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Im Zwielicht der Bilder

Beim Thema «Weltbilder» taucht in mir eine grundsätzliche Frage auf: Wie beeinflusst das jeweils vorherrschende Weltbild die Sicht darauf, was ein Bild überhaupt ist?

Eine der Gestalten, die die Kulturgeschichte geprägt haben, ist Moses. Der grosse Prophet hat die Juden aus der ägyptischen Gefangenschaft herausgeführt. Und Gott liess Seine zehn Gebote von ihm verkünden. Für Künstler ist vor allem das Zweite Gebot von beunruhigender Bedeutung: «Du sollst dir kein Gottesbildnis machen, das irgendetwas darstellt am Himmel droben, auf der Erde oder im Wasser unter der Erde» – so steht es im biblischen Buch Deuteronomium (5, 1 – 22) geschrieben.

Geschrieben auf Hebräisch, eine Sprache, in der jedes Wort eine Fülle an Bedeutungsnuancen enthält, die von einer Übersetzung ins Deutsche kaum erfasst wird. «Die Schwierigkeiten der Übersetzung» – so hat es mir ein Pfarrer erklärt – «lehren uns, dass, wie beim Über-Setzen eines Flusses mithilfe eines Boots, eine Distanz besteht zwischen unserer Auffassung und der Wahrheit, auf die der Text hindeutet.» «Das Zweite Gebot wird ergänzt vom nachfolgenden Gebot, sodass die Aufforderung an uns die ist, sich vor keinen selbstgemachten Götzenbildern niederzuwerfen.»

Es geht somit, dieser Erklärung zufolge, darum, dass der Mensch sich nicht niederwerfen soll. Ich deute das so: Es ist unvermeidbar, sich bildhafte Vorstellungen zu machen – aber ich soll mich davor hüten, den aus meinen Gedanken zusammengestückelten Vorstellungsbildern mehr Zeit zu widmen als der lebendigen Wirklichkeit.

von Manfred E. Cuny

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Manfred E. Cuny ist Maler, Bildhauer und Kursdozent für Zeichnen und Modellieren.


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