Der Rechtsstaat lässt die Maske fallen

Rechtsanwalt Gerald Brei geht im Namen des Vereins «Wir Menschen» gegen die Pandemiepolitik der Schweizer Regierung vor. Brei erläutert im Gespräch, wieso der Rechtsstaat in der Praxis versagt und wie er sich den Weg in eine gerechtere Gesellschaftsform vorstellt.

Wir trafen uns mit ihm zum Austausch über die seit September 2022 beim Bundesgericht anhängige Klage von über 10’000 Menschen gegen die «rechts- und verfassungswidrige Coronapolitik». Initiiert wurde die Forderung nach Beendigung jeglicher Massnahmen von Franz Stadelmann, dem Präsidenten des Vereins «Wir Menschen», und vom Churer Rechtsanwalt Heinz Raschein. Sie machen unter anderem geltend, dass die durch den Bundesrat erlassenen Massnahmen rechtswidrig waren und sich Ähnliches künftig nie mehr wiederholen dürfe. Brisant ist die Klage auch, weil unter anderem ein wissenschaftlicher Beweis für die Existenz des SARS-CoV-2-Virus und dessen Eigenschaft als Krankheitserreger gefordert wird.

«DIE FREIEN»: Gerald Brei, wie hoch sind die Erfolgschancen der Klage von «Wir Menschen» vor Bundesgericht?

Gerald Brei: Wir rechnen nicht unbedingt damit, dass wir Recht bekommen werden. Doch mein Mandant Franz Stadelmann meint, dass wir die besseren Argumente haben und damit auch wieder Menschen erreichen können, die sich selber ein Urteil bilden wollen. Und eine kleine Chance besteht immer, dass man doch Recht bekommt, insbesondere wenn die Stimmung kippt und klar wird, dass das alles ein riesiger Schwindel war. Dann kann es sein, dass Bundesrichter versuchen, sich nach dem neuen Wind auszurichten. Und wenn nicht, dann halt nicht.

Es heisst ja, dass man selbst bei der «Lotterie romande» auch mal einen Glückstreffer haben kann?

GB: (lacht) Dieses Bonmot stammt nicht von mir, das habe ich von Schweizer Kollegen. Das ist einfach eine spöttische Beschreibung der Zustände am Bundesgericht in Lausanne und Ausdruck der generellen Unsicherheit vor Gericht. Man sagt ja auch, vor Gericht und auf hoher See sei man in Gottes Hand.

Würden Sie das Urteil denn notfalls an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg weiterziehen?

GB: Das wissen wir noch nicht und können es jetzt auch gar nicht beurteilen. Zunächst ist das Verfahren durchzuführen. Dann wird es vor allem auf die Urteilsbegründung ankommen, ob es sinnvoll ist, den Fall an den EGMR weiterzuziehen.

Besteht die Krux nicht darin, dass das Bundesgericht oftmals schlicht nicht auf Argumente eingeht?

GB: Ja, das ist so. Das ist das Privileg der obersten Gerichte. Wen soll man dann noch anrufen? Wie heisst es so treffend? Roma locuta, causa finita: Wenn der Papst gesprochen hat, dann ist die Sache erledigt. Oder wie ein Staatsrechtsprofessor in München es schön ausdrückte: Über dem Bundesverfassungsgericht wölbt sich nur noch der blaue Himmel. (lacht)

Oder eben der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Und der hat kürzlich zum Beispiel dem Dachverband der Genfer Gewerkschaften, der Communauté genevoise d’action syndicale, Recht gegeben!

GB: Ja, wenn auch knapp, mit vier zu drei Stimmen. Die Richter kamen zum Schluss, dass die Covid-19-Verordnung 2 des Bundes gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verstossen hat. Denn in der Verordnung sind nicht nur Teilnehmer mit Bussgeldern, sondern Veranstalter und Organisatoren wie die Gewerkschaften sogar mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht worden. Und das ist an sich schon ein Skandal, denn der Bundesrat als Exekutive hat auch nach wohlwollender Auslegung des Schweizer Staatsrechts keine Kompetenz, Freiheitsstrafen in die Welt zu setzen!

Aber der Bundesrat wollte ja sogar noch weiter gehen.

GB: Ja, der Bundesrat wollte im Covid-19-Gesetz eine pauschale Ermächtigung haben, um auch Freiheitsstrafen einführen zu dürfen. Das weiss ich deshalb, weil ich auch am Vernehmlassungsverfahren zum Gesetzesentwurf teilgenommen habe. Und das wurde dann auch fallen gelassen – es ist ihnen doch zu heiss geworden. Aber es zeigt: da gibts fast kein Halten mehr! Das staatsrechtliche System wird in einer Windeseile umgebaut in Richtung einer überaus starken Exekutive …

… oder totalitären Diktatur?

GB: Das läuft ja dann aufs Gleiche hinaus, weil die Korrektive, die es nach der staatsrechtlichen Grundlage in der Schweiz gibt, nämlich das Parlament und die Gerichte, sich bisher als unfähig oder unwillig erwiesen haben, die nötige Kontrolle auszuüben. Es wäre ja die ureigenste Aufgabe des Parlaments, die Regierung, den Bundesrat zur Rechenschaft anzuhalten und Kontrolle auszuüben.

Stattdessen sind aber die Parlamentarierinnen und Parlamentarier während des Lockdowns nach Hause gegangen.

GB: Und das Bundesgericht hat bisher auch nicht eingegriffen. Man hat den Eindruck, die können machen, was sie wollen. Weil es in einer Verordnung steht, ist es schon sakrosankt.

Steckt dahinter böser Wille, also bewusste Absicht?

GB: Ich glaube, die meisten Parlamentarier sind einfach Mitläufer, weil es am bequemsten ist, das Bestehende nicht infrage zu stellen. Ähnlich wie die Polizei, die sagt: Wir müssen die Gesetze und Verordnungen anwenden, die da sind, wir können das nicht ständig überprüfen auf seine Richtigkeit. Obwohl auch die irgendwann erkennen müssen: Jetzt geht’s eigentlich zu weit. Jetzt ist das, was wir durchsetzen sollen, als solches schon rechtswidrig. …

von Redaktion


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