Mein Körper, ich & die Zweikolben-Kaffeemaschine
Pesches Leben ist seit der Jugend dominiert von Zahlen: Nach seinem Mathematik- und Statistikstudium ging er zum Bundesamt für Statistik, von dort zur Swissmedic und jetzt arbeitet er im BAG.
Drei Jobs in dreissig Jahren, er ist jetzt Mitte fünfzig. Mit Zahlen wäre er verheiratet, unken seine wenigen Freunde. Dabei hat er vor zehn Jahren Sue geheiratet. Sie ist zwölf Jahre jünger als er, eine topfitte und austrainierte Yogine, die sich in einer erotisch induzierten prämenopausalen Aufbruchstimmung befindet. Kürzlich hat sie sich den Sanskrit-Namen Nila zugelegt.
Ausser der Ehe haben Pesche und Nila im Laufe der Zeit alles getrennt: das Bett, das Bad, das Budget, sogar den Kühlschrank. Pesche musste ein Extrafach einbauen, in dem er seinen «Prolofrass», wie Nila sagt, lagern darf: Cervelats, Landjäger, Salsiz. Der grosse Rest des Frigo ist gefüllt mit Gemüse, Salat, Obst, Quorn, Tofu, Tempeh, Seitan, Sojagedöns, Kirchererbsen. Pesche fragt sich, wie viel von welcher Sauce und in welcher Schärfe er an dieses Zeugs schmieren müsste, um einen Bissen davon runterzubekommen.
«Du hast dich total gehen lassen», meint Nila. Er findet das überheblich von ihr. Auch wenn sie in der Yoga-Position des herabschauenden Hundes (Adho Mukha Svanasana) ist, empfindet er, dass sie auf ihn herabschaut. Liegt sie in der Totenstellung (Shavasana), ertappt er sich beim Wunsch, diese Position möge für die Ewigkeit dauern.
Nila ist eine heftige Gegnerin der Corona-Massnahmen und der Impfungen. Pesche wartet, bereits geboostert, auf die vierte Impfung im Herbst. Ehrensache beim BAG. Nebenwirkungen interessieren ihn nicht, die Beziehung zu seinem Körper, der nach Abschluss des Längenwachstums direkt in das Tiefenwachstum wechselte, war seit Kindheit eine schwierige. Er und sein Körper, nichts Harmonisches, kein Teamgedanke, eine Beziehung mehr geprägt von Streit und Vorwürfen – von beiden Seiten allerdings. Pesche konnte in der Stadt sein und seinem Körper schön gebaute Menschen zeigen und ihn bitten, sich doch auch mal Mühe zu geben. Für den Rest des Tages schmollte sein Körper tief beleidigt, um ihn dann nachts zu wecken, mit heftigem Sodbrennen oder Migräneattacken. Eine reine Zweckbeziehung, Pesche und sein Körper, der eine kann ohne den anderen einfach nicht. Aber das kann ja auch zusammenschweissen, symbiotisch geteiltes Leid eben.
Heute will Pesche über die Mittagspause in sein Lieblingsrestaurant gehen, den «Bärengraben». Sein Körper möchte aber lieber ins «Chäfighuus», weil es 200 Meter näher beim BAG, also Pesches Arbeitsplatz liegt. Des Friedens willen gibt Pesche nach. Nachmittags wundert er sich über die vielen Ambulanzsirenen.
Als er nach Hause kommt, rollt Nila die Yogamatte im Wohnzimmer zusammen. Die einst gemeinsame Stube ist, abgesehen davon, dass sie für Yoga dient, zu einer Demarkationszone verkommen, Nila und er sind praktisch nur in ihren Zimmern und Nasszonen. Sie ist ganz erstaunt, mit etwas Menschenkenntnis könnte man auch erkennen, dass sie leise enttäuscht ist, Pesche zu sehen.
«Warst du nicht im ‹Bärengraben›?»
«Nein, ausnahmsweise nicht. Warum interessiert dich das?»
«Die zweikolbige Kaffeemaschine dort ist gleichzeitig mit der Fritteuse explodiert. Man spricht von 15 Toten und vielen Schwerstverletzten!»
Pesche setzt sich kreidebleich hin.
«Das … das ist … ist ja schrecklich», stammelt er. Nila lächelt süffisant. «Du bist wie immer viel zu negativ. Sieh es von der positiven Seite.»
«Was soll daran positiv sein?» Pesche ist schockiert. Nila lächelt noch immer.
«Nun, das Restaurant war doch stets zur Mittagszeit ausschliesslich von Politikern und Beamten frequentiert.»
Seit diesem Tag weiss Pesche, dass er sich auf seinen Körper verlassen kann. Irgendwie doch ein guter Typ. ♦
*Namen geändert.
von Marco Caimi
Credit Grafik: polyactive
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