Samen der Unabhängigkeit – Der Sortengarten
Die Auswahl an Kulturpflanzen weltweit wird immer einfältiger. 94 Prozent des Saatgutes sind bereits verschwunden. Peter Ochsner gibt dieser Entwicklung mit seinem Sortengarten-Paradies Gegensteuer.
In einem Samen steckt die Erfahrung aus der Vergangenheit und gleichzeitig das Potenzial für die Zukunft. Hier verdichten sich Vergangenes und Zukünftiges. Doch wer heute im Grosshandel Samen kauft, muss davon ausgehen, dass er Pflanzen anbaut, die er selber nicht weiterziehen kann. Mit grosser Wahrscheinlichkeit sind es Hybrid- oder sogenannte Inzuchtzüchtungen – oder eine der restlichen sechs Prozent Nutzpflanzensorten, die es überhaupt noch gibt.
Dem steuert Peter Ochsner mit seinem Sortengarten entgegen. Er baut alte Gemüse- und Getreidesorten an und züchtet deren Saatgut weiter. So erhält er eine Vielfalt an robusten und anpassungsfähigen Pflanzen, sichert die unabhängige Lebensmittelproduktion und deckt eine breite Palette an Geschmacks- und Genussrichtungen ab.
Wir haben Peter Ochsner in seinem Paradies oberhalb von Heiden im Kanton Appenzell Ausserrhoden besucht und uns gleich selbst überzeugt: Hier gibt es nichts, das das Auge beleidigt, nichts, das von den Klängen der Natur ablenkt. Ungehindert duften Rosen und blühende Pflanzen vor sich hin und betören unsere Sinne. Peter erklärt uns auf einem Rundgang, was seinen Sortengarten so besonders macht.
«DIE FREIEN»: Peter, wie kamst du dazu, hierherzuziehen und einen Sortengarten anzubauen?
Peter Ochsner: Meine Frau und ich haben lange nach einem Haus an einem ruhigen Platz gesucht und hatten immer den Traum, einen Garten mit vielen verschiedenen und raren Sorten zu haben. So entstand unser Sortengarten mit mittlerweile über 100 verschiedenen Gemüse- und Getreidesorten.
Was hat dich dazu bewogen, Saatgut zu gewinnen?
PO: Erst züchtete ich gängige Gemüsesorten. Weil ich die Vielfalt immer faszinierend fand, habe ich gesucht, was es sonst noch gibt. Damals kam ProSpecieRara auf. Ich erhielt drei Sorten, die ich bei mir anbaute. Nur, wenn ich Saatgut ablieferte, gab es wieder neues Saatgut. Das waren alte Sorten, von denen es nicht mehr viele Samen gab, und da war es schon sehr wichtig, dieses Saatgut wieder zu vermehren und weiterzuzüchten, sonst wäre es verschwunden.
Was muss man beachten, wenn man im eigenen Garten Sorten erhalten will?
PO: Es gibt ganz einfache Sorten wie Tomaten, die Selbstbefruchter sind, und von der man im Extremfall mit einer oder zwei Pflanzen Samen gewinnen kann. Mit Fremdbestäubern ist das etwas komplizierter: Bei Kohlarten zum Beispiel braucht man mindestens 60 Pflanzen einer Sorte, aber im Hausgarten kann man auch seine drei Kohlrabipflanzen miteinander verkreuzen lassen und wieder aussäen. Nach ein paar Jahren muss man sich dann halt wieder einmal frisches Saatgut besorgen. Schnittsalat bietet sich gut an für den Hausgarten, um selber Saatgut zu gewinnen: Nach der Aussaat kann man den ganzen Sommer über ernten und lässt einfach mindestens sechs Pflanzen aufschiessen und verblühen. Im Herbst erntet man die Samen und bewahrt sie trocken und kühl auf für den nächsten Frühling. Gut gelagert bleiben sie ohne Weiteres mehrere Jahre keimfähig. So muss man von seinem Salat auch nicht jedes Saatgut gewinnen.
Wie sorgst du dafür, dass deine Sorten rein bleiben?
PO: Bei mir im Garten achte ich natürlich darauf, dass ich Sorten einer Pflanze, die sich verkreuzen können, alternierend anbaue, damit sie sortenrein bleiben.
Warum ist es wichtig, selber Samen zu ziehen und Saatgut zu bewahren?
PO: Weil die Vielfalt an Pflanzen abnimmt. Einfalt bedeutet eigentlich immer Reduktion: Das Klima verändert sich, plötzlich gedeihen gewisse Sorten nicht mehr, oder es wird trockener, und man braucht anderes Gemüse. Mit der Vielfalt ist man abgesichert: Mal gedeiht die eine Sorte besser, mal die andere. Man ist flexibel und kann auf unterschiedliche Umstände reagieren. Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass das Saatgut, das sie kaufen, von Hybridsorten stammt und gar nicht mehr weitergezüchtet werden kann. In den Drittweltländern gibt es eine tragische Entwicklung: Einerseits profitieren Grosskonzerne vom Saatgut, welches die Leute dort schon lange anbauen und züchten, und welches sehr gute Eigenschaften hat. Andererseits machen sie die Bauern damit abhängig: Sie verkaufen ihre Hybridsorten mit dem Versprechen, dass damit viel grössere Erträge erzielt werden können. Doch wenn die Bauern mal eingestiegen sind, können sie kein eigenes Saatgut mehr gewinnen. Zudem können Hybridsorten anfälliger für Schädlingsbefall und Witterung sein. Die Chemiekonzerne verkaufen dann natürlich auch gleich die Pestizide, um diese Probleme, die sie selber erzeugt haben, zu bekämpfen. Eine perfides Geschäftsmodell.
Wie können wir die Freiheit über unseren eigenen Lebensmittelanbau erhalten?
PO: Die Nahrungsmittelsicherheit und -unabhängigkeit kann nur gewährleistet werden, wenn wir uns eine Vielfalt an robusten Pflanzen erhalten. Ursprüngliche Sorten sind zudem gesünder, gehaltvoller und unvergleichlich im Geschmack. Das heisst, es braucht Menschen, die diese Jahr für Jahr anbauen und Samen gewinnen. Das können nur wir tun. Es liegt an uns.
Du arbeitest nach den Gesetzen der Natur. Wie sorgst du sonst noch für Nachhaltigkeit im Garten?
PO: Ich gärtnere biologisch, schon immer. Das war für mich immer klar, weil die Natur alles liefert, was man braucht. Wenn man viele Mittel braucht, auch biologische, dann stimmt was nicht, dann macht man etwas falsch. Ich setze mich auch mit biodynamischer Landwirtschaft auseinander, weil es mich fasziniert, dem Boden nur Impulse zu liefern, ohne viel Stoffe in ihn einzubringen. Seit rund fünf Jahren verwende ich auch Komposttee, das ist ein Teil der regenerativen Landwirtschaft. Zu kämpfen im Garten habe ich höchstens mal mit Blattläusen, Pilzen und Mäusen, aber sonst habe ich selten Probleme. Als weitere Freunde und Helfer im Garten habe ich meine beiden Laufenten, die halten die Schnecken im Zaun. Und helfen auch mal beim Schnittsalat essen. (lacht)
Was tust du, damit das Saatgut haltbar bleibt?
PO: Es ist wichtig, dass die Samen regelmässig angebaut werden, da sich das Klima und die Bedingungen stetig verändern. Wenn du die Samen jahrelang im Keller lagerst, kriegen sie einen Schock, wenn du sie nach dieser langen Zeit wieder anbaust. Für mich ist der Samen etwas Lebendiges, und es ist wichtig, dass er sich den Veränderungen und klimatischen Bedingungen anpassen kann. Für mich sind es Beziehungen zu den Samen, die ich pf legen will. Es interessiert mich, wie sich die Pflanze jedes Jahr wieder entwickelt.
Warum baust du einen Sortengarten auf 900 Metern über Meer an?
PO: Es ist hier sehr milde und wir fühlen uns einfach erst ab 900 Metern über Meer wohl. Zudem hat man in höheren Lagen weniger Schädlingsdruck als in tieferen, das ist noch ein Vorteil für den Anbau von Saatgut. Tomaten würde ich jetzt hier nicht im grossen Stil anbauen, aber ansonsten gelingt das meiste sehr gut. Die Pflanzen, die hier wachsen, sind zudem sehr robust.
Welches sind deine Pflanzenfavoriten?
PO: Spargellattich, er kommt aus China, man kann ihn wie Lattich essen oder aufstängeln lassen und als Spargel essen, er schmeckt auch danach. Und Speiseklette, das ist eine Pflanze mit grossen Blättern und einer langen braunen Wurzel, die man schälen und anbraten kann, sie schmeckt dann wie Chips. Die Wurzel ist sehr gut lagerbar und frosthart. Für Vegetarier gibt es sehr interessante Eiweisslieferanten und wunderbaren Fleischersatz: Die Ackerbohne, Soja, Lupine, Kichererbsen, Bohnen, die man ausreifen lässt und von denen man den Samen isst. Dann gibt es noch Kefen, die knollige Platterbse und die Erbsen-Wicke. Das sind alles Pflanzen, die geerntet sehr gut lagerfähig und somit das ganze Jahr zu geniessen sind. Einige sind sogar mehrjährig und sehr robust.
Wie finanzierst du dich?
PO: Früher habe ich noch Teilzeit gearbeitet. Heute investiere ich alle meine Zeit in den Garten und in die Pflanzen. Um den grossen Aufwand meiner Handarbeit zu finanzieren, habe ich die Möglichkeit der Pflanzenpatenschaften geschaffen. Mit so einer Patenschaft kauft man sich bei mir das Versprechen, dass ich diese Pflanze hier züchte und bewahre. ♦
von Prisca Würgler
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Peter Ochsners Sortengarten ist für den Weiterbestand auf Spenden angewiesen. Besichtigungen sind jederzeit möglich nach Voranmeldung bei: peterochsner4@gmail.com. Mehr Infos unter
Filmtipp: Wie kommt es, dass 94 Prozent unseres Nutzpflanzensaatguts verschwunden sind? Dies zeigt der Dokumentarfilm «Seed» (dt. Version «Unser Saatgut», 2019) eindrücklich auf. Ausleihbar oder erwerbbar auf vimeo.com.
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