Briefwechsel mit Kayvan Soufi-Siavash
Betreff: «The Great We-Set»
Lieber Kayvan
Vor knapp vier Jahren setztest Du deinem Format «Me, Myself and Media» ein Ende. Du hattest dich dafür entschieden, nicht länger als Projektionsfläche für jene Zuhörerinnen und Zuschauer dienen zu wollen, die insgeheim schon wüssten, wie der Hase läuft, sich aber damit begnügten, Woche für Woche dir in deine Kritiktirade über Politik und Medien beizustimmen. Ich fand es damals sehr stark von Dir, diesem Kompensationsmechanismus, die eigene Verantwortung auf eine Person in der Öffentlichkeit abzuwälzen, seinen Hahn zudrehen zu wollen. Den Platz «vor der Kamera» freimachen zu wollen für jeden Einzelnen «hinter» der Kamera. Und doch frage ich mich heute: War wirklich alles gesagt? Oder wie kommt es, dass Du – nachdem Du mit Apolut oder deiner «Campusidee» in Österreich und Schweden die Versuche gestartet hattest, lediglich als Stimme im Hintergrund tätig zu sein – mit deinem neuen Programm «Soufisticated» nun erneut den Alleinunterhalter gibst? Ist dir langweilig geworden? Hat dir der Kanal für deine Gedanken gefehlt? Ist dir schlichtweg das Geld ausgegangen? Was hat sich in diesen vier Jahren für dich geändert? Sind «wir» noch nicht an dem Punkt, wo wir auf die Eigenverantwortung der Menschen setzen können? Brauchen die Menschen «Führung»? Brauchen wir Helden? Bist Du vielleicht sogar selbst einer?
Ehrlich gesagt, passt das Bild, das Du von dir nach Aussen trägst, mit dem Bild, das Du nach Aussen hin darstellst, für mich nicht zusammen. Frei nach dem Motto «Heldentum muss erzählt werden, sonst ist es keines» frage ich mich, welches Bild Du insgeheim von dir selber hast und inwieweit dieses tatsächlich losgelöst ist von dem, was Du dir wünschen würdest, was die anderen für ein Bild von dir haben? Denn gleich ich deine Interviews nach wie vor mehr als zu schätzen weiss, ist es die grundsätzliche Dynamik von Streamingplattform und Vortragsreihe, an der ich meine Zweifel hege: Ist letztlich nicht jede Form von medialer Aufmerksamkeit eine Art der Manipulation? Speist sie doch die Menschen mit fremden Gedanken, anstatt sie in jener angebotsfreien Leere zurückzulassen, in der sie gar nicht mehr anders können, als ihre eigenen Gedanken und – allem voran – Intuitionen zu entwickeln. Ungeachtet dessen, dass ich nicht glaube, dass sich Bauchgefühl durch einen Vortrag schulen lässt, habe ich obendrein zusehends den Eindruck, dass all dieses «Aussen» uns letztlich von dem abzieht, was es eigentlich zu erkunden gilt: unser eigenes Inneres. Und mit ihm unser Gefühl. Denn wie kommt der Mensch in die Handlung? Meine Antwort: Indem er einen Willen entwickelt.
Seinen Willen. Die wohl beste Waffe gegen Propaganda und Dummheit. Insofern als Held derjenige gilt, der Heldenhaftes tut, frage ich mich, lieber Kayvan: Was tust Du dafür, dass die Menschen sich dieser ihrer eigenen Kraft bewusst werden? Und ist dies überhaupt deine Aufgabe?
Herzlich,
Lilly Gebert
Redaktorin «DIE FREIEN»
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