Fragebogen an Stefan Millius

Was ist Ihr grösster Erfolg?

Jemanden gefunden zu haben, der es mit mir aushält. Aber das war ein Erfolg, der nichts mit meiner eigenen Leistung zu tun hat. Ein grosses Herz auf der anderen Seite reicht.

Welche ist Ihre erste Kindheitserinnerung?

Ich erinnere mich ganz grundsätzlich daran, dass ich sehr früh Befehle verweigert habe, wenn man mir nicht gut begründen konnte, warum ich das nun tun sollte. Am liebsten im Turnunterricht. Leider wissen das meine Kinder und machen es nun ebenso. Jetzt ist mir klar, wie anstrengend das aus der anderen Perspektive ist. Aber an die Adresse des Bundesamts für Gesundheit: Mit «Machs einfach!» kommt man bei mir nicht sehr weit.

Wann fühlten Sie sich das letzte Mal so richtig frei?

An das exakte Datum kann ich mich leider nicht erinnern. Es muss aber definitiv irgendwann vor dem Frühjahr 2020 gewesen sein. In jenen Zeiten also, in denen uns die Freiheit noch nicht als tödliche Gefahr verkauft wurde.

Was sehen Sie, wenn Sie in den Spiegel schauen?

Das, was mir die Genetik mitgegeben hat in Kombination mit dem, was ich danach damit leichtfertig angestellt habe. Entscheidender als der Anblick ist, dass ich es mit einem guten Gewissen tun kann. Das ist nicht immer, aber meistens der Fall.

Was glauben Sie, woher Sie kommen?

Ich weiss, dass ich aus einer befruchteten Eizelle komme. Das finde ich spektakulär genug, um nicht noch an mehr glauben zu müssen. Wunder brauchen keine zusätzlichen Wunder. Und schon gar keine Götter.

Warum sollte man Ihnen zuhören?

Ich möchte lieber nur Zuhörer, die zuhören wollen und keine, die das Gefühl haben, sie sollten. Aber wenn man mein Publikum aus irgendeinem Grund an die Stühle kettet, darf es wenigstens sicher sein: Ich sage nur, was ich wirklich denke.

Ein grüner Daumen oder zwei linke Hände?

Ich brauche 15 Anläufe, um zwei Nägel für ein Bild in die Wand zu schlagen. Danach hängt es schief – wenn überhaupt. Das sollte die Frage ausreichend beantworten. Ich tippe übrigens sogar mit nur drei Fingern, und ich habe nicht einmal eine Ahnung, welche es sind.

Eher mass-los oder mass-voll?

Ich bin in allem, was ich tue, grenzenlos masslos. Ein massvolles Verhalten erwarte ich hingegen von Leuten, die aufgrund ihrer Position in der Lage sind, meine Masslosigkeit grundlos einzuschränken. Ich empfehle das niemandem.

In welcher Rolle fühlen Sie sich am wohlsten?

Ich übernehme keine Rollen. Für diese muss man sich verstellen, und das führt langfristig zu Magengeschwüren.

Politik ist …?

… der Versuch, eine gesellschaftliche Ordnung herzustellen, die für alle mehr oder weniger funktioniert. Das Modell scheitert derzeit daran, dass die meisten Politiker sich nur fragen, was für sie selbst funktioniert.

Wie viel Freiheit ertragen Sie?

Ich will immer tun dürfen, was ich gerade tun will, solange das die Freiheit anderer Menschen nicht einschränkt. Aber bei «Starbucks» und Co. wäre ich sehr froh um eine Einschränkung meiner Wahlfreiheit, weil mich die schlicht überfordert. Das Leben ist kompliziert genug, da muss man das nicht auch noch auf Kaffee übertragen.

Welches Buch sollte jeder gelesen haben?

«Momo» von Michael Ende. Da steht alles drin, was man über die Welt wissen muss. Aber vermutlich finden Faktenchecker irgendwann heraus, dass der Autor mal mit 15 Jahren etwas Falsches gesagt hat. Man sollte sich das Buch also beschaffen, solange es noch nicht verboten ist. Ganz ernsthaft.

Ihre erste Liebesgeschichte?

Die Novelle «Djamila» von Tschingis Aitmatow. Hollywood hat gegen ihn keinen blassen Schimmer, wie man eine echte Liebe erzählt. Der Autor stammt übrigens aus Kirgistan. Wäre das 1991 nicht von Russland unabhängig geworden, wäre das Buch jetzt wohl auf irgendeiner Boykottliste.

Wieviel Macht beanspruchen Sie für sich?

Einzig und allein die Macht über mein eigenes Leben. Wenn das jeder so hält, sind wir alle frei und mächtig zugleich.

Zu welcher Musik tanzen Sie sich frei?

Ich weiss, was ich kann, aber auch, was ich nicht kann. Zu letzterem gehört tanzen. Gelegentlich singe ich mich aber hinter dem Lenkrad frei. Womit nicht gesagt sei, dass ich das besser kann als tanzen.

Ihr Lichtblick in finsteren Zeiten?

Achtung, bitte Taschentücher zücken: Das Lachen meiner Kinder, die Liebeserklärungen meiner Freundin und das Schnurren unserer Katze. In solchen Momenten ist mir sehr egal, welcher Zirkus da draussen gerade wieder veranstaltet wird.

Was geschieht nach dem Ende?

Das habe ich wenige Monate vor seinem Tod Niklaus Meienberg gefragt, und seine Antwort war: «Dann bleiben 200, vielleicht 300 Gramm Asche.» Ich schliesse mich ihm an, und ich mag den Gedanken sogar.

Was wollen Sie noch erreichen?

Der irische Dichter Pat Ingoldsby hat einmal in einzigartigen Zeilen beschrieben, wie schön es wäre, wenn es einfach kein «next thing» gäbe, überhaupt nichts, das als Nächstes auf einen wartet, keine weiteren Aufgaben, keine grossen Ziele, sondern nur das, was eben gerade vor einem liegt. Dass es nur diesen einen Moment gibt und keinen Gedanken darüber hinaus: Daran arbeite ich.

Kommt es gut?

Das spielt gar keine Rolle. Karl Valentin hat gesagt: «Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.» Daran halte ich mich, egal, wie es weitergeht. Aber an meinem letzten Tag würde ich ganz gern sagen können: Es war gut. Unterm Strich. ♦

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Stefan Millius ist Journalist, Buch- und Drehbuchautor. Er hat zwei Kinder und wohnt im St. Galler Rheintal. Für die Bürgerrechtsbewegung «Aufrecht» kandidiert er im Herbst 2023 im Kanton St. Gallen für den Nationalrat.


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