Krampfhaft am Puls der Zeit?
Die Schule ist bemüht, den Anforderungen des Lebens gerecht zu werden, was bei raschen Veränderungen leicht zu einem «Reformstau» führen kann. Bei vielen Lehrerinnen und Lehrern – meinen Kolleginnen und Kollegen – stellt sich nach und nach ein mir durchaus verständlicher Überdruss ein. Viele sehnen sich danach, einfach wieder einmal so zu unterrichten, wie sie es – als Fachkräfte – für richtig und zeitgemäss halten. Manche fühlen sich bevormundet und in ihrem Schulalltag mehr gestört denn unterstützt oder gar gefördert.
Die ausufernde Bürokratisierung in nahezu allen Lebensbereichen, so auch in der Schule, entpuppt sich mehr und mehr als Übel, das wie ein Krebsgeschwür unkontrolliert wächst. Lehrpersonen berichten mir heute, dass sie nach getaner Arbeit – nebst Nach- und Vorbereitung des Unterrichts – auch noch eine Stunde oder mehr damit verbringen, detaillierte Beobachtungen zu einzelnen Kindern am Computer einzutragen. Über jedes Kind, seine Taten und Untaten, sein Verhalten, seine Leistungen und sein Versagen muss Buch geführt werden. Man weiss ja nie! Sollten Eltern Einwände oder Kritik anmelden, muss mithilfe umfänglicher Dokumentierung darauf reagiert werden können.
Dieses krampfhafte «dem Puls der Zeit» gerecht werden könnte aber in die Irre führen. Ich will an einem Beispiel deutlich machen, was ich meine.
Im Silicon Valley, der Hochburg der weltumspannenden Digitalisierung, leben naturgemäss viele Kinder, deren Eltern in der Computerbranche tätig sind. Was erstaunen mag: Die meisten schicken ihre Kinder nicht in staatliche Schulen. Ausgerechnet in dieser Gegend schiessen seit Jahren Alternativschulen wie Pilze aus dem Boden. So etwa auch eine ganze Reihe von Rudolf Steiner Schulen. Warum?
Menschen, die ihre Arbeitskraft in die Entwicklung digitaler Systeme stecken, legen grossen Wert darauf, dass ihre Kinder – Achtung! – bis zur Vollendung ihres zwölften oder gar vierzehnten Lebensjahres vom Kontakt mit der ganzen Palette elektronischer Geräte (Handy, Laptop, Tablet usw.) bewahrt bleiben.
Wenn man sich nach ihren Motiven erkundigt, erhält man Antworten wie: Das Gefahrenpotenzial (Sucht) übersteigt bei Weitem den pädagogischen Nutzen. Oder: Das zu frühe Eintauchen in diese künstliche Welt entfernt die Kinder vom unmittelbaren Leben. Oder: Kinder lernen, wenn sie sich körperlich bewegen – nicht, wenn sie sitzend einen Bildschirm anstarren. Oder: Der verfrühte Umgang mit technischen Geräten kann die natürliche Entwicklung der Kinder nachhaltig behindern. Ihre Argumente sind durch unzählige Untersuchungen weltweit längst belegt. Erste Länder haben dieser unseligen Entwicklung auch schon den Rücken zugekehrt. Warum hören wir nicht auf sie?
Wenn ich nach dem pädagogischen Nutzen der teuren Geräte im Unterrichtsalltag frage, erhalte ich auch hierzulande ein resigniertes Schulterzucken. Im Sinne von: Das auch noch! Wozu überhaupt? Uns hat niemand gefragt. ♦
von Daniel Wirz
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Daniel Wirz ist Erwachsenenbildner, Buchautor, Vater von fünf Kindern und war 20 Jahre als Lehrer und Mitbegründer an einer Rudolf Steiner Schule tätig.
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