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Autor: Olivier Kessler

Ist der Liberalismus eine materialistische Philosophie?

Beim Begriff Sozialismus denken viele an zwischenmenschliche Wärme, Solidarität und Zusammenhalt. Sozialismus ist das warme Lagerfeuer, um das sich die Gemeinschaft versammelt. Jenen, die es am meisten nötig haben, wird geholfen.

Beim Konservativismus wiederum stehen traditionelle Werte, Familie, Hierarchien und Religion im Vordergrund, die ein geordnetes Miteinander ermöglichen.

Im Gegensatz dazu halten viele den Liberalismus für eine materialistische Philosophie. Die Forderung nach gesichertem Privateigentum ziele letztlich nur auf die egoistische Verteidigung der eigenen materiellen Besitztümer ab, während Solidarität und Allgemeinwohl hintanstehen müssten.

Was entgegnen Liberale auf diese Vorwürfe?

Den meisten Liberalen ist klar, dass der Liberalismus zwar keine hinreichende, aber eine notwendige Bedingung für ein glückliches Leben aller darstellt. Ohne individuelle Freiheit in Form von Abwehrrechten wäre es unmöglich, alle Menschen zufriedenzustellen. Warum? Weil Menschen zwar alle miteinander verbunden sind, sich aber dennoch charakterlich stark voneinander unterscheiden. Menschen haben nun einmal unterschiedliche Präferenzen, Bedürfnisse und Lebensziele. Gestehen wir den Einzelnen keine Freiräume zu und bevormunden wir sie stattdessen durch eine kollektive Gewalt, sind Unglück, gesellschaftliche Konflikte und Spaltung vorprogrammiert.

Wenn Liberale aus diesen Gründen das Privateigentum als wichtigstes Abwehrrecht verteidigen, denken sie nicht nur an materielle Besitztümer wie Geld, Autos und Uhren, sondern an die Achtung der Menschenwürde, Gewaltverzicht und Frieden. Am Ursprung des Privateigentumgedankens stehen der eigene Körper und die Seele. Liberale glauben, dass der Körper im materiellen Diesseits demjenigen gehört, der ihn direkt steuert, also jedem Einzelnen.

Natürlich kann man darüber philosophieren, ob wir tatsächlich die Eigentümer unserer Körper sind oder ob diese uns nur von einer höheren Macht verliehen wurden. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass andere Menschen kein Recht haben, mit Gewalt und Drohung auf andere einzuwirken, um sie zu einem Verhalten zu zwingen, zu dem sie sich ohne solche Übel nicht freiwillig entschieden hätten.

Freiheit als Grundbedingung

Der Liberalismus ist, wie erwähnt, keine hinreichende, aber eine notwendige Bedingung für ein glückliches Leben aller. Natürlich braucht es für Glück nicht nur individuelle Freiheit, aber ohne Freiheit ist keine Verwirklichung der ureigenen Träume möglich – unabhängig davon, ob diese materieller oder immaterieller Natur sind. Hinzu kommen verschiedenste Werte und Lebensprinzipien (z.B. dass man andere nicht manipuliert), die Auswirkungen auf die Reinheit unseres Gewissens und unser Glück haben, auch Liebe und Spiritualität, wobei es hier Unterschiede von Person zu Person geben mag.

Nur weil der Liberalismus sich nicht in diese Angelegenheiten einmischt und es jedem selbst überlässt, was er mit seiner Freiheit anstellen will – solange er die Freiheit der anderen respektiert –, bedeutet das nicht, dass er eine materialistische Philosophie ist. In einer freiheitlichen Gesellschaft kann man zwar einem plumpen Materialismus frönen. Aber man kann sich geradeso gut auch anders entscheiden. ♦

von Olivier Kessler

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Olivier Kessler ist Direktor des Liberalen Instituts. Er ist Co-Autor von «64 Klischees der Politik: Klarsicht ohne rosarote Brille» sowie Autor und Mitherausgeber u.a. der Bücher «Wissenschaft und Politik: Zuverlässige oder unheilige Allianz?» und «Verlockung der Macht: Die Kunst, die offene Gesellschaft zu verteidigen».


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Auf Freiheitsmission

Habe ich mir das selbst ausgesucht, mich bewusst dafür entschieden? Oder war es Schicksal und ich habe einfach den für mich vorgesehenen Pfad beschritten? Wie es dazu kam, dass ich mich mit Haut und Haaren für die Freiheit einsetze und diese Lebensaufgabe sogar zu meinem Beruf gemacht habe, weiss ich selbst nicht so genau.

Es war vermutlich eine Kombination aus beidem: Meinen (genetischen, astrologischen, erziehungsbeeinflussten …) Vorprägungen, die dafür verantwortlich waren, dass ich den Freiheitswillen mit der Muttermilch aufgesogen hatte. Und meiner Lebenserfahrungen als mündiges Wesen sowie die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Liberalismus als Reaktion auf die in der Schule versuchte Indoktrination mit offensichtlich fehlgeleitetem etatistischen Gedankengut, das ich schon damals als unvereinbar mit der Lebenswirklichkeit empfand.

Keine Ahnung also, ob ich meine Mission selbst gewählt habe oder ob sie mir «gegeben» wurde. Im Grunde spielt das auch gar keine Rolle. Denn ich fühle mich in meinem Tun allein meinen inneren Werten verpflichtet, meinem inneren Kompass und Gewissen. Diese inneren Sensoren signalisieren mir, was gut und was böse, welches Handeln richtig und welches falsch ist. Ich fühle mich daher nicht fremdbestimmt. Ich vertraue darauf: Wenn mir jemand oder etwas ein falsches Wertesystem eingepflanzt hätte, das destruktiv und zerstörerisch ist, so wären mein Gewissen und meine Vernunft in der Lage, diesen Irrtum aufzudecken. Dann könnte ich meine Überzeugungen hinterfragen und adjustieren. Darauf vertraue ich, weil ich nach reiflicher Auseinandersetzung mit gewissen Themen auch schon meine Ansichten geändert habe. Zum Beispiel war ich einmal der Meinung, dass die Ausgabe von Geld eine Staatsaufgabe sei und habe sogar viele Monate an einer entsprechenden Volksinitiative mitgearbeitet, bis ich realisierte, dass dies ein Holzweg ist und Geld besser dem freien Markt überlassen werden sollte.

Die Erfahrung, dass ich meine Ansichten auch revidieren kann, spräche eher dafür, dass mir mein Freiheitsimpuls nicht «gegeben» wurde, sondern ich ihn erlernt habe. Dies macht mir Hoffnung: Konnte ich ihn erlernen, so ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass andere ihn auch erlernen können. Es mag starke Mechanismen geben, die jemanden dazu bringen, an seinen fehlgeleiteten Glaubenssätzen festzuhalten. Etwa, wie sehr die eigene Identität von dieser Meinung abhängt oder wie stark man in seiner Kindheit traumatisiert wurde. Es ist zumindest nicht ausgeschlossen. Mein eigenes Beispiel und viele weitere Beispiele in meinem Umfeld zeigen, dass es nicht unmöglich ist, seine Mitmenschen durch entsprechende Überzeugungsarbeit von falschen Denkmustern, Ideologien und Glaubenssätzen abzubringen. Die Prinzipien für ein friedliches, freiheitliches und prosperierendes Zusammenleben aller Menschen können entdeckt und verinnerlicht werden.

Warum es sich zu kämpfen lohnt

Das Schöne am Liberalismus, für den ich mich mit Herzblut einsetze, ist ja, dass er die Menschen nicht dazu zwingt, ihre Ideale aufzugeben, die sie zuvor als Sozialist oder als Konservativer gepflegt haben. Der Liberalismus lässt Raum für alle möglichen Modelle des Zusammenlebens. Einzige Voraussetzung: Man lässt den anderen in Ruhe und geht nicht mithilfe von Gewalt (auch nicht der Staatsgewalt) gegen Andersdenkende oder Andersartige vor. Wenn also beispielsweise Sozialisten in einer WG oder einem Dorf zusammenleben wollen, wo alle, die freiwillig mitmachen, alles mit allen teilen, so ist das im Liberalismus erlaubt. Dasselbe gilt für Konservative, die in ihrer Religionsgemeinschaft und in traditionellen Familienstrukturen leben wollen. Oder die libertäre Community, in welcher Eigentumsrechte zu Hundert Prozent geschützt sind und jeder selbst entscheiden darf, was mit den Früchten seiner Arbeit geschehen soll. Im Liberalismus ist Platz für alle da.

Die einzige Voraussetzung ist, dass auf politischer Grossebene alles offenbleibt bis auf den einklagbaren Schutz von Eigentum, Leib und Leben, damit sich in dezentral-föderalistischer Weise alles auf tieferen Ebenen regeln lässt. Das ist der einzig nötige Konsens, um Frieden, Selbstbestimmung und Zufriedenheit für alle zu ermöglichen. Es braucht dafür keinen «neuen Menschen», keine Zwangsumerziehung, keine international abgestimmte «Agenda 2030» und auch keinen «Great Reset», der uns top down aufgestülpt wird. Alles, was wir brauchen, ist ein bisschen Toleranz für die Tatsache, dass es andere Menschen und Communities gibt, die eine andere Lebensweise pflegen. All dies im Bewusstsein darum, dass diese Toleranz auch die eigene Community vor Angriffen anderer schützt, denen unsere Lebensweise nicht zusagt. Wie es Ludwig von Mises so schön gesagt hat: «Ein freier Mensch muss es ertragen können, dass seine Mitmenschen anders handeln und anders leben, als er es für richtig hält, und muss sich abgewöhnen, sobald ihm etwas nicht gefällt, nach der Polizei zu rufen.» Insofern habe ich Hoffnung, dass der Liberalismus als grossartige Vision vielen Menschen vermittelbar und Frieden auf dieser Welt möglich ist.

Wann ist meine Mission erfüllt?

Wäre meine Aufgabe erledigt, wenn wir uns auf diesen Konsens einigen könnten und der Liberalismus eingeführt wäre? Die Geschichte zeigt uns leider, dass die Aufgabe, für die Freiheit zu kämpfen, nie beendet ist – egal wie weit man es zwischenzeitlich gebracht haben mag. Die Fackel der Freiheit muss stets an die nächste Generation weitergegeben werden, sonst erlischt sie.

Das hat auch mit unseren Reflexen zu tun, die wir wohl noch von unseren Vorfahren geerbt haben. Die meiste Zeit der Menschheitsgeschichte lebten wir nicht in einer anonymen Grossgesellschaft mit globaler Arbeitsteilung wie heute, sondern in überschaubaren Stammesgesellschaften. Der Kollektivismus, und nicht der Individualismus, war in über 99 Prozent der Menschheitsgeschichte unsere dominante Organisationsform. Das hat sich vermutlich tief in unser genetisches Material eingeprägt. Es gab und gibt immer wieder Rückfälle in dieses Stammesdenken, in barbarisches Herdenverhalten. Der Rassismus des Nationalsozialismus und der Klassismus in kommunistischen Ländern sind zwei tragische Beispiele dafür. Die Aufklärung über unsere Wurzeln, das Bewusstmachen unserer intuitiven Kollektivismusreflexe und das Aufzeigen funktionierender Mechanismen einer freien, wohlhabenden und friedlichen Gesellschaft werden vermutlich die bleibenden Aufgaben der liberalen Aufklärungsbewegung sein.

Ist es Zeit, das Handtuch zu werfen?

Freiheitsaktivisten haben es derzeit nicht leicht. Die cancel culture macht ihnen das Leben schwer. Angriffe gegen Leib, Leben und Eigentum von Andersdenkenden, Skeptikern und Hinterfragern mehren sich. Tröstlich ist, dass es nicht das erste Mal in der Geschichte ist, dass Freiheitsfreunde unterdrückt werden und es auch unsere liberalen Vorfahren irgendwie geschafft haben, das Pendel nach kollektivistischen Exzessen zu stoppen und es zumindest phasenweise wieder in die andere Richtung sausen zu lassen. Wieso sollte uns das nicht auch gelingen?

Es braucht jeden Einzelnen von uns, der jeder in seinem spezifischen Umfeld den nötigen Einsatz leistet. Wir dürfen nicht verzagen, nur weil wir aktuell keine Mehrheiten haben. Nassim Taleb zeigt in seinem Buch «Skin in the Game» auf, dass es keine Mehrheiten braucht, um den Lauf der Dinge zu verändern. Eine aktive und entschlossene Minderheit reicht dazu vollkommen aus. Wir haben also allen Grund, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. ♦

von Olivier Kessler

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Olivier Kessler ist Direktor des Liberalen Instituts in Zürich.


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Der Weg zur Wahrheit

Nur allzu oft sitzen wir einem Irrglauben auf. Wir halten Dinge für wahr, die sich im Nachhinein als falsch herausstellen. Wir vertrauen auf wissenschaftliche Studien, die später durch andere Studien widerlegt werden. Wie um alles in der Welt soll man in diesem Durcheinander Richtig und Falsch auseinanderhalten? Welcher Quelle sollte man folgen, um die Wahrheit aufzuspüren?

Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Zuerst zur schlechten: Es gibt keinen einfachen, gemütlichen Abkürzungsweg zur Wahrheit. Ein uneigennütziges Wahrheitsministerium, das uns das Denken und Urteilen abnimmt, existiert lediglich in den Köpfen einiger Träumer. Doch jetzt zur guten: Es gibt Prinzipien, an die man sich halten kann, um der Wahrheit näherzukommen.

Orientierung an anderen

Einige denken, es sei eine gute Idee, sich am gesellschaftlichen Konsens zu orientieren. Was die Gesellschaft macht, die Mehrheit findet und die Stimmbürger entscheiden, wird schon irgendwie seine Richtigkeit haben, sonst würden es ja nicht so viele Leute tun. Wenn eine Mehrheit den Kapitalismus ablehnt, wird dieser wohl tatsächlich eine dysfunktionale Gesellschaftsordnung sein. Und wenn eine Mehrheit sich für eine Impfung entscheidet, muss diese wohl gesundheitsfördernd sein. Ein gewichtiges Problem mit dieser externen Wahrheitsquelle namens «Gesellschaft» oder «Mehrheit» ist, dass sie sich historisch oft geirrt hat.

Andere wiederum setzen bei der Wahrheitssuche auf Autoritäten. Das ist verständlich, wenn wir an unsere Kindheit zurückdenken: Wahr war, was unsere Eltern (und vielleicht auch unsere Lehrer) uns erzählten. Wir hatten keine andere Wahl, als ihnen zu glauben. Doch viele legen diesen blinden Glauben gegenüber Autoritäten auch als Erwachsene nicht ab. Nur dass dann «die Eltern» zum Beispiel mit «dem Staat» ersetzt werden. Dabei wird Staatsakteuren unterstellt, dass sie ihre Eigeninteressen schön brav wie Engel ablegen, sobald sie ein öffentliches Amt antreten. Was der Staat uns als «alternativlos» verkauft, wird schon irgendwie seine Berechtigung haben. Und sowieso macht der Staat ja nur, was die Wissenschaft ihm empfiehlt.

«Die Wissenschaft»: Hier wären wir bei einer weiteren Autorität, auf die sich viele stützen, die der Wahrheit auf die Schliche kommen wollen. Sie glauben, dass es da draussen Experten gibt, die von bestimmten Themengebieten mehr verstehen als sie selbst, was ja in der Tat so ist. Doch eine der fatalen Fehlannahmen besteht darin, zu meinen, dass es solchen Experten automatisch immer auch in erster Linie darum ginge, die Wahrheit zu ergründen und diese dann der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Wissen ist Macht – und nicht alle haben ein Interesse an der Veröffentlichung ihres Wissens.

Wenn also beispielsweise die Pharmaindustrie Studien finanziert, so kommt dabei praktisch immer heraus, dass eine bestimmte Pille oder Impfung wirksam sei – einfach deshalb, weil diese Produkte grosse Profite in die Kassen der Pharmafirmen spülen. Herkömmliche (natürliche) Heilmethoden werden dabei gern verschwiegen, weil diese nicht patentierbar sind und sich damit viel weniger Geld verdienen lässt. Auch wird bei Studien gerne getrickst: Beispielsweise, wenn verschiedene klinische Endziele (wie Überlebenszeit, Blutdrucksenkung, Schmerzlinderung) getestet werden, aber nur die positiven Ergebnisse veröffentlicht und die negativen verschwiegen werden.

Innere Autorität: Die zuverlässigere Kraft?

Das Problem bei äusseren Autoritäten besteht also darin, dass sie korrumpiert sein könnten, ohne dass wir es mit Sicherheit überprüfen können. Natürlich können Gespräche mit weisen Persönlichkeiten, die es auf einem Gebiet weiter gebracht haben als wir, Inspiration und Denkanstösse bringen. Doch anstatt uns ausschliesslich auf andere zu verlassen, sollten wir bei der Wahrheitssuche vermehrt auf uns selbst setzen: Denn wir selbst sind uns unsere zuverlässigste Autorität. Nur wenn wir selbst uns auf die Spur nach der Wahrheit machen, können wir gewiss sein, dass wir von anderen nicht manipuliert, getäuscht und hereingelegt werden.

Natürlich können wir uns auch selbst einen Streich spielen. Das Unterbewusstsein ist sehr kreativ, wenn wir uns bestimmten Tatsachen (also der Wahrheit) verschliessen wollen, zum Beispiel, wenn wir auf Dinge stossen, die unsere bisherige Identität infrage stellen, die so einfach nicht in unsere Lebensweise und unser Weltbild passen. Doch in solchen Fällen geht es eben nicht mehr um die Wahrheitssuche, sondern darum, seine eigene Psyche zu schützen und sie nicht mit der schmerzhaften Wahrheit zu konfrontieren. Wir lassen dann die mentalen Barrieren runter, um unerwünschte Informationen nicht an uns heranzulassen. Doch wer sich so verhält, dem geht es primär nicht um Wahrheitssuche, denn Wahrheit muss man auch finden wollen.

Oftmals wird diese Selbstsabotage von unsicheren Menschen betrieben. Die eigene Psyche schützen muss vor allem, wer Angst davor hat, der Realität ins Auge zu sehen. Und diese Angst kommt von der Befürchtung, dass man zu schwach sein könnte, um damit klarzukommen. Ein wichtiger Weg zur Wahrheit ist also die Stärkung des Selbstvertrauens.

Für die Stärkung des Selbstvertrauens sind insbesondere die ersten Lebensjahre entscheidend. Wer viel Aufmerksamkeit und Liebe von seinen Bezugspersonen bekommt, ist sein Leben lang mit einer grösseren Portion Selbstsicherheit ausgestattet als jene, die diese emotionalen Grundbedürfnisse nicht im gleichen Umfang gestillt bekommen haben.

Doch an unserem Selbstvertrauen können wir auch arbeiten, indem wir uns ernsthaft mit uns selbst auseinandersetzen und uns fragen, wer wir tief in unserem Kern sind, was unsere Bestimmung ist, was wir besonders gut können und wie wir auch anderen dienen können. Sobald wir uns durch intensive Selbstbeschäftigung besser kennengelernt haben, können wir uns gezielter Dingen widmen, die unserem Leben Sinn spenden, die uns zutiefst erfüllen und in denen wir unsere Stärken ausspielen können. Diese Aktivitäten und die Erfolge, die uns dabei widerfahren, stärken uns: Wir vertrauen vermehrt uns selbst und somit auch unserem Urteil.

Vorsicht vor der Wissensanmassung

Dennoch sollten wir uns nie allzu sicher sein: Der Weg in die Hölle ist meist mit guten Absichten gepflastert und wird von Leuten entschlossen beschritten, die sich ihrer Sache besonders gewiss sind. Es kann also nicht schaden, eine gewisse sokratische Demut an den Tag zu legen, statt sich in platonischer Sicherheit zu wiegen.

Es reicht eben nicht aus, ein überzeugendes Buch zu einem Thema zu lesen und dann zu meinen, man wisse nun vollumfänglich Bescheid. Vielmehr sollte man sich zusätzlich bewusst Bücher suchen, in welchen andere Thesen vertreten werden. Der Wettstreit der Ideen ist ein besonders hilfreiches Instrument bei der Wahrheitssuche, denn wer nur einen Bildausschnitt anschaut, erkennt eben nicht das ganze Bild. Und auch wenn man sich zu einem absoluten Vollprofi in einem Thema mausert, sollte man sich vor Überheblichkeit und Eitelkeit hüten, denn es könnte ja sein, dass man immer noch nicht alle relevanten Faktoren berücksichtigt hat. Wer mit Demut an die Sache herangeht, masst sich auch nicht an, anderen seine Weisheiten per Gesetz vorschreiben zu wollen. Er ist sich bewusst, dass er womöglich lediglich den aktuellsten Stand des Irrtums vertritt.

Und dann gibt es auch noch Wahrheiten, die nicht für alle gelten, obwohl einige so tun, als sei dem so. Ein gutes Beispiel dafür sind die Ernährungswissenschaften, wo es etwa das «Low-Fat»- oder das «Low-Carb»-Lager gibt. Beide Seiten «beweisen» uns mit entsprechenden Studien, dass ihre Ernährungsweise die gesündeste ist. Doch weil wir nicht alle den einen selben Körper haben, gibt es eben auch nicht die eine richtige Ernährung. Daher sind wir auch hier besser beraten, auf unsere innere Autorität zu hören: In diesem Fall auf unseren eigenen Körper. Es gilt auszuprobieren, was uns gut tut.

Auch der Wert einer Sache ist nichts Universelles. Ein Wert ist immer subjektiv und leitet sich davon ab, welchen Beitrag er zur Erreichung unserer individuellen Ziele leistet. Es gibt keine Wissenschaft, die einen objektiven Wert von etwas feststellen könnte – und mag man noch so viele mathematische Formeln anwenden.

Um sich nicht im Dschungel der Millionen von Studien zu verlieren, empfiehlt es sich, eine Hierarchie der Wissenschaften zu befolgen. Zuoberst stehen die erfahrungsunabhängigen Wissenschaften: Alles, was der Logik, der Mathematik und der Praxeologie (Handlungslogik) – also den A-priori-Wissenschaften – widerspricht, kann nicht wahr sein. A-priori-Wissenschaften liefern uns Wissen durch logisches Nachdenken, also durch den Gebrauch unserer Vernunft (empirisches Testen ist dabei nicht nötig). 1+1 ist immer 2 (Mathematik). Den gleichen Apfel kann man nicht zweimal essen (Logik). Ein gesetzlicher Mindestlohn über dem Marktlohnniveau schafft tendenziell immer zusätzliche Arbeitslosigkeit (Praxeologie). Studien aus anderen Wissenschaftsgebieten wie den Natur- und den Sozialwissenschaften müssen zwingend mit den Erkenntnissen der erfahrungsunabhängigen Wissenschaften übereinstimmen, ansonsten können sie getrost verworfen werden.

Halten wir fest: Wenn wir uns auf der Suche nach Wahrheit befinden, ist unser innerer Kompass der zuverlässigste. Zwar kann auch er uns sabotieren und irreführen, doch dann liegt es in unseren eigenen Händen, diese Sabotageversuche zu unterbinden. Bei äusseren Autoritäten haben wir diese Möglichkeit nicht. Wir wissen schlichtweg nicht, ob es sich bei dem, was uns aufgetischt wird, um die Wahrheit handelt oder lediglich um verkappte Sonderinteressen, die uns als Wahrheit verkauft werden. Wahrheitssuchende bedienen sich primär ihrer innerer Autorität. ♦

von Olivier Kessler


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Ohne Privateigentum keine Freiheit

Eigentumsrechte sind der Schlüssel zu einer freien, friedlichen und wohlhabenden Gesellschaft, auch wenn sich diese Tatsache nicht intuitiv erschliessen mag.

Diverse politische Gruppierungen stehen Eigentumsrechten offen feindlich gegenüber. Sie realisieren nicht, dass es gerade die eigentumsrelativierenden bis -feindlichen Ideologien waren und sind, in deren Namen massive Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt wurden und werden.

Sowohl der Nationalsozialismus als auch der Kommunismus, um zwei Extrembeispiele zu nennen, sind ohne einen exzessiv in das Eigentum eingreifenden Staat nicht durchführbar. Während im Kommunismus das Privateigentum an den Produktionsmitteln gänzlich überwunden werden sollte, wurde dieses im Nationalsozialismus zwar formell beibehalten, de facto aber dermassen regulatorisch eingeschränkt, dass die Eigentümer praktisch nicht mehr über ihr Eigentum verfügen konnten – die Eigentumstitel verkamen also zu einer leeren Hülse, über die der Staat durch seine Befehle verfügte.

Hätten diese verbrecherischen sozialistischen Systeme keinen Weg gefunden, das Privateigentum auszuhebeln, wären die unvorstellbaren historischen Gräuel und die Millionen von Todesopfern gar nicht erst möglich gewesen. Denn Eigentumsrechte, das begreifen immer noch zu wenige, schliessen auch den eigenen Körper mit ein. Jeder ist Eigentümer seiner selbst, und keiner hat Anspruch oder ein Recht darauf, mit dem Körper eines anderen – ohne dessen Einverständnis – irgendetwas anzustellen. …

von Olivier Kessler


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