Selbstdenken als Wagnis

Die Urteilsfähigkeit macht uns zu selbstbestimmten Subjekten und schafft erst die Bedingung der Freiheit. Wie kann man sie schärfen?

«Was keiner wagt, das sollt ihr wagen.
Was keiner sagt, das sagt heraus.
Was keiner denkt, das wagt zu denken.
Was keiner anfängt, das führt aus.»

Es sind doch immer wieder Lieder, die zur richtigen Zeit den richtigen Nerv treffen und einen ganz auf ihre Vibration einzustimmen vermögen. In den letzten Jahren war das für mich immer wieder dieses Gedicht des Theologen Lothar Zenetti, das von vielen Künstlern, unter anderen Konstantin Wecker und Reinhard Mey, interpretiert wurde. Es ist eine Hymne auf den Eigensinn mit der unmissverständlichen Aufforderung, doch im Moment grösster Verlassenheit auf die innere Stimme zu hören und danach zu handeln. Was die Mehrheit macht, ist eher als Kontraindikator einzustufen. Offenbar ist die Fähigkeit selbst zu denken, gerade wenn die Mehrheitsmeinung in eine andere Richtung weist, ein seltenes Phänomen, eher die Ausnahme als die Regel. Sonst bräuchte es keine Hymnen darauf. Warum ist diese Fähigkeit von so grosser Bedeutung?

Selbst zu denken ist eine Anmassung. Wir kennen den Satz: «Da masse ich mir jetzt kein Urteil an.» Das klingt nach Bescheidenheit, vor allem wenn die notwendigen Informationen fehlen. Wie oft ist es aber das Gegenteil, nämlich Denkfaulheit? Ein Zurückschrecken vor dem, was die Konsequenz des Denkens sein könnte, nämlich zu ungemütlichen Schlüssen zu kommen? Vielen scheint es schwerzufallen, ohne Hilfe eines anderen zu irgendeinem Schluss zu kommen, der dann ja wiederum gar kein Schluss ist, sondern nur die Übernahme einer fremden Ansicht. …

Milosz Matuschek


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