Skip to main content

Eine Schule nicht nur mit Kopf, sondern vielmehr mit Herz und Hand

Nachsitzen bei Jérôme

Das pestalozzianische Bildungsprinzip «Kopf, Herz und Hand» ist es, was unsere Volksschule stark gemacht hat. Es basiert auf der Idee, dass Bildung nie nur Kopfwissen vermitteln soll, sondern ganzheitlich funktionieren muss, damit sie kindlicher Entwicklung gerecht wird und von Erfolg gekrönt ist. Dieser Grundpfeiler einer menschenwürdigen Bildung wurde in den letzten Jahren von Bildungsbürokraten kontinuierlich geschwächt.

Bildung, wie sie verstanden werden sollte, baut also nicht primär auf der – oft genug – abstrakten Vermittlung akademischen Wissens auf, sondern sollte die ganze Persönlichkeit, die emotionalen Seiten und die praktischen Fähigkeiten der Schüler berücksichtigen. Dieser ganzheitliche Ansatz Pestalozzis hatte einen nachhaltigen Einfluss auf die Pädagogik und eine Rückbesinnung darauf täte dringend Not.

Am Ursprung des Übels, das heute für die vielschichtige Misere im Bildungsbereich verantwortlich ist, stand die Professionalisierung des Lehrerberufes. Lange Zeit war der Beruf des Lehrers mehr Berufung als Beruf. Gefragt waren pragmatische, aber doch kantige Könner, Freigeister auch und vor allem beherzte Pädagogen, die in all ihrer Strenge doch oft genug ein menschliches Antlitz erkennen liessen und einen engen Draht zu ihren Schützlingen hatten. 

Schliesslich sorgten dafür ausgebildete Fachlehrer und oft Fachlehrerinnen dafür, dass auch die Hand nicht zu kurz kam: In der Handarbeit wurde genäht; im Werken allerlei gewerkelt, sei es mit Holz oder Metall; im Zeichnen schliesslich wurde allerhand Schönes hergestellt. Und schliesslich kam an der Oberstufe noch die Kochschule dazu, in der man das Kochen von der Pike auf gelernt hat. 

Die sogenannte Professionalisierung des Lehrerberufs und damit einhergehend die Ausbildung der angehenden Lehrer an den Pädagogischen Hochschulen (PH) haben alldem den Garaus gemacht: Gefragt waren nunmehr keine Pädagogen mehr, erst recht keine handwerklich begabten, sondern Akademiker. 

Die Folgen sind fatal und mittlerweile sind die Auswirkungen dieser verfehlten Politik an der Volksschule spürbar. Die handwerklichen Fächer wurden im Zuge des «Lehrplans 21» massiv abgewertet, dafür schlagen sich Fünftklässler mit zwei Fremdsprachen und allerlei Themen, bei denen der Geier weiss, wofür man sie einmal braucht, herum. 

Wir brauchen aber Kinder und Jugendliche, die nicht nur ihren Kopf, sondern auch ihr Herz und schliesslich ihre Hand gebrauchen können. Wir brauchen gerade in Zeiten der Digitalisierung ein gesundes Gegengewicht zur gesellschaftlichen Verkopfung.

Die handwerklichen Fächer müssen deshalb dringend aufgewertet werden:

  • Die PH müssen wieder Monofachstudiengänge anbieten, in denen sich beherzte und talentierte Handwerker einfach und unkompliziert zum Fachlehrer für die «Hand»-Fächer ausbilden lassen können.
  • Primarlehrerinnen sollen den Unterricht vermehrt nach draussen verlegen; ein Kind, das selber gärtnert und die Natur erforscht, lernt mehr fürs Leben, als ein Kind, das am iPad eine Recherche zu klimaneutralem Gemüse durchführt.
  • Gerade an der Oberstufen müssen die Lektionen der handwerklichen Fächer verdoppelt werden – dies nicht primär, aber auch nicht zuletzt, um dem Fachkräftemangel in den handwerklichen Berufen entgegenzuwirken.

Setzte man diese drei Vorschläge um und würde man die Ausbildung an den PH ganz grundlegend menschlicher denken, es wäre zwar nicht alles, aber vieles gewonnen. Für unsere Schüler. Davon bin ich überzeugt. Mit Kopf, Herz und Hand.

***

Jérôme Schwyzer ist Sekundarlehrer und Präsident des Lehrernetzwerks Schweiz.


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Teile diesen Beitrag mit deinen Freunden