Der Weg zur Wahrheit

Nur allzu oft sitzen wir einem Irrglauben auf. Wir halten Dinge für wahr, die sich im Nachhinein als falsch herausstellen. Wir vertrauen auf wissenschaftliche Studien, die später durch andere Studien widerlegt werden. Wie um alles in der Welt soll man in diesem Durcheinander Richtig und Falsch auseinanderhalten? Welcher Quelle sollte man folgen, um die Wahrheit aufzuspüren?

Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Zuerst zur schlechten: Es gibt keinen einfachen, gemütlichen Abkürzungsweg zur Wahrheit. Ein uneigennütziges Wahrheitsministerium, das uns das Denken und Urteilen abnimmt, existiert lediglich in den Köpfen einiger Träumer. Doch jetzt zur guten: Es gibt Prinzipien, an die man sich halten kann, um der Wahrheit näherzukommen.

Orientierung an anderen

Einige denken, es sei eine gute Idee, sich am gesellschaftlichen Konsens zu orientieren. Was die Gesellschaft macht, die Mehrheit findet und die Stimmbürger entscheiden, wird schon irgendwie seine Richtigkeit haben, sonst würden es ja nicht so viele Leute tun. Wenn eine Mehrheit den Kapitalismus ablehnt, wird dieser wohl tatsächlich eine dysfunktionale Gesellschaftsordnung sein. Und wenn eine Mehrheit sich für eine Impfung entscheidet, muss diese wohl gesundheitsfördernd sein. Ein gewichtiges Problem mit dieser externen Wahrheitsquelle namens «Gesellschaft» oder «Mehrheit» ist, dass sie sich historisch oft geirrt hat.

Andere wiederum setzen bei der Wahrheitssuche auf Autoritäten. Das ist verständlich, wenn wir an unsere Kindheit zurückdenken: Wahr war, was unsere Eltern (und vielleicht auch unsere Lehrer) uns erzählten. Wir hatten keine andere Wahl, als ihnen zu glauben. Doch viele legen diesen blinden Glauben gegenüber Autoritäten auch als Erwachsene nicht ab. Nur dass dann «die Eltern» zum Beispiel mit «dem Staat» ersetzt werden. Dabei wird Staatsakteuren unterstellt, dass sie ihre Eigeninteressen schön brav wie Engel ablegen, sobald sie ein öffentliches Amt antreten. Was der Staat uns als «alternativlos» verkauft, wird schon irgendwie seine Berechtigung haben. Und sowieso macht der Staat ja nur, was die Wissenschaft ihm empfiehlt.

«Die Wissenschaft»: Hier wären wir bei einer weiteren Autorität, auf die sich viele stützen, die der Wahrheit auf die Schliche kommen wollen. Sie glauben, dass es da draussen Experten gibt, die von bestimmten Themengebieten mehr verstehen als sie selbst, was ja in der Tat so ist. Doch eine der fatalen Fehlannahmen besteht darin, zu meinen, dass es solchen Experten automatisch immer auch in erster Linie darum ginge, die Wahrheit zu ergründen und diese dann der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Wissen ist Macht – und nicht alle haben ein Interesse an der Veröffentlichung ihres Wissens.

Wenn also beispielsweise die Pharmaindustrie Studien finanziert, so kommt dabei praktisch immer heraus, dass eine bestimmte Pille oder Impfung wirksam sei – einfach deshalb, weil diese Produkte grosse Profite in die Kassen der Pharmafirmen spülen. Herkömmliche (natürliche) Heilmethoden werden dabei gern verschwiegen, weil diese nicht patentierbar sind und sich damit viel weniger Geld verdienen lässt. Auch wird bei Studien gerne getrickst: Beispielsweise, wenn verschiedene klinische Endziele (wie Überlebenszeit, Blutdrucksenkung, Schmerzlinderung) getestet werden, aber nur die positiven Ergebnisse veröffentlicht und die negativen verschwiegen werden.

Innere Autorität: Die zuverlässigere Kraft?

Das Problem bei äusseren Autoritäten besteht also darin, dass sie korrumpiert sein könnten, ohne dass wir es mit Sicherheit überprüfen können. Natürlich können Gespräche mit weisen Persönlichkeiten, die es auf einem Gebiet weiter gebracht haben als wir, Inspiration und Denkanstösse bringen. Doch anstatt uns ausschliesslich auf andere zu verlassen, sollten wir bei der Wahrheitssuche vermehrt auf uns selbst setzen: Denn wir selbst sind uns unsere zuverlässigste Autorität. Nur wenn wir selbst uns auf die Spur nach der Wahrheit machen, können wir gewiss sein, dass wir von anderen nicht manipuliert, getäuscht und hereingelegt werden.

Natürlich können wir uns auch selbst einen Streich spielen. Das Unterbewusstsein ist sehr kreativ, wenn wir uns bestimmten Tatsachen (also der Wahrheit) verschliessen wollen, zum Beispiel, wenn wir auf Dinge stossen, die unsere bisherige Identität infrage stellen, die so einfach nicht in unsere Lebensweise und unser Weltbild passen. Doch in solchen Fällen geht es eben nicht mehr um die Wahrheitssuche, sondern darum, seine eigene Psyche zu schützen und sie nicht mit der schmerzhaften Wahrheit zu konfrontieren. Wir lassen dann die mentalen Barrieren runter, um unerwünschte Informationen nicht an uns heranzulassen. Doch wer sich so verhält, dem geht es primär nicht um Wahrheitssuche, denn Wahrheit muss man auch finden wollen.

Oftmals wird diese Selbstsabotage von unsicheren Menschen betrieben. Die eigene Psyche schützen muss vor allem, wer Angst davor hat, der Realität ins Auge zu sehen. Und diese Angst kommt von der Befürchtung, dass man zu schwach sein könnte, um damit klarzukommen. Ein wichtiger Weg zur Wahrheit ist also die Stärkung des Selbstvertrauens.

Für die Stärkung des Selbstvertrauens sind insbesondere die ersten Lebensjahre entscheidend. Wer viel Aufmerksamkeit und Liebe von seinen Bezugspersonen bekommt, ist sein Leben lang mit einer grösseren Portion Selbstsicherheit ausgestattet als jene, die diese emotionalen Grundbedürfnisse nicht im gleichen Umfang gestillt bekommen haben.

Doch an unserem Selbstvertrauen können wir auch arbeiten, indem wir uns ernsthaft mit uns selbst auseinandersetzen und uns fragen, wer wir tief in unserem Kern sind, was unsere Bestimmung ist, was wir besonders gut können und wie wir auch anderen dienen können. Sobald wir uns durch intensive Selbstbeschäftigung besser kennengelernt haben, können wir uns gezielter Dingen widmen, die unserem Leben Sinn spenden, die uns zutiefst erfüllen und in denen wir unsere Stärken ausspielen können. Diese Aktivitäten und die Erfolge, die uns dabei widerfahren, stärken uns: Wir vertrauen vermehrt uns selbst und somit auch unserem Urteil.

Vorsicht vor der Wissensanmassung

Dennoch sollten wir uns nie allzu sicher sein: Der Weg in die Hölle ist meist mit guten Absichten gepflastert und wird von Leuten entschlossen beschritten, die sich ihrer Sache besonders gewiss sind. Es kann also nicht schaden, eine gewisse sokratische Demut an den Tag zu legen, statt sich in platonischer Sicherheit zu wiegen.

Es reicht eben nicht aus, ein überzeugendes Buch zu einem Thema zu lesen und dann zu meinen, man wisse nun vollumfänglich Bescheid. Vielmehr sollte man sich zusätzlich bewusst Bücher suchen, in welchen andere Thesen vertreten werden. Der Wettstreit der Ideen ist ein besonders hilfreiches Instrument bei der Wahrheitssuche, denn wer nur einen Bildausschnitt anschaut, erkennt eben nicht das ganze Bild. Und auch wenn man sich zu einem absoluten Vollprofi in einem Thema mausert, sollte man sich vor Überheblichkeit und Eitelkeit hüten, denn es könnte ja sein, dass man immer noch nicht alle relevanten Faktoren berücksichtigt hat. Wer mit Demut an die Sache herangeht, masst sich auch nicht an, anderen seine Weisheiten per Gesetz vorschreiben zu wollen. Er ist sich bewusst, dass er womöglich lediglich den aktuellsten Stand des Irrtums vertritt.

Und dann gibt es auch noch Wahrheiten, die nicht für alle gelten, obwohl einige so tun, als sei dem so. Ein gutes Beispiel dafür sind die Ernährungswissenschaften, wo es etwa das «Low-Fat»- oder das «Low-Carb»-Lager gibt. Beide Seiten «beweisen» uns mit entsprechenden Studien, dass ihre Ernährungsweise die gesündeste ist. Doch weil wir nicht alle den einen selben Körper haben, gibt es eben auch nicht die eine richtige Ernährung. Daher sind wir auch hier besser beraten, auf unsere innere Autorität zu hören: In diesem Fall auf unseren eigenen Körper. Es gilt auszuprobieren, was uns gut tut.

Auch der Wert einer Sache ist nichts Universelles. Ein Wert ist immer subjektiv und leitet sich davon ab, welchen Beitrag er zur Erreichung unserer individuellen Ziele leistet. Es gibt keine Wissenschaft, die einen objektiven Wert von etwas feststellen könnte – und mag man noch so viele mathematische Formeln anwenden.

Um sich nicht im Dschungel der Millionen von Studien zu verlieren, empfiehlt es sich, eine Hierarchie der Wissenschaften zu befolgen. Zuoberst stehen die erfahrungsunabhängigen Wissenschaften: Alles, was der Logik, der Mathematik und der Praxeologie (Handlungslogik) – also den A-priori-Wissenschaften – widerspricht, kann nicht wahr sein. A-priori-Wissenschaften liefern uns Wissen durch logisches Nachdenken, also durch den Gebrauch unserer Vernunft (empirisches Testen ist dabei nicht nötig). 1+1 ist immer 2 (Mathematik). Den gleichen Apfel kann man nicht zweimal essen (Logik). Ein gesetzlicher Mindestlohn über dem Marktlohnniveau schafft tendenziell immer zusätzliche Arbeitslosigkeit (Praxeologie). Studien aus anderen Wissenschaftsgebieten wie den Natur- und den Sozialwissenschaften müssen zwingend mit den Erkenntnissen der erfahrungsunabhängigen Wissenschaften übereinstimmen, ansonsten können sie getrost verworfen werden.

Halten wir fest: Wenn wir uns auf der Suche nach Wahrheit befinden, ist unser innerer Kompass der zuverlässigste. Zwar kann auch er uns sabotieren und irreführen, doch dann liegt es in unseren eigenen Händen, diese Sabotageversuche zu unterbinden. Bei äusseren Autoritäten haben wir diese Möglichkeit nicht. Wir wissen schlichtweg nicht, ob es sich bei dem, was uns aufgetischt wird, um die Wahrheit handelt oder lediglich um verkappte Sonderinteressen, die uns als Wahrheit verkauft werden. Wahrheitssuchende bedienen sich primär ihrer innerer Autorität. ♦

von Olivier Kessler


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