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Die Gedanken sind frei

Wie sagte Max Frisch nach dem Auffliegen des Fichen-Skandals in den ausklingenden 1980er-Jahren: «Ich bekenne, dass ich dieser Regierung kein Vertrauen mehr schenke.» Das ist Weltliteratur!

Wie sieht es heute aus? Ist Max Frisch nicht der, welcher hie und da so wie sein Kollege Dürrenmatt mit dem Wort «Neger» liebäugelte? Darf sich ein alter weisser Mann kurz vor seinem Dahinscheiden überhaupt das Wort «frisch» kulturell aneignen? Wir dürfen diese Giganten der Schweizer Weltliteratur also getrost vernachlässigen, nein, wir müssen sie sogar meiden oder uns gegen sie festkleben. Worum geht es überhaupt?

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) überwacht regelmässig, dafür aber unrechtmässig, den Verein MASS-VOLL! – So Nicolas A. Rimoldi, der Präsident ebendieses Wortgebildes, welcher etwas gegen Regelmässigkeit aber auch Unrechtmässigkeit hat. MASS-VOLL! Das Mass ist voll und Mässigung. Beides steckt darin. Ein Wurf, ein Kunstwerk in sich, eine wunderschöne Wortschöpfungskette. MASS-VOLL mit! Ausrufezeichen. Weltliteratur!

Rimoldi stellt im Juli 2022 ein Auskunftsbegehren an den NDB. Prompt reagiert der Nachrichtendienst am 9. Dezember 2022 mit einer Verfügung auf das Ersuchen der Bürgerrechtsbewegung MASS-VOLL! und erwidert, der Nachrichtendienst des Bundes verweigere in seiner Verfügung die Aussage im Interesse von, Zitat: «überwiegenden öffentlichen Geheimhaltungsinteressen.»

Hier ist nun der Literat gefragt. Oder der Philosoph? Oder der Staatsrechtler? Oder der Aluhutmacher? Oder gar alle miteinander! Es sei dahingestellt, was in einer Demokratie überwiegend bedeuten möge. Das entscheidet am Ende der Souverän. Doch öffentliche Geheimhaltungsinteressen? Wir müssen uns in dieser unserer Zeit entscheiden, was öffentlich und was geheim sei. Beides zusammen bedeutete die Quadratur des Kreises. Literarisch gesehen, soviel ist sicher, sind öffentliche Geheimhaltungsinteressen inakzeptabel oder wie es auf Neusprech heisst: ein No-Go. Ich möchte den Schergen der Staatssicherheit nicht vorhalten, dass sie per se wohl keine Anwärter auf den Literaturnobelpreis sind, doch lassen wir die Kirche im Dorf und fordern mit massvoller Vehemenz, dass wir zum Wohle der Staatsicherheit ein Mindestmass an Geheimhaltung vor der Öffentlichkeit einfordern müssen sowie die Öffentlichkeit vor der Geheimhaltung geschützt werden muss.

Wie sagt der Dichter: Wie wir’s auch drehen und wenden, der Arsch ist immer hinten. Oder wie sagte Max Frisch: «Die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand.»

Weltliteratur! ♦

von Oliver Hepp


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