Synchronizitäten

Die Wiederentdeckung des grossen Zusammenhangs

Entweder man erlebt sie oder nicht – und tut sie dann als «lustige Zufälle» ab oder nicht. Diese seltsamen wunderlichen Gleichzeitigkeiten zwischen Innen- und Aussenwelt, die zusammenpassen, als wären sie choreographiert. Unser logisch-kausales Denken ist damit überfordert, aber das ist womöglich «nur» ein kulturelles Problem.

Was ist der Unterschied zwischen Zufall und Synchronizität? Charakteristisch für Letzteres ist die Sinnhaftigkeit des Zusammenhangs, die sich in einer deutlichen Ähnlichkeit zwischen innerem und äusserem Ereignis ausdrückt: Wenn Sie sich die Nase putzen in dem Moment, wo irgendjemand irgendwo vom Fahrrad stürzt, ist da kein gemeinsamer Sinn ersichtlich. Hingegen wenn Sie von einem Freund träumen, den Sie seit Langem nicht mehr gesehen haben, und dieser am nächsten Tag unerwartet vor Ihrer Tür steht, schon. Auch, wenn Sie gerade in ein leidenschaftliches Gespräch über das Jagdverhalten von Jaguaren vertieft sind und plötzlich neben Ihnen ein Auto der gleichnamigen Marke hupt, ist das einer dieser seltsamen Momente, bei denen eine blosse «Zufälligkeit» schon wahrscheinlichkeitsrechnerisch nicht zu überzeugen vermag.

Als «bedeutsame Koinzidenz psychischer und äusserer Ereignisse», bei der es sich nicht um Ursache und Effekt handeln kann, «sondern um ein Zusammenfallen in der Zeit» – so definierte der Schweizer Tiefenpsychologe C. G. Jung das faszinierende Phänomen, das er als «Synchronizität», Gleichzeitigkeit, bezeichnete.

Wer hat´s entdeckt? Die Schweizer?

Jung war ein Pionier in der Erforschung der Synchronizität, obwohl natürlich schon vor ihm geistreiche Gelehrte wie Schopenhauer die seltsamen «sinnhaften Koinzidenzen» ernstnahmen. Die Herausforderung bestand darin, ein so schwer fassbares und nicht reproduzierbares Phänomen wissenschaftlich überhaupt zu thematisieren. Jung hatte diesbezüglich grosse Vorbehalte, obwohl er überzeugt war, dass Synchronizitäten eine Tatsache und kein Hirngespinst sind. Gut überliefert ist Jungs Sitzung mit einer Patientin, die ihm einen Traum mit einem Skarabäus schilderte – kurz bevor ein aufdringlicher Käfer derselben Gattung gegen das Fenster seines Behandlungszimmers flog und lautstark Einlass begehrte. Jung war sich sicher: Solche Zeichen sind Hinweise der «tiefen, verborgenen Ordnung und Einheit aller Dinge, die existieren», die es erlaubten, «in die Welt der Magie, der unerklärlichen Phänomene des kollektiven Unbewussten vorzudringen». Aber Jung wollte nicht als Spinner dastehen. Er hatte immer strenge Ansprüche an seine Forschung, Empirik wurde von ihm grossgeschrieben. So beschrieb er seine Gedanken zur Synchronizität und zum «unus mundus» (geeinter Kosmos) relativ spät und zögerte jahrelang, mit der Thematik an die Öffentlichkeit zu gehen. Jung-Experte Murray Stein resümiert:

«1952 veröffentlichte er gemeinsam mit dem Nobelpreisträger und Physiker Wolfgang Pauli die Schrift ‹Naturerklärung und Psyche›, die den Versuch darstellt, die möglichen Beziehungen zwischen Natur und Psyche zu erhellen. Es ist bezeichnend, dass Jung das Werk gerade mit einem Naturwissenschaftler herausgab und nicht mit einem Philosophen oder Theologen … Jung wollte auf keinen Fall als Mystiker oder Metaphysiker gelten, sein Ehrgeiz war, Naturwissenschaft zu betreiben.»

von Christian Schmid Rodriguez


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