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Wie Frieden geschaffen – oder sabotiert wird

Von Jugoslawien über Den Haag bis in die Türkei: Der Topdiplomat Jean-Daniel Ruch blickt auf eine lange Karriere in der schweizerischen Aussenpolitik zurück. Seine Memoiren geben spannende Einblicke in einige der prägendsten Momente der jüngsten Zeitgeschichte.

Jean-Daniel Ruch war für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien und Warschau und als politischer Berater von Carla Del Ponte beim Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien tätig. Ausserdem war er Botschafter in Serbien und Montenegro, in Israel und in der Türkei. Während dieser Jahre erlebte er, wie er schreibt, «einige starke Momente im Herzen der Zeitgeschichte». Dabei habe er immer wieder gesehen, wie Hass und Intoleranz friedliche Lösungen verunmöglichten. Das Geleitwort zu Ruchs Memoiren mit dem Titel «Frieden und Gerechtigkeit» hat Altbundesrätin Micheline Calmy-Rey verfasst, die als Aussenministerin eine Zeit lang seine oberste Chefin war. Sie bezeichnet sein Werk als «packend und nicht zweideutig», was unüblich für einen Diplomaten sei. Ruch beginnt mit einer Aussage, die stellvertretend für seine Haltung und ebenso sinnbildlich für die heutige Politik ist. Er schreibt:

«Wenn die Emotionen dominieren, wird die Debatte unmöglich. Dummheit ist die Folge. Man hört nur noch diejenigen, die am lautesten schreien. Man bestärkt sich gegenseitig in der Ignoranz, und schnell werden die Worte ätzend, und dann kommt es zu Gewalt. Das ist ein Erbe, das man dann Generationen und Generationen von Menschen hinterlässt, die mit dieser Last leben müssen.»

Er habe dieses «fast schon genetische Gesetz» in allen Konflikten beobachtet, angefangen in seiner eigenen Heimat – Ruch wurde 1963 in Moutier geboren. Die politischen Kämpfe der 1970er-Jahre, als es darum ging, einen neuen Kanton Jura zu schaffen, hätten ihn früh geprägt. Die Separatisten, vor allem der protestantische Roland Béguelin, hätten den deutschsprachigen Teil seiner Familie beleidigt, die im 19. Jahrhundert aus dem Berner Emmental eingewandert waren, wo arme und religiöse Minderheiten unterdrückt wurden. So habe Ruch als Jugendlicher erlebt, wie politisch motivierte Gewalt ausbrechen kann.

Die daraus gezogenen Lehren habe er sich zum Credo seiner Diplomatie gemacht: Zuhören, den Standpunkt des Gegenübers zu verstehen versuchen. Sonst überlasse man das Feld jenen, die nur Demütigungen und Frustrationen ausnutzen wollen. «Wenn man das treibende Narrativ der einen und der anderen Seite in einen Dialog bringt, wird man zwar nicht immer zur Versöhnung gelangen, aber zumindest hat man versucht, etwas dagegen zu tun, dass die Enkel noch davon träumen, ihre Grosseltern zu rächen.»

von Armin Stalder

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Jean-Daniel Ruch: «Frieden und Gerechtigkeit. Erfahrungen eines Schweizer Diplomaten zwischen Balkan, Russland und Nahost», 2024, 178 Seiten, Weltwoche Verlags AG.


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