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Heisshunger verstehen und besiegen – ohne Disziplinzwang

Es ist immer dasselbe Bild: Ein langer Tag, der Abend naht, und plötzlich ist sie da – diese unbändige Lust auf etwas Süsses, Salziges oder Fettiges. Nicht ein kleines Verlangen, nein, ein innerer Drang, der sich kaum ignorieren lässt. Heisshunger. Ein Wort, das nicht nur den Magen, sondern oft auch die Seele beschreibt.

In der Praxis sehe ich zahlreiche Menschen, die mit diesem Phänomen kämpfen. Sie schämen sich, halten sich für disziplinlos. Doch ich sage ihnen immer: Heisshunger ist kein Charakterfehler. Er ist eine Botschaft des Körpers – und der Seele.

Heisshunger ist oft das Resultat einer Blutzucker-Achterbahnfahrt. Wer den Tag mit einem Brötchen und Marmelade beginnt, schickt seinen Blutzuckerspiegel auf eine steile Bergfahrt. Doch was schnell steigt, fällt ebenso rasant. Zwei, drei Stunden später kommt der Absturz – und mit ihm die Gier nach dem nächsten schnellen Energieschub.

Doch der Blutzucker ist nicht der einzige Schuldige. Ein Mangel an bestimmten Nährstoffen wie Magnesium, Chrom oder B-Vitaminen kann ebenso das Verlangen antreiben. Und dann sind da noch die Hormone: Stress schüttet Cortisol aus, das wiederum die Lust auf Zucker fördert. Besonders Frauen kennen das Spiel im Zyklusverlauf, wenn der Progesteronabfall kurz vor der Menstruation das Schokoladenbedürfnis auf die Spitze treibt.

Wenn die Seele mitisst

Doch Heisshunger ist nicht nur biochemisch. Er ist auch emotional. Viele meiner Patienten greifen zu Essen, um Lücken zu füllen: Langeweile, Einsamkeit, Stress. In unserer modernen Welt sind wir oft so im Aussen gefangen, dass wir die leisen Stimmen unseres Inneren überhören. Der Griff zur Tafel Schokolade wird dann zum Versuch, sich selbst Trost zu spenden.

Eine Patientin sagte einmal: «Wenn ich abends endlich auf dem Sofa sitze, fühle ich mich so leer. Das Eis im Gefrierschrank ist dann wie eine Umarmung.» Diese Leere, dieser Wunsch nach Geborgenheit, ist oft der wahre Kern des Heisshungers.

Wege aus dem Teufelskreis

Was also tun? Wie durchbricht man diesen Kreislauf, ohne in die Falle der Selbstanklage zu tappen? Hier sind die Ansätze, die sich in meiner Praxis immer wieder bewährt haben:

  1. Stabile Blutzuckerwerte schaffen: Der Schlüssel liegt im Gleichgewicht. Beginnen Sie den Tag mit einer proteinreichen Mahlzeit, die auch gute Fette enthält: Eier, Avocado oder ein Quark mit Obst (was ich persönlich bevorzuge). Vermeiden Sie isolierte Kohlenhydrate wie weisses Brot oder Zucker (Marmelade!). Auch das Abendessen sollte ausgewogen sein – eine Kombination aus Eiweiss, gesunden Fetten und ballaststoffreichem Gemüse. Bedeutsam ist: Sie sollten etwas finden, das sinnvoll ist und das Sie auch jeden Tag gerne essen würden. Kaufen Sie die entsprechenden Zutaten, sodass diese immer vorrätig sind.
  2. Nährstoffmängel beheben: Die meisten Patienten mit Heisshunger haben ein Defizit an bestimmten Mineralstoffen oder Vitaminen. Magnesium kann abendlichen Heisshunger lindern, während Chrom hilft, den Blutzuckerspiegel zu stabilisieren. Es gibt ein paar empfehlenswerte Kombipräparate, welche die wichtigsten Vitalstoffe in einer Kapsel anbieten. Recherchieren Sie mal Begriffe wie «Blutzucker-Regulat».
  3. Emotionalen Hunger erkennen: Fragen Sie sich beim nächsten Anflug von Heisshunger: Habe ich wirklich Hunger? Oder brauche ich etwas anderes – Ruhe, Trost, Ablenkung? Oft hilft es, sich für ein paar Minuten hinzusetzen, tief durchzuatmen und in sich hineinzuhorchen?
  4. Schlaf und Stressmanagement: Chronischer Schlafmangel ist ein Turbo für Heisshunger. Wer müde ist, produziert mehr Ghrelin – das Hormon, das den Appetit ankurbelt. Achten Sie auf mindestens sieben Stunden Schlaf pro Nacht. Ebenso wichtig ist der Stressabbau: Meditation, Spaziergänge in der Natur oder einfach nur ein gutes Buch können Wunder wirken.
  5. Besonders fatal ist Zucker abends und vor allem vor dem Schlafengehen: Er lässt nicht nur den Blutzucker steigen und wieder abstürzen, sondern hemmt auch die Ausschüttung von Wachstumshormonen (HGH), die während der Nacht für Regeneration und Zellreparatur sorgen. Der Schlaf wird unruhiger, die Erholung geringer – ein Teufelskreis, der den nächsten Tag mit erneutem Verlangen beginnen lässt. Zucker ist dabei übrigens ebenso bedenklich wie Alkohol. Mein Rat: zwei Stunden vor dem Schlafen nichts mehr Essen!
  6. Bewusste Alternativen finden: Wenn das Verlangen nach etwas Süssem übermächtig wird, greifen Sie zu natürlichen Alternativen: Ein paar Datteln mit Nüssen, dunkle Schokolade (ab 85 Prozent Kakao) oder ein warmes Glas Hafermilch mit Zimt können das Verlangen stillen, ohne die Blutzuckerachterbahn zu füttern. Zimt ist dabei nicht nur ein aromatischer Genuss, sondern auch ein bewährter Regulator des Blutzuckerspiegels, der das Verlangen nach Süssigkeiten sanft dämpfen kann. Achten Sie dabei auf hochwertigen Ceylon-Zimt, der im Gegensatz zum häufiger verbreiteten Cassia-Zimt weniger Cumarin enthält und somit gesünder ist.

Mit Freundlichkeit statt Strenge

Der vielleicht wichtigste Rat ist jedoch: Seien Sie nachsichtig mit sich selbst. Heisshunger ist keine Schwäche, sondern ein Signal. Er zeigt, dass irgendwo ein Ungleichgewicht besteht – körperlich oder seelisch.

Am Ende ist es wie so oft in der Naturheilkunde: Nicht das Unterdrücken der Symptome, sondern das Verständnis der Ursache bringt die wahre Heilung. Heisshunger ist eine Einladung, genauer hinzuschauen – und sich selbst das zu geben, was wirklich nährt.

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René Gräber ist Naturheilpraktiker und Autor.
Der ehemalige Leistungssportler hat Sportwissenschaften und Medizin studiert, war therapeutisch im Sport- und Fitnessbereich tätig und ist ausgebildet in Schmerztherapie, orthomolekularer Medizin und klassischer Homöopathie.
renegraeber.de


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