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Von wegen «Follow the Science»

Unter dem Motto «Follow the Science?» lud der Verein Linksbündig am 15. November im Volkshaus Zürich zum öffentlichen Podium ein. Zu Gast waren die Journalistinnen Aya Velázquez, Catherine Riva und Serena Tinari. Die Diskussion drehte sich um die Rolle von Politik, Wissenschaft und Medien in Deutschland und in der Schweiz während der Corona-Krise.

Im Zentrum standen die ungeschwärzten Protokolle des Robert-Koch-Institutes (RKI) in Deutschland, die Velázquez im Juli 2024 publiziert hat und die einen neuen Blick auf die Corona-Massnahmen erlauben. Denn die RKI-Protokolle zeigen: Viele der wichtigsten Corona-Massnahmen wurden ohne wissenschaftliche Grundlage durchgesetzt. Dennoch wurde die Bevölkerung mit dem Appell «follow the science» dazu angehalten, sie zu befolgen. Sie bildeten eine massgebliche Vorlage für staatliche Massnahmen in der Schweiz, worüber Riva und Tinari auf ihrer Investigativplattform Re-Check verschiedene Texte veröffentlicht haben.

RKI-Files schaffen Bewusstsein

Velázquez betonte zu Beginn, dass die RKI-Protokolle einer Umfrage der Neuen Osnabrücker Zeitung zufolge einem Drittel der Menschen bekannt sind, und dass zwölf Prozent die Corona-Politik in Deutschland aufgrund dieser Protokolle rückblickend kritischer sehen. Ein roter Faden, der sich aus den RKI-Protokollen herauskristallisiere, sei der politische Einfluss auf das RKI. Man finde haufenweise Begrifflichkeiten wie «Weisung», «politisch gewünscht», «hat angeordnet». Die wissenschaftliche Freiheit des RKI sei eingeschränkt, weil das Bundesgesundheitsministerium dem RKI gegenüber politisch weisungsberechtigt sei.

Als Grundlage für die Massnahmen sei die Risikobewertung bewusst hochskaliert worden, so seien die Tests plötzlich massiv erhöht worden. Im Gegensatz dazu «ist die Heruntersetzung im Winter 2022 durch Karl Lauterbach hinausgezögert worden, um die Impfpflicht im Bundestag noch durchzubringen», so Velázquez. Die Protokolle verdeutlichten, dass eine Neubewertung der Risikolage politisch nicht gewünscht gewesen sei, um kein Deeskalationssignal zu senden.

Die meisten Coronamassnahmen seien nicht vom RKI empfohlen worden, zum Beispiel FFP2-Masken, die AHA-Formel, Schulschliessungen, die Kinderimpfung oder die Verkürzung des Genesenenstatus von sechs auf drei Monate im Januar 2022. Das RKI wusste auch, dass die Bezeichnung «Pandemie der Ungeimpften» fachlich falsch war, weigerte sich aber, kommunikativ einzuschreiten.

Umgekehrter Fall in der Schweiz

Im Vergleich zu Deutschland sei in der Schweiz eher die wissenschaftliche Task Force, nicht die Politik, vorgeprescht. Es habe, so Riva, weder Reglement noch Protokolle gegeben, und nur Gleichgesinnte seien in das Gremium eingeladen worden, das den Bundesrat ständig für die aus seiner Sicht ungenügenden Massnahmen kritisierte. «Die Medien sprangen sofort an und haben aus den Task-Force-Behauptungen Fakten gemacht und Druck gemacht, bis der Bundesrat einlenkte.»

Riva und Tinari hatten den Eindruck, dass die Exekutive in der Schweiz so viel Macht wie noch nie hatte, teilweise sei hierfür die Gesetzgebung zurechtgebogen worden. Das Parlament habe dabei mitgemacht und seine Rolle nicht wahrgenommen. In dieser Phase habe «Berset einen richtigen Machtrausch erlebt», so die Einschätzung der Journalistinnen. Im Vergleich zum strengen Deutschland habe die eigene Massnahmenpolitik als gemässigt verkauft werden können.

Velázquez schlussfolgerte, dass von der Politik vieles anders als vom RKI empfohlen interpretiert worden sei. Dieses habe sich untergeordnet, niemand habe protestiert, mit problematischen Folgen: Die Corona-Gerichtsentscheide hätten auf RKI-Empfehlungen basiert und somit die Gewaltenteilung ausgehebelt, denn von den Gerichten sei behauptet worden, es seien alles wissenschaftliche Entscheidungen, wobei das RKI als herangezogener unabhängiger Sachverständiger gegolten habe. «Die Unabhängigkeit von der Politik war nur behauptet, was zu einer Neubewertung der Rechtsprechung führen müsste.» Teilweise geschehe dies, doch der Aufarbeitungsprozess in Deutschland dürfte eine Weile dauern, ist Velázquez überzeugt. Schliesslich könne die Regierung ihre Verfehlungen nicht selber adressieren, weil ihr die Einsicht dazu fehle, zu welch totalitären Schritten man selbst fähig gewesen sei.


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