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Durch die Kuh auf den Boden gekommen

Im Gespräch mit Martin Ott

Es gibt nichts auf der Welt, das nicht irgendwann zum Boden zurückkommt, sagt Martin Ott, Pionier des biologischen Landbaus. Der vielfältige Meisterlandwirt über das faszinierende Zusammenspiel der Natur – und wie die Kuh uns Menschen geholfen hat, zu den Wesen zu werden, die wir heute sind.

«DIE FREIEN»: Martin, du hast mich schon vor vielen Jahren als mein Lehrer an der biodynamischen Landwirtschaftsschule in Rheinau geprägt, weil du mir die Zusammenhänge der Natur sehr bildhaft vermitteln konntest. Wie hast du deine Beziehung zur Natur gefunden?

Martin Ott: Als Kind hatte ich das Gefühl, dass ich mich wirklich mit Tieren, Landschaften oder Pflanzen verständigen kann. Ich habe das auch mit den Tieren, Kühen und Pferden meiner Verwandten im Simmental gefühlt. Als ich später mit 25 wegen einer missglückten Liebe in eine grosse Lebenskrise geriet, gab es für mich nur noch die Landwirtschaft als Lebensziel. Denn die Erfüllung von kooperativer Nähe, welche ich mit dieser Frau erleben durfte, erkannte ich wieder, als ich mich als integrierter Teil und Partner der Natur erlebte. So kam ich zur Landwirtschaft mit dem tiefen Wissen, ich bin ein Teil des Ganzen: Der Hof, die Jahreszeiten, das Wetter, die Weite und Nähe bin auch ich, ich bin nicht ausserhalb. Dieses Gefühl hat mich das Leben lang geführt. Ich konnte dann verschiedene Höfe übernehmen. Einmal einen eher kleinen, einmal einen ziemlich grossen und einmal einen ziemlich schönen. Über diese Erfahrungen habe ich Bücher geschrieben, und ich wurde zu Vortragsreisen eingeladen. Die Gefühle und das Denken waren für mich nie ein Widerspruch, sondern zwei sich gegenseitig steigernde Wahrnehmungsebenen. 

Das wissenschaftliche Denken als Methode ist ja eigentlich nie ein Resultat, sondern ein Erkenntnisweg. Die Emotionen hingegen sind auch Resultate von Wahrnehmungen, aber keine Tatsachen, sondern bleiben als Gefühle innere berechtigte Wahrnehmungen. Die Methode der Wissenschaft ist eine wunderbare Erfindung des Menschen. Sie macht uns in unserem Innersten frei. Das will ich nicht missen. Nur aus innerer Freiheit entsteht die echte Empathie. 

Wenn man jedoch bestimmte Resultate oder Erkenntnisse einmal als sakrosankt betrachtet, hört man ja auf, Wissenschaft zu betreiben, weil man nicht mehr weiterforscht und weiterfragt. 

MO: Genau, und es gibt Menschen, die das, was kalte, gefühllose, dogmatische Wissenschaft mit uns macht, sehr präzis beschreiben können. Zum Beispiel die grosse Philosophin Hannah Arendt. Sie hat die innere Mechanik des Faschismus wie kaum jemand anderes in einer sauberen Analyse dargelegt. Sehr verkürzt sagt sie: Die Banalität des Bösen – so heisst ihr entsprechendes Werk – besteht darin, dass wir in unserem Denken auf Objekte zugreifen. Wir stehen da und greifen nach toten Objekten. Wir greifen nach der Natur, wir greifen nach Uran, wir greifen nach Menschen, nach Juden, nach Schweizern … Es ist das Denken in Objekten, das sich die Dinge ohne Gefühle greift. 

Also geht es um die Haltung, die wir Menschen gegenüber den Dingen um uns herum einnehmen: Behandle ich etwas als Objekt, so bestimme ich auch darüber? 

MO: Ganz genau. Das ist die versteckte Haltung, die dahinter lauert. Die wird zum Teil in der einseitigen wissenschaftlichen Herangehensweise gefördert. Wer nur auf das Objekt Stickstoffatom schaut und nicht auf die Frage, wie und wer der Stickstoff als Subjekt ist, als fühlender Teil des Ganzen, bleibt völlig im Materialistischen hängen. Wir pf legen und nähren dabei laufend das falsche Dogma, dass wir die Einzigen sind, die fühlen, die Einzigen sind, die wirklich leben und die Einzigen, die Schlüsse daraus ziehen können. Wir sehen die Welt als Maschine – eine nützliche Maschine, die wir dann mit gezielten egoistischen Zugriffen entsprechend noch verbessern können. Und das ist, wenn man die Natur betrachtet, falsch: Die Ökologie ist ein unermessliches Netz von Beziehungen, vielleicht wie ein Musikstück aus unzähligen aufeinander abgestimmten Stimmen. Ein Klang der Fülle, an der wir auch teilhaben. 

Du giltst ja auch als «Kuhflüsterer». Was fasziniert dich so besonders an der Kuh? 

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Martin Ott war Meisterlandwirt, Sozialtherapeut, Lehrer, Schulleiter, Kantonsrat und Gemeinderat. Er baute diverse multifunktionelle Höfe auf und arbeitete in verschiedenen Leitungsgremien für die Entwicklung des Biolandbaus mit, etwa bei Bio Suisse, Sativa Rheinau AG sowie als Stiftungspräsident des FibL (Forschungsinstitut für biologischen Landbau) in Frick. Er ist Musiker, Liedermacher und Autor, unter anderem des Bestsellers «Kühe verstehen». Heute ist Ott als Berater und Vortragsredner tätig.
ottgreen@gmail.com


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