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Vom Ende des Maschinenmenschen

Im Gespräch mit Christian Schubert

Wer ist der Mensch und was braucht es, damit Heilung gelingt? Für den Psychoneuroimmunologen Christian Schubert ist an dieser Stelle ganz klar: Unsere Chance auf Heilung hängt ab von der Integrität des Bildes, das wir von uns selbst haben. Sind wir nur unser Körper, oder gehört zu diesem Körper auch eine Psyche, ein Geist und eine Seele mit Herz und viel Gefühl?

«DIE FREIEN»Lieber Herr Schubert, inwieweit dient die heutige Medizin noch dem Menschen und seiner Gesundheit?

Christian Schubert: Vor allem in den letzten vier Jahren während Corona habe ich mich immer wieder gefragt: Wie kann das, was wir gerade global erleben müssen, überhaupt passieren und von einem Grossteil der Menschen mitgetragen werden? Ich habe es immer vermieden, einzelne Protagonisten für schuldig zu erklären oder mich damit zu beschäftigen, «was die jetzt Böses im Schilde führen». Vielmehr habe ich mir die Frage gestellt: Gibt es vielleicht doch etwas Tieferes und Grösseres, das uns alle betrifft, und in der Corona-Krise überhandgenommen hat? Ich für mich bin zu dem Ergebnis gekommen: Es ist das vor allem in der westlichen Kultur vorherrschende Menschenbild des «reduktiven Materialismus», das ich schon seit Langem an der Schulmedizin kritisiere.

Der reduktive Materialismus betrachtet den Menschen im weitesten Sinne als Maschine, man spricht daher auch vom «Maschinenparadigma». Mit dieser Annahme sieht man nur den Körper, also nur das Materielle, den Stoff – und alles Immaterielle, also Geist, Seele, Soziales, Kultur, wird davon abgespalten und als nicht wesentlich für das Verstehen des Menschen betrachtet. Zwei wesentliche erkenntnistheoretische Fehlannahmen liegen dem Maschinenparadigma zugrunde: der Dualismus und der Reduktionismus. Also zum einen die Idee, dass Körper, Geist und Seele voneinander gespalten sind, und zum anderen, dass der Mensch aus materiellen Elementen, also aus Bausteinen zusammengesetzt und auf sie reduzierbar ist. Alles folgt dem Glauben: Könnten wir diese Bausteine nur präzise genug analysieren, gleich der Molekularwissenschaft, Genetik usw., dann wüssten wir, was gesund hält und was krank macht. Hier wird also von unten nach oben gedacht, also bottom-up. Demgegenüber steht das ganzheitliche, biopsychosoziale Paradigma, wo man von oben nach unten, top-down denkt und das besagt: Alles gehört zusammen und höher komplexe, immaterielle Ebenen sind ausschlaggebend für die darunterliegenden. Mind over matter und nicht matter over mind.

Was sagt dieses Externalisieren in der Bewertung unseres Krankheitszustandes über unser Bild von Gesundheit aus?

CS: Der Mensch neigt im reduktiven Materialismus dazu, sich selbst als gespalten und auf das Körperliche reduziert zu erleben. Wird er dann krank, verlässt er sich nicht auf seine eigene Heilkraft, sondern gibt die Verantwortung für seine Gesundheit an den Arzt ab. So verstehe ich das von Ihnen angesprochene Externalisieren. Ein maschinenparadigmatisch agierender Arzt verstärkt diese Situation noch, indem er den Patienten noch mehr entmündigt und ihm seine Kompetenz zur Selbstheilung komplett abspricht.

Das bedeutet, diese dualistische Spaltung, die ich in mir erlebe, ist sozusagen Ausgangspunkt dafür, zu externalisieren und einer anderen Person die Macht zu geben, über mich zu «herrschen» und meinen Körper zu «reparieren». Das macht eine körperorientierte Medizin letzten Endes zum einzigen Rettungsanker, der im Fall einer Krankheit helfen kann. Ein ganzheitlicher Arzt wäre sich hingegen im Klaren darüber, dass Geist und Seele des Patienten die Instrumente der Selbstheilung sind. Er würde daher den Patienten als Menschen begleitend unterstützen, ihn in gewisser Weise menschlich reifen lassen und ihm somit helfen, wieder Verantwortung für sich selber zu übernehmen.

von Lilly Gebert

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Univ.-Prof. Dr. Dr. Christian Schubert ist Arzt, Klinischer und Gesundheitspsychologe sowie ärztlicher Psychotherapeut. Er ist Professor für Medizinische Psychologie, Psychosomatik und Psychotherapie und leitet seit 1995 das Labor für Psychoneuroimmunologie an der Medizinischen Universität Innsbruck.

Vom 4. bis 6. Oktober 2024 findet in Innsbruck unter dem Motto «Psychoneuroimmunologie im Lauf des Lebens» der 4. PNI Kongress mit Christian Schubert, Hans-Joachim Maaz, Michael Nehls, Harald Walach und vielen weiteren spannenden Referenten statt! Das vorläufige Programm finden Sie hier.


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