«WHO cares?»

Der Gesundheitsökonom Konstantin Beck wirft in seiner Vorlesung an der Universität Luzern einen kritischen Blick auf die Corona-Zeit. In seinem neusten Buch «WHO cares?» warnt er vor weiteren Fehlentwicklungen in der Gesundheitspolitik und den aktuellen Plänen der Weltgesundheitsorganisation.

Auch mehr als zwei Jahre nach dem politisch erklärten Ende der Corona-Pandemie fehlen Anzeichen einer Aufarbeitung weitgehend. Mehr als Beteuerungen von den damals Verantwortlichen sind kaum zu vernehmen. Es scheint die Überzeugung vorzuherrschen, man habe die Krise insgesamt gar nicht so schlecht gemeistert.

Anders sieht dies Dr. Konstantin Beck, Titularprofessor für Versicherungsökonomie an der Universität Luzern. Unter dem Titel «Gesundheitsökonomie – Aufarbeitung der Covid-19-Politik» hat er im Frühlingssemester eine Vorlesung lanciert mit dem Ziel, mit aktuellem Datenmaterial das Geschehen seit März 2020 einzuordnen. Das thematische Spektrum ist breit: Probleme bei der Übersterblichkeitsberechnung, Stärken und Schwächen epidemiologischer Modellierung, statistisches Framing oder die politische Rolle von Wissenschaft werden ebenso diskutiert wie Verfassungsgrundsätze, Kosten-Nutzen-Analyse der Corona-Massnahmen und das Verhalten von Behörden und Medien.

Corona ist nach wie vor kontrovers. Die Universität lasse ihm aber Freiraum in der Bestimmung seiner Themen innerhalb seines Fachbereichs, sagt Beck. Nach aussen rechtfertigen müsse er sich aber selbst. «Ich bin Ökonom und Statistiker. Über Virenmutationen zu sprechen wäre nicht seriös. Worüber ich spreche, kann in der Regel aus statistischen Quellen abgeleitet werden. In der Vorlesung geht es auch darum, Studenten beizubringen, was aus der Quellenlage herausgelesen werden kann und was nicht.» Beck legt viel Wert darauf, dass die Lehrveranstaltung mit Inputs arbeitet, die Erkenntnis fördern. Dazu lade er gelegentlich andere Fachleute in die Vorlesung ein, etwa den ehemaligen Chefarzt der Infektiologie Professor Pietro Vernazza. «Wir analysieren dann zum Beispiel ein epidemiologisches Modell und erklären, weshalb es bei Masern funktioniert, aber nie bei einer Grippe.» Die Vorlesung stosse auf viel Resonanz, erklärt Beck. Noch nie seien so viele Gasthörer gekommen wie jetzt. Diese seien in der Regel wesentlich älter als die Studenten, es ergeben sich spannende Diskussionen zwischen den Generationen, die normalerweise nicht so viel miteinander ins Gespräch kommen, so Beck. Gerade beim Thema Corona sei es wichtig, Diskussionen anzustossen.

Diffamierung statt Diskussion

Beck sieht eine Gesellschaft, die gespalten ist: «Diejenigen, die Massnahmen eher befürworten, berufen sich auf Studien, etwa zur Impfung, und sagen den anderen: Wenn ihr die Wissenschaft infrage stellt, seid ihr Neandertaler.» Die anderen wiederum würden sagen: Die Aussagen der Wissenschaft sind falsch, wir sehen die Evidenz in der Statistik. «Beide Gruppen haben recht», so Beck, «deswegen können beide auf ihren Positionen beharren.»

Die Informationen, die zur Politik und zu den Medien gelangen, seien oft Zusammenfassungen von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die bereits verzerrt dargestellt werden und dann von Politik und Medien wiederum verzerrt wiedergegeben würden. «Wenn man die wissenschaftlichen Artikel bis zuletzt durchliest, finden sich oft starke Relativierungen der Aussagen», stellt Beck fest. Die erste Gruppe berufe sich auf solche Zusammenfassungen, die zweite liegt seiner Meinung nach bezüglich der Inhalte oft richtig.

Dieser Umstand ist gemäss Beck der Grund für die Spaltung: «Die zweite Gruppe ist nicht unwissenschaftlich, sondern liest die Artikel vielleicht einfach genauer. Ich vermute, dass die Zusammenfassungen nicht zufällig unvollständig sind. Das dürfte in einem Peer-Review-Prozess nicht vorkommen. Das ist ein Armutszeugnis der medizinischen Wissenschaft.» Dass die Peer-Review-Verfahren offenbar nicht sauber funktionieren, sei alarmierend, insbesondere weil im Bereich der Gesundheit bestimmte Aussagen unmittelbare gesundheitliche Konsequenzen haben können. Dieser Missstand wurde jedoch schon vor Corona festgestellt: Es gibt etliche Studien zu methodischen Problemen, die veranschaulichen, wie häufig statistische Fehler und Tricks in medizinischen High-Level- Publikationen enthalten sind – etwa der berühmte Artikel «Why Most Published Research Findings Are False» des renommierten Gesundheitswissenschaftlers und Statistikers John P. A. Ioannidis aus dem Jahr 2005. …

von Armin Stalder


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