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Meine Reise nach Putins Russland

Als ich im Jahre 1991 das erste Mal in Russland war, geschah gerade der Putsch gegen Gorbatschow, der das Ende der Sowjetunion einläutete. Die Stimmung in Moskau damals war eindrücklich. Es war mir, als ob da eine Gesellschaft aus einem tiefen Winterschlaf aufwachen würde.

Die letzten Jahrzehnte des realen Kommunismus waren geprägt durch Stillstand und Perspektivlosigkeit. Gorbatschow hatte dem Land zwar die Pressefreiheit gegeben, aber auf die tieferliegenden Probleme der Sowjetunion hatte er keine Antworten gefunden.

So wurde der Moment, in welchem Jelzin auf den Panzer stieg, zum Signal für den Ausbruch aus einem System, das dem Land zwar Stabilität und einen gewissen Wohlstand gebracht hatte, aber insgesamt die Erwartungen der Leute nicht erfüllen konnte. Die Sowjetunion hatte den Kalten Krieg verloren. Es war Zeit für eine Wende. Die Kolonne der Wartenden vor dem Lenin-Mausoleum war zwar immer noch lang, aber diejenige vor dem ersten McDonalds in Moskau wurde jeden Tag länger. Die Tochter meiner Gastfamilie hatte Geburtstag, und wir verbrachten über zwei Stunden im Regen, um Zugang zu den geheiligten Hallen des Fast Foods zu bekommen. Für mich war das unglaublich und schlicht nicht nachvollziehbar, denn ich hatte keine hohe Meinung von dieser Einrichtung. Ich fragte meine russischen Freunde, was sie denn so schätzten daran. Die Antwort war verblüffend einfach: «Wir möchten einmal im Leben freundlich bedient werden und eine saubere Toilette benutzen können.»

Der «Wind of Change» erfasst das Land

Der Kommunismus war zwar getrieben von hohen Idealen, grundlegende Bedürfnisse der Menschen waren aber im Zuge seiner Verwirklichung auf der Strecke geblieben. Für die jungen Russen war klar, dass der Kapitalismus die Zukunft bedeutete. Und sie warfen sich in dieses Abenteuer mit einer unglaublichen Begeisterung. «Wind of Change» von den Scorpions dröhnte aus allen Lautsprechern, und die Fernsehsendungen wurden immer öfters von putzigen Werbeblöcken unterbrochen. Eine junge Garde von Wirtschaftswissenschaftlern entwickelte einen Plan für den Übergang zur Marktwirtschaft in 500 Tagen. Es war ein Aufbruch, so plötzlich und schnell wie der russische Frühling, den ich später noch oft erlebte: Ende März sitzen noch immer die Eisfischer auf dem See, und Anfang Mai weht bereits ein heisser Sommerwind aus der russischen Steppe. …

von Hanspeter Rikli


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