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Autor: Theresa Mai

Lebendig in Fülle wohnen

Wir haben unsere Begegnungsorte zerstört. Wer sich im Alltag nicht mehr sieht, verliert das Gespür für die Fülle, in der wir eigentlich leben könnten. Wenn Menschen gemeinsam wirken, entsteht nämlich manchmal etwas Magisches: Das Ganze wird mehr als die Summe seiner Teile.

Früher waren sie Teil des Alltags, die Begegnungsorte in der Waschküche, am Backhaus, beim Holzmachen, bei der Ernte. In unseren modernen Wohnformen endet unser Wohnraum an der Eingangstüre. Hinter hohen Thujenhecken versucht jeder, sein eigenes, kleines Paradies zu schaffen und verausgabt sich damit ganz schön. Besitz besitzt dich auch, will geputzt, geheizt, gewartet und bekümmert sein. Gleichzeitig Gärtner, Handwerker, Putzfrau und Installateur zu sein und alles auch noch allein zu finanzieren, das geht an die Energiereserven, vor allem bei steigenden Grundstücks- und Baupreisen. Wie könnte es anders funktionieren? Wenn wir uns die Frage stellen, wie zukunftsfähige Wohnformen aussehen könnten, dürfen wir neugierig in die Vergangenheit schauen, lernen und dann den Faden weiterspinnen, neu verknüpfen für Wohnträume, die sich leicht anfühlen, das Miteinander fördern und uns wieder in die Kraft bringen, statt Kraft zu kosten.


Werfen wir einen Blick zurück: Auf meinem Arbeitsweg gehe ich täglich an einer alten Bäckerei vorbei. Das Gebäude ist mit 500 Quadratmeter nur etwa doppelt so gross wie ein grosses Einfamilienhaus, hat es aber in sich: Im Erdgeschoss gab es einen Verkaufsraum, der direkt an die Backstube anschloss. Der zentrale Ofen beheizte das ganze Haus. Unmittelbar daneben: Lebensmittellager, Waschraum und eine Werkstatt. Neben dem Verkaufsraum befand sich der Wohnraum der Grosseltern. Im Stockwerk darüber wohnten die jungen Bäckersleute samt Kindern. Es gibt auch noch zwei Wohnungen, die vermietet wurden, sowie je ein Zimmer für Mägde und Knechte, die in der Bäckerei arbeiteten. Arbeitsweg: zehn Meter treppab. Entfernung zur Kinderbetreuung: zwei Schritte. Die Kinder sind Teil des Alltags, es ist immer jemand da, der Zeit hat. Die Kunden kommen direkt ins Haus. Veraltetes Konzept oder genialer Ansatz?

Ein Blick ins Heute: Zu Besuch im Gutensteiner Hof, einem Projekt der «Dorfschmiede Genossenschaft», die als Labor dient und sich an solchen gemeinschaftlichen Wohnformen orientiert. «Unsere Küche bräuchte nach der Baustelle dringend eine Grundreinigung – Aber putzen? Wer hat darauf schon Lust?», erzähle ich beim Mittagstisch und raufe mir die Haare. «Ich bin dabei! Ich brauch ohnehin Bewegung und muss nach der Computerarbeit den Kopf ordnen», meint Ferdinand, der mir gegenübersitzt. Er nimmt Veronika mit, die unglaublich ausdauernd beim Reinigen verschmutzter Fliesenfugen ist. «Mein neuer Dampfreiniger will endlich ausprobiert werden», meint Markus und steht lachend mit dem Profigerät auf der Matte. «Super, ich koch uns was und bring ein paar Bier mit», meint Oliver. Philip wirft seine Boxen an, legt Musik auf und schon gehts los! Nach wenigen Stunden erstrahlt die Küche in neuem Glanz, man kennt alle Neuigkeiten aus der Nachbarschaft und gemeinsam entsteht die Idee, die alten Fliesen grün zu streichen und der Küche damit neuen Pepp zu geben. Aus einer nervigen Pflicht wurde eine gemeinsame Aktion, die jeder als sinnvoll empfand, die unsere Verbindung stärkte, und aus der sich neue Ideen ergaben. Zustandekommen konnte der Putzzauber nur, weil sich Menschen begegnen, die unterschiedliche Potenziale mitbringen und sich austauschen. Treffpunkte im Alltag, egal ob zum Essen, Arbeiten, Werken oder Gärtnern, erzeugen Synergieeffekte. Wenn wir nach der Arbeit nur müde die Wohnungstüre schliessen, bleiben wir mit unseren Herausforderungen allein.

Geteilte Ressourcen und gemeinschaftlich genutzte Strukturen reduzieren im Idealfall den Aufwand für jeden Einzelnen. Natürlich birgt das auch Konfliktpotenzial. Man kann sich solchen Begegnungsräumen aber auch im Kleinen annähern! Neuartige Bauformen wie ein modulares Tiny House liefern die Möglichkeit, Flächen gemeinsam zu nutzen und gleichzeitig flexibel zu bleiben. Diese nachhaltigen Gebäude kommen ohne Beton aus, stehen auf Schraubfundamenten und können per Kran verhoben und auch wieder abtransportiert werden.

Was möglich ist – Erfolgsgeschichten

Hermine träumte schon lange von einem kleineren Zuhause, weniger Arbeit beim Putzen, mehr Nähe zur Natur. Aber sie wollte ihren geliebten Garten nicht verlassen und hatte alleine nicht die nötigen finanziellen Ressourcen. Als sie ihre Gedanken mit ihrem Sohn teilte, entstand eine gemeinsame Idee: Der Sohn übernimmt mit seiner Familie das Haus, bezahlt dafür das neue Zuhause der Mutter, statt einen grossen Kredit für ein neues Einfamilienhaus aufzunehmen, der auch ihn schon lange gedanklich belastet. Das neue Zuhause wird im geliebten Garten aufgestellt: Ein kleines Massivholzhaus von WOHNWAGON, autark versorgt mit minimalen Fixkosten und rein aus natürlichen Materialien gebaut. Die finanzielle Belastung für Hermine ist gering, dafür hat sie seither viel Zeit für die Enkelkinder.

Ein eigenes Grundstück zu kaufen erschien Michael und Sibylle nicht sinnvoll: Sie kochen zwar gerne, aber sind nicht die leidenschaftlichsten Gärtner. Aufgrund ihres Berufs bliebe ihnen wenig Zeit, ein grosses eigenes Haus überhaupt zu geniessen. Sie sprachen mit Freunden, denen es ähnlich ging: Der grosse Garten, das Haus, das Kochen – einfach anstrengend! Dann fällt ihnen ein: Warum tun wir uns nicht zusammen? Sie ergänzen das bestehende Haus mit einem Modulhaus, Michael und Sibylle pachten die Fläche. Arbeit in Haus und Garten kann seither geteilt werden. Sollte das Konzept zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr passen, können die zwei Massivholzmodule einfach wieder rückgebaut und abtransportiert werden.

Mit meinem Unternehmen WOHNWAGON haben wir eine Grundstücksbörse ins Leben gerufen, damit sich Interessierte miteinander vernetzen können. In der Schweiz haben so Urs, Nici und Christina zusammengefunden, gemeinsam ein leerstehendes Baugrundstück gepachtet und erfolgreich ihr Wunschprojekt realisiert. In Österreich wird ein alter Vierkanthof in der Steiermark belebt, der mit modularen Holzhäusern zu einer lebendigen Nachbarschaft werden soll. Auch modulare Mehrfamilienhäuser sind bereits entstanden: Grössere Gebäude, die im Laufe unseres Lebens immer wieder unterschiedliche Nutzungsarten zulassen. Solange ich Platz als Familie brauche, bewohne ich 100 der insgesamt 200 bis 500 Quadratmeter grossen Fläche – wenn die Kinder ausziehen, kann ich diesen Gebäudeteil vermieten. Erinnert an die alte Bäckerei? Kein Zufall! Wir können viel von unseren Vorfahren lernen und von ihnen die Elemente übernehmen, die für unsere neue Zeit dienlich sind. Trauen wir uns, uns gemeinsam zu erinnern und mutig einen Blick in die Zukunft zu werfen!

von Theresa Mai 

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Theresa Mai ist Geschäftsführerin und Mitgründerin von WOHNWAGONwohnwagon.at


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Das Wesentliche besitzen

Immer mehr Quadratmeter, dafür billige Materialien. Höhere Zäune, dafür weniger Leben und eine monatliche Kreditrückzahlung, die uns die Luft zum Atmen nimmt. Geht es auch anders? Bestimmt! Aber dafür müssen wir die Art, wie wir bauen, hinterfragen und dürfen mutig neue Wege gehen!

Kaum etwas prägt unser Leben und unseren Alltag so sehr wie unser Zuhause. Man riecht und spürt es, wenn man die Türe öffnet: Hier kann ich mich fallen lassen, hier bin ich willkommen. Aber was braucht es dafür? Und wieso werden moderne Wohnhäuser immer mehr zu lieblosen Schuhschachteln aus dem Katalog, die sich mit nutzlosen Dingen füllen?

Seit über zehn Jahren beschäftige ich mich mit zukunftsfähigen, nachhaltigen Wohnlösungen. Warum? Weil die Art und Weise, wie wir bauen und wohnen, hochpolitisch ist – es prägt unsere Gesellschaft wie kaum etwas anderes: Die Entscheidung, wie wir wohnen, ist eine der grössten wirtschaftlichen Entscheidungen unseres Lebens. Die Baubranche ist für 40 Prozent des weltweiten Ressourcenverbrauchs verantwortlich. Unser Wohnumfeld bestimmt unser soziales Miteinander – treffen wir uns im Alltag oder verschwindet jeder hinter einem hohen Zaun?

Wollen wir wirklich in Wegwerfhäusern wohnen?

Seit der Generation unserer Grosseltern hat sich das Bauen stark gewandelt. Statt mit wenigen Materialien grosse Gebäude zu bauen, die mehrere Generationen überdauern, errichten wir heute komplexe Wegwerfgebäude mit Baustoffen aus der Industriechemie, die niemand mehr versteht oder reparieren kann. Ich wollte neue Lösungen finden, die ein Leben unterstützen, das von Selbstwirksamkeit, Lebendigkeit, guten Verbindungen mit der Natur und unseren Mitmenschen geprägt ist, nicht von Abhängigkeiten und Konsumwahnsinn. Ich wollte das Wohnen, wie wir es kennen, komplett neu denken – oder vielleicht einfach wieder zu den Wurzeln zurückführen, die wir nur vergessen haben.

Vor über zehn Jahren gründete ich mein Unternehmen WOHNWAGON aus dem Wunsch, mit ganz konkreten Wohnprojekten zu zeigen, was möglich ist. Mein Team ist heute auf 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewachsen und hat über 170 Projekte in Österreich, Deutschland und der Schweiz realisiert. Nach vielen wertvollen Erfahrungen ist als Essenz eine tiefe Überzeugung geblieben: Dass die Zeit reif ist für eine neue Form des Wohnens. Es ist Zeit, aus utopischen Pionierideen gelebte Realität zu machen.

Wie wäre es … wenn wir unser Zuhause auf das Wesentliche reduzieren?

Der durchschnittliche Wohnraum pro Person hat sich in den letzten Jahrzehnten verdreifacht. Im selben Atemzug sind gemeinschaftliche Einrichtungen verschwunden: die Waschküche, das Backhaus, aber auch die Wirtshäuser und kleine Pensionen im Ort. Das hat uns zwar unabhängiger gemacht, aber auch einsamer. Was passiert, wenn wir uns trauen, unseren Wohnraum auf das Wesentliche zu reduzieren? Frei nach Seneca – «Nie ist zu wenig was genügt» – könnten wir Wohnraum gestalten, der liebevoll durchdacht ist, bei dem jeder Zentimeter unseren Bedürfnissen entspricht und Sinn und Seele hat. Und den Rest: einfach weglassen. Nicht bauen. Nicht finanzieren. Nicht heizen. Nicht reparieren müssen. – Das hört sich nicht nach Einschränkung, sondern nach einer grossen Befreiung an!

Wenn wir uns ehrlich fragen, welche Plätze in der eigenen Wohnung oder im Haus wirklich lebendig sind, wo wir uns wohl fühlen, erholen und die schönsten Momente erleben, dann sind es in Wahrheit einige wenige Lieblingsplätze, die uns wichtig sind. Die Aufgabe der Architektur muss es sein, genau solche Lieblingsplätze zu schaffen. Mehr Wohnqualität auf weniger Fläche statt möglichst billigen Quadratmeterpreisen. Das könnte die Devise sein!

… wenn wir das Wohnen nachbarschaftlich denken?

Wer selbst weniger Raum zur Verfügung hat, streckt automatisch wieder seine Fühler aus. Vielleicht ein Schritt, der uns gesellschaftlich auch gut tun würde? Die Sauna, die Werkstatt, das Gästezimmer und der Platz zum Feiern – würde es nicht Spass machen, solche Flächen mit anderen zu teilen und gemeinsam zu nutzen? Gemeinsam werden Dinge leistbar, die man alleine nie stemmen könnte: Ein ordentlicher Schwimmteich statt eines kleinen Plastikpools. Wie wär´s?

Gemeinsam könnten wir auch die Problematik von überteuerten Grundstücken und fehlenden Bauplätzen lösen. Gerade in ländlichen Regionen steht unglaublich viel Baufläche leer. Dazu kommen Grundstücke, die als Wertanlage dienen und ungenutzt sind. Und wer kennt sie nicht, die grossen Gebäude, in dem nur noch eine einsame, ältere Dame wohnt? Wollen wir mutig sein und für diese Flächen neue Konzepte denken?

Mit flexiblen, modularen Wohngebäuden ist es möglich, aus einem Einfamilienhausgrundstück eine lebendige Nachbarschaft zu machen: Der Grundstücksbesitzer verpachtet die freie Fläche, dort können modulare Vollholzgebäude auf Schraubfundamenten errichtet werden. Der Verpächter bekommt eine nette Nachbarschaft, eine laufende Einnahme und vielleicht Hilfe bei der Gartenarbeit, der Pächter kann ein leistbares und nachhaltiges Wohnprojekt realisieren. Hört sich nach Utopie an? Stimmt nicht! Genau solche Projekte sind bereits gelebte Realität. Ein Beispiel: Susanne wohnte alleine in ihrem Einfamilienhaus in der Nähe von Wien. Ihr Sohn hatte gerade eine Familie gegründet und war auf der Suche nach leistbarem Wohnraum. Die beiden fanden eine ungewöhnliche Lösung: Susanne übergab das Haus ihrem Sohn, der den Raum gut nutzen konnte. Sie zog in eines unserer Vollholz-Tiny-Houses, das im Garten platziert wurde. Garten und Wirtschaftsräume werden gemeinsam genutzt, jeder hat seinen Rückzugsbereich und dennoch entsteht ein Miteinander auf dem Grundstück: Zeit für die Enkel, Mithilfe bei Besorgungen, man sieht sich regelmässig und unterstützt sich gegenseitig.

Susanne ist kein Einzelfall: Michael und Sibylle setzten ihr Projekt bei Freunden um und geniessen das Miteinander in der Nachbarschaft, Margot steht bei einem Bauernhof und unterstützt bei der Ernte, Christina, Urs und Nici teilen sich gemeinsam ein Grundstück, das bisher als Wertanlage leer stand und wohnen jeweils in einem kleinen Vollholz-Modul.

… wenn wir mit der Natur bauen, statt gegen sie?

Über viele Jahrhunderte war es üblich, unsere Häuser mit den Materialien zu bauen, die uns unsere natürliche Umgebung schenkt. Erst in den letzten Jahrzehnten errichten wir Betonbunker mit Plastikfenstern und Styropordämmung. Fühlt sich nicht gut an. Wie wäre es, wenn deine Sinne jubilieren, wenn du über deine Wand streichst? Wir bauen seit vielen Jahren mit Vollholz, Schafwolle und Lehmputz und ich kann aus eigener Erfahrung berichten, wie gut es tut, von natürlichen Materialien umgeben zu sein.

Wer weniger Fläche braucht, kann wählerischer sein und sich für grossartige Naturmaterialien entscheiden, die zu unserem Wohlbefinden beitragen: Holz beruhigt den Herzschlag und stärkt die Regenerationsfähigkeit, Schafwolle bindet Schadstoffe und reguliert die Luftfeuchtigkeit. Und dabei altern gute Materialien auch würdevoll und werden mit den Jahren fast noch schöner. Schon meine Oma wusste: «Ich hab lieber weniger, dafür was gscheits.»

Unsere Leben sind heute meist geprägt von einem «Zu viel»: Zu viel Informationen und Eindrücke, zu viel finanzieller Druck, keine Zeit, zu viel Zeug. Wer sich bewusst für die Reduktion entscheidet, tut sich selbst etwas Gutes, schafft sich mehr Freiraum für Schönes und Luft zum Atmen. Das gibt Kraft und Mut, den eigenen Weg zu gehen. Ich bin überzeugt: Das ist politisch hoch subversiv. Daher freue ich mich, dass ich auch in den nächsten Ausgaben Wissen, Erfahrungen und Inspiration zu diesem Thema weitergeben darf. Was brauchst du für ein gutes Leben? Machen wir uns gemeinsam auf den Weg! ♦

von Theresa Mai

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Theresa Mai ist Geschäftsführerin und Mitgründerin von WOHNWAGON. Mit ihrem Unternehmen realisiert sie modulare, reduzierte Wohnprojekte mit autarker Versorgung. wohnwagon.at

Veranstaltungstipps:

Webinar «Wie wir wohnen wollen»:
Kostenloses Webinar mit konkreten Lösungen für nachhaltiges, zukunftsfähiges Wohnen von WOHNWAGON & kleinHAUS
13. März 2024, 19.30, online

Workshop «Finde deine Wohn-Vision»:
Gemeinsam erarbeiten wir konkrete Wohnvisionen und geben dir die Wissens-Bausteine für die Realisierung.
15. Juni 2024, ganztägig, Olten

Alle Infos unter graswurzle.ch


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