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Wer ist der hundertste Mensch?

Braucht es eine Mehrheit, um die Gesellschaft tiefgreifend zu verändern? Nein, Experimente zeigen, dass bereits eine kleine Gruppe die kritische Masse bilden kann. Sie muss dazu nicht einmal in direktem physischen Kontakt zu allen anderen stehen, denn wir beeinflussen uns gegenseitig auch über die morphogenetischen Felder.

Studien zeigen, dass der soziale Kipppunkt, um die öffentliche Meinung zu ändern, bei 3,5 Prozent liegt. In einem Verhaltensexperiment mussten sich 25 Prozent neu positionieren, um das Gesamtverhalten zu ändern. Im Finanzmarkt reichen neun Prozent, um die Meinung der Investoren zu kippen. Was viele nicht wissen: Bewusstseinsinformationen verbreiten sich auch ohne direkten Austausch, denn sie sind nicht starr an Raum und Zeit gebunden.

Interessante Erkenntnisse dazu brachte ein verhaltensbiologisches Experiment in den 1950er-Jahren auf der japanischen Insel Koshima hervor. Das Wissenschaftlerteam studierte das Verhalten einer Makaken-Affenkolonie. Die Affen wurden mit Süsskartoffeln gefüttert, die man am Strand der Insel in den Sand hatte fallen lassen. Die Affen liebten die Süsskartoffeln, aber nicht den Schmutz und den Sand, der an ihnen haftete. Eines Tages erkannte ein weibliches Jungtier, dass es die Süsskartoffeln im Meer waschen konnte. Es brachte diese Methode seiner Mutter bei und auch seine Spielkameraden begannen kurz darauf, die Süsskartoffeln im Wasser zu waschen. Unter den Jungtieren verbreitete sich diese Methode schnell. Von den ausgewachsenen Affen lernten aber nur diejenigen diese Methode, die Kinder hatten. Es ist bereits bemerkenswert, dass die Jungtiere den Älteren etwas beibringen.

Doch im Herbst 1958 ereignete sich etwas wirklich Sonderbares: Alle Affen begannen, ihre Süsskartoffeln zu waschen. Dies geschah aber nicht nur auf der Insel Koshima, sondern gleichzeitig auch auf den Nachbarinseln und sogar dem japanischen Festland. Ein Schwellenwert oder Kipppunkt war überschritten worden: Die Wissenschaftler bezeichneten es als den hundertsten Affen, der das Verhalten nachahmte und bewirkte, dass plötzlich alle Affen der Insel Koshima das Verhalten übernahmen. Dies bestätigt die oben genannte Studie, dass circa 25 Prozent für eine Verhaltensänderung reichen. Wie aber lässt sich erklären, dass andere Populationen ihr Verhalten zeitgleich änderten, ohne in physischem Kontakt zueinander gewesen zu sein?

Gibt es eine Art Bewusstseinsnetz, welches alle Affen verbindet, und wenn ja, ist so etwas auch beim Menschen möglich? Diesem Mysterium ging ein Team von Forschern in Australien und England nach. Für ihr Experiment erstellten sie ein Bild, das aus Hunderten Einzelbildern mit Gesichtern von Menschen bestand. Das Bild wurde einer repräsentativen Versuchsgruppe in Australien gezeigt. In der Zeit, in der die Versuchspersonen das Bild betrachten konnten, konnten sie im Durchschnitt zwischen sechs und zehn Gesichter erkennen. Dieser Versuch wurde mehrmals an verschiedenen Orten in Australien wiederholt; er brachte immer dasselbe Ergebnis.

Danach wurde dieses Experiment in einer TV-Sendung, die nur in England ausgestrahlt wurde, erklärt. Dabei wurden alle einzelnen Gesichter gezeigt. Kurze Zeit später wurde das Bild in Australien einer weiteren Kontrollgruppe gezeigt und plötzlich erkannten die Testpersonen ohne Schwierigkeiten die meisten der Gesichter. Zur Zeit der Studie gab es noch kein Internet.

Die Psychologie spricht von bewussten und unbewussten Ebenen, die uns beeinflussen. Neben dem personalen Unbewussten sprach C.G. Jung auch vom kollektiven Unbewussten, dem un- oder überpersonalen Teil unseres Unbewussten. Der Teil also, der nicht durch eigene oder ererbte Erfahrungen gebildet wird, sondern aus einer Art kollektivem Feld heraus gespiesen wird. Jung verwendete hierfür gerne das Beispiel vom Schiffsarzt Robert Meyer, der wohl eine der grössten Entdeckungen des 19. Jahrhunderts machte: Dass Energie nicht verloren geht, sondern nur die Form ändern kann – der Energieerhaltungssatz. Meyer war Arzt und kein Physiker. Er erklärte, dass seine Erkenntnis nicht im eigentlichen Sinne von ihm stammte. Er sprach von Gedankenblitzen, die er erhielt und weiterverfolgte. Woher aber kamen diese?

Gemäss Jung ist die Idee der Energie und ihrer Erhaltung ein urtümliches Bild, das im kollektiven Unbewussten schlummerte. Viele Religionen und Mythologien gründen auf dieser Vorstellung eines allumfassenden Geistes, einer universellen, nie endenden Kraft.

Etwas, das viele Menschen in der Vergangenheit erlernt haben, erlernen die Menschen in der heutigen Zeit leichter. Rupert Sheldrake nennt dies das kollektive Menschheitsgedächtnis. Über die morphische Resonanz verbinden wir uns damit, schöpfen daraus und geben unsere Erfahrungen weiter. Sheldrake machte dazu folgenden Versuch: Er liess eine Testgruppe in England und den USA drei japanische Kinderreime auswendig lernen. Alle Reime hatten denselben Aufbau. Zwei davon waren erfunden, während einer ein in Japan bekannter Kinderreim ist. Die Ergebnisse waren eindeutig: Den echten Kinderreim konnten sich die Probanden signifikant besser merken. Gemäss Sheldrake sind es morphogenetische Felder, über die wir uns mit dem kollektiven Menschheitsgedächtnis verbinden.

Eine mögliche Erklärung, wie das funktionieren könnte, liefert uns die Quantenphysik mit der Funktion der Verschränkung: Dabei werden zwei oder mehrere Quantenteilchen durch Einwirkung von Energie in einen gleichschwingenden, synchronen Zustand versetzt oder besser gesagt: in Resonanz zueinander gebracht. Wenn man bei einem der verschränkten Quanten eine Veränderung herbeiführt, tritt die Veränderung unmittelbar auch beim Zwillingsteilchen ein, und zwar unabhängig davon, an welchem Ort im Universum es sich befindet. Einstein gefiel diese Theorie nicht. Er nannte sie «spukhafte Fernwirkung» und versuchte, sie im Gedankenexperiment, das heute als Einstein-Podolski-Rosen-Paradoxon bekannt ist, zu widerlegen. Heute wissen wir, dass ihm das nicht gelang.

Dieser schwer vorstellbare und mysteriöse Effekt wurde inzwischen oft reproduziert und dient auch als Schlüssel zur Teleportation. Dem Physiker Anton Zeilinger gelang es, über die Verschränkung mehr als 3000 Atome zeitgleich zu teleportieren. Im Modell wird beschrieben, dass die verschränkten Teilchen über das Quantenfeld in Verbindung stehen – der Physiker Ulrich Warnke nennt es das «Meer aller Möglichkeiten». Wenn eine Veränderung beim einen Teilchen erfolgt, geht das andere augenblicklich mit ihm in Resonanz.

Das Wissenschaftlerehepaar Huping Hu und Maoxin Wu verschränkte Wasserstoffmoleküle. Sie teilten das verschränkte Wasser in zwei Portionen und gaben die Portion A einer Versuchsperson zum Trinken. Die Versuchsperson reiste danach von San Francisco nach Peking. Als sie in Peking angekommen war, fügten die Wissenschaftler der Portion B in San Francisco ein Anästhetikum bei. Die Wirkung der Droge wurde unmittelbar, ohne Zeitverzögerung, von der Versuchsperson in Peking wahrgenommen. Das zeigt: Die Verschränkung ist unabhängig von Raum und Zeit.

Baut die Quantenphysik eine Brücke zwischen Wissenschaft und Spiritualität? Der Physiker Jack Sarfatti meinte, dass mit jedem Gedanken, jeder Handlung nicht nur unsere eigene kleine Festplatte beschrieben wird, sondern dass alles auch im Quantenuniversum abgespeichert wird und unser irdisches Leben überdauert.

In der Physik, der Psychologie, der Biologie wie auch in Religionen und Mythologien weltweit wird von einem Netz, Feld oder einer Chronik gesprochen, von der wir Informationen beziehen oder in die wir Informationen laden können. Dieses «Meer aller Möglichkeiten» bietet uns die Chance, einen sozialen Kipppunkt zu erreichen. Wenn wir dieses Feld mit einer gemeinsamen Vision von Freiheit und Liebe speisen, kann vielleicht jeder von uns der hundertste Mensch sein. ♦

von Roman Westermann


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