Skip to main content

Richtig angeben – gutes Wohnen mit Potenzial zum Prahlen

Sie hat keinen guten Ruf – die Angeberei. Trotzdem gibt sie den Ton an, und wir erzählen damit viel über uns und unsere Werte: Was zählt für mich? Womit kann ich beeindrucken? Was bringt Bewunderung? Konsum und Fernreisen? Überstunden und Selbstüberforderung?

Das könnte aber auch anders aussehen. Wir könnten stattdessen stolz von dem neuen Projekt erzählen, bei dem wir uns engagieren, von dem frischen Wildkräutersalat, der uns gelungen ist und der herrlich zum selbstgemachten Brot passt. Wir könnten erzählen: «Den Pulli hab ich schon zehn Jahre – und er sieht einfach immer noch toll aus und hält vor allem unglaublich warm.» Wir könnten richtig angeben! Mit dem gesparten Strom und der niedrigen Energierechnung statt mit den Supermarktschnäppchen. Mit dem gesammelten Wissen statt dem gesammelten Zeug. Mit dem, was wir geschafft haben statt mit dem, was wir gekauft haben. Das Gegenüber reagiert zwar vielleicht am Anfang auch mal mit Verwunderung statt Bewunderung, aber gerade damit verändern wir. Alles beginnt im Kopf.

Gerade beim Thema Wohnen, das mich persönlich die letzten Jahre beschäftigt, steckt viel Emotion und Potenzial zum Prahlen drin. Viele Menschen widmen ihrem Zuhause einen grossen Teil ihrer Lebensenergie, nehmen hohe Kreditraten und viel Arbeit in Kauf, stecken unglaublich viel Zeit und Geld in ihr Zuhause. Auch hier stelle ich mir seit vielen Jahren die Frage: Sind die Prioritäten richtig geordnet? Wie konnten sie sich die letzten Jahre so verschieben? Wie könnten wir sie neu ordnen?

Viel zu oft setzen wir beim Bauen fragwürdige Prioritäten und kreieren dadurch Projekte, die uns und der Umwelt langfristig nicht gut tun. Wir bebauen grosse Wohnflächen, es fehlt dann aber das Geld für gute Materialien beim Innenausbau. Wir verlegen dann billige Plastikböden und möblieren mit Wegwerfmöbeln, statt langfristig etwas Wertiges aufzubauen, das wir auch noch über Generationen weitergeben könnten.

Wir wollen möglichst viel Fläche schaffen und möglichst billig pro Quadratmeter bauen – doch dabei übersehen wir, dass über die Hälfte der Kosten nach der Errichtung eines Gebäudes anfallen und geraten ins Hamsterrad der hohen Fixkosten und bleiben im ungeliebten Job, weil der Kredit abbezahlt werden muss. Am Ende kostet uns das Zuhause mehr Energie, als es uns schenkt.

Würde es uns gerade bei so einer grossen Entscheidung wie der Frage, wie wir wohnen wollen, nicht vielleicht gut tun, unsere Werte neu zu hinterfragen? Was brauche ich wirklich für ein gutes Leben? Was tut mir gut, lässt mich gut schlafen, schenkt mir Kraft im Alltag? Welche Lieblingsplätze möchte ich mir in meinem Zuhause schaffen?

Ich habe vor über zehn Jahren mit meinem Unternehmen WOHNWAGON begonnen, genau diesen Weg einzuschlagen und andere Wohn-Werte zu priorisieren: Gute Materialien, unabhängige Versorgung im Kreislauf mit der Natur, intelligente Gesamtlösungen auf weniger Fläche. Kleinere Fläche, dafür tolle Möbel vom Tischler, die ein Leben lang halten und der geile Holzboden, der unkaputtbar ist. Weniger Zeitaufwand zum Putzen, Reparieren und Instandhalten und weniger Druck in der Finanzierung – dafür mehr Freiheit. Damit wollten wir angeben!

Was ich nicht erwartet hätte: Ich habe einerseits eine unglaubliche Resonanz erfahren und gleichzeitig auch Menschen kennengelernt, die ich mit meinen enthusiastischen Erzählungen von meiner Liebe zum Wohnen auf kleinerem Raum ordentlich auf die Palme gebracht habe. Im ersten Schritt war da Ärger: So ein Unfug, das kann nie funktionieren! Willst du mir etwa vorwerfen, ich brauche zu viel Platz? Wieso sollte ich mich einschränken? Die Politik hat versagt, wenn ich mir das Wohnen nicht mehr leisten kann!

Im zweiten Schritt entstand aus dem Ärger oft eine spannende Diskussion über die eigenen Werte, die Rolle der Politik, die veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Man erkennt gemeinsam, wie sehr sich das Umfeld, in dem wir unser Zuhause schaffen, gewandelt hat: Familienstrukturen haben sich stark verändert, wir heiraten später oder nie, finden uns in neuen Patchwork-Strukturen wieder.

Mehr als ein Drittel der Haushalte sind Ein-Personen-Haushalte. Unsere Arbeitswelten sind völlig andere als noch vor Jahren, flexibler, mobiler, von mehr Wechsel geprägt. Auch die Prioritäten, wofür wir unser verfügbares Geld nutzen möchten, haben sich verschoben: Reisen, Unterhaltungselektronik, Erlebnisse – immer weniger Menschen wollen jeden verfügbaren Cent in den Traum vom Eigenheim stecken. Wollen wir uns wirklich auf die träge Politik verlassen, in so stark geänderten Rahmenbedingungen Lösungen zu finden? Wieso sträuben wir uns davor, hier ein Umdenken zuzulassen?

Die Antworten, die wir auf diese veränderten Rahmenbedingungen finden werden, sind bestimmt so unterschiedlich wie wir Menschen. Nicht für jeden wird eine reduzierte Wohnfläche die richtige Antwort sein. Dass es die gleichen Antworten sein werden, die unsere Eltern und Grosseltern gefunden haben, ist aber unwahrscheinlich.

Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann! Und das ist beim Thema Wohnen höchste Zeit.

Ein Weg, der uns in die Diskussion und einen inspirierenden Austausch zur Lösungsfindung bringt: Erzählen wir davon, was uns wichtig ist, von den guten Lösungen, die wir für uns gefunden haben. Und stossen wir damit eine gesellschaftliche Diskussion an, die uns neue Wege eröffnet. Geben wir an. Gehen wir’s an!

***

Theresa Mai ist Mitgründerin und Geschäftsführerin von WOHNWAGON.
wohnwagon.at


Hat dir der Artikel gefallen? Dann bestelle jetzt ein Abo in unserem Shop.

Deine Meinung ist uns wichtig: Teile dich mit und diskutiere im Chat mit unseren Lesern.

Teile diesen Beitrag mit deinen Freunden