Briefwechsel mit Mathias Bröckers

Lieber Mathias.

Ich weiss ja nicht, wie es dir geht, aber ich für meinen Teil bin sehr hellhörig geworden, als Lauterbach und Konsorten letzten Herbst beinahe über Nacht ihre jahrelange Cannabisfeindlichkeit abzuwerfen schienen und wie selbstverständlich in Talkshows davon anfingen, ihre Pläne bezüglich einer freien Abgabe als auch einem begrenzten Eigenanbau zu «verteidigen». Versteh mich nicht falsch; dem Konsum von Gras und Haschisch stehe ich neutral bis wohlgesonnen gegenüber. Was mich skeptisch macht, sind die Umstände: In Zeiten der Wut, Verzweiflung und Ohnmacht eine Droge zu legalisieren, durch die das Leben zwar leichter scheint, deren Verteufelung sich aber schon länger als ein Jahrhundert hält, erscheint zumindest mir als ein etwas zu «stimmiges» Zusammentreffen. Insofern sich nun mal auch – trotz «pandemischer Notlage», heruntergewirtschafteten Immunsystemen und mentalen Sinnkrisen – keine Argumentation bezüglich der Wirksamkeit von Cannabinoiden gegen Krebs, Depressionen oder Alzheimer auftut, wirkt das Ganze auf mich wie eine Fortführung der vergangenen drei Jahre: Etwas, das vorrangig der Regierung, dem Staat oder einer bestimmten Agenda in die Hände spielt, wird als Wohlwollen gegenüber dem Bürger verpackt.

In diesem Fall wäre dies für mich das «Sedieren» derjenigen, die noch so etwas wie Empörung verspüren, um wiederum Kritik als auch Aufstände an und gegen den aktuellen politischen Kurs in Rauch aufzulösen. Aus der Geschichte wissen wir schliesslich, dass immer dort, wo die jeweilige Machtkonzentration ihren Rückhalt in der Zivilbevölkerung verlor, dieser einzig zwei Möglichkeiten der Machterhaltung blieben: Brot und Spiele oder eine Militärdiktatur. In Bezug auf die Cannabis-Legalisierung haben wir es, denke ich, mit Ersterem zu tun. Sie reiht sich ein in das ohnehin schon ablenkende wie ziellose Alltagsprogramm der Mehrheit – bestehend aus Netflix, Social-Media und Metaverse.

In deinem Buch «Die Drogenlüge» erwähnst du schliesslich auch die Schlussfolgerung einer Finanzanalyse des britischen Weltreichs im 18. und 19. Jahrhundert: «Ohne Opium kein Empire». Sollten wir uns da nicht fragen, ob Cannabis zukünftig ebenfalls in diese Schublade der Mittel zur Bevölkerungskontrolle fallen wird? Was aber ist dann aus jenen «gegen Vernunft und Logik weitgehend immunisierten» Verteidigern der Cannabis-Prohibition geworden? In deinem Buch gehst du so weit, sie mit «heiligen Kriegern» zu vergleichen: Wie für alle Fundamentalisten seien auch für sie «jeder Kompromiss und jede schadensmindernde Realpolitik gleichbedeutend mit einer Kapitulation vor dem Bösen». Warum also jetzt? Wo sind diese Stimmen hin? Hat «das Böse» aufgehört zu existieren oder sind andere Überzeugungen plötzlich wichtiger (geworden)? Was meinst du? Mich würde sehr interessieren, ob du meine Beobachtungen teilst (und vielleicht sogar Antworten auf meine Fragen hast) oder ob du als jahrzehntelanger Befürworter einer Legalisierung dem aktuellen Gesinnungswandel eher positiv entgegenblickst.

Herzlich, Lilly

*

Liebe Lilly

In der Parteipolitik wird gefeilscht wie auf dem Basar und was dabei herauskommt, sind oft oberfaule Kompromisse. Ich erinnere mich noch, als ich mit dem im Vorjahr verstorbenen letzten Aufrechten der «Grünen», Christian Ströbele, Mitte der 1980er-Jahre bei der taz zusammensass, und wir einige drogenpolitische Grundsätze für das Wahlprogramm aufschrieben. Als er nach einigen Wochen mit der gedruckten Fassung wiederkam, war die Forderung nach Legalisierung von Cannabis verschwunden: «Der Vorstand hatte Angst, dass wir dann als Rauschgiftpartei diffamiert werden.» Zehn Jahre später waren die «Grünen» in der Bundesregierung und stellten unter anderem die Gesundheitsministerin, mit dem Ergebnis, dass sich Cannabisregelungen im Betäubungsmittelgesetz verschärften: 1998 wurde auch der Verkauf von Cannabis-Samen unter Strafe gestellt. Als ich Ströbele darauf ansprach, erfuhr ich, was dazu geführt hatte: «Wir wollten unbedingt durchsetzen, dass in Gefängnissen kostenlose Spritzen erhältlich sind, damit sich die Inhaftierten nicht reihenweise infizieren. Die CSU war strikt dagegen und forderte: Wenn wir beim Heroin und euren Spritzenautomaten nachgeben, müsst ihr beim Cannabis verschärfen.» So kam es, dass auch Hanfsamen, die keinerlei rauschwirksame Substanzen enthalten, in Deutschland der Prohibition anheimfielen – als «Vorstufe» der Drogengewinnung sind sie bis heute verboten. Nicht, weil von ihnen irgendeine Gefahr ausgeht, sondern weil parteipolitisches Gezerre zu oberfaulen Kompromissen führt.

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Diesen strukturellen Hintergrund muss man auch in der aktuellen Situation beachten. Einem Teil der Sozialdemokraten und Grünen ist trotz aller üblen Kompromisse in der Vergangenheit eigentlich schon immer klar, dass das Strafrecht kein geeignetes Mittel der Drogenpolitik ist. Wenn Corona-Minister Lauterbach, der nicht dazu gehörte, jetzt über Nacht vom Rauschgift-Saulus zum Hanf-Paulus wird, dockt er damit koalitionsintern beim linken/liberalen Flügel an – nicht aus Überzeugung, sondern weil es taktisch sinnvoll erscheint, nach der ins Totalitäre gedrifteten Gesundheitspolitik auch wieder mal eine freiheitlich-fortschrittliche Karte zu spielen. Soll damit die schikanierte Bevölkerung einfach ruhiggestellt werden? Falls Lauterbach oder einer seiner Stichwortgeber so denkt, kann man auch hier ein Scheitern vorhersagen. Denn aus den USA, wo immer mehr Bundesstaaten den Konsum liberalisieren oder völlig legalisieren, und auch aus den Niederlanden, wo Coffeeshops seit Jahrzehnten selbstverständlich sind, ist mittlerweile bekannt, dass die Freigabe nicht zu massenhaftem Konsum und dem Sodom und Gomorra führen, das die Prohibitionisten seit 100 Jahren an die Wand malen.

Dass nicht nur bei den Leuten, sondern auch in der Politik der Gesinnungswandel nur langsam einsetzt, hat damit zu tun, dass die US-Prohibitionskampagne der 1930er noch tief in das allgemeine Bewusstsein eingeprägt ist – 100 Jahre Desinformation schleichen sich nicht so leicht aus. Als ich vor 30 Jahren mit Jack Herer «Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf» veröffentlichte, wurde uns noch «Verantwortungslosigkeit» vorgeworfen, weil wir die seit 5000 Jahren bekannten medizinischen Cannabis-Eigenschaften dokumentiert hatten – heute gibt es kaum einen «heisseren» Naturstoff in der Pharmaforschung als die Cannabinoide. Und weil das Patent bei Mutter Natur liegt, kann jeder seine Medizin auf Fensterbank, Balkon oder Garten wachsen lassen. Es braucht nur Sonne, Erde und Wasser – und ein kleines Hanfkorn, das dringend aus den Fängen der Strafgesetze befreit werden muss.

Beste Grüsse, Mathias ♦

von Lilly Gebert

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