eine andere, nicht zentralistische Energiezufuhr! Die Abhängigkeiten sollten abnehmen und die Familien sollten weniger erpressbar sein. Beispiel Solarenergie: Was nützt es, wenn ich eine grosse Solaranlage besitze, wenn das zentralistische Netz zusammenbricht? Ich muss also in mehr Unabhängigkeit investieren. Dafür erhalte ich kaum Subventionen. Und das wird absichtlich so gesteuert. Die grossen Anlagen kriegen viel mehr Subventionen: Small is beautiful – big is subsidized! Deshalb gehe ich hier sogar in eine libertäre Richtung: Subventionen müsste man abschaffen, weil der Schaden grösser ist als der Nutzen. Beispielsweise in der Landwirtschaft: Der Bauer ist von mir aus gesehen der wichtigste Wirtschaftsakteur, den es überhaupt gibt. Er produziert nämlich unsere Nahrung – das ist auch Energie –, und wenn sie naturnah ist, sind es sogar Lebensmittel. Aber der Grossteil der Subventionen fliesst zu Grosskonzernen wie Migros, Emmy usw., und die kleinen Bauern sind so hoch verschuldet wie noch nie. Aber wenn die Bauern verschuldet sind, dann sind sie erpressbar und machen das, was Monsanto will.

DM: Es fragt sich: Wie funktionieren diese grossen Firmen? Das Schlimmste für uns Libertäre ist, wenn die Big Corporates mit Big Governance zusammentreffen – dann wird es ganz, ganz gefährlich. Ein berühmter Spruch von Lord Acton sagt: «Macht korrumpiert und viel Macht korrumpiert eben stark.»

AG: Ich bin mir sicher, die leiden mehr als wir. Deshalb machen sie so viel Blödsinn, produzieren so viel Krieg, Spaltung und Elend. Das sind keine Zufälle. Das sind Traumata, die von Generation zu Generation wuchern. Und gerade deshalb ist es so wichtig, die positive Energie – die Empathie – auch für diese Leute zu entwickeln. Für mich ist das eine spirituelle Geschichte. Ich sage einfach: Ich möchte meinen Reichtum auf echter, realer Arbeit aufbauen, die möglichst wenig Leiden erzeugt. Dann schlafe ich auch gut, stehe mit dem richtigen Bein auf und kann mich des Lebens freuen.

DM: Das ist interessant, was Sie ansprechen: Eigentlich gibt es eine implizite Gerechtigkeit, die aber heute – weil alles immer direkt materiell ausgeglichen werden muss – nicht mehr gesehen wird. Über dieses Gesetz des Ausgleichs, welches ja im Karmagedanken und der Reinkarnation verankert ist, habe ich erst kürzlich einen Vortrag von Peter Sloterdijk gesehen. In diesem hat er mir etwas ins Bewusstsein gebracht: «Die Thymotische Kraft». Sloterdijk sagt, Thymos sei – als eine noch grössere Kraft als Eros – das Bewusstsein von uns Menschen, und sobald wir uns des Menschseins gewahr werden, wird uns auch gewahr, dass wir am Kosmos teilhaben. Laut Sloterdijk haben wir aber unsere Thymotische Kraft verloren. Wir sind Beschenkte, haben aber verlernt, uns dessen bewusst zu sein. Das sei Teil unserer Degenerationserscheinung, die sich aber irgendwann umkehre, weil Thymos eben eine Urkraft sei. Das heisst – und das ist jetzt vielleicht eine tröstende Schlussbemerkung –, wir können als Menschen gesellschaftlich nicht unter ein gewisses Niveau sinken, weil diese Thymotische Kraft einfach nicht wegzudenken ist. Sie ist da, und vielleicht nehmen wir sie als Anlass, die menschliche Entwicklung wieder als eine Wellenentwicklung zu betrachten. Vielleicht wird alles erst noch etwas schlimmer, aber schliesslich wird diese Bankrotterklärung der Anfang eines neuen Auferstehens sein. Da bin ich irgendwie sehr, sehr zuversichtlich. ♦

von Lilly Gebert


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Würde – Der Sinn für sich

Warum es in einer zunehmend komplexen Welt für Gerald Hüther «nicht mehr darauf ankommt, eine Rolle zu spielen, sondern man selbst zu sein».

Von Bremen über den Kaukasus nach Russland bis hin nach Indien und China – das Verzauberungsvermögen von Märchen auf Kinder scheint grenzenlos. Aber warum? Weil sie im Gegensatz zum Mythos, so zumindest Lewis Carroll (Autor von «Alice im Wunderland»), mit Liebe erzählt werden: Im Märchen wird das Unendliche ins Endliche übersetzt, das Göttliche ins Menschliche, das Ewige ins Zeitliche, das Ideale ins Unvollkommene. Mit seiner bildhaften Sprache hebt das Märchen die Unzugänglichkeit der Welt auf, macht sie für das Kind verstehbarer. Das Märchen integriert Ambivalenzen, nuanciert zwischen Schwarz und Weiss. Es sind seine unendlichen Möglichkeiten der Identifikation, die negative Emotionen überwindbar erscheinen lassen.

Was aber passiert, wenn einem Kind nur noch wirklichkeitsgetreue Geschichten erzählt werden? Es kann zu dem Schluss kommen, seine innere Wirklichkeit sei für seine Eltern weithin bedeutungslos.

Zwischen Wollen und Sollen, Leben und gelebt werden

«Wer nur gemocht wird, wenn er den Vorstellungen seiner Eltern, seiner Erzieher und Lehrer entspricht, wird nicht geliebt, sondern benutzt.»
– Gerald Hüther

Kinder, so der Neurobiologe Gerald Hüther, internalisieren bereits in ihrer vorgeburtlichen Entwicklung eine Vorstellung dessen, was Liebe bedeutet: gleichzeitige Autonomie und Verbundenheit. Ein Grundvertrauen in das eigene Dasein, das von der Erfahrung, in den eigenen Wünschen und Träumen nicht ausreichend berücksichtigt zu werden, mehr als getrübt werden kann. Es lässt jenes Gefühl von Inkohärenz entstehen, dessen Riss immer dort aufklafft, wo Denken, Fühlen und Handeln keine Einheit mehr bilden. Das «innere Bild» dessen, was und wer man sein will, scheint mit den äusseren Umständen, den Erwartungen und Bewertungen der eigenen Mitmenschen nicht mehr kompatibel. Es entsteht der Eindruck, unverbunden, unverstanden, grundsätzlich so, wie man ist, nicht akzeptiert zu sein.

Dabei ist für ein Kind, dessen – an sein «inneres Bild» geknüpftes – «Ich» noch zu keiner vollständigen Identität herangereift ist, gerade jener mit seinem Ego verbundene Selbsterhaltungstrieb überlebenswichtig: Es braucht die Identifikationen seiner Mitmenschen, um sich selbst als etwas, das existiert, wahrzunehmen. Ihr Verlust oder fehlende Übereinstimmung mit dem eigenen Selbstbild, so Gerald Hüther, bedeutet einen Energieaufwand für unser Gehirn, der – insofern er langfristig nicht aufrecht erhalten werden kann – einzig zwei Ausgangsmöglichkeiten offenbart, um die ursprünglich Ordnung stiftende Orientierung wieder herzustellen: Entweder es werden die Inkohärenz verursachenden Umstände verändert oder man verändert sich selbst, passt sich und seine Bedürfnisse an die jeweils herrschenden Verhältnisse an.

Ähnlich verhält es sich bei einem Kind, dem – sei es durch verbales oder nonverbales Verhalten – zu verstehen gegeben wird, dass es so, wie es ist, «nicht richtig sei». Auch ihm verbleiben einzig zwei «Schuldzuweisungen», um dem Druck jener Qualitätsanforderungen habhaft zu werden und den gewünschten Zustand von Kohärenz wieder herbeizuführen: Entweder es erklärt die Leistungsanfordernden, sprich seine Eltern, das Schulsystem oder gleich die gesamte Gesellschaft für blöd, oder es sucht die Ursache der Qualitätsmängel bei sich und erklärt sich selbst für blöd. Egal für was es sich entscheidet: Zum Objekt eigener oder fremder Absichten gemacht zu werden, tut weh und untergräbt das ureigene Gefühl dessen, ein selbstbestimmter Mensch zu sein. Denn zieht das Kind sich nun in oder aus sich selbst zurück – in beiden Fällen erlischt das menschliche Grundbedürfnis nach Verbundenheit und Zugehörigkeit einerseits sowie Autonomie und Freiheit andererseits. Tritt jedoch Letzteres ein, und das Kind erklärt sich selbst als «zu doof» für diese Welt, reduziert es sich zum «Objekt seiner eigenen Bewertung» und bezeichnet sich selbst als nicht liebenswert.

Für dieses Kind ist es nicht nur nicht vorstellbar, jemanden zu lieben, ohne, dass damit Erwartungen oder Bedingungen verbunden sind – konform seiner Selbstauffassung als Objekt verliert es den Bezug zu seinen persönlichen Neigungen und Fähigkeiten, ersetzt seine eigenen Entscheidungen und Bedürfnisse durch die Interessen einer Obrigkeit. Anstatt seine eigenen Ideale zu entwickeln, adaptiert es die seiner Mitmenschen. Im Verlust seiner Intuition entfremdet es sich von sich selbst, verfehlt es, verliert es sein Selbst. Das Einzige, was in dieser Willenlosigkeit zu bleiben scheint, ist die Teilnahmslosigkeit: Hat das Kind kein Mitgefühl mehr für sich, kann es auch kein Gefühl für andere mehr entwickeln. Was damit beginnt, sich selbst nicht mehr zu spüren, endet darin, auch andere nicht mehr zu spüren. …

von Lilly Gebert


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