Falsche Vorbilder – Die Kunst, für sich selbst einzustehen

Nina Maleika hat noch nie etwas von sinnlosen Regeln und falschen Autoritäten gehalten. Die Musikerin erzählt uns, wie ihr Gerechtigkeitssinn geschärft wurde, als sie noch ein Kind war.

«DIE FREIEN»: Liebe Nina, du bist Sängerin, Songwriterin und Moderatorin, gibst Musikunterricht für Kinder, ernährst dich vegan, bist sehr engagiert und stadtbekannt. Als was aber identifizierst du dich selbst?

Nina Maleika: Tatsächlich als alles, ich war schon immer ein sehr vielseitiger Mensch. Natürlich ist die Kunst die letzten zwei bis drei Jahre ein bisschen kürzergetreten im Zuge meines Aktivismus. Aber ich habe 20 Jahre als Sängerin und Künstlerin gelebt und jetzt haben andere Sachen Priorität. Ich lasse mich nicht gerne einschränken oder einkategorisieren. Das hat mich immer ausgemacht: Dass ich irgendwie überall zu Hause war, mich auch als alles identifiziert habe.

Du bist eine starke Persönlichkeit, die auch mal den Mund aufmacht – hast du vielleicht eine besonders ausgeprägte Aversion gegen Konformitätsdruck?

NM: Ich habe vor allem eine Aversion, wenn mir jemand etwas vorschreiben will, den ich erstens nicht kenne und den ich als Autoritätsperson auch nicht respektiere. Und ich habe ein Problem mit Anweisungen, die irgendwie keinen Sinn machen, die einfach in meine Persönlichkeit eingreifen. Das war als Kind schon so. Ich war noch nie dazu geneigt, einer Führungsperson in irgendeiner Form hinterherzurennen. Ich war auch als Kind nie Fan von irgendeiner Band mit Postern an der Wand. Dieses Glorifizieren habe ich in der Form nie gehabt. Damit ist es natürlich schwer für mich, das auszuhalten, was hier seit fast drei Jahren passiert. Ein Freund von mir hat neulich gesagt: «So eine Pandemie ist nichts für dich. Du machst da einfach nicht mit.»

Erklärst du dir so auch deinen Sinn für Gerechtigkeit?

NM: Meinen Sinn für Gerechtigkeit hat meine Mutter in mir geweckt. Ich war als Kind immer sehr rebellisch, immer sehr «dagegen». Aber ich war teilweise auch sehr ungerecht zu anderen Kindern. Ich habe mich damals auch körperlich durchgesetzt mit Fäusten, wenn mir was nicht gepasst hat. Aber wenn ich irgendwie Fehler gemacht habe, hat meine Mutter die Kinder nach Hause geholt und gesagt: «Da musst du dich jetzt entschuldigen». Diesem starken Drang und Wunsch, immer auf die Schnauze zu hauen, wenn mir was nicht gefällt, hat meine Mutter immer was entgegengesetzt, wenn es darum ging, dass man sich gegen Schwache gerichtet hat. Und sie hat mir einen sehr, sehr guten Blick dafür mitgegeben und eingeschärft, um zu gucken: Wo sind Menschen, die schwach sind? Nimm sie unter deine Fittiche und hilf ihnen. Sei und steh bei ihnen.

Zweimal wurden bei dir Hausdurchsuchungen durchgeführt. Man könnte fast sagen, man hat dich auf dem «Kieker» – offenbar passt du nur zu gut in dieses staatlich-mediale Feindschema.

NM: Also, erstens gibt es nicht so viele bekannte Frauen unter den Aktivistinnen, die so laut sind. Es gab die Anwältin Beate Bahner, Eva Rosen oder vielleicht noch Sarah Bennett. Die meisten von ihnen waren am Anfang sehr laut, sind jetzt aber schon wieder in den öffentlichen Medien zurückgetreten. Und dann kam ich halt auf deren Schirm. Ich glaube, es ist sehr ungewöhnlich, dass jemand sich so angstfrei und so laut und deutlich mit der Ansage «Ich lasse mich hier nicht weg- oder kleinreden» der Öffentlichkeit aussetzt. Da bin ich natürlich ein gefundenes Fressen. Ich sehe es aber nicht nur negativ: Wenn ich die Aufmerksamkeit, die ich durch die Hausdurchsuchung bekommen habe, innerhalb der Bewegung dafür einsetzen kann, Leuten Mut zu machen, dann hat sich das «gelohnt». Natürlich haben sie mich auf dem Kieker, aber ich kann es halt auch tragen. Von daher sind sie da bei mir schon an der richtigen Adresse. (lacht)

Siehst du nicht auch in eben dieser Haltung vieler Menschen, die darauf hoffen, dass jemand aufsteht und für sie einsteht, eine Gefahr?

NM: Ja, natürlich. Ich gucke mir die Menschen jetzt auch schon eine ganze Zeit lang an, und irgendwie scheint es normal zu sein, dass viele immer jemanden brauchen, der vorneweg geht und den sie als mutig, als Held oder Heldin abstempeln können. Ich finde das zu einem gewissen Punkt auch okay und vielleicht auch normal. Aber ich würde mir wünschen, dass alle selber persönlich da vorne stehen – wir gemeinsam. Ich habe diesen Guru, diesen Helden nie gebraucht, andere brauchen ihn. Wenn da jemand vorangeht, der das mit Verantwortungsbewusstsein macht, dann finde ich es gut. Aber die Gefahr ist natürlich, dass die anderen sich zurücklehnen und dann irgendwelche Leute da vorne laufen. Vielleicht ist der Mensch einfach noch nicht so weit.

Ermöglichen Kunst und Musik in dieser Hinsicht vielleicht eine Hilfe zur Selbsthilfe?

NM: Ehrlich gesagt, weiss ich nicht mehr so genau, was Kunst ist und ob sie hilft. Wir erleben ja, dass die Künstler entweder gar nicht schnallen, was hier passiert, oder es nicht schnallen wollen, weil sie am Tropf dieses dreckigen Systems leben und sich natürlich auch die Butter vom Brot nicht nehmen lassen wollen. Von daher überschätzen wir Kunst vielleicht. Vielleicht hatte sie diesen Stellenwert mal, aber jetzt nicht mehr – zumindest nicht in unserem kranken System.

Wie würde für dich denn eine gerechte, lebenswerte Gesellschaft aussehen?

NM: Ich glaube, eine lebenswerte und gerechte Gesellschaft funktioniert in unserem kapitalistischen, westlichen System nicht. Das ist ein Trugschluss. Wir sind alle einfach nicht konsequent genug. Wenn wir so leben wollen würden, wie es gesund wäre, dann müssten wir hier komplett alle raus. Wir müssten zurück zum Ursprung. Dann müssten wir unser Konto kündigen, unsere Steuernummer kündigen, und das wollen wir nicht. Wir wollen alle weiter in unserem geilen Haus wohnen. Wir wollen alle weiter in Luxus leben, in den Urlaub fahren und zum Arzt gehen, weil wir uns selbst und unseren Heilkräften nicht vertrauen. Und deswegen müssen wir den Wahnsinn hier mitmachen und können uns auch nur partiell darüber beschweren, inklusive mir. Wir sind einfach nicht im Vertrauen und wir sind alle nicht konsequent. Ich kenne ganz wenige, die sagen: Okay, ich geh raus.

Woran hast du denn noch Spass?

NM: Ich habe an total vielem Spass. Ich habe Spass an dem Leben, das ich neu erschaffe, und an der Person, die ich gerade werde, also an ganz vielem. Das ist auch ein Abschied. Ich habe Spass am Aufbau des Neuen, ohne zu wissen, was es ist. Wenn wir merken, dass das Alte nicht mehr funktioniert, wenn man sich von irgendwas löst; wenn man sich sozusagen aus der alten Welt herauszieht und etwas Neues schafft, tappt man wahrscheinlich erst mal ein paar Jahre im Dunklen. Man befindet sich in einer Übergangsphase, in der man nicht genau weiss, wohin mit sich, wo nur noch ein grosses Fragezeichen ist. Ich glaube, dass das gesund und auch normal ist. Nach drei Jahren Wahnsinn komme ich auch immer mehr zurück zum spirituellen Aspekt: Man muss sich erst komplett verlieren, um etwas Neues entstehen zu lassen. Wir können nichts Neues erschaffen, wenn das Alte nicht gestorben ist. Das ist vielleicht erst mal nicht so schön und klingt vielleicht nicht positiv, aber ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Prozess. Ich kenne ehrlich gesagt auch niemanden, der sich in diesem Wahnsinn tiefgreifend verändert hat, ohne den spirituellen Aspekt einzubeziehen. Es geht gar nicht anders. Das, was hier passiert, ist so was von schlimm – dem kannst du nur mit Humor oder mit Spiritualität begegnen. Alles andere halte ich für unmöglich. ♦

von Lilly Gebert

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