Skip to main content

Zurück zu den Wurzeln

Die Kraft der Wildpflanzen

Sie sind naturverbunden, gehen ihren ureigenen Weg und haben ein grosses Wissen über die wilden Grünen: 13 Kräuterleute porträtiert Daniela Schwegler in ihrem neuesten Buch «Grünkraft». Der sehr ansprechend gestaltete Porträtband mit Illustrationen von Trix Barmettler und Reportagefotos von Gerry Amstutz ist Lesegenuss und Augenschmaus zugleich. Auch für die Gaumenfreude ist gesorgt: Wildkräuter-Rezepte bieten Inspiration für etwas andere Speisen.

Schmackhaft, vitalstoffreich und heilsam: Sie sind Alleskönner und wahre Überlebenskünstler. Bei der Wahl ihres Lebensraums sind sie definitiv nicht wählerisch. So wachsen und gedeihen sie etwa im Wald, an Wegrändern, auf Äckern oder sogar in Pflasterritzen. Heutzutage werden sie von vielen aus Unkenntnis als Unkraut abgestempelt, dabei sind sie die Urnahrung und Urmedizin der Menschheit.

«Die wilden Grünen erobern sich Land zurück. Immer mehr Menschen besinnen sich und entdecken mit den Wildpflanzen wieder ihre eigenen Wurzeln», sagt Daniela Schwegler. Die 54-jährige Autorin und freischaffende Texterin lädt in ihrem neuesten Buch «Grünkraft. Kräuterleute im Porträt» dazu ein, den Reichtum der Wildpflanzenwelt neu zu entdecken und die wilden Grünen wieder in den Alltag zu integrieren.

In zwölf Kapiteln erzählen zehn Kräuterfrauen, ein Kräutermann sowie ein Kräuterpaar, die in den verschiedensten Ecken der Schweiz leben, wie sie zu den Wildpflanzen gefunden haben, diese in den Alltag integrieren, und weshalb das Leben mit Kräutern so viel bereichernder ist als ohne. Sie geben Einblicke in ihr Wissen über die Verwendungszwecke, Wirk- und Heilkräfte der Wildpflanzen.

Heilkräuter statt Chemie

Von Rita Huwiler Weissen etwa erfährt man, dass eine Tinktur aus der Weidenrinde oder dem Mädesüss den Wirkstoff Salicylsäure enthält und somit als natürliche Alternative zu Aspirin verwendet werden kann. «Es dauert vielleicht teilweise etwas länger, wenn man etwas mit Heilkräutern statt mit Chemie auskuriert, aber dafür ist es nachhaltiger und nebenwirkungsfreier», sagt die pensionierte Naturheilpraktikerin, die im Wallis Heil- und Wildpflanzenkurse anbietet. Oft wachse unser Heilmittel in unmittelbarer Nähe. Ein selbst gesammelter Tee oder eine eigene Salbe helfe uns auf körperlicher und seelischer Ebene tiefer als ein schnell gekauftes Medikament, ist Huwiler Weissen überzeugt. Die 68-Jährige, die auch viel über Wildfrüchte weiss – «es gibt über 40 verschiedene Hagebuttensorten» –, besuchte schon Kurse bei der begnadeten Wildpflanzenköchin Meret Bissegger, die ebenfalls porträtiert wird.

Ihre erste Wildspinatsuppe aus Gutem Heinrich kochte sich Bissegger auf 1800 Metern über Meer, und zwar auf dem offenen Kaminfeuer: Drei Monate lang war sie einst auf einer Tessiner Alp – «vier Stunden Fussmarsch vom nächsten Dorfladen entfernt» –, wo sie zusammen mit vier Männern 210 Geissen und 48 Kühe hütete. Heute führt sie das Bed & Breakfast Casa Merogusto in Malvaglia, wo sie ihr Wissen in Kochkursen und auf Kräuterwanderungen weitergibt. Kursteilnehmer lernen zum Beispiel, dass der Spitzwegerich ähnlich wie ein Steinpilz schmeckt. Bissegger ist es ein grosses Anliegen, die lateinischen Namen für die Wildpflanzen zu verwenden: «Mit dem wissenschaftlichen Namen kann man über die Sprach- und Regionsgrenzen hinweg kommunizieren.» Sie veranschaulicht dies anhand des Gänsefusses (Chenopodium): «Chenopodium album ist die Weisse Melde. Chenopodium gigantum, der sehr ähnlich ist, der Baumspinat. Chenopodium bonus-henricus ist der Gute Heinrich. Chenopodium quinoa ist Quinoa.» Wenn man sie nun alle auf Deutsch benenne, seien es ganz unterschiedliche Pflanzen. Aber wenn man ihren lateinischen Namen benutze, merke man, dass alle verwandt sind. «Darum sind sie so ähnlich im Gebrauch, im Geschmack, und darum sind in Ötzis Magen Chenopodium album-Samen gefunden worden.»

Apropos Samen: Maurice Maggi, Blumengrafikkünstler und passionierter Koch aus Zürich, «streift im Schutze der Nacht mit ‹Samenbomben› durch die Quartiere und streut Malven, Eselsdisteln, Wegwarten oder auch mal Kulturgemüse wie Pak Choi und Schwarzkohl an trostlosen und öden Orten aus».

Die 13 porträtierten Kräuterleute haben alle ihren ganz eigenen Zugang zu den wilden Grünen. Was sie vereint: das Leben im Einklang mit der Natur und den Mitmenschen. Mit viel Achtsamkeit, Sorgfalt und feinem Humor ist es der Autorin gelungen, die Charaktere der Kräuterleute umfassend darzustellen. Entstanden sind inspirierende und tief berührende Texte über bewusste, teils spirituelle Menschen, deren Lebensläufe nicht geradlinig verliefen.

«Graue Erbsenzähler»

Auch Schwegler musste in ihrem Leben schon einige Umwege gehen. Umwege, die sie zu ihrer wahren Berufung führten. «Das Schreiben ist die einzige Konstante in meinem Leben», sagt die Autorin, die in einem Handwerkerhaushalt im Thurgauer Dorf Istighofen aufgewachsen ist. Während ihrer Kantonsschulzeit schrieb sie Artikel für die Thurgauer Zeitung. Im Laufe des Volkswirtschaftsstudiums in Konstanz interviewte sie die Thurgauer Rechtsanwältin Ruth Bommer. «Ich stellte mir Juristen bis dahin als graue Erbsenzähler vor. Und auf einmal hatte ich eine faszinierende Rechtsanwältin vor mir, die Jeans trug, in einer Rockband spielte und einen Klienten im Gefängnis besuchte.» Das hat Schwegler dazu bewogen, auf ein Jurastudium umzusatteln.

Doch den Glauben an den Rechtsstaat verlor sie früh. Als Gerichtsberichterstatterin musste sie unter anderem auch über Sexualdelikte berichten. «In allen Fällen wurde der Beschuldigte freigesprochen – in dubio pro reo.» Es folgte der Sprung vom regionalen zum nationalen Journalismus: Als Redaktorin arbeitete sie bei der Schweizerischen Depeschenagentur in Bern, beim juristischen Fachmagazin plädoyer und bei der Kirchenzeitung reformiert. Seit 2011 ist die Autorin und Texterin freischaffend unterwegs. In einer existenziellen Krise hatte sie sich für die Selbstständigkeit entschieden. «Manchmal muss uns Gott eben einen Tritt in den Hintern geben», sagt die 54-Jährige schmunzelnd. So entstand ihr erster Porträtband «Traum Alp», der 2013 auf der Schweizer Sachbuch-Bestsellerliste landete. «Die Selbstständigkeit ist eine Schulung im Gottvertrauen.»

Von Wildpflanzen lernen

Vor einigen Jahren hat Schwegler das «Wildpflanzenfieber» gepackt. Alles begann mit einem Vortrag des Ethnobotanikers Wolf-Dieter Storl, an dem ihr die Sitznachbarin auch noch von der Kräuterakademie in Salez vorschwärmte. Alsbald meldete sie sich für den dortigen Lehrgang an. Die Autorin erinnert sich, wie überrascht sie war, als sie zum ersten Mal erlebte, wie jemand Löwenzahn direkt von der Wiese ass – heute ist sie selbst eine passionierte Wildpflanzensammlerin. «Die Wildpflanzen sind vollkommen mit Gott verbunden, sie haben kein Ego wie wir Menschen. Und sie verfügen über ein ungeheures Überlebenswissen. Herrschen schlechte Bedingungen, können sie jahre-, im Extremfall jahrhundertelang als Samenkorn in der Erde zuwarten, und wenn die Bedingungen dann gut sind, erwachen sie zu neuem Leben.» Die wilden Grünen zeugten von der Schönheit der Schöpfung, findet Schwegler.

Die Autorin wünscht sich, dass sie mit «Grünkraft» viele Menschen erreicht, «die sich vom ‹Wildpflanzenfieber› anstecken lassen». Und sie hofft, dass sie «den Mut finden, den von der Natur geschenkten üppigen Schatz vor ihrer Haustür zu entdecken». ♦

von Luisa Aeberhard

***

«Grünkraft. Kräuterleute im Porträt» ist seit Juni 2024 in Buchhandlungen erhältlich. Daniela Schwegler gibt ihr Buch, an dem sie zwei Jahre gearbeitet hat, erstmals als Verlegerin in ihrem neu gegründeten WörterglückVerlag heraus, in Co-Produktion mit dem AS-Verlag. Der Band kann auch auf der Website der Autorin bestellt werden. Dort ebenfalls bestellbar sind: «Uferlos. Fährleute im Porträt» (2022), «Himmelwärts. Bergführerinnen im Porträt» (2019), «Landluft. Bergbäuerinnen im Porträt» (2017), «Bergfieber. Hüttenwartinnen im Porträt» (2015) und «Traum Alp. Älplerinnen im Porträt» (2013). danielaschwegler.ch

Rezept-Tipp: Wildes Blackenkompott

Der Alpenampfer ist unser wilder Rhabarber. Das Kompott aus diesen Blackenstängeln schmeckt milder und runder als jener des kultivierten Gartenrhabarbers.

30 – 50 Stängel von Alpenblacken, jene mit den breiten Riesenblättern, zwischen Juni und August erntenDie Blackenstängel grosszügig schälen. In kleine Stücklein schneiden.
Zitronensaft, frisch oder aus der PlastikzitroneMit Zitronensaft beträufeln.
5 – 10 EL WasserMit Wasser und Zitronensaft aufkochen, 10 Minuten köcheln lassen.
Rohzucker oder Melasse, notfalls BienenhonigMit Zucker abschmecken, nach Belieben mit dem Stabmixer pürieren.

Das Kompott lässt sich auch einfrieren oder frisch-heiss in Schraubdeckelgläser abfüllen. Früchtetiramisu mit Himbeeren oder Erdbeeren kann auch sehr gut mit Blacken- statt Rhabarberkompott hergestellt werden. Ausserdem eignet sich Blackenkompott mit Löffelbiskuits oder Zwieback und Vanillepudding sehr gut für die Götterspeise. (Rezept von Gisula Tscharner in «Grünkraft. Kräuterleute im Porträt»)


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Teile diesen Beitrag mit deinen Freunden