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Im Spinnennetz der Beziehung

Gemeinsam die Zukunft gestalten. Eine Familie gründen. Füreinander da sein. Miteinander durchs Leben gehen. Bis dass der Tod uns scheidet. Was mit Schmetterlingen im Bauch beginnt und sich vielversprechend entwickelt, kann trotzdem zu chronischen Bauchschmerzen führen und in einer grossen Enttäuschung enden.

Warum finden sich Paare anziehend, die danach eine destruktive, toxische Beziehung leben und weder miteinander noch ohne einander glücklich leben können? In welchem Spinnennetz der Beziehung sind diese Paare gefangen? Mit diesen Fragen lade ich Sie ein, sich mit mir auf die Reise an den Ursprung des Geschehens zu begeben. An den Anfang, als alles begann.

Hilflos, aber ruhig liegt das Neugeborene im Arm der Mutter. Noch weiss es nicht, was aus ihm werden wird, welche Abenteuer es erwarten. Es fühlt sich sicher und geborgen. Vor einer halben Stunde ist es aus der Einheit mit der Mutter gefallen. Es wurde geboren. Ab jetzt muss es als eigenes Wesen beginnen, Beziehungen aufzubauen.

Die erste Beziehung geht es mit der Mutter ein. Sie wird es versorgen. Hoffentlich kann sie seine Bedürfnisse erkennen und befriedigend erfüllen. Das Kind möchte sich an die Mutter binden, damit es überleben kann. Es hat von Natur aus sowohl ein Bindungsbedürfnis als auch die Bindungsfähigkeit. Eine sichere Bindung gibt ihm den tragenden Boden für seine Entwicklung. Damit diese gelingt, muss es mit der Mutter vier Aufgaben erfolgreich meistern: Erst muss es sein Bedürfnis erkennen, dann dies ausdrücken lernen, so dass es verstanden wird, und dann muss dies befriedigend erfüllt werden. Gelingt dies zusammen mit der primären Bindungsperson ein paar Mal vollständig, kann sich das Kind an diese sicher binden. Gelingt dies nicht, weil die Mutter das Kind nicht richtig lesen kann oder selber Defizite hat, wird das Kind immer wieder Existenzängste durchleben. Es kann sich nur unsicher binden. Je nach Verhalten und Erfahrung entsteht ein unsicher-ambivalenter, unsicher-vermeidender oder ein desorganisierter-desorientierter Bindungsstil. Aufgrund der Erfahrung verhält sich das Kind nun in der Beziehung zur Mutter unsicher. Dies kommt vor allem in Stresssituationen zur Geltung, wenn das Bindungssystem hoch aktiviert ist – in Alarm steht.

Das Kind muss die Welt kennenlernen. So baut es schon früh innere Arbeitsmodelle der Welt auf, vor allem von sich und der Mutter. Eine Bindungsstörung und das damit verbundene Verhalten wird als inneres Arbeitsmodell und Blaupause für die Gestaltung von Beziehungen gespeichert. Ab jetzt wirkt das Modell in allen nahen Beziehungen. Diese werden vom Bindungstrauma geprägt sein und sich je nach Blaupause ambivalent, vermeidend, desorientiert-desorganisiert im Beziehungsverhalten zeigen. Die Unsicherheit, die Erfahrung und das angelegte Arbeitsmodell werden aber auch Teil der Persönlichkeit werden und den Selbstwert betreffen. Dies kann zu Persönlichkeitsdefiziten bis hin zu Persönlichkeitsstörungen, aber auch zu Angst, Zwang, fehlender Impulskontrolle, niedriger Frustrationstoleranz und zu Problemen in der Nähe- und Distanz-Regulation führen.

Der Bindungswunsch dieser Menschen ist gross. Gleichzeitig haben sie Angst, sich einzulassen. So sehnen sie sich sehr nach einer erfüllten Beziehung und träumen von dem Menschen, der (endlich) ihre Bedürfnisse erkennt und erfüllt. Aufgrund der Erfahrung trauen sie sich vielleicht nicht, diese zu äussern. Sie haben Angst vor Ablehnung und Enttäuschung und sind bereit, viel zu geben. Ihre Attraktivität drücken sie durch eine betont verständnisvolle, rücksichtsvolle und fürsorgliche Art aus. Je nach Blaupause können sie aber auch leidenschaftlich fordernd sein und so mit einem «passenden» Gegenüber in Resonanz gehen. Mit einem Gegenüber, das sie bewundert für das, was es nicht ist, oder jemandem, der sich im Spiegel selber erkennt. Wenn nun der Partner in ihr Leben tritt, der sie beachtet, sie sieht, erkennt und bereit ist, mit ihnen die Sehnsucht zu teilen, dann haben sich zwei gefunden, die gerne die ganze Palette an unerfüllten Wünschen plötzlich im Gegenüber entdecken. Aus dem Frosch wurde ein Prinz und aus Aschenputtel eine Prinzessin. «So wie mit dir war es noch nie», hören sie sich sagen. «Wir sind füreinander geschaffen.» «Bis dass der Tod uns scheidet», schwören sie sich am glitzernden Hochzeitsfest. Doch irgendwann bekommt der Spiegel einen Kratzer. Spätestens dann, wenn der andauernde Bestätigungsbedarf anstrengend wird, die Autonomie anklopft und sagt: «Mich gibt es auch noch.» In deren Schlepptau wird nun die Eifersucht zum Dauergast.

Auch merkt man nun, dass der ursprüngliche Glanz doch etwas fleckig war. Hier war mehr der Wunsch der Vater des Gedankens. Das grosszügige Kleinreden von Fehlern oder Defiziten ist vorbei. Sie nisten sich in die Realität des Alltags ein. Plötzlich kehrt die Stimmung. Von ganz toll kippt es auf ganz furchtbar. Was sich vorher angehimmelt hat, macht sich nun nieder und kontrolliert. «Siehst du!» «Da schau her!» Beide erhöhen sich, indem sie den anderen erniedrigen. Eine Opfer-Täter-Dynamik bestimmt nun die Beziehung im Alltag. Sie halten sich ihre Fehler gegenseitig vor, konkurrenzieren und triumphieren. Das Bindungssystem ist in Alarm. Nach dem Streit kommt die klammernde Versöhnung. Nun wird alles wieder gut. Doch schon baut sich die nächste düstere Wolke, getrieben von Misstrauen und Angst, auf. Sie würden sich trennen, doch die Verlustangst schlägt zu. Das Schuldenkonto ist noch nicht getilgt. Jeder meint, der andere müsste ihm noch etwas geben von dem, was er einst versprochen hat und für die Aufopferung in der Beziehung. Dies hält sie gefangen im toxischen Spinnennetz. Sie können nicht mit- und nicht ohneeinander. Gemeinsam ins Verderben. Immer tiefer, bis das Netz reisst. Sie erschöpft zu Boden fallen. Und der Richter sie scheidet.

Ihre Kinder werden ihr traumatisches Erbe weiterleben – oder endlich den toxischen Bindungsfaden lösen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt im Aufbau des Selbstwerts. Eine sichere Bindungserfahrung im therapeutischen Rahmen könnte das Fundament dafür legen, diese engen Kleider der Minderwertigkeit und Verlustangst abzustreifen. Die passenden liegen schon lange bereit. ♦

von Sieglinde Kliemen

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Sieglinde Kliemen ist Systemische Beraterin und Therapeutin mit eigener Praxis in Bern. Sie ist spezialisiert auf Traumatherapie, Paartherapie und Opfer-Täter-Dynamiken. Als Leiterin eines Männerhauses unterstützte sie jahrelang von häuslicher Gewalt betroffene Männer und Väter mit ihren Kindern. Sie ist Co-Präsidentin des Vereins ZwüscheHalt, welcher die Männerhäuser in Bern, Luzern und Zürich betreibt.


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