Der Hölle entkommen, um an die Liebe zu erinnern

Herbert Steiner wurde als Kind Opfer von rituellem Missbrauch und Gewalt. Sein ganzes Leben hat er darüber geschwiegen, nun wendet sich der 56-Jährige mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit: «Ich will vor allem Mut machen! Bleibt zuversichtlich, denn die Liebe ist die stärkste Kraft!»

Er sei ein bisschen nervös, gesteht er vor dem Interview mit «DIE FREIEN». Wen wunderts! Ein Mensch, der sich 50 Jahre lang niemandem anvertrauen konnte, da das durch und durch Böse, das er erlitten hat, das Vorstellungsvermögen der allermeisten Menschen sprengt. Sein jüngst erschienenes Buch «Einfach Herbi» ist harte Kost. Doch Herbert Steiner fokussiert darin nicht auf das Schreckliche, das ihm angetan worden ist, sondern auf das Lichtvolle, den Glauben und die Hoffnung. «Glaubt an die Liebe!» ist seine Hauptbotschaft.

Herbi schildert in seinem Buch auch seine mediale Begabung und beschreibt, wie er auf seinem Leidensweg Unterstützung aus der «unsichtbaren Welt» bekam: Seine «geistigen Freunde», wie er sie nennt, hätten ihn schon als Kleinkind besucht, und sie täten es noch heute. Sie lehrten ihn das Leben, trösteten ihn, gemahnten ihn zum Durchhalten, machten ihm Mut und schenkten ihm die Hoffnung, dass seine Zeit noch kommen würde. Im Interview kommt auch Martina Amato, die Herausgeberin des Buchs, zu Wort. Sie ist Juristin und hat jahrelang im Kindesschutz gearbeitet.

«DIE FREIEN»: Herbi, dein Leben, so wie du es in deinem Buch beschreibst, gleicht einem Balanceakt zwischen Himmel und Hölle. Einerseits die Freuden der geistigen Welt, andererseits die rituelle Gewalt.

Herbert Steiner: Ja, beide Themen haben es in sich. Und wenn man darüber berichtet, wird man schnell in eine Schublade gesteckt.

Dennoch hast du dich entschieden, nach über 50 Jahren dein Schweigen zu brechen und an die Öffentlichkeit zu treten?

HS: Ja, und ich wollte über mein ganzes Leben berichten, denn beides sind Facetten meines erlebten und mitunter überlebten Lebens. Dabei wollte ich dem Dunklen nicht zu viel Energie schenken, also nicht zu tief hineingehen – es würde viele Leser abschrecken.

Was beabsichtigst du mit deinem Buch?

HS: Mein Buch soll Mut und Zuversicht verbreiten. Gerade in dieser Zeit des Umbruchs und der grossen Veränderungen brauchen die Menschen Halt und Hoffnung. Und wenn ich es geschafft habe, aus dieser Dunkelheit hervorzutreten, schaffen wir es auch als Gesellschaft, durch diese absonderlichen Zeiten hindurchzukommen.

Deine Positivität ist erstaunlich, nach all dem Bösen, das dir angetan worden ist!

HS: Ich möchte meine Energie einfach insbesondere dem Lichtvollen und Positiven schenken. Denn es gibt immer einen Weg, wenn man an die Liebe glaubt!

Dabei war Liebe für dich lange ein Fremdwort. Deine Mutter gab dich zwei Tage nach deiner Geburt in eine Pflegefamilie.

HS: Ja, ich wurde als Einziger und Zweitgeborener von sechs Kindern kurz nach der Geburt weggegeben.

Dann kamst du zu Pflegeeltern auf eine Hühnerfarm. Bei ihnen ging es dir soweit gut. In der Primarschule jedoch wurdest du eines Tages nach dem Religionsunterricht in ein Auto gezerrt …

HS: Und ich konnte nicht flüchten.

Und ich konnte nicht flüchten. Du hast Augen und Mund verbunden, stehst unter Schock. Du hast Angst. Du hattest Religionsunterricht und jetzt bist du in einem Auto unterwegs nach «Nirgendwo». Dein Puls steigt in die Höhe, du zitterst, du kennst das alles nicht. Man hat mich ausgezogen, alle Kleider ausgezogen. Es folgte sexueller Missbrauch durch mehrere Menschen. Und es dauert lange. Also sehr lange, es hört fast nicht auf, tut weh. Du bist einfach da, zitterst nur noch und hast Angst. Gefühlt war das mehr als eine Stunde, würde ich sagen. Und es waren viele und es wurden auch Sachen eingeführt aus Metall, Werkzeuge. Auch mit Nadeln hat man hantiert.

Was ging da in dir vor?

HS: Du verstehst es einfach nicht, und es tut furchtbar weh. Überall. Das sind Sadisten. Ihr Ziel ist es – beziehungsweise sie finden es lustig –, wenn man jemandem Schmerzen zufügen kann. Und zwar nicht einfach ein wenig. Viel Schmerz. Bis zur Bewusstlosigkeit. Als ich wieder zurück auf dem Hof war, hatte ich beim Nachtessen einfach keinen Hunger. Ich ging aufs Zimmer und heulte. Von da an holten sie mich immer und immer wieder. Die Folter und Foltertechniken wurden stets extremer.

Warum hat das niemand gemerkt?

HS: Ich war der beste Schauspieler überhaupt und sagte einfach, ich sei vom Fahrrad gestürzt. Ich hatte für alles eine Ausrede, weil ich wusste, dass, wenn das rauskommt, es böse enden wird. Mir wurde von Anfang an eingetrichtert: Du hast dir alles eingebildet. Das gibt es gar nicht. Man drohte mir: Du wirst mit niemandem darüber reden, sonst wird es noch viel schlimmer. Es gibt eine Art Schweigepflicht, die dir «einprogrammiert» wird, wie eingebrannt. …

von Redaktion


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