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Die Kritik und ich

«Also, ich drücke jetzt den Knopf, dann geht der Artikel online. Bist du sicher, dass ich drücken soll?» Prisca wusste, was uns bevorstand, schon bevor sie unseren Artikel «Das Najadi-Phänomen» online stellte.

Rückblende. Im April 2021 sass ich bei Telebasel Claude Bühler gegenüber und entblösste seine unverschämte Diffamierung der Bürgerrechtsbewegung. Die Reaktionen hätten nicht unterschiedlicher ausfallen können. Respektlosigkeit und schlechter Stil wurden mir auf der einen Seite vorgeworfen, während ich auf der anderen Seite auf Kundgebungen um Selfies gebeten wurde. Ich fand beides übertrieben. Ich sah mich eher wie das von Paulo Coelho beschriebene «Werkzeug», wie jemand, der einfach die Wahrheit sucht und sich dafür weder zu brüsten, noch zu schämen braucht.

Weitere öffentliche Auftritte folgten: «Tagesschau», «10 vor 10», «Arena», «Club». Das Muster der Reaktionen blieb dasselbe und reichte von handfesten Morddrohungen («21 Kugeln in den Kopf») bis hin zu glühender Verehrung («Wir brauchen 7 Bubendorfs im Bundesrat»). Ich misstraute dem kleinen bisschen Ruhm, der mir eine Zeit lang zuflog, doch streichelte es auch mein Ego, und ich gebe zu, dass ich das auch genoss. Gleichzeitig setzte mir die heftige Kritik zu. Es war ein Wechselbad der Gefühle. Ich wusste, dass weder Verehrung noch Verdammung berechtigt waren und lernte, auf der Achterbahn der Gefühle weniger mitzufahren. Denn wer mit hochfährt, muss auch wieder runterrasen. Die Flughöhe entspricht immer der Fallhöhe. Ich entschied, meinen Weg unbeirrt von Kritik oder Zustimmung zu gehen und der Wahrheit treu zu bleiben – was schwieriger ist, als es sich anhört. Ich befreite mich, so gut ich konnte, vom Urteil anderer.

Die Heftigkeit der Reaktionen erkläre ich mir damit, dass ich einerseits Führungspersonen attackierte und andererseits dadurch selbst zu einer wurde. Viele empfanden Alain Berset und den restlichen Pandemieapparat als Autoritäten, fast schon als Vaterfiguren. Das war kein Zufall und wurde medial befeuert. Viele Menschen reagierten auf meine Kritik am Gesundheitsminister so, als hätte ich ihre Eltern angegriffen. Interessant war, dass ich fast gar keine inhaltliche Kritik erhielt. Kaum ein Tadel bezog sich auf die von mir präsentierten Fakten, auf die Studien, die ich zitierte oder auf die Beweise, die ich dafür vorbrachte, dass die Pandemieautoritäten brandschwarz gelogen haben. Es ging fast immer nur um Befindlichkeiten: Wer ich denn sei, einen Bundesrat zu kritisieren, woher ich mir als Unternehmer das Recht nehme, einen Professor zu kritisieren, und dass Bundesrat und Task Force es doch gut meinen, auch wenn sie mal falschliegen.

Knapp zwei Jahre später drückte Prisca den Knopf, und der Artikel «Das Najadi-Phänomen» war im Feld, wurde geteilt und geklickt wie noch keiner unserer rund 150 zuvor veröffentlichten Artikel. Wir hatten einen Nerv getroffen. Und die erwarteten Reaktionen folgten auf dem Fuss: «Was wollt ihr mit diesem Artikel erreichen?» «Und ihr nennt euch frei?» «Unglaublich». «Schockierend». «Herablassend». «Diffamierung.» Und sogar: «Hetze».

Und auch hier wieder die Gegenseite: «Ihr habt den Nagel auf den Kopf getroffen.» «Vielen Dank für euren Mut und euer Engagement.» «Wofür ihr Kritik bekommt, ist mir ein Rätsel.» «Ihr macht es genau richtig.» «Danke für eure Auffassung von Journalismus.» «Ihr seid zurzeit die Einzigen, die echten Journalismus betreiben und menschlich und fair bleiben. Danke.» Daniel Stricker und Marco Caimi bezogen öffentlich Stellung für unsere Arbeit und zogen beide den Vorwurf des «Rampenneids» auf sich. Mehrere Vorstandsmitglieder von Aletheia bedankten sich persönlich bei uns für den Artikel, während im Verein, der nach der Göttin der Wahrheit benannt ist, ein verblüffend heftig geführtes Wortgefecht über Nebenschauplätze unserer Enthüllungen tobte.

«Bereite dich auf den Sturm vor», schrieb ich Prisca am Morgen vor der Veröffentlichung. Und doch überraschte mich die Heftigkeit der Kritik und auch die Menge an Voten, die uns kritisierte. Es dauerte einen Moment, bis wir realisierten, dass es eine Handvoll User waren, die die Telegram-Chats fluteten und jeden positiven Kommentar auf unsere Recherche niederschrien. Irgendwann griff Prisca entnervt zum Handy, schrieb den gehässigsten User an, der sich hinter dem Pseudonym «David» versteckt, und forderte ein Gespräch. Doch der Mann, der hinter der Tastatur so mutig austeilt, scheute das Telefongespräch mit Prisca, lehnte ab und zündelte online weiter. Das ging so weit, dass sich Leser aus den Chats verabschiedeten. Ein Abonnent, der sich herzlich für unseren Text bedankte, erklärte seinen Rückzug aus den Chats mit den «vielen primitiven Kommentaren, die haben mich richtig schockiert». Ist das dieselbe Bewegung, die drei Jahre pausenlos den Untergang der Debattenkultur beklagte?

Aus anderen Gründen war auch ich schockiert: Weil die Reaktionen auf unsere Kritik an Pascal Najadi eine perfekte Kopie jener Reaktionen war, die auf meine Kritik an Alain Berset eingingen. Wieder machte sich niemand die Mühe, auf unsere Argumente einzugehen. Nicht einmal Herr Najadi selbst greift in seiner von uns veröffentlichten Gegendarstellung unsere konkrete Kritik auf, er verliert sich stattdessen in Beanstandungen über unseren Schreibstil und in argumentfreien Anschuldigungen. Für die Beweise, die wir für Herrn Najadis Lügen vorlegten, interessierten sich weder deren Absender noch seine Unterstützer. Auch dass Herr Najadi als «ehrenwerter Richter» ein bizarres «Tribunal» veranstaltete und verbreitete, dass Xi Jinping und Klaus Schwab aufgrund seines Urteilsspruchs verhaftet würden, schmälert die Begeisterung mancher Najadi-Befürworter in keiner Weise. Stattdessen drehten sich ihre Argumente um die «Tonalität» unseres Artikels, wobei nie konkretisiert wurde, welche unserer Formulierungen unanständig seien. Ich kann bis heute keine finden – dank Prisca war der Text zurückhaltend und höflich formuliert. Auch wurde uns erklärt, dass Herr Najadi Menschen erreiche, die sich ausserhalb der Bubble aufhalten. Zwar werden für diese Behauptung keinerlei Beweise vorgelegt, aber der angebliche Ausbruch aus der Blase genügt vielen Bürgerrechtlern als Rechtfertigung für Lügen und Täuschungen.

Und immer wieder: der Vorwurf der Spaltung. Jede kritische Auseinandersetzung innerhalb der Bewegung wird als spaltend gesehen. Das ist offensichtlicher Unsinn. Konflikte sind nährend und reinigend für die Gesundheit jeder Gemeinschaft, das zeigt auch ein Blick in die Geschichtsbücher: Wo wäre die Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner hingekommen ohne den Konflikt, den ihre so gegensätzlichen Identitätsfiguren Martin Luther King und Malcolm X öffentlich austrugen? So viel Dissonanz muss aushalten können, wer der globalen Machtelite Paroli bieten will.

Dass auch wir Neojournalisten noch eine viel dickere Haut brauchen, zeigen uns die Geschichten von Journalisten, denen wir bedeutende Enthüllungen verdanken. Als Dan McCrum den Wirecard-Skandal aufdeckte, geriet er während seiner Recherchen unter massiven Druck seines Arbeitgebers, der Financial Times. Politiker setzten ihr Netzwerk in Bewegung, um McCrum von seiner Arbeit abzuhalten, ja selbst professionelle Schläger wurden auf den Journalisten angesetzt, um ihn zu bedrohen. McCrum blieb unbeirrt, zerrte die Wahrheit ans Licht und brachte das Lügengebäude von Wirecard zum Einsturz. Erst seit sich die Wahrheit über den Finanzdienstleister auf breiter Front durchsetzte, wird McCrum gefeiert. Bis dahin fand er sich in einem regelrechten Sturm der Kritik. Weniger Glück hatte Gary Webb, der die Verbindungen zwischen Drogenkartellen und der CIA aufdeckte. Er beging angeblich «Suizid», indem er sich zweimal (!) in den Kopf schoss. Ich möchte unsere Najadi-Geschichte nicht mit den wichtigen Enthüllungen dieser grossen Journalisten vergleichen, sondern von ihnen lernen, dass kritischer Journalismus entgegen der allgemeinen Wahrnehmung anfänglich selten auf Begeisterung stösst und immer Kritik auslöst.

Fundierte Kritik an unserer Arbeit über Pascal Najadi nehmen wir an, wir wachsen daran. So war das Videointerview wirklich schlecht. Es war ein Fehler. Najadi entschied sich während des Gesprächs für eine Videoaufzeichnung; das war vorher nicht vereinbart. Wir hatten die Chance, das zu verhindern, wir hätten ganz einfach auf unserer Abmachung beharren können. Ich hatte alle meine Fragen bereits gestellt und fand es seltsam, ein zweites Interview für die Öffentlichkeit anzuhängen. Prisca und ich agieren im Video gekünstelt, unauthentisch, schwach. Es ist mir ein Rätsel, weshalb zwei Starrköpfe wie wir nicht die Kraft und den Mut aufbrachten, Herrn Najadi für die Aufzeichnung eine Absage zu erteilen. Nun, wir sind neu im Geschäft, gestehen uns Fehler zu und lernen daraus. Wichtig ist uns, dass wir bei der Wahrheit bleiben, und das ist uns gelungen; keine einzige unserer Aussagen konnte widerlegt werden.

Lügen und Täuschungen können nicht zu Freiheit führen, im Gegenteil werden sie den Weg zur Freiheit verlängern und erschweren. Wer mich dafür beglückwünscht, dass ich Bersets Lügen offengelegt habe, mich aber verdammt, wenn ich dasselbe bei Herrn Najadi tue, dem werfe ich inkonsistentes Denken vor. Und was nicht konsistent ist, ist sinnlos und ein Betrug. Das sagte Samuel Edward Konkin III., der folgerte: «Inkonsistenz aufzuzeigen ist die wichtigste Aufgabe des libertären Denkers.» Genau das werde ich weiterhin tun. Völlig unabhängig davon, wer der Absender von Lügen und Täuschungen ist. Und auch unabhängig davon, wie viele Menschen mir auf diesem Weg folgen.

Wir würden Abonnenten und Follower verlieren, wurde uns in den letzten Tagen oft prophezeit. Geschehen ist das Gegenteil. Doch darum geht es nicht. Denn wir brauchen niemanden, der uns folgt, solange wir der Wahrheit folgen. ♦

von Michael Bubendorf


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