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«Wir Ungeimpften wurden mit Dreck beworfen»

Im Gespräch mit Jaël

Ich treffe Jaël auf der Münsterplattform in Bern, wo wir uns mit einer heissen Ingwer-Limonade an die Sonne setzen. Während wir sprechen, schweift der Blick der erfolgreichen Musikerin immer wieder über die Aare – und zurück in eine Zeit, in der sie als Ungeimpfte Phasen der Einsamkeit durchlebte.

«DIE FREIEN»: Liebe Jaël, bevor wir beginnen, sollte ich dir wohl sagen, dass dir unsere Leser bestimmt sehr wohlgesonnen sein werden. Es besteht aber durchaus die Möglichkeit, dass dieses Interview in die breitere Öffentlichkeit gezerrt wird, wo man deine Aussagen auseinandernimmt. Bist du dir dessen bewusst?

Jaël: Davon gehe ich aus. Das war auch der Grund, warum ich erst darüber nachdenken musste, ob ich dieses Interview geben möchte oder nicht. Ich musste abwägen, ob ich mit allfälligen Reaktionen umgehen kann, und ja, ich glaube, das kann ich mittlerweile. Wenn es da draussen Menschen gibt, die mich oder meine Musik aufgrund meiner Aussagen hier ablehnen, dann sagt das vielleicht auch mehr über sie aus als über mich? (zuckt mit den Schultern) Ich fühle mich heute nicht mehr so verletzlich, nicht mehr so angreifbar wie in dieser Zeit. Nur schon, weil man ja auch mehr weiss als damals – dass man beispielsweise auch als Geimpfter das Virus weitergibt, was natürlich einen grossen Teil der damaligen Rechtfertigung für die stattgefundene Häme gegenüber Ungeimpften wegradiert.

Was hat dich denn während der Corona-Zeit so verletzlich gemacht?

J: Ich war damals neben meiner Musikkarriere auch Mutter eines Kleinkindes und wurde schliesslich ein weiteres Mal schwanger. Da fliessen die Ressourcen natürlich woanders hin. Verletzlich machte mich, dass ich das erste Mal in meinem erwachsenen und öffentlichen Leben das Gefühl hatte, ich müsse verheimlichen, was ich denke, mich verstecken in meinem Sein. Meinen dringenden Wunsch nach invididueller Freiheit in der Frage, ob man sich für oder gegen die Impfung entscheiden soll, sprach ich öffentlich nie aus, da das sonst ganz fest «hingenuse» hätte gehen können, wie man bei öffentlichen Personen wie etwa einem Novak Djokovic miterleben musste. Ganz abgesehen davon war ich schon immer eher eine stille Rebellin. Ich bin meinen Weg gegangen, aber ohne andere überzeugen oder brüskieren zu wollen. Ich folge allerdings konsequent meinem Bauchgefühl, und das hat sich bezüglich der Impfthematik deutlich gemeldet.

Lass uns kurz zurückspulen: Erinnerst du dich noch, wie das Ganze losging?

J: Ich weiss noch, dass ich mit meinem Sohn auf dem Weg zur Kinderfasnacht war, als wir erfuhren, dass der Umzug abgesagt worden war. Überall in der Stadt hingen an den Apotheken Zettel mit englischer und chinesischer Übersetzung, auf denen stand, dass es keine Masken mehr gäbe. Das war damals so befremdlich, aber irgendwie auch so «weit weg». Bald danach ging es wirklich los. Das war im März 2020, am Freitag dem Dreizehnten, also an einem sehr berüchtigten Datum. (lacht) Wir spielten an einem privaten Event, was für uns ein tolles Warm-up war für die Tour, die am nächsten Tag starten sollte. Mein neues Album war zuvor herausgekommen und es lagen nun ungefähr 30 Shows vor uns. Wir gingen da also hin und während des Soundchecks kam der Gastgeber zu uns und meinte, es würden laufend Gäste absagen. Anscheinend hätten ganz viele Angst vor diesem neuen «Käfer». Kurz vor unserem Auftritt kam dann von Bundesbern der neue Beschluss betreffend Verschärfung der Massnahmen und somit bei uns die Gewissheit, dass wir unsere gesamte Tour würden absagen müssen. Das war natürlich erst mal ein ziemlicher Schock, aber es fühlte sich auch unwirklich an. Man denkt ja, in der Schweiz sei man sicher. Überall auf der Welt passieren schlimme Dinge, aber hier leben wir mit diesem Gefühl, dass man dann schon zu uns schaut.

Wie ging es weiter?

J: Mit der gestrichenen Tour war mein Jahreseinkommen weg und so war ich erst mal damit beschäftigt, Gelder zu beantragen und Konzerte zu verschieben. Das war eine Riesensache, aber ich muss sagen, dass ich sehr schätzte, dass man sich da um mich kümmerte. Andere hatten es sicher schwerer. Der Lockdown war dann für mich gar nicht so ein Ding, da ich viel Zeit mit meiner Familie geschenkt bekam, mich etwas von den Strapazen der ersten zwei Kleinkinderjahre erholen konnte und im stillen Kämmerlein ein Kinderliederalbum schrieb. Im Herbst 2020 hatte man ja schon fast das Gefühl «Hurra, wir haben es überstanden». Ich nahm ein Album mit einem Orchester auf, einige Musiker waren da noch «süüferli» mit der Maske unterwegs und andere bereits total tiefenentspannt. Im September flog ich nach Gran Canaria für die TV-Sendung «Sing meinen Song». Während des Rückflugs wurde dann – noch bevor wir die verschobenen Konzerte hätten nachholen können – wiederum alles dichtgemacht. Wir waren wirklich auf dem letzten Flug, der gerade noch rausging. Irgendwann später, als wir endlich doch noch einige Konzerte nachholen konnten, ging diese Testerei und schliesslich die Impferei los. Ich glaube, spätestens nach der zweiten Welle, das war im Frühjahr 2021, spürte ich, dass die Stimmung massiv in dieses «Gegeneinander» kippte. Davor hatte man noch eher das Gefühl, wir würden alle im gleichen Boot sitzen.

***

Jaël Malli steht seit 26 Jahren auf den Schweizer Bühnen. Bekannt wurde sie als Sängerin und Songwriterin der Berner Band Lunik, der sie von 1998 bis 2013 ihre Stimme verlieh. Seit 2014 ist sie unter ihrem eigenen Namen Jaël im akustischen Trio unterwegs. Zudem veranstaltet sie musikalische Lesungen mit ihrem Familienprogramm «Sensibeli», das einfühlsam die Innenwelt eines erhöht neurosensitiven Kindes thematisiert.
jaelmusic.ch

Jaël tritt mit «Sensibeli» am Graswurzle-Sommerfest (28. bis 29. Juni 2025) in Bottis Kräutergärtnerei in Stetten AG auf.


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