Das Jüngste Gericht
ein Waterloo
Das Raum-Zeit-Kontinuum gerät aus allen Fugen. Wir sind – der Krümmung sei´s geschuldet – auf dem Bundesplatz. Gott allein weiss warum. Himmlisches wird heute mit Irdischem vertauscht. Heute, an diesem Tag des Jüngsten Gerichts. Dieser Tag ist nun da. Der Tag, an dem Recht gesprochen wird, in Tagen wie diesen, da Recht längstens zum Privileg der Privilegierten verkommen ist.
Wie immer an solch einem Anlass herrscht kurz davor grosses Brimborium. Posaunen werden geölt, himmlische Reiter satteln ihre Rösser und schleifen die Sporen. Siegelwachs wird über Feuer, Pech und Schwefel geschmolzen, die Sonne und der Mond verfinstern. Erste Sterne fallen vom Himmel. Das Tier – der fürchterliche Drache – fläzt noch in der Maniküre, um sich die Kralle schärfen zu lassen, derweil man in der Küche Skorpione, Heuschrecken und alle sonstigen Plagen in siedendem Öl frittiert, um dem zu erwartenden Ansturm der Massen kulinarisch gerecht zu werden.
Raum und Zeit kommen nun endgültig zu ihrem Ende. Altehrwürdige Gerichtsbarkeit und mit ihr die geblendete Justitia verabschieden sich endgültig in den wohlverdienten Ruhestand, als urplötzlich ein markerschütternder Schrei – die Maniköse hat dem Tier ins Nagelfleisch geschnitten – aus den Eingeweiden des Universums dringt und den Gepeinigten im Zwischenreich das Blut in ihren Adern gefrieren lässt. Eine Promenadenmischung, schwarz wie der Tod, huscht über den Platz, hebt noch schnell ein Bein und erleichtert sich an einer der sieben Säulen. Dann entschwindet es in den Winkel der Nacht, derweil im Grauen des Morgens Gottes Thron hereingewuchtet wird.
Auf Gottes Thron thront – heute leicht anglophil angehaucht – Gottvater höchstpersönlich.
Zu seiner Rechten aber sitzet Jesu, Gottes Sohn.
– Gott: Hello everybody!
– Jesus: Noch nicht, Vater.
– Ach so. Wo sind wir?
– In Bern.
– Wo?
– Bäärn!
– Ach, in Bern! Nun denn.
Posaunen erschallen. Apokalyptische Reiter formieren sich. Siegel werden gebrochen. Siegel erbrechen sich. Sämtliche Sphären, Sonne und Mond erzittern. Gott spricht.
– Von Anbeginn zu Anbeginne … always the same Procedure as every Time.
Gott teilt die Himmel.
Niccolò Machiavelli betritt den Plan.
– Machiavelli: «Divide et Impera.»
– Wer ist das?
– Ein alter Schreiberling.
– Was schrub er?
– Den Fürsten.
– … der Finsternis?
– Nein Vater. Doch er schrieb Diesem die Betriebsanleitung, um Böses zu ermöglichen.
Eine unermessliche Heerschar an Mitläufern betritt den Plan.
Hans wie Heiri, Hinz und Kunz im drangvollen Seelenbeieinander.
Schulter an Schulter, gegliedert zu Reihen. Reihe um Reihe
gestaffelt bis weit hinter den Horizont.
– Wer sind diese?
– Die ganze Bande, Herr. Vollzählig angetreten zum jüngsten Gericht.
– Nun denn. Ich höre.
Nach einer unendlich langen Weile tritt – stellvertretend für die Mehrheit – das Schweigen hervor und wird sofort, bevor es sich brechen kann, von der Angst gefressen.
– Was soll der Zauber?
– The same Procedure as every Time, Vater Unser.
– So sei es. Wahrlich, ich sage euch: Helft euch selbst, so hilft euch Gott.
– Amen.
Die Sonne verfinstert sich abermals und sinkt in unergründliche Tiefen.
Weitere Sterne fallen vom Firmament und werden vom Schlund der Unterwelt verschlungen.
Das Zentrum, angeführt von den üblichen Verdächtigen, stösst nach vorne.
Die Lakaien der Macht formieren sich. Experten und deren Experten stützen die Flanken.
– Wer ist nun das schon wieder?
– Die Elite, Herr.
– Die alte Garde?
– Die Selbige, oh Herr.
– Was riecht hier so angebrannt?
– Diese sind es, Vater. Sie kommen frisch aus der Hölle.
– Das ist nicht zu ertragen. Schafft mir die Pestilenz aus meiner Nase.
– Dein Wille geschehe. Doch wohin mit diesen, Vater?
– Sollen sie sich meinetwegen zum Teufel scheren. Nur, schafft sie fort von hier.
– Sie erwarten Gerechtigkeit.
Soll sie der richtet, welchen sie anbeten.
– Dein Wille geschehe.
– Ihr habt es gehört. Hinweg! Schert Euch dorthin, wo ihr hergekommen seid. Schert euch zum Teufel.
Die Bande schert sich zurück zu ihren Firmensitzen in Genf. Manche scheren sich direkt zur respiratorischen Rekonvaleszenz in ihre alpinen Naherholungsgebiete rings um den Zauberberg.
Nahendes Donnergrollen.
– Was ist das für ein Lärm?
Die Pforten des Bundeshauses öffnen sich. Heraus strömen die frisch gebackenen Delegierten des Volkes. Ein leicht rechtshängender Mob, dicht umhüllt vom beissenden Pulverdampf der Schlacht. Schwadernde Schwaden der Selbstbeweihräucherung erfüllen plappernd und wie die Vöglein zwitschernd den Platz des Bundes.
– Was soll das und Wer ist das?
– Die Auserwählten.
– Wer erwählte diese?
– Das Volk, Vater.
– Und das ist die Auswahl?
– Ja Herr. Sie erwarten Deinen Richtspruch.
– Was hätt´ ich mit diesen zu schaffen?
– Diese sind es, welche Jenen Obdach und Refugium gewähren, die Du – oh Herr – zum Teufel schicktest. Diese sind es, welche Jenen Schutz und Schirm und immerwährende Immunität gewähren, von Ewigkeit zu Ewigkeit …
– … Amen. Unter welcher Flagge?
– Unter der Flagge des weissen Kreuzes auf blutrotem Grund, oh Herr.
– Teufel auch. Kuschelt hier eigentlich Jeder mit jedem?
– Viele sind es, die kuscheln und viele, die kuschen.
Unter imposanten Gedönse öffnen sich abermals die Pforten des Bundeshauses.
Heraus tritt eine handverlesene Auswahl der Auserwählten. Sieben sind es an der Zahl.
Sieben erwählt aus einer Schar der Sieben mal Sieben mal Sieben.
Den Sieben Säulen gleich formieren sich die Sieben um den Thron Gottes.
– Was soll das und Wer ist das?
– Die Zwerge. Sieben sind es an der Zahl. Sie wollen Dir Tribut zollen, oh Herr!
– Zwerge? Aus dem Zauberberg?
– Sie gehen ein und aus in diesem und bei denen, welchen sie Obdach gewähren, suchen sie Rat.
– Is that so?
– Ja. Sie streifen manchmal durch die schwefligen Urgründe der Hölle, wo auf Teufelkommraus Ränke geschmiedet, Tränke gebraut und wundersame Zauberformeln erfunden werden.
– Dacht ich´s mir doch. Es riecht es schon wieder so kokelig. Wo ist eigentlich Schneewittchen?
– Schläft noch ihren Schönheitsschlaf.
– So? Blaaset mer doch alli i d Schue.
Gleichwohl, ob National-, Stände- oder Bundesrat, ziehen sich – gehorsam wie die Lämmer – je einen Schuh aus, um in diesen zu blasen. Um nur ja nicht die Balance – manche sagen den Konsens – zu verlieren, hüpft ein Jeder von ihnen auf dem jeweils anderen Bein.
Ein Mancher, wenn nicht gar Jeder, singt dazu das Lied «Ein Männlein steht im Walde …»
– Was soll das Gehüpfe?
– Sie halbieren ihren ökologischen Fussabdruck.
– So? Mir reichts! Soll richten, wer da will. Von mir aus kann auch jeder von jetzt ab die Luft anhalten, um seine CO₂-Bilanz zu schönen. Macht, was ihr wollt. Das Jüngste Gericht ist bis auf weiteres verschoben. Ich geh jetzt meine Radieschen von unten giessen.
Unter grossem Brimborium wird das apokalyptische Szenario abgebaut. Das Tier grunzt und schert sich dahin zurück, wo es hergekommen: in sein altes, stickig-stinkendes Drachennest.
Derweil halten die armen Seelen die Luft an. Raum und Zeit entspannen sich, um noch – nur für dieses eine Mal noch – ihr Kontinuum fortzusetzen. ♦
von Oliver Hepp
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