Das Schöne, das Hässliche und die Schweiz
Corona war für mich ein Abschiednehmen von vielem: Staatsvertrauen, Freunde und Vorbilder. Als sich Bardill mit mutigen Zwischenrufen in seiner Kolumne in der Zeitung Südostschweiz kritisch zum Regierungsnarrativ äusserte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Wer heute dem Text seines Liedes «Revolution» lauscht, denkt, es muss brandaktuell und aus den Erfahrungen der letzten Jahre gewonnen worden sein. Doch produziert wurde es bereits 2014. Bardill stellt darin die Frage:
«Meinsch es kämi no so wiit, dass d´Lüt Überwachigskameras usde Halterige rissed und am Bode verschlönd …, wils langsam gnueg händ, plötzlich verwacht, wo langsam Muet hat und nüme mitmacht, wo langsam ufstoht usser Rand und Band, sin Käfig umlohnt wie en wilde Elefant!»
Wiederum stimmt das Lied «Dis Land mis Land» ganz andere, versöhnliche Töne an:
«Jo das isch d´Schwyz, gib mer dini Hand, jo das isch d´Schwyz, dis Land, mis Land. Es isch es Land mit Bäch und Seen, Berge, Täler, Dörfer, Städt, so viel Mensche, so viel Sprooche und e Gschicht, wo Gschichte hätt, s isch e Gschicht vo tuusig Johre, s isch e Gschicht vo einem Tag, s isch e Gschicht, dass nüd verloore isch, solang mes liebe mag.
Wer ist er, dieser Schweizer Künstler, der einerseits die Heimat besingt, andererseits die Mächtigen anprangert? Wir haben den Künstler in Scharans im Kanton Graubünden persönlich zum Gespräch getroffen. Bereits über sein Atelier, in dem er uns empfing, gibt es viel zu erzählen. Es wurde durch den Architekten Valerio Olgiati entworfen und gilt als sogenanntes Antihaus. Es besteht aus rotem Beton, ist übersät mit Rosetten, Fenster sucht man vergebens, ein Dach hat es auch keines. Dafür gibt es einen Innenhof und einen freien Blick in den Himmel, Schiebewände zum Aufziehen und freie Sicht auf den Beverin.
«DIE FREIEN»: Linard Bardill, was bedeutet dir Heimat?
Linard Bardill: Als Kind war für mich Heimat Landschaft. Das Tal. Später dann waren Heimat andere Menschen, Kollegen. Irgendwann beginnst du, dein Ich zu entwickeln. Dann hast du das Gefühl, die Heimat muss bei dir sein. Du selbst bist die Heimat. Dann kriegst du mit einer Frau zusammen Kinder und merkst, die haben auch Bedürfnisse; jetzt musst du dein Ego zurückstecken. Dann gibt es eine Mischung aus den drei Heimaten: Boden, Menschen, Ich. Ich glaube, man erwacht an anderen Menschen. Wenn du diese Bewusstwerdung weiterentwickelst, kannst du auch am Berg erwachen. Darin kriegst du eine Ahnung, was das Leben sein könnte, was dein Schicksal sein könnte. Was die Welt ist.
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In diesem Moment erklingen die Glocken der Scharanser Kirche. Bardill öffnet die Tür seines Ateliers, der Klang der Glocken dringt ins Innere, erfüllt den Raum.
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LB: In Scharans wird noch verkündet, wenn jemand gestorben ist. Die Bewohner werden durch den Klang daran erinnert, dass sie irgendwann auch sterben werden. Es ist eine spirituelle Schwingung. Wenn alles schwingt, wie Tesla und andere sagen, dann sind diese Glocken Magie. Und das ist für mich auch eine Anbindung an die Welt, auch eine Art von Heimat.
Du hast auch viele Lieder für Kinder komponiert und Geschichten geschrieben. Was sagst du einem Kind, das in der Schweiz geboren ist?
LB: Ich habe mir überlegt, ob es möglich ist, mit allem Schönen und Hässlichen, das die Schweiz hat, eine zeitgenössische Hymne für Kinder zu schreiben. Ich wollte dabei bewusst nicht auf das gemeinsame Erbe eingehen, sondern auf das, was man gerne hat, was man liebt. Für das, was man liebt, investiert man seine Energie, das ist dann auch nicht verloren. Dabei geht es um beständige Werte wie das Erhalten der Freiheit. Um den Erhalt von Freiraum, den die Leute eigentlich zugute haben in dieser Welt, um ihre Erfahrungen machen zu können, und dabei den Staat möglichst klein zu halten. Ja, das klingt jetzt wie eine SVP- oder FDP-Parole. Aber ich finde schon, je mehr der Staat das Gefühl hat, er müsse die Probleme der Leute lösen, desto mehr geht es in die Hose. Es wird nicht gehen.
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von Prisca Würgler
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Die Fortsetzung des Interviews erscheint in der nächsten Ausgabe von «DIE FREIEN». Im zweiten Teil verrät uns Linard Bardill, wieso die Corona-Krise für ihn sowohl Trauma als auch Augenöffner war und wie er seinen weiteren Weg als Pazifist und Brückenbauer sieht.
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