
«Die NATO ist ein Bombardierungsklub»
Dr. Daniele Ganser betrachtet das weltgrösste Militärbündnis kritisch
Der Historiker Daniele Ganser hielt am 22. März 2025 unter dem Titel «Die NATO, eine kritische Betrachtung» in Oensingen vor 500 Besuchern einen Vortrag zum weltgrössten Militärbündnis. Die junge Musikerin Shania Juna stimmte mit einem Lied auf den Abend ein. Verantwortlich für den Event zeichnete sich Patrick Annicchiarico von Elysion Events in Partnerschaft mit dem Zeitpunkt Verlag.
Daniele Ganser erforscht die 1949 gegründete NATO seit Jahren. Heute umfasst sie 32 Mitgliedsstaaten. In seiner Doktorarbeit untersuchte Ganser, wie das von den USA angeführte Bündnis in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg Geheimarmeen (Stay-behind-Organisationen) unterhielt: Zum Beispiel in Italien unter dem Namen Gladio, wo der Militärgeheimdienst und der US-Geheimdienst CIA Terroranschläge mitverübte, um diese den populären Kommunisten anzuhängen und so zu verhindern, dass diese an die politische Macht gelangen konnten. Solche «False Flag»-Aktionen sollen der Öffentlichkeit die wahre Täterschaft vorenthalten und stattdessen die Aufmerksamkeit auf politische Gegner lenken.
Ganser machte keinen Hehl daraus, dass er die NATO aufgrund ihrer vergangenen und gegenwärtigen Aktivitäten als aggressive Organisation und als imperialistisches Instrument der US-Aussenpolitik betrachtet. Ein entscheidender Wendepunkt in der Geschichte der NATO war seiner Meinung nach die Bombardierung Serbiens 1999. Diese habe den Übergang der NATO von einem Verteidigungs- zu einem Angriffsbündnis markiert.
Offensiver Charakter
Immer wieder habe die NATO seitdem ihren offensiven Charakter gezeigt, zum Beispiel bei Einsätzen in Afghanistan 2001 oder Libyen 2011. Dabei sind zahlreiche europäische Länder an der Seite der USA in den Krieg gezogen. Die NATO «ist auch eine Art Bombardierungsklub», so Ganser. Der Angriff auf Afghanistan sei einer der vielen NATO-Skandale. Dabei habe die Organisation zwei ihrer Prinzipien verletzt. Einerseits habe man sich nicht gegen Afghanistan verteidigt, sondern das Land angegriffen, und andererseits mit diesem Einsatz das Bündnisgebiet verlassen. Nach dem 11. September 2001 habe US-Präsident George W. Bush die Aktivierung des Bündnisfalls gefordert.
Ganser ist überzeugt, dass der Ukrainekrieg und die bestehenden Konflikte mit Russland ohne die Osterweiterung der NATO gar nicht ausgebrochen wären. Durch den Beitritt osteuropäischer Staaten in den vergangenen 30 Jahren, die zur Zeit des Kalten Krieges zur Sowjetunion gehörten, habe Russland seine Sicherheitsinteressen zunehmend gefährdet gesehen. Der Abzug der sowjetischen Truppen aus der DDR hat laut Ganser die deutsche Wiedervereinigung überhaupt erst möglich gemacht, mit dem gleichzeitigen Versprechen des Westens, sich nicht weiter nach Osten auszudehnen.
Beim Maidan-Putsch 2014 habe die USA mit der Billigung der Europäischen Union die ukrainische Regierung gestürzt, um eine NATO-freundliche Regierung an die Macht zu bringen. Bei der Analyse dieser Geschehnisse hat Ganser laut eigener Aussage die False-Flag-Strategien von Operation Gladio in Italien wiedererkannt. «Dennoch halte ich Russlands Intervention in der Ukraine für illegal», betonte Ganser: «Das gilt genauso für die Bombardierung Serbiens.» Das Gewaltverbot der UN-Charta verbiete in den internationalen Beziehungen sowohl Gewaltandrohung als auch -anwendung gegenüber anderen Staaten.
Nein zu NATO-Annäherung
«Ich lehne eine Annäherung der Schweiz an die NATO ab», resümierte Ganser aus seinen dargelegten Überlegungen. Die NATO provoziere mit ihrem Handeln jene Verunsicherungen, die sie zu lösen vorgebe. Und mit Hinweis auf diese und die Sicherheit fordere das Militärbündnis immer mehr Geld von den Mitgliedsländern für die Rüstungsindustrie. «Die NATO spielt sich als die Lösung auf, ist aber das Problem», so Ganser: «Eigentlich müsste die NATO Angriffs- statt Verteidigungsbündnis heissen.»
Die Sichtweise der NATO wird dabei gemäss Ganser von den Leitmedien gestützt. Deswegen sei es wichtig, auch Publikationen ausserhalb des NATO-Raumes zu betrachten. Innerhalb der NATO-Länder würde man von den Medien immer die gleiche Geschichte hören: dass die NATO eine Kraft für den Frieden sei – also bitte noch mehr einzahlen in den Klub. Arabische, russische oder chinesische Medien würden entsprechend eine ganz andere Sichtweise auf das Militärbündnis werfen.
«Wir brauchen wieder eine Fähigkeit, verschiedene Positionen zu sehen», sagte Ganser. Deshalb plädiere er für friedliche Beziehungen zu NATO-Ländern genauso wie zu anderen Bündnissen wie die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), wo ein neuer globalpolitischer Machtblock entstehe. Das BRICS-Bündnis umfasst heute weltweit zahlreiche andere Länder, in denen zusammengenommen rund die Hälfte der Weltbevölkerung lebt.
Im Anschluss an das Referat verwies Christoph Pfluger vom Zeitpunkt Verlag auf die Neutralitätsinitiative, die im April 2024 mit 130’000 Unterschriften eingereicht wurde. Das Ziel ist eine Verfassungsänderung dahingehend, dass die Schweiz keinem Militär- oder Verteidigungsbündnis beitreten darf.
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