Ich bitte zum Tanz
«Können Sie uns wenigstens Ihren Namen nennen?» Die Frage kam vom Polizisten, der den bad cop machte. Untersetzt, etwas ungepflegt, dauergenervt. Für einen kurzen Moment rang ich mit mir selbst. Irgendwann möchte ich den Weg bis zum Ende gehen. Herausfinden, was passiert, wenn man sich komplett verweigert. Schauen, was sie auffahren können, wenn man wirklich nicht mehr mitspielt; Leibesvisitation, Isolation, eingesperrt in einer kleinen Zelle, ohne zu wissen, wann es enden wird. Eines Tages werde ich die ganzen Demütigungen ertragen, weil es – seien wir doch ehrlich – der einzige Weg ist, seine Würde in der Auseinandersetzung mit dem Staat zu bewahren. Aber jetzt war ich auf dem Weg zu einem Anlass vom Liberalen Institut und draussen wartete ein Freund von mir. Der Tag war noch nicht gekommen. Ich nannte meinen Namen. Und beantwortete auch die nächste Frage nach meinem Geburtsdatum.
«Adresse?», maulte mich der bad cop an. Ruhig blickte ich ihm ins Gesicht und lächelte. «Jetzt haben Sie so einen schlauen Computer und da fragen Sie mich nach meiner Adresse? Finden Sie das gefälligst selbst heraus.»
Neben ihm stand ein zweiter Polizist, lange lockige Haare, könnte auch bei einer Reggae-Band mitspielen. Er fand die Szene eher unterhaltsam, lächelte. Der good cop. Die machen das tatsächlich. Psychospiele des Staates. Dazu gehören wohl auch die blauen Handschuhe, die der Polizist anzog, als ich von den zwei Bahnpolizisten in den Raum geführt wurde.
Mein Fehler an diesem Tag war, dass ich auf der Website der SBB ein E-Ticket gelöst hatte. Das hatte ich schon oft getan und beim Feld «Name» hatte ich stets etwas Kreativität walten lassen; ans Konzert von Roger Waters vor einigen Wochen reiste ich unter dem Namen des ehemaligen Pink Floyd-Frontmanns. Ich war aber auch schon als Donald Duck oder Johnny Cash unterwegs. Möglicherweise hatte ich damit heute zum ersten Mal Probleme, weil ich auf einen besonders eifrigen Kontrolleur stiess. Oder lag es daran, dass ich sonst immer in der ersten Klasse reise? Vielleicht werden die Menschen in der zweiten Klasse, mit denen ich und mein Freund heute nach Zürich fuhren, vom Zugpersonal anders behandelt, so quasi als Menschen zweiter Klasse?
Keine Lachfalte zierte das teigige Gesicht des Kontrolleurs, der verdriesslich mein Billett studierte. An der Stelle des Namens hatte ich heute korrekt und zutreffend «Anonymer Fahrgast» eingetragen. «Darf ich bitte einen Ausweis sehen?», fragte mich der Kontrolleur. Meine Antwort war kurz: «Nein.» Ich liebe dieses Wort.
Warum will die SBB den Namen des Reisenden wissen? Tickets aus dem Automaten sind ja auch anonym. Statt meine Fragen zu beantworten, hat mich die Pressestelle der SBB an die Branchenorganisation Alliance SwissPass weitergeleitet. Diese hält fest, dass Billetts aus dem Automaten auf fälschungssicherem Wertpapier gedruckt werden und E-Tickets personalisiert sind, um sicherzustellen, dass nur die Person, die das E-Ticket gekauft hat, es benutzt.
Das macht keinen Sinn. Auf E-Tickets ist ein QR-Code aufgedruckt. Das System der SBB würde eine Mehrfachbenutzung sofort erkennen. So verhindern andere Dienstleister Betrug; vom Konzertveranstalter im Hallenstadion bis zum Dorftheater Hinterguggisberg. Funktioniert tadellos. Meine diesbezügliche Rückfrage liess Alliance SwissPass unbeantwortet. Es geht der SBB offensichtlich um etwas anderes: Um Daten. Bereits heute werden Passagiere von der SBB mit über 700 Kameras in den Bahnhöfen gefilmt. Dazu kommen die Kameras in den Zügen. Und künftig will die SBB «das Pendlerverhalten» noch genauer erfassen: Mit Gesichtserkennungskameras.
Ich hatte mich getäuscht, als ich dachte, dass das verdriessliche Kontrolleurgesicht nicht noch verdriesslicher werden könnte. Wenn ich keine ID zeige, werde er jetzt die Bahnpolizei rufen, drohte der Kontrolleur. «Dann machen Sie das doch. Von mir erhalten Sie keinen Ausweis. Ich habe ein Billett bezahlt und sehe keinen Grund, mich auszuweisen.»
Am Hauptbahnhof in Zürich standen die beiden Bahnpolizisten bereit. Beim Aussteigen begrüssten sie mich mit einem energischen «Guten Tag», das mich offensichtlich hätte einschüchtern sollen. Zu ihrer Überraschung ging ich an ihnen vorbei meines Weges, ohne Eile und gänzlich unbeeindruckt von den tätowierten Armen in der schicken Uniform.
«Halt! Halt!», riefen sie mir überrascht nach, «können Sie bitte mal stehen bleiben?». Konnte ich nicht, ich ging gemütlich weiter meines Wegs. Stehen blieb ich erst, als mich der Polizist physisch daran hinderte, weiterzugehen. Dazu musste er sich vor mich stellen und seine Hand gegen meine Brust drücken. Da war es also wieder: Das Gewaltmonopol, das es erlaubt, mit physischer Gewalt gegen friedliche Menschen vorzugehen.
«Was fällt Ihnen ein, mich aufzuhalten?», fragte ich den Bahnpolizisten. «Ihren Ausweis, bitte», antwortete der Polizist. Da er die Hand senken liess, setzte ich wortlos und gemütlich meinen Weg fort. «Halt, bleiben Sie stehen!», riefen mir die beiden erneut nach, holten mich schnell ein und hielten mich an den Armen fest.
Um es kurz zu machen: Auch die beiden Bahnpolizisten sahen keinen Ausweis von mir und führten mich deshalb auf den Polizeiposten, wo auch die Kantonspolizisten vergeblich einen Ausweis von mir forderten. Mir hat das ganze Spektakel ziemlich Spass gemacht und ich darf mir zugutehalten, dass ich mit der Aktion Steuergelder verschwendet habe. So kann der Staat mit dem Geld nichts Dümmeres tun, was mich ein bisschen vom schlechten Gewissen entlastet, das ich aufgrund meiner feigen Steuerzahlung immer mit mir herumtrage.
Es geht aber um eine ernste Sache. Die Schlinge, die der Staat um unseren Hals legt, zieht sich immer enger zu. Anonymität erschwert die Durchsetzung staatlicher Regeln, weshalb sie komplett abgeschafft werden soll. Die Zukunft liegt klar und deutlich vor uns: Nur wer über die gerade erforderlichen Gesundheitszertifikate verfügt und einen ausreichenden Kontostand in seinem CO₂-Budget hat, kann sich bewegen, mit seinem digitalen Zentralbankgeld kaufen, was der Staat zulässt und verkaufen, was die Behörden bewilligt haben. Oder anders ausgedrückt: «Denn es wird niemand kaufen oder verkaufen können, es sei denn, er habe das Malzeichen, den Namen des Tiers oder die Zahl seines Namens.»
Eine Chance, uns all dem zu entziehen, besteht darin, uns ganz einfach zu widersetzen. Dazu braucht es gar nicht so viel, wie meine Reise nach Zürich zeigt. Ich erhalte womöglich eine Busse; ob ich die bezahlen werde, mache ich davon abhängig, ob ich dann noch gute Energie und Freude an der Auseinandersetzung habe. Es ist gar nicht nötig, verbissen zu werden. David Icke propagiert den «Non-Comply Dance». Also den Ungehorsamstanz; der lässt sich mit Lebensfreude tanzen, mit Freude und Spass an der Sache. Und selbstverständlich sollten wir immer die sein, die keine Gewalt anwenden, denn das ist genau der Punkt, in dem wir uns vom Staat und seinen Vasallen unterscheiden – ob es nun Bahnkontrolleure, Bahnpolizisten oder Kantonspolizisten sind. Ich bitte also zum Tanz.
Künftig jedenfalls werde ich meine Tickets am Automaten erstehen. Das ist ja eine praktische Lösung, und so kann ich weiterhin anonym reisen. Und zwar genau bis ins Jahr 2035. Dann werden die Billettautomaten an Bahnhöfen und Bushaltestellen abgeschafft; sie sind angeblich zu teuer. Die Schlinge wird sich dann nochmals zuziehen, wie die Alliance SwissPass bestätigt: «Wer dann Zug oder Bus fahren will, muss sein Ticket digital kaufen.» ♦
von Michael Bubendorf
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