Als sich die Welt an einer roten Badehose entzündete

Rückblickend ist es mir etwas peinlich, dass ich so viel Aufsehen erregte, an jenem windigen Ferientag am Strand von Jávea in Spanien. Und dass mich ausgerechnet der von mir oft kritisierte Bundesrat aus meiner misslichen Lage befreite, macht es auch nicht gerade besser.

Es waren höhere Wellen als üblich und die Strömung kann ja durchaus tückisch sein. Bei gleichen Bedingungen weht am Atlantik die grüne Fahne, aber hier am Mittelmeer spricht man von einem Orkan, sobald die Wellen höher als 30 Zentimeter werden und ein Schaumkrönchen tragen. Folgerichtig wehte an diesem Tag am Strand die rote Fahne. Badeverbot. Im Meer. Wie soll das gehen? Ich habe keinen Vertrag mit dem Bademeister abgeschlossen, gehöre mir selbst, und das Rote Kreuz hat zwar einen jungen Mann als Bademeister angestellt, ist aber nicht Eigentümerin des Mittelmeers.


So tollte ich der roten Fahne zum Trotz als Einziger durch die Wellen, die etwas energischer als üblich an den Strand schlugen. Das machte Spass, aber nicht lange. Der Bademeister war recht freundlich, obwohl er von seinem hohen Ausguck heruntersteigen musste. Er erklärte mir, dass die Wellen zu hoch und die Strömung zu stark seien und ich deshalb nicht im Meer baden dürfe. Er war es offensichtlich gewohnt, dümmlichen Touristen die Bedeutung der roten Flagge erklären zu müssen. Ich bedankte mich für den Hinweis, und erklärte meinerseits, dass ich keinen Vertrag mit ihm oder seinem Arbeitgeber hätte und ich es bevorzuge, selbst zu entscheiden, wann ich im Meer bade und auch keinerlei Erwartung an ihn hätte, mich zu retten, so ich denn aufgrund meiner eigenen Entscheidung in Nöte geraten sollte. Das war offensichtlich eine Antwort, die der Bademeister von anderen Touristen normalerweise nicht erhält. Verdutzt schaute er mich an und erklärte, dass die rote Flagge nicht etwa eine Bitte oder eine Empfehlung sei und ich seiner Aufforderung nachkommen müsse.


Nun ist ja mit dem Roten Kreuz nicht zu spassen, wie wir aus der Geschichte wissen. Diese fragwürdige Organisation hat ja schon einiges auf dem Kerbholz – nicht nur in der jüngeren Geschichte, als das spendenfinanzierte Rote Kreuz eine experimentelle Gentherapie förderte! Nein, selbst beim Nationalsozialismus hat sich das Rote Kreuz höchst verdient gemacht, als ranghohe Nazis am Ende des Krieges das Weite nicht nur suchten, sondern – dank der Fluchthilfe des Roten Kreuzes – auch fanden. Nun, solche Grundsatzdiskussionen wollten weder der Bademeister Jáveas noch ich führen. Schliesslich wollte ich zurück ins Wasser und der Bademeister zurück auf seinen Thron. Ich fragte den Strandaufseher also, worauf seine Autorität denn stütze, aufgrund derer er mich des Meeres verweisen könne. Die rote Badehose, teilte ich ihm mit, reiche mir als Legitimität zu seiner Machtausübung irgendwie nicht aus.


Die Unterhaltung blieb bis hierhin beidseitig freundlich. Der Bademeister erklärte mir, dass seine Weisungsbefugnis nicht etwa an der Farbe seiner Badehose festzumachen sei. Es sei das Gesetz, welches ihm diese Autorität verleihe. Sollte ich seiner Aufforderung, dem Meer zu entsteigen, nicht nachkommen, so müsse er die Polizei rufen. So kurz ist der Weg zwischen einer roten Badehose und dem Gewaltmonopol des Staates. …

von Michael Bubendorf


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