Skip to main content

Das Scheitern ist selbstverschuldet

Aufrecht und Mass-Voll sind bei den nationalen Wahlen leer ausgegangen. Die Blamage hat viele Gesichter: Selbstherrlichkeit, Zank und ein wenig kohärentes Wahlprogramm führten dazu, dass die beiden Organisationen ihre Anschlussfähigkeit verloren haben.

Der 22. Oktober war ein Tag des Protestvotums mit einer klaren Ansage an die Politik: Die Luftschlösser-Politik von Linksgrün der letzten vier Jahre ist gescheitert. Dafür haben die Grünen und Grünliberalen nun ihre Quittung erhalten. Der deutliche Wahlsieger bleibt die SVP. Die Partei verliert zwar im Ständerat einen Sitz, hat aber im Nationalrat 9 der 12 Sitze zurückgewonnen, die sie 2019 verloren hatte.

Innerhalb der etablierten Parteien ist die SVP meist die einzige, die immer wieder einmal Gegensteuer leistet – wenn auch oft nur sehr zurückhaltend. Für oppositionelle Politik gab es zuletzt Grund genug: Man denke nur an die Corona- oder die Energie-Politik, die die Bürger mehr und mehr entmündigt und auf das Portemonnaie abzielt.

Das darf, so denke ich, einmal nüchtern festgehalten werden. Und das ist kein Loblied auf die SVP – zu deren Wirtschafts- oder Migrationspolitik man geteilter Meinung sein kann. Nun hat sich der kritische Kurs der SVP, so scheint es, ausgezahlt.

Ganz anders Mass-Voll und Aufrecht. Beiden Organisationen hat es nicht einmal für einen einzigen Sitz gereicht. Was ist da geschehen?

Schafften es Organisationen wie die Freunde der Verfassung und Co. doch während der Hochzeiten der Pandemie, mehr als ein Drittel der Stimmbürger hinter sich zu scharen. Man fragt sich: Wie war eine solch krachende Niederlage möglich? Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Doch der Reihe nach.

Egoprobleme und Kritikunfähigkeit

«Wir haben relativ gut abgeschnitten. Das kann man sagen. … Das ist ein beachtliches Resultat», kommentierte Patrick Jetzer, Chef von Aufrecht Schweiz, das Ergebnis nach den Wahlen auf Hoch2. Seine Organisation blieb zwar in allen Kantonen unter einem Wähleranteil von zwei Prozent, trotzdem gab sich Jetzer zufrieden. Er sprach von einer guten Ausgangslage für die kommenden kommunalen Wahlen.

Frei von jeder Selbstkritik äusserte sich auch Mass-Voll- Chef Nicolas Rimoldi: «Mass-Voll ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte.» Dabei ging auch seine Organisation leer aus. Auch die ständige mediale Aufmerksamkeit, die Rimoldi in den Monaten vor den Wahlen wie nur wenige Politiker genossen hatte, half nicht. Rimoldi zeigte sich stolz, weil er in Zürich mit 10´398 Stimmen besser als Erich Vontobel (9390 Stimmen) abgeschnitten hatte, der für die EDU nun in den Nationalrat gezogen ist.

Hier tritt bereits ein erstes zentrales Problem deutlich zutage. Rimoldi und Co. waren zuweilen mit einer Selbstherrlichkeit unterwegs, die Berset und Co. in nichts nachsteht. Sie versuchten zu Recht, aus der Pandemie politisches Kapital zu schlagen, scheiterten aber gerade auch deshalb, weil in ihren Organisationen ein autoritärer Geist vorherrschte – den sie in der Öffentlichkeit pausenlos anprangerten. Kritiker und basisdemokratische Stimmen hatten einen schweren Stand. Ähnliches beobachtete man in der Vergangenheit schon bei den Freunden der Verfassung (FdV).

Streitereien schadeten enorm

So schmiss etwa Christian Besmer, der die Co-Leitung für Aufrecht im Bezirk Horgen innehatte, aus Frust noch in der ersten Hälfte des Jahres das Handtuch. Joyce Küng, die lange mit Rimoldi zusammengespannt hatte, verliess die Organisation, weil Rimoldi alles selbst bestimmen wollte. Es könnten nach Belieben weitere Beispiele genannt werden.

Die beiden Protagonisten verfolgten knallhart ihre eigenen Interessen. Die Spitznamen «Rimoldiva» und «Napoleon», welche in der Szene häufig zu hören sind, kommen nicht von ungefähr. Wer es wagte, Rimoldi und Jetzer zu widersprechen, bekam Probleme. Kritik aus den eigenen Reihen prallte immer wieder an ihnen ab. Die «Stars» wussten alles besser.

Gleichzeitig konnten sich Jetzer und Rimoldi auch gegenseitig nicht riechen. Jeder war überzeugt von seiner Strategie: Auf ging keine. Wer scheinbar alles besser weiss, ist zum Scheitern verurteilt.

Es schien fast so, als würde Rimoldi keine Gelegenheit auslassen, um Angriffsflächen zu bieten. Dass er vor allem Stimmen am äussersten rechten Rand fischte, war ihm offenbar auch recht so. Stichwort «Braunau» oder «Remigration». Während Donald Trump in der Vergangenheit erfolgreich nach dem Motto «Any news ist good news» politisierte, ging diese Strategie bei Rimoldi nicht auf. Der Bewegung schadete er damit. Sogar Aufrecht – nicht gerade bekannt dafür, von anderen zu «distanzieren» – tat dies während der Wahlkampagne. Aber wer sich öffentlich fetzt, weckt nicht gerade Vertrauen.

Mit Mühe und Not einigten sich Mass-Voll und Aufrecht im Kanton Zürich auf eine Listenverbindung. Und wie so oft in solchen Situationen, in denen sich zwei streiten, freut sich am Schluss der Dritte. In diesem Fall Erich Vontobel. Er profitierte von der Listenverbindung von Mass- Voll, Aufrecht und den Schweizer Demokraten und holte für die EDU einen zweiten Nationalratssitz.

Kaum anschlussfähig

Der Streit in den eigenen Reihen ist das eine, die fehlende Anschlussfähigkeit in der Mitte der Gesellschaft das andere. Diese war 2021 noch gegeben, wie Organisationen wie die FdV bewiesen hatten. Rimoldi setzte ein libertäres Parteiprogramm auf, mit dem man in der Schweiz bloss an den Rändern Stimmen holt. Zwar versuchte er, sich breiter aufzustellen als Aufrecht und das Corona-Damoklesschwert loszuwerden, das den Organisationen anhaftet, die in der Pandemie entstanden sind. Doch das gelang ihm nur bedingt. Für die meisten blieb Rimoldi einfach der Corona-Kritiker. Bei Aufrecht wiederum wusste man nicht so recht, für was sie eigentlich stehen. Wer unaufhörlich von Eigenverantwortung spricht und gegen einen aufgeblasenen Staat wettert, hat noch lange nicht die Herzen und Stimmen des Volkes auf seiner Seite. Kommt hinzu: In beiden Organisationen sind ehemalige Links- und Rechtsaussen- Politiker tätig. Diese mögen sich zwar in ihrer Kritik an der Corona-Politik einig gewesen sein – bei anderen Themen könnten ihre Positionen jedoch kaum unterschiedlicher sein. So lässt sich kein anschlussfähiges Parteiprogramm schreiben.

Schwander und Ender mit beachtlichem Erfolg

Dass man sehr wohl Massnahmenkritiker und anschlussfähig sein kann, illustriert der Erfolg von Pirmin Schwander. Dem bisherigen SVP-Nationalrat ist mit einem Glanzresultat der Einzug in den Ständerat gelungen. Schwander gehörte zu denjenigen Politikern, die in den Corona-Jahren den Kompass nie aus den Augen verloren haben. Er ging sowohl gegen das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) sowie auch gegen das Covid-19-Gesetz auf die Barrikaden. Der Unternehmer traute sich auch, an Demonstrationen Gesicht zu zeigen – damit war er eine absolute Ausnahme. Nun ist sein Engagement belohnt worden.

Ausgezeichnet schlug sich auch Josef Ender vom Aktionsbündnis Urkantone. Ender erreichte mit seiner Freien Liste als Parteiloser kantonsweit das fünftbeste Resultat – eigentlich eine kleine Sensation. Damit lag er vor sämtlichen Vertretern der Mitte-Partei. Selbst die ehemalige FDP-Präsidentin Petra Gössi (16´398 Stimmen), die in den Ständerat eingezogen ist, konnte den Newcomer Ender (14´963) nur relativ knapp abhängen. Das heisst: Wäre Ender nicht parteilos, wäre er jetzt in Bern. Ender machte das, was alle erfolgreichen Politiker tun: Er bewegte sich nahe bei den Bürgern, tourte durch den ganzen Kanton. Mit Erfolg. Ender ist ein Anpacker, hemdsärmelig und auf dem Boden geblieben. Das kommt gut an. An Schwander, Ender und Co. können sich die Politiker aus dem Umfeld der Bürgerrechtsbewegung ein Beispiel nehmen.

Selbstverständlich gab es in den genannten Organisationen zahlreiche basisdemokratische Kämpfer, die hinter den Kulissen viel Knochenarbeit geleistet haben. Das gilt genauso für viele Kandidaten, die stets die Sache in den Vordergrund gestellt haben. Zu ihnen zählt etwa der ehemalige Grüne-Kantonsrat und Aufrecht-Zürich-Kandidat Urs Hans, dem wenige Tausend Stimmen fehlten. Hans, der nach den Wahlen eine selbstkritische Analyse der Niederlage vornahm, schloss diese mit den Worten: «Wir von Aufrecht Zürich machen weiter. Am Sonntag haben wir an die Türe des Bundeshauses geklopft und in vier Jahren gehen wir hinein.» Wir sind gespannt. ♦

von Rafael Lutz


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Teile diesen Beitrag mit deinen Freunden