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Im stillen Gedenken an den 13.09.2021

Zwei Jahre ist’s schon wieder her, was heutzutage eine Ewigkeit ist.

Was war da noch gleich? Sind irgendwo Flugzeuge reingeflogen? Oder irgendwas, an das man sich sonst wie erinnern sollte? Da war doch was. Aber was? Ach ja: Die Einführung der Zertifikatspflicht. Das war’s! Da hätten wir doch beinahe in turbulenten Zeiten unseren Jahrestag vergessen.

Und aufgehoben wurde sie ja auch schon wieder, die Zertifikatspflicht. Heimlich, still und leise. Man soll – so wird gemunkelt – jetzt wieder überall reisen können. So einfach von A nach B. Ohne Zertifikat. Potztausend! Glauben mag ich es so nicht wirklich, aber zu hoffen trau ich mich immerhin. Offiziell aufgehoben wurde die Pflicht zum Zertifikat ja kurz bevor der sogenannte Krieg losging. Kurz vor dem Krieg oder dem Konflikt oder wie man das nennen will, was sich jetzt schon seit geraumer Zeit vor sich hin legitimiert. Der Krieg mit allen Mitteln und ohne Sinn. Wie halt Kriege so sind, wenn sie ausbrechen. Man führt sie bis zum Erbrechen. Und wer noch übrig bleibt, darf ins Kotztütchen sitzen.

Jedenfalls: Vor der Aushebung zum Krieg, da war die Aufhebung des Zertifikats. «Aus» und «Auf» – so merk’ ich mir’s immer. Wir sollten lieber Eselsbrücken bauen, statt mit Panzern deutsche Regallücken im Armeebestand zu füllen. Aber ich schweife ab. Immer neutral bleiben. Das habe ich mir auf meine Flagge geschrieben, die alle Farben ziert, ausser die vom Regenbogen. Aber ich schweife ab.

Schade eigentlich, dass die Zertifikatspflicht nicht erst später, zum Beispiel am 01. April 2022 aufgehoben wurde. Weil dann hätt’ ich’s wenigstens für einen Schnapszahlenscherz halten können, die Aufhebung der Erhebung. Weil: Irgendwer hat ja schliesslich den Schalter umgelegt. Von auf Hott. Für alle, die sich mit trojanischen Pferden nicht auskennen: Was am 16. Februar 2022 noch war, war am 17. Februar 2022 plötzlich Hott. Hühott – ein guter Scherz, hätte ich gedacht, wenn es erst am 1. April gewesen wäre.

Ich erinnere mich noch genau, wie ich am Tag nach der Aufhebung mit der Maske in einen Laden ging und plötzlich von genau den gleichen Leuten schräg angeschaut wurde, die mich am Vortag noch hinter ihrer Maske hervor schräg angeschaut hatten, weil ich keine Maske getragen hatte. In diesem Moment begriff ich schlagartig, dass es immer dann lustig wird, wenn keinem zum Scherzen zumute ist.

Am 13.09.2021 aber, dem Tag, an dem die offizielle Schweiz die offizielle Apartheid einführte, da hatte der Scherz eine Vorlaufzeit. Pointen mit Ankündigungen sind bestenfalls öde. So war mir auch zumute. Vielen um mich herum schien gar nicht aufzufallen, was mir auffiel. Ich dachte, dass wir solche Scherze seit der Freilassung Mandelas überwunden hätten. Aber natürlich: Es ging ja um was ganz anderes und für was ganz anderes kann man auch getrost die Apartheid wieder einführen.

Der vorletzte oder der hinterletzte Herbst?

Plötzlich hiess es: Es gibt solche und solche! Zu welchen willst nun du gehören?

So war das damals. Vor zwei Jahren, die eine halbe Ewigkeit zurückliegen. Heerscharen an Dienstleistern (Hotel- und Gastrobesitzer, Ladenpersonal, Fast-Food-Mitarbeiterinnen usw.) wurden in die Exekutive rekrutiert, um die Spaltung der Gesellschaft auch ordnungsgemäss zu kontrollieren. Den meisten war’s peinlich, andere taten ihren freiwilligen Dienst – ich will mal sagen – beflissen. Es geschah im Dienst einer … höheren Sache. Volksgesundheit ist so eine Sache. Eine ernste obendrein. Gerade jetzt, im Herbst 2023, da uns die neue Virusvariante Eris schmackhaft gemacht werden soll. «Eris» – die altgriechische Göttin der Zwietracht und des Streits. Aber ich schweife ab.

Irgendwie schien sich niemand sonderlich an der Apartheid zu stören im Herbst 2021. Es gab dann irgendwann im vorletzten Herbst – oder war es gar der hinterletzte? – auch so eine Abstimmung, wo man schwarz auf weiss sehen konnte, dass sich gefühlte 62 Prozent der Bevölkerung mit dem neuen Schwarz-Weiss-Schema angefreundet hatten. Und wenn man nachfragte, was genau denn das solle, gelangte man zu der finalen Aussage, dass es ja schliesslich die anderen um einen herum so oder ähnlich machten und es bei uns doch gar nicht so schlimm sei. Dem war nichts entgegenzusetzen, ausser dass es bei den anderen wohl so oder ähnlich wie bei uns ist, vielleicht nur ein bisschen schlimmer, bevor es dann auch mal bei uns so richtig schlimm wird – was aber nicht mehr als knappe 30 Prozent zu glauben bereit sind.

9/13 oder 9/11 …

Ich erinnere mich an einen Kollegen, der in geselliger Runde bei einem Apéro im März 2022 auf die Frage, was Satire alles darf, mit dem berühmten Tucholsky-Zitat «Satire darf alles» prahlte und leicht zeitverzögert hinzufügte: «… natürlich das Corona-Thema ausgeschlossen», wobei er vor sich mit den Händen eine limitierende Geste machte, die ungefähr der Abmessung einer Bierharasse entsprach. Daraufhin betrank ich mich frank und frei. Der Apéro war gesponsert. Den Sommer 2022 hindurch nüchterte ich mich wieder aus, wohl wie wir alle. 2023 wurde für mich dann das Jahr der Ernüchterung, in dem ich alle meine Schäflein ins Trockene brachte, bevor ich wieder mit dem Trinken begann.

Wenn ich jetzt so rumfrage bei dem kleinen Rest Menschen, die man überhaupt noch irgendwas fragen darf, höre ich vor allem eines: So etwas kommt bestimmt nicht wieder. Und dass wir wahrscheinlich genau das sicher überwunden hätten, was sowieso niemandem besonders aufgefallen sei.

Wenn ich heute recht bedenke, sollte ich beherzigen, was ich schon vor dreieinhalb Jahren sinngemäss dergestalt formuliert hatte: Es gibt in diesen Zeiten keinen Grund, wirklich keinen, sich nicht restlos zu betrinken. In diesem Sinne: Einen Toast auf den zweiten Jahrestag im stillen Gedenken an den 13.09.2021. ♦

von Oliver Hepp


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