Grüne Politik und rote Linien
Interview mit Laura Grazioli
Bereits zum zweiten Mal bewegt Laura Grazioli die Gemüter. Die Baselbieter Landrätin der Grünen hat wenig Berührungsängste, vertritt Meinungen, die im Mainstream unpopulär sind und erntet dafür Lob und Kritik. Welche Ziele verfolgt die 38-jährige Biobäuerin, was ist ihr Antrieb und woraus schöpft sie Kraft und Gelassenheit?
Wir trafen Laura Grazioli in Sissach zum Interview. Obwohl die Landwirtin und Politikerin eine mutige Kämpferin für Debattenräume ist, konnten wir auch mit ihr nicht über alle Themen sprechen, die uns interessiert hätten. Aber wir lernten eine differenzierte, intelligente und spirituell interessierte Frau kennen, die den Kampf für die Grundrechte auch in Zukunft in den Institutionen führen möchte.
«DIE FREIEN»: Laura, wie geht es dir?
Laura Grazioli: Ich habe gerade ein wenig ein Tief hinter mir, aber jetzt geht es mir wieder recht gut. Wenn so ein grosser Sturm über mich hinwegzieht, wie es gerade wieder der Fall war, dann fühle ich mich wie getragen und auch beschützt und habe grosses Vertrauen. Es ist schwer zu beschreiben, ich bin dann einfach so präsent in diesem Moment, auch wenn er einige Wochen dauert und kann viel Energie aufbringen. Diese Intensität kann ich aber nicht dauerhaft aufrechterhalten, so dass mich nach dem Sturm jeweils ein Tief erfasst. Ich brauche dann etwas Rückzug und Normalität.
Man bezahlt einen Preis für die hohe Intensität?
LG: Ja und Nein. Es ist ein bisschen wie beim Sport. Man braucht nach der Anstrengung Erholung, wird dadurch aber stärker.
Die erste solche intensive Zeit begann für dich mit der Einführung des Zertifikats. Vorher bist du öffentlich nicht als massnahmenkritisch aufgefallen. Beim Zertifikat war dann deine rote Linie überschritten und du hast begonnen, dich deutlich kritisch zu äussern. Dadurch bist du parteiintern und bei politisch Verbündeten in starken Gegenwind geraten.
LG: Für mich war das echt spannend. Ich stand den Corona-Massnahmen von Anfang an kritisch gegenüber, doch dann wurde ich zum zweiten Mal schwanger. Mir war während der ganzen Schwangerschaft schlecht und das hat mich so viel Energie gekostet, dass ich mich überhaupt nicht mit der Aussenwelt beschäftigen konnte. Erst als meine zweite Tochter zur Welt kam, lief der Corona-Film bei mir ab und die ganze Tragweite der Massnahmenpolitik kam bei mir an. Wie viele andere musste ich eine richtige Trauerphase durchmachen und Abschied nehmen von der Welt, wie ich sie kannte. Als ich mich kritisch zu äussern begann, war der Gegenwind tatsächlich gross. Das war nicht immer lustig, aber mittlerweile kann ich gut damit umgehen, weil ich auch gelernt habe, die ganzen links-rechts-Kategorisierungen besser einzuordnen. Diese sind heute für mich komplett irrelevant geworden. Ich habe mittlerweile gute Freunde und enge Verbündete in den verschiedensten Parteien.
Ist das die berüchtigte Querfront?
LG: Ja, vielleicht ist das so.
Du schienst angesichts des riesigen Drucks, den Medien und Parteifreunde auf dich ausübten, immer gelassen zu bleiben. Täuscht dieser Eindruck?
LG: Nein, diese Gelassenheit hatte ich wirklich. Ich war mit den möglichen negativen Konsequenzen jederzeit im Frieden, sie waren und sind für mich fast irrelevant. Was ist denn das Schlimmste, das mir passieren kann? Dass ich aus der Partei geworfen werde oder dass ich in der Öffentlichkeit komplett diskreditiert wäre. Natürlich hätte das Einfluss auf mein Leben, aber ich könnte auch mit diesem schlimmstmöglichen Szenario umgehen.
Du wurdest auch schon als künftige Regierungsrätin gehandelt. Würde dich das reizen?
LG: Ja, schon. Aber es wäre überhaupt nicht vereinbar mit dem Betrieb auf dem Hof, und fast gar nicht vereinbar mit meinen Aufgaben als Mutter zweier kleiner Kinder. Daher ist es nichts, was ich jetzt unmittelbar suche. Und jetzt wird mir ja ohnehin gesagt, dass dieser Zug abgefahren sei. Daher lohnt es sich gar nicht, Energie für solche Ambitionen zu verschwenden.
Was würde dich daran interessieren, zu regieren?
LG: Lösungen finden, Ausgleich schaffen, moderieren. Die Arbeit im Hintergrund mache ich derzeit als Kantonsparlamentarierin am liebsten, vor allem im Finanzkommissionspräsidium kann ich konstruktiv arbeiten. Die Aufgaben als Regierungsrätin gingen noch weit darüber hinaus und eröffnen natürlich auch viel mehr Gestaltungsspielraum.
Wie würdest du diesen Spielraum nutzen? Was sind ganz allgemein deine Ziele als Politikerin?
LG: Ich habe nie zu dem harten linken Flügel der Partei gehört. Aber …
von Michael Bubendorf
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Laura Grazioli ist Grünen-Landrätin im Kanton Basel-Landschaft. Sie hat Internationale Beziehungen
studiert und arbeitete anschliessend als Exportberaterin. Nach einer landwirtschaftlichen Zusatzausbildung arbeitet sie seit 2021 Teilzeit als Biobäuerin. Die zweifache Mutter lebt in Sissach.
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